RG, 28.02.1917 - I 113/16
Welcher Zeitpunkt ist im Falle der Doppelversicherung durch eine laufende und durch eine besondere Police für die Priorität der Versicherungen entscheidend?
Tatbestand
Die Klägerin hat eine zuerst am 8./20. Juni 1910 vereinbarte, später von Kalenderjahr zu Kalenderjahr, zuletzt am 1. Januar 1914 auf das Jahr 1914 verlängerte laufende Seeversicherung unter Einschluß der Kriegsgefahr nach den Hamburger Allg. Seeversicherungsbedingungen von 1867 unter anderem auf Erze und Metallrückstände, die von China nach Europa zu verschiffen waren, mit den Nebenintervenientinnen und der Beklagten, wobei diese zu 12 1/2 % beteiligt war, abgeschlossen. Als sie im Frühjahr 1914 etwa 300 t Erze und 500 t Metallrückstände von China nach Europa zu verschiffen hatte, nahm sie, angeblich, weil übersehen wurde, daß die laufende Versicherung auch die Kriegsgefahr deckte, bei der Beklagten laut Policen vom 9. April 1914 auf etwa 300 t Erze, taxiert zu 38.000 M, und vom 8. Mai 1914 auf 500 t Metallrückstände, taxiert zu 27.000 M, beides April/Mai Abladung auf noch aufzugebenden Dampfer, ebenfalls nach den Allg. Seeversicherungsbedingungen, Versicherung gegen Kriegsgefahr. Diese Waren wurden Ende Mai mit dem Dampfer Denbigshire verladen. Sie sind nach Ausbruch des Krieges von den Engländern beschlagnahmt worden. Der Versicherungsfall liegt unbestritten vor. Die beabsichtigten Abladungen sind auch auf die laufende Police laut Beibuch am 6. Mai 1914 vorschriftsmäßig angemeldet worden.
Die Parteien streiten darüber, welche Versicherung die ältere ist. Die Klägerin vertrat den Standpunkt, daß die besondere Versicherung den Vorrang habe, weil sie vom 9. April bzw. 8. Mai datiere, während die laufende Versicherung erst mit der Abladung Ende Mai in Kraft getreten sein würde, wenn sie nicht wegen Doppelversicherung unwirksam gewesen wäre. Die Beklagte dagegen ist der Ansicht, daß die laufende Versicherung bereits vom Abschlusse des Generalvertrags zu datieren sei, so daß die Spezial-Policen wegen Doppelversicherung ungültig seien. Jedenfalls seien letztere aber erst mit der Abladung oder mit der erst später erfolgten Aufgabe des Dampfers Denbigshire wirksam geworden, weil vorher in Ermangelung der Bestimmung des Dampfers ein fertiger Versicherungsvertrag nicht anzuerkennen sei, wahrend anderseits die laufende Versicherung spätestens mit der Anmeldung im Beibuch in Kraft getreten sei. Die Beklagte hat entsprechend ihrer Beteiligung bei der laufenden Versicherung 7500 M an die Klägerin bezahlt. Diese verlangt den Rest des taxierten Schadens in Höhe von 57.000 M nebst Zinsen.
Beide Vorinstanzen nahmen an, daß die laufende Versicherung für die fraglichen Verschiffungen vom 8. Mai 1914 zu datieren sei, während die Spezial-Versicherung von den Tagen des Abschlusses, dem 9. April und dem 8. Mai 1914 in Kraft sei. Daher sei die laufende Versicherung wegen der ersten Ladung ungültig, während sie für die zweite Ladung mit der besonderen Versicherung konkurriere (Allg. SVB. § 10 Abs. 2). Nach einer von den Parteien als solcher nicht beanstandeten Rechnung verurteilte daher das Landgericht die Beklagte unter Abweisung der Klage im übrigen zur Zahlung von 44.000 M nebst Zinsen. Die hiergegen von beiden Seiten eingelegte Berufung wurde zurückgewiesen.
Die nur von der Beklagten eingelegte Revision führte zur gänzlichen Abweisung der Klage aus folgenden Gründen:
Gründe
"Der Revision der Beklagten mußte stattgegeben werden. Allerdings steht die angefochtene Entscheidung im Einklange mit dem Urteile des VII. Zivilsenats vom 23. Juni 1899 in RGZ. Bd. 44 S.31. Dieses Urteil betrifft den Fall, daß dasselbe Risiko, Feuersgefahr bei Lagerung von Waren im Zollhause von Porto-Alegre, wo sie durch Feuer zerstört wurden, durch zwei laufende Policen gedeckt war. Die ältere Police vom 7. März 1893 war eine Feuerpolice, die jüngere vom 1. Januar 1898 eine Seeversicherungspolice, welche den Allg. Seeversicherungsbedingungen von 1867 unterstand und in der durch besondere Klausel die in Rede stehende Feuersgefahr mit übernommen war. Nach der Feuerpolice sollte der Schaden pro rata vergütet werden, falls die betreffenden Güter noch anderswo versichert waren. Das Oberlandesgericht hatte die später genommene Versicherung auf Grund der §§ 10, 11 Allg. SVB. und Art. 792 HGB. für unwirksam erklärt und die beklagte Feuerversicherungsgesellschaft zur Bezahlung des gesamten Schadens verurteilt. Dagegen hat der VII. Zivilsenat diese Anwendung der bezeichneten seerechtlichen Normen für rechtsirrig erachtet.
Er hat folgendes ausgeführt. Bei laufenden Policen erhalte der Vertrag seinen Inhalt von Fall zu Fall dadurch, daß bestimmte Güter in das dabei vorausgesetzte tatsächliche Verhältnis gebracht würden, dessen Eintritt das Risiko hervorruft. Vorher bestehe nur die allgemeine Verbindlichkeit der Gesellschaften, solcher Güter sich zutreffendenfalls als Versicherer anzunehmen. Zu einer konkreten Leistung verpflichtet würden sie erst später, wenn der allgemeine Rahmen des Vertragsverhältnisses mit der konkreten Beziehung auf bestimmte Gegenstände ausgefüllt werde. Dies sei bei der Feuerversicherung geschehen mit dem Augenblicke, wo die Einlagerung der Güter im Zollhause zu Porto-Alegre erfolgte, bei der Seeversicherung mit dem Momente, wo die Güter in Hamburg zur Ausreise nach Porto-Alegre vom Lande schieden. Diese Momente und nicht das Datum der Policenausstellung seien entscheidend für die Frage der Doppelversicherung und der Priorität. Vorher habe es noch keine "Versicherung" gegeben, sondern nur den Boden des Vertragsverhältnisses, auf dem in bezug auf die zur Versendung nach Porto-Alegre bestimmten Güter eine Versicherung entstehen konnte. Danach sei die Seeversicherung keineswegs die jüngere, die beim Eintritte ihrer Wirksamkeit die Feuer-Versicherung bereits vorfand. Höchstens lasse sich sagen, daß in bezug auf das Landrisiko beide gleichzeitig in Wirksamkeit getreten wären: nämlich im Augenblicke der Einlagerung im Zollhause zu Porto- Alegre. Aber auch dann würden weder die Vorschriften des Handelsgesetzbuchs noch die §§ 10. 11 Allg. SVB. den Kläger hindern, die Seeversicherungsgesellschaften auf Entschädigung seines Brandschadens zu belangen. Im Verhältnis des Klägers zur Beklagten liege der Fall vor, daß die Gegenstände zur Zeit des Brandes noch anderswo versichert waren. Daher müsse die Beklagte den Schaden pro rata, d. h. zur Hälfte vergüten.
Der jetzt erkennende Senat konnte aber dieser Entscheidung und ihrer Begründung nicht beitreten. Die laufende Versicherung ist, wie allgemein anerkannt wird, ein durchaus perfekter, beide Teile bindender Vertrag (Voigt S. 336 und 341; Ehrenberg S. 415; Gerhard S. 249, 767; Sieveking § 817 Anm. 5; RG. IV. in RGZ. Bd. 35 S. 274; RG. I, Rep. 219/1911, Urteil vom 15. Mai 1912, in HansGZ. Nr. 112 S. 238). Sie stellt einen der beiden Fälle des § 64 Allg. SVB. (§817 HGB.) dar, über die schon nach den Hamburger Protokollen S. 3197 ohne Widerspruch erklärt wurde: "Art. 626 beziehe sich nur auf solche Fälle, in welchen der Versicherungsvertrag unzweifelhaft perfekt und die Entscheidung, auf welche Güter sich die Versicherung beziehen solle, von dem Willen des Versicherten gar nicht mehr abhängig sei, in denen also in irgendeiner Weise, sei es durch Angabe von Mark und Nummern, sei es durch Angabe der Unternehmung, aus deren Anlaß die Abladung statt haben, oder der Zeit, innerhalb welcher dieselbe erfolgen solle, bestimmt sei und nötigenfalls richterlich entschieden werden könne, auf welche Güter sich die Versicherung beziehen solle. Art. 626 habe demnach Anwendung zu leiden, wenn (erster Fall) die Versicherung über individuell hinreichend bestimmte Waren genommen worden, die Schiffe aber, in denen sie verladen werden sollten, vorerst noch unbekannt geblieben seien, ferner dann, wenn (zweiter Fall, laufende oder offene Police) die Güter nur durch Angabe der Unternehmung, der Zeit ihrer Abladung bestimmt worden, individuell aber unbestimmt und auch die Schiffe noch unbenannt seien, in denen die Abladung der einzelnen Kolli usw. erfolgen solle."
Hiernach ist es schon eine unrichtige Auffassung, daß eine Versicherung künftig zu einem bestimmten Zeitraum und an bestimmten Plätzen abzuladender Güter erst bestehe, wenn die Gefahr für den Versicherer zu laufen begonnen habe, oder gar, sofern mehrere Risiken nebeneinander übernommen sind, wenn das betreffende Risiko eingetreten sei. Die Güter sind vielmehr, natürlich unter der Bedingung, daß sie wirklich abgeladen werden, von vornherein ebensogut versichert, wie ein Schiff versichert ist, für das der Reeder am 1. Oktober für das nächste Kalenderjahr Versicherung nimmt, obschon es inzwischen untergehen oder veräußert werden kann. Die Frage, wann die Versicherung genommen ist, hat mit der Frage, wann die Gefahr zu laufen beginnt, nichts zu tun. Der Nichteintritt der Gefahr kann gemäß Allg. SVB. §§ 154 flg. (§§ 894 flg. HGB.) nur zur Folge haben, daß die an sich bestehende Versicherung nachträglich wieder aufgehoben wird. Wenn ein Kaufmann einen anderen auf fünf Jahre an dem Gewinne seines Geschäfts beteiligt, so entsteht das Gesellschafts- oder Beteiligungsverhältnis sofort und nicht erst, wenn der Gewinn erzielt wird. Ebenso entsteht, wenn er einem Spediteur Vollmacht zum Empfange von solchen für ihn irgendwo ankommenden Waren, die noch nicht individuell bestimmbar sind, und Auftrag zur Weiterbeförderung gibt, das Speditionsverhältnis sofort und nicht erst mit dem Eintreffen der Ware. Schwer verständlich ist der Satz:
"Vorher besteht nur die allgemeine Verbindlichkeit der Gesellschaften, solcher Güter sich zutreffendenfalls als Versicherer anzunehmen."
"Zu einer konkreten Leistung verpflichtet werden sie erst später, wenn der allgemeine Rahmen des Vertragsverhältnisses mit der konkreten Beziehung auf bestimmte Gegenstände ausgefüllt wird."
Denn zu einer konkreten Leistung wird der Versicherer erst verpflichtet bei Eintritt des Schadens, was aber nicht ausschließt, daß die Versicherung mit ihren beiderseitigen Rechten und Pflichten schon vorher besteht. Schwer verständlich ist es endlich vom Standpunkte des Urteils selbst, wenn gesagt wird, daß, wenn beide Policen gleichzeitig in Wirksamkeit getreten wären, weder die Vorschriften des Handelsgesetzbuchs noch die §§ 10, 11 Allg. SVB. den Kläger hindern könnten, die Seeversicherungsgesellschaften auf Entschädigung seines Brandschadens zu belangen. Dabei scheint die Vorschrift des § 10 (§ 787 HGB.) über die Verteilung des Schadens auf die mehreren Versicherer übersehen zu sein.
Das Hauptbedenken gegen das Urteil besteht aber darin, daß es den Zusammenhang und den Zweck der §§ 10 bis 15 Allg. SVB. (§§ 787 bis 792 HGB.) nicht genügend würdigt. Die erwähnten Bestimmungen bilden nämlich ein Ganzes und bezwecken in der Hauptsache, der Möglichkeit von Weltassekuranzen entgegenzutreten und die Versicherung nur zuzulassen, soweit ein versicherbares Interesse vorliegt (vgl. Voigt S. 87; Prot. S. 3016, 3017). § 10 behandelt nun unzweifelhaft und wortdeutlich den Fall der "gleichzeitigen Abschließung verschiedener Versicherungsverträge", wogegen die §§ 11 bis 13 den Fall des Abschlusses mehrerer Versicherungsverträge nacheinander behandeln, und zwar stets von Verträgen über dasselbe Interesse, § 14 enthält eine Bestimmung, die sich auf beide Fälle bezieht, § 15, der hier weniger in Betracht kommt, regelt den Fall, daß die Versicherungssumme den Versicherungswert nicht erreicht, und bezieht sich auf die drei denkbaren Möglichkeiten, daß nur ein Versicherungsvertrag vorliegt, daß mehrere Verträge gleichzeitig abgeschlossen sind und daß mehrere nacheinander abgeschlossen sind; eine Doppelversicherung ist dabei nicht gegeben. Der Zusammenhang der §§ 10 bis 13 läßt keinen Zweifel darüber, daß, wenn § 11 sagt:
"Wird ein Gegenstand, welcher bereits zum vollen Werte versichert ist, nochmals versichert", damit ebenfalls gemeint ist der Fall des Abschlusses mehrerer Versicherungsverträge hintereinander und daß mit den Worten "die spätere Versicherung" gemeint ist: der später abgeschlossene Versicherungsvertrag. Dies wird bestätigt durch die Erläuterung des Begriffs "spätere Versicherung" in § 12 unter Nr. 1 und 3, laut welcher darunter verstanden wird: der "Abschluß des späteren Vertrags" und die "Eingehung der späteren Versicherung", ferner durch den Gegensatz "zuerst genommene" und "später genommene Versicherung" und die Gegenüberstellung der früheren Versicherung und der "Eingehung der späteren Versicherung" in § 13, endlich durch die Gegenüberstellung der Fälle, daß "mehrere Versicherungen gleichzeitig oder nacheinander geschlossen worden" sind in § 14. Schon hieraus ergibt sich mit voller Sicherheit, daß es im Sinne der §§ 10 flg. auf die Zeit des Abschlusses ankommt und daß die "Versicherung" besteht, sobald der Versicherungsvertrag bindend abgeschlossen ist, also auch bei der laufenden Versicherung nicht erst dann, wenn die Gefahr zu laufen beginnt oder wenn der Gegenstand in anderer Weise individuell bestimmt wird. §§ 12 und 13 würden ohne diese Voraussetzung geradezu unanwendbar sein. Natürlich ist die individuelle Bestimmbarkeit die Bedingung dafür, daß die Gegenstände von der Versicherung ergriffen werden, aber dies schließt nicht aus, daß letztere mit der Eingehung des Vertrags besteht und für bestehend erachtet wird, ebensowenig, daß sie für zukünftige und Ungewisse Gefahren besteht.
Die Auslegung, wonach stets der Abschluß des Vertrags für die Priorität entscheidet, entspricht auch allein dem gesetzgeberischen Gedanken. Der Grund für die Unwirksamkeit der Doppelversicherung wird erblickt in dem Mangel des versicherbaren Interesses. Wenn bei einer zahlungsfähigen Gesellschaft - für andere Fälle ist in § 12 Nr. 2 vorgesorgt - Versicherung genommen ist, so wird kein Interesse für eine nochmalige Versicherung anerkannt. Dieser Grund trifft zu für die später genommene, nicht aber für die früher genommene Versicherung, auch wenn es sich um laufende Policen handelt. Denn auch bei der laufenden Police wird der Gegenstand automatisch mit der Abladung, wenn nicht schon vorher mit der Anmeldung oder der Eintragung ins Beibuch, von der Versicherung ergriffen. Daher liegt im Sinne der §§ 10 flg. kein versicherbares Interesse für einen späteren Vertrag vor bei Gegenständen, die unter eine ältere laufende Police fallen. Umgekehrt kann man unmöglich bei letzterer das versicherbare Interesse mit Rücksicht auf den späteren Abschluß einer anderen Versicherung verneinen. Ob ein versicherbares Interesse vorliegt, kann nur nach der Zeit des Abschlusses bestimmt werden. Nach der Auslegung des Urteils RGZ. Bd. 44, S. 31 würde bei mehreren laufenden Policen auf dieselben Gefahren stets Gleichzeitigkeit vorliegen. Es würde dann weder § 10 noch § 11 anwendbar sein, wenn die Versicherungen nacheinander genommen sind, denn dann wären nach dem klaren Wortlaute des § 10 dessen Voraussetzungen nicht erfüllt und nach der Auslegung des Urteils auch nicht die des §11. Nach dieser Auslegung hätte es der Versicherte nach Abschluß einer laufenden Versicherung in der Hand, jedesmal durch rechtzeitigen Abschluß einer Einzelversicherung die laufende Versicherung unwirksam zu machen.
Dies führt zu der Betrachtung der Wirkungen, die die Auslegung auf das wichtige Ristornorecht ausüben würde. Für die Versicherungsgesellschaften ist dies von größter Bedeutung, denn für die große Mehrzahl der Fälle kommt nur ihr Prämienrecht in Betracht, da kein Schaden entsteht. Nach § 155 Allg. SVB. (§ 895 HGB.) kann bei Doppelversicherung die Prämie bis auf eine Ristornogebühr zurückgefordert oder einbehalten werden, wenn sich der Versicherte (Versicherungsnehmer) beim Abschlusse des Vertrags (oder bei Erteilung des Auftrags) in gutem Glauben befunden hat. Auch diese Bestimmung paßt nur für die hier vertretene Auslegung der §§ 10, 11. Denn bei dem ersten Vertragsschlusse muß sich der Versicherte stets in dem hier in Betracht kommenden guten Glauben befinden, daß er noch nicht anderweit versichert ist. Wenn nun diese ältere (laufende) Versicherung durch einen späteren Abschluß unwirksam gemacht werden kann, so würde der frühere Versicherer stets der Gefahr ausgesetzt sein, durch eine Rechtshandlung der Gegenpartei die Prämie bis auf eine Ristornogebühr zu verlieren. Auch wenn man dem älteren Versicherer demgegenüber bei Abschluß der jüngeren Versicherung in bösem Glauben eine exceptio doli zubilligen wollte, würde die Regelung noch immer gesetzgeberisch widersinnig erscheinen. Man kann wohl daran denken, den jüngeren Vertrag aus Billigkeitsgründen bei nachweisbarer bona fides für unwirksam zu erklären, weil er wegen eines älteren Vertrags des wirtschaftlichen Zweckes entbehrt, nicht aber daran, den älteren Vertrag deswegen aufzuheben, weil durch einen neuen Vertrag dasselbe Ergebnis erzielt wird. Hält man derartige Billigkeitsrücksichten für ausschlaggebend, so muß nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen der jüngere Vertrag dem älteren weichen, und nicht umgekehrt (Priori tempore potoir jure).
In den Hamburger Protokollen findet sich nirgends die Andeutung, daß für die Priorität bei der Doppelversicherung etwas anderes maßgebend sein könnte als der Abschluß der Verträge, vielmehr wird die Maßgebliche des Abschlusses an vielen Stellen deutlich erklärt und vorausgesetzt (f. S. 3018 oben, S. 3020, 3021, 3041, 3043, 3045-3049, 4261 oben). Auch Voigt, der Hauptautorität auf diesem Gebiete, liegt offenbar die Anschauung des Urteils RGZ. Bd. 44 S. 31 völlig fern (s. S. 88, 8s. 64 u. S. 341). Auf S. 87 erwähnt er, daß die Bestimmung des Art. 792 (§ 788) HGB. im Einklang stehe mit Art. 3 Titel 6 der Hamburger Assekuranz- und Havarie-Ordnung von 1731, der lautet: "Wenn jemand auf einerlei Güter mehrmals hat versichern lassen, so soll es nicht in seiner Wahl stehen, welche Assekuranz er ristornieren will; sondern die Police, welche dem Datum nach zuerst gezeichnet worden, soll in Kraft bleiben, die dem Datum nach jüngere Assekuranz aber durch das Ristorno wieder aufgehoben werden."
Ehrenberg, S. 374, sagt ausdrücklich:
"Danach kommt es für die Wirkungen der Doppelversicherungen darauf an, ob sie gleichzeitig oder nicht gleichzeitig abgeschlossen sind."
Sieveking, § 817 Anm. 5, äußert lebhafte Bedenken gegen die Begründung in RGZ. Bd. 44 S. 31, scheint aber das Ergebnis für die vorliegende Frage anzuerkennen. Klar sind seine Ausführungen nicht, denn er erklärt es für irreführend, wenn das Reichsgericht sage, ehe die Güter vom Lande scheiden, liege noch keine "Versicherung" vor; er will vielmehr daran festhalten,
"daß mit Abschluß der laufenden Versicherung alle policenmäßigen Abladungen von vornherein und zwar bereits vor ihrer Deklaration versichert sind."
Dies würde der hier vertretenen Auffassung entsprechen. Gerhard, S. 249, dagegen schließt sich ohne eigene Begründung dem Urteile RGZ. Bd. 44 S. 31- an. In dem Urteile des I. Senats HansGZ. 1912 Nr. 112 S. 238 wird jene Entscheidung mit einem "vgl." angeführt, ohne daß jedoch die hier vorliegende Frage zur Erörterung stand. Auch das Preuß. Allgemeine Landrecht II, 8 § 2004 schrieb vor:
"Das Datum der geschehenen Zeichnung bestimmt, welcher Kontrakt der ältere sei, wenn auch die Police ein anderes Datum enthalten sollte"
und es erklärt bei nicht angezeigter Doppelversicherung, in den §§ 2003, 2008 nur den älteren Kontrakt für wirksam.
Da der VII. Zivilsenat auf Anfrage erklärt hat, an der in dem Urteile vom 23. Juni 1899 dargelegten Auffassung in dem hier in Betracht kommenden Punkte nicht festzuhalten, so bedurfte es nicht der Anrufung der Vereinigten Zivilsenate gemäß GVG. § 137, und es konnte auch unentschieden bleiben, ob die Voraussetzungen dieser Bestimmung angesichts der inzwischen auf dem Gebiete des Versicherungsrechts erlassenen neuen Gesetze gegeben wären.
Ebensowenig kommt es darauf an, ob von der hier beanstandeten Grundlage aus der Auffassung des Berufungsgerichts, daß nicht die Zeit der Abladung, sondern die der Eintragung ins Beibuch maßgebend ist, beizutreten wäre, denn es steht fest, daß der Abschluß der laufenden Versicherung vor dem der beiden Spezialversicherungen erfolgt ist. Letztere waren daher nach § 11 Allg. SVB. §§ 788 HGB.) unwirksam.
Mithin haftete die Beklagte nur aus ihrer Beteiligung bei der laufenden Police und, da sie insoweit vor der Klage Zahlung geleistet hat, erweist sich die. Klage als unbegründet." ...