RG, 28.02.1889 - VI 336/88

Daten
Fall: 
Erfüllung des Verlöbnisses
Fundstellen: 
RGZ 23, 172
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
28.02.1889
Aktenzeichen: 
VI 336/88
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg
  • OLG Hamburg

1. Worin besteht rechtlich die Erfüllung des Verlöbnisses nach gemeinem deutschem Rechte? Ort dieser Erfüllung.
2. Kann der eheliche Wohnsitz im voraus vertragsmäßig bestimmt werden?

Tatbestand

Beim Landgerichte zu Hamburg war von dem daselbst wohnhaften Kläger die zu E.-D. im schleswigschen Kirchspiele Deezbüll wohnende Beklagte auf Grund eines angeblichen Verlöbnisses belangt auf Eingehung der Ehe mit dem Kläger oder Zahlung eines Schadensersatzes von 3000 M an denselben; die von der Beklagten vorgeschützte Einrede der örtlichen Unzuständigkeit des Gerichtes war zwar vom Landgerichte verworfen, vom Oberlandesgerichte aber als begründet anerkannt und deswegen der Kläger mit seiner Klage durch das Berufungsurteil abgewiesen worden. Die vom Kläger hiergegen eingelegte Revision wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Nach Lage der Sache könnte die örtliche Zuständigkeit des Landgerichtes zu Hamburg hier nur dadurch begründet sein, daß die streitige Verpflichtung aus dem vom Kläger behaupteten von seiten der Beklagten im Sinne des §. 29 C.P.O. im Bezirke des genannten Landgerichtes zu erfüllen sein würde. Der Kläger hat nun auch wirklich Hamburg deswegen als diesen Erfüllungsort angesehen wissen wollen, weil er dort wohne, bezw. weil nach der Vertragsabsicht der Parteien ihr eheliches Leben dort habe geführt werden sollen. Die Beklagte hat dahingestellt gelassen, ob diese Begründung des vom Kläger in Anspruch genommenen Gerichtsstandes rechtlich an sich zutreffen würde, hat denselben aber jedenfalls ans dem Grunde bestritten, weil besonders verabredet sei, daß die Eheschließung an ihrem Wohnorte stattfinden solle. Das Berufungsgericht aber hat ausdrücklich die erwähnte Art der Begründung des Gerichtsstandes mit der Darlegung verworfen, daß aus dem Verlöbnisse nicht eine Verpflichtung zur Führung des ehelichen Lebens, sondern eine solche zur Eingehung des Rechtsgeschäftes der Eheschließung entspringe, und daß diese Obligation selbständig ihren eigenen, mit dem Orte des in Aussicht genommenen ehelichen Lebens an sich nicht zusammenfallenden Erfüllungsort habe, und hat daran die Ausführung geschlossen, daß dieser Erfüllungsort für die Beklagte nicht Hamburg, sondern ihr Wohnort E.-D. -- was wohl genauer heißen sollte: derjenige Ort, in welchem sich das Amtslokal des Standesbeamten befindet, zu dessen Bezirk E.-D. gehört -- sein würde. Wieweit die letztere Ausführung in ihrem positiven Teile rechtliche Billigung verdient, durfte jedenfalls unerörtert bleiben, sobald nur feststand, daß unter keiner Voraussetzung, ein Grund für die Annahme vorliege, daß die Beklagte rechtlich verpflichtet sein würde, sich zum Zwecke der Eingehung der Ehe mit dem Kläger vor dem hamburgischen Standesbeamten einzufinden. Daß dem so sei, konnte aber nicht bezweifelt werden. Formell mußte hier allerdings zunächst die Vorfrage aufgeworfen werden, welches Territorialrecht zur Anwendung zu kommen habe -- eine Frage, die vom Oberlandesgerichte nicht scharf ins Auge gefaßt worden ist. Inwiefern etwa durch dieses Verhalten des Berufungsgerichtes an sich ein Revisionsgrund gegeben sein möchte, konnte wiederum auf sich beruhen, weil unter allen Umständen die Entscheidung selbst nach §. 526 C.P.O. aufrechtzuhalten gewesen wäre. In Betracht kommen konnte für die Bestimmung des Erfüllungsortes selbstverständlich nur entweder das in Hamburg, oder das in E.-D., also im schleswigschen Kirchspiele Deezbüll geltende Recht. Hieraus ergab sich, daß es sich allerdings insoweit keinesfalls formell um die Anwendung des gemeinen deutschen Rechtes handeln konnte. Denn für Hamburg ist dieses für die Frage des Erfüllungsortes formell thatsächlich ganz beseitigt durch die §§. 30. 36 des hamburgischen Einführungsgesetzes zum deutschen Handelsgesetzbuche, von denen §. 30, welcher durch §. 1 I der Kaiserl. Verordnung vom 28. September 1879 für revisibel erklärt ist, bestimmt, daß der Art. 324 H.G.B. allgemeine, nicht bloß auf Handelsgeschäfte beschränkte Geltung haben solle, und der, allerdings nirgends ausdrücklich als revisibel bezeichnete, §. 38 die, hier übrigens nicht in Betracht kommende, Maßgabe hinzufügt, daß an die Stelle des Ortes der Handelsniederlassung des Verpflichteten bei einem Geschäfte, welches kein Handelsgeschäft ist, wenn es zum Gewerbebetriebe des Verpflichteten gehört, der Ort seiner gewerblichen Niederlassung, sonst sein Wohnort treten solle. Was aber Deezbüll anlangt, so liegt es nach der früheren Einteilung des Herzogtums Schleswig in der Bökingharde, einer der beiden Marschharden des früheren Amtes Tondern (vgl. die 1853 in Kiel erschienene "Topographie des Herzugtumes Schleswig" Tl. 1 S. 46. 49. 105. 96), und in diesen Marschharden galt, bezw. gilt das im Jahre 1572 erlassene Nordstrander Landrecht ohne formelle subsidiäre Geltung des gemeinen deutschen oder irgend eines anderen Rechtes.1

Über den Erfüllungsort im allgemeinen so wenig, wie speziell über den Ort, wo ein Verlobter die Eheschließung vorzunehmen verpflichtet ist, enthält übrigens das Nordstrander Landrecht oder etwa eine sonstige für das Herzogtum Schleswig erlassene Verordnung irgend eine Bestimmung, sodaß für das bei dieser Sachlage eintretende freie richterliche Ermessen materiell freilich doch die gemeinrechtliche Lehre vom Erfüllungsorte mit ihren Kontroversen die größte Bedeutung gewinnen würde. Zur Aufrechthaltung der angefochtenen Entscheidung in der jetzt in Rede stehenden Beziehung genügt nun aber jedenfalls die folgende Gedankenreihe. Mit Recht bemerkt das Oberlandesgericht, daß eine besondere Beredung, wonach die Eheschließung in Hamburg hätte stattfinden sollen, vom Kläger nicht behauptet sei. Ferner ist dem Berufungsgerichte auch darin beizustimmen, daß aus der Natur des Eheversprechens jedenfalls ebensowenig folgt, daß die Eingehung der Ehe am Wohnorte des Bräutigams, bezw. an demjenigen Orte, wo der für diesen Wohnort bestellte Standesbeamte sein Amtslokal hat, geschehen mußte; denn obwohl nach §. 42 Abs. 1 des Reichsgesetzes vom 6. Februar 1875 dieser Standesbeamte allerdings die erforderliche Zuständigkeit haben würde, so gilt doch das gleiche eventuell auch von anderen Standesbeamten, insbesondere auch von demjenigen des Wohnsitzes der Braut. Wenn aber weder nach besonderer vertragsmäßiger Bestimmung, noch nach der Natur des Geschäftes Hamburg Erfüllungsort für die Verbindlichkeit der Beklagten, die Eheschließung mit dem Kläger vorzunehmen, sein würde, so leuchtet ohne weiteres ein, daß ein anderer denkbarer Grund, Hamburg für solchen Erfüllungsort zu erklären, nach keinem der hier möglicherweise in Betracht kommenden Rechte, insbesondere nach Art. 324 H.G.B. in Verbindung mit den Bestimmungen des hamburgischen Einführungsgesetzes, sowenig, wie nach irgend einer gemeinrechtlichen Ansicht, gefunden, werden könnte.

Es bleibt nun aber noch die andere für die Begründung der Entscheidung wesentliche Annahme des Berufungsgerichtes zu erörtern, daß die Erfüllung des Eheversprechens nicht etwa in dem Beginne des ehelichen Lebens, sondern in der Vornahme des Rechtsgeschäftes der Eheschließung bestehe. Auch hier entsteht formell wieder die Vorfrage nach dem als maßgebend zu betrachtenden Territorialrechte, die auch hier wieder vom Berufungsgerichte nicht bestimmt beantwortet, ja nicht einmal aufgeworfen, indessen auch hier, ohne daß dieser Umstand zur Aufhebung des vorigen Urteiles zu führen brauchte, insofern sich nur die Entscheidung selbst als nach jedem möglicherweise in Betracht kommenden Rechte gerechtfertigt darstellte. Dies war nun aber auch der Fall. Als das für Hamburg in dieser Beziehung maßgebende Recht ist hier nur das gemeine deutsche Recht in Betracht zu ziehen. Es fragt sich also zunächst, ob nach gemeinem Rechte als Erfüllungsort für das Eheversprechen derjenige Ort zu gelten hat, wo nach dem übereinstimmenden Willen der Verlobten oder nach der Natur des Verhältnisses die Verlobten nach der Eheschließung ihren ersten gemeinsamen Wohnsitz nehmen wurden. Dies ist in der Rechtsprechung bisweilen angenommen worden, so z. B. in der bei Seuffert (Archiv Bd. 20 Nr. 1) gedruckten Entscheidung des ehemaligen Obergerichtes zu Wolfenbüttel und in einem früheren Urteile des III. Civilsenates des Reichsgerichtes.2

Es möge hier übrigens sogleich bemerkt sein, daß für die etwaige Anwendung des §. 137 G.B.G. diese Entscheidung des III. Civilsenates nicht in Betracht kam, sondern daß in dieser Beziehung die Sache gerade umgekehrt lag, da der genannte Senat in einem späteren Urteile3 von seiner früheren Ansicht abgegangen ist und auf dem Boden des gemeinen Rechtes als Erfüllungsort für das Verlöbnis denjenigen Ort bezeichnet hat, wo der betreffende Verlobte den Akt der Eheschließung mit dem anderen vorzunehmen verpflichtet ist. Dieser letzteren Ansicht hat sich also auch der jetzt erkennende Senat angeschlossen.

Zur Begründung derselben ist vor allem hervorzuheben, daß die entgegengesetzte Auffassung überhaupt nicht einmal mit Sicherheit zu einem praktisch brauchbaren Ergebnisse führt. Einen übereinstimmende Willen über den künftigen ehelichen Wohnsitz brauchen die Verlobten überhaupt nicht im voraus gehabt zu haben; jedenfalls aber würde der Bräutigam bezw. Ehemann durch einen solchen übereinstimmenden Willen nach gemeinem Rechte nicht im geringsten in der freien Wahl jenes Wohnsitzes beschränkt sein, selbst dann nicht, wenn dieser Wille in einem förmlichen Vertrage zum Ausdrucke gekommen sein sollte; denn einesteils ist eine vertragsmäßige Beschränkung der freien Bestimmung des Wohnsitzes überhaupt für ungültig zu erachten (arg. 1, 71 §.2 Dig. de cond. et dem. 35, 1), welche mit Recht auch heutzutage für anwendbar erachtet wird4 und anderenteils widerstreitet eine vertragsmäßige Bindung des Mannes gegenüber der Frau über eine solche Einzelheit des ehelichen Gebens dem sittlichen Wesen der Ehe (arg. c. 17 0. XXXIII qu. 5)5

Weil die Wahl des ersten ehelichen Wohnsitzes lediglich vom Manne abhängt, kann aber auch dadurch kein brauchbares Ergebnis gewonnen werden, daß man, wo keine besondere Kundgebung einer Willensübereinstimmung der Verlobten über den künftigen Wohnort erfolgt ist, ober, absehend von einer solchen, nach der angeblichen Natur des Verhältnisses den augenblicklichen Wohnsitz des Bräutigams für maßgebend erklärt. Denn nicht notwendig dort wird eventuell das eheliche Leben zu beginnen haben, wo der Bräutigam jetzt gerade wohnt, sondern dort, wo er sofort nach der Eheschließung in freier Wahl zunächst seinen Wohnsitz nehmen wird, und diesen Ort kann man während der Dauer des Verlöbnisses nicht mit Sicherheit vorher bestimmen.

Es ist aber auch an sich unrichtig, die Herstellung des gemeinsamen ehelichen Lebens als die Erfüllung des Verlöbnisses aufzufassen. Von einer "Erfüllung" des Verlöbnisses kann man selbstverständlich überhaupt nur reden, insofern man es als obligatorischen Vertrag betrachtet, und die Natur eines solchen wiegt auch in der That bei ihm vor, obgleich durch dasselbe daneben auch ein dauerndes persönliches, mit einigen Rechtswirkungen versehenes Verhältnis begründet wird. Die Handlung, auf welche jener obligatorische Vertrag gerichtet ist. besteht aber eben nur in dem Abschlusse eines anderen Vertrages, der Eheschließung, welcher seinerseits, obwohl er mittelbar gleichfalls zu vielen beiderseitigen Leistungen verpflichtet, doch kein obligatorischer, sondern ein familienrechtlicher Vertrag anderer Art ist, der zu seiner unmittelbaren Rechtsfolge nur die Begründung des dauernden persönlichen Verhältnisses der Ehe hat; in diesem letzteren Punkte liegt die Besonderheit des Verlöbnisses, soweit es obligatorischer Vertrag ist, im Vergleiche mit den gewöhnlich sogenannten pacta de contrahendo, denen es sich im übrigen völlig anreiht.

Da in dem oben angeführten Erkenntnisse bei Seuffert, Archiv Bd. 20 Nr. 1, für die entgegengesetzte Ansicht auf l. 65 Dig. de jud. 5, 1 Bezug genommen ist, so sei noch bemerkt, daß diese Stelle, nach welcher nach Auflösung der Ehe Erfüllungsort für die Restitution der Dos der letzte Wohnort des Ehemannes ist, offenbar mit der zur Entscheidung stehenden Frage nicht das mindeste zu thun hat.

Endlich bedürfen einer Erwähnung noch zwei Entscheidungen anderer Senate des Reichsgerichtes, welche als Erfüllungsort für das Verlöbnis den in Aussicht genommenen ehelichen Wohnort ansehen, nämlich die in den Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 20 S. 335 flg. abgedruckte Entscheidung des II. und die in der Sache Rep. 1V. 70/87 ergangene Entscheidung des IV. Civilsenates. Diese mögen sachlich

wohl auf einem dem hier eingenommenen entgegengesetzten Standpunkte stehen; formell konnten sie aber für die vorliegende Sache keine Einwirkung im Sinne des §. 137 G.V.G. üben. Denn sie entscheiden die Frage nicht für das gemeine Recht, sondern die des II. Senates für das rheinische Recht, die des IV., im Anschlusse an ein Urteil des ehemaligen Obertribunales zu Berlin6 für das preußische Landrecht. Dies folgt daraus, daß in beiden Erkenntnissen von dem Satze ausgegangen wird, daß nach den Grundsätzen über die Kollision der Rechtsquellen die Rechtsfolgen eines obligatorischen Vertrages im Zweifel nach dem Rechte des Erfüllungsortes zu bestimmen seien; denn ein Richter, der diesen Satz anwenden will, muß mit logischer Notwendigkeit zuvörderst den Erfüllungsort selbst nach seinem eigenen Territorialrechte bestimmen. Nun war aber Gericht erster Instanz in dem vom II. Senate entschiedenen Falle das Landgericht zu Mainz, in dem vom IV. Senate entschiedenen das Landgericht zu Stettin.

Von dem somit für das gemeine deutsche Recht gewonnenen Ergebnisse abzuweichen, würde auch vom Standpunkte des im Gebiete des Nordstrander Landrechtes geltenden Rechtes aus keine Veranlassung vorliegen."
(Dies wird dann weiter ausgeführt.)

"Hiernach war also die angefochtene Entscheidung auf alle Fälle aufrechtzuerhalten" ...

  • 1. Vgl. Esmarch, Das im Herzogtume Schleswig geltende bürgerliche Recht (2. Aufl.) S. X, sowie die am Schlusse des Buches angehängten "tabellarischen Übersichten".
  • 2. Vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 7 S. 340 flg.
  • 3. vgl. Seuffert, Archiv Bd. 41 Nr. 21.
  • 4. vgl. z. B. Seuffert, Archiv Bd. 24 Nr. 131.
  • 5. .Vgl. v. Scheurl, Eherecht S. 257 flg. 262.
  • 6. vgl. Entsch. des Obertrib. Bd. 43 S. 53 flg.