RG, 06.07.1889 - I 147/89
Wird der großjährige Offizier von der väterlichen Gewalt nur befreit, wenn er eine Kompagnie oder Eskadron erhält, oder auch dadurch, daß er eine abgesonderte Wirtschaft errichtet?
Tatbestand
Der Beklagte, welcher im Jahre 1854 geboren, Premierlieutenant, seit 1884 verheiratet, Vater mehrerer Kinder ist, und mit den Einkünften des Vermögens seiner Ehefrau im Betrage von 120000 M einen eigenen Hausstand unterhält, dessen Vater aber noch lebt, wurde aus drei von ihm im Jahre 1887 acceptierten Wechseln im Wechselprozesse auf Zahlung belangt. Er erhob den Einwand, daß er noch in väterlicher Gewalt sei. Die Klage ist deshalb in erster und zweiter Instanz abgewiesen. Auf die Revision des Klägers ist das Berufungsurteil aufgehoben und unter Abänderung des ersten Urteiles der Beklagte zur Zahlung unter Vorbehalt der Ausführung seiner Rechte verurteilt aus nachfolgenden Gründen:
Gründe
"Mit dem Berufungsrichter ist davon auszugehen, daß der Beklagte, obwohl großjährig, nach Art. I W.O. und den §§. 125. 131. 166 A.L.R. II. 2 nicht wechselfähig ist, wenn er sich noch in väterlicher Gewalt befindet.1
Daß der Fall vorliegt, in welchem der großjährige Haussohn ausnahmsweise nach den §§. 165. 166 a. a. O. ohne Beitritt des Vaters sich gültig wechselmäßig verpflichten kann, das heißt, daß der Wechselzug ausgesprochenermaßen mit Bezug auf die zu dem freien Vermögen des Beklagten nach §. 47 a. a. O. zu rechnenden Einkünfte des eingebrachten Vermögens seiner Ehefrau unter Beobachtung des §. 166 a. a. O. vorgenommen sei, hat der Kläger nicht behauptet. Die Behauptung, daß der Vater des Beklagten die Acceptierung der Wechsel genehmigt habe, was nach §. 125 a, a. O. die Wechselverpflichtung gültig machen würde, kommt für diesen Prozeß nicht in Betracht, da diese Behauptung nur unter Zeugenbeweis gestellt ist (§§. 558. 500 C.P.O.). Die allgemeine Behauptung, daß der Vater des Beklagten im voraus seine Genehmigung zu allen Rechtsgeschäften des Beklagten gegeben, ist durch den Eid des Beklagten beseitigt.
Die Entscheidung hängt danach davon ab, ob der Beklagte sich noch in väterlicher Gewalt befindet. Den Beweis, daß er noch in väterlicher Gewalt stehe, hat der Beklagte gegenüber der von ihm formell gültig übernommenen Wechselverpflichtung zu führen. Denn seine Verpflichtung ist, da er zur Zeit der Acceptierung der Wechsel unstreitig großjährig war, an sich durch die Acceptierung der Wechsel begründet (Artt. 21. 23 W.O.), und hat präsumtiv auch nach dem Willen des Beklagten begründet werden sollen. Behauptet der Beklagte, daß die Verpflichtung aus dem Accepte ausnahmsweise nicht entstanden sei, so hat er die juristische Thatsache, aus welcher die Rechtsfolge der Nichtentstehung der regelmäßigen Wechselverpflichtung sich ergeben soll, zu beweisen.2
Der Führung dieses mit den Beweismitteln des Urkundenprozesses zu liefernden Beweises (§. 561 C.P.O.) ist der Beklagte aber in vorliegendem Falle jedenfalls überhoben, wenn der §. 90 Anh. zu §. 212a. und db A.L.R. II. 2 im Sinne des Berufungsurteiles auszulegen ist, da die Thatsache, daß der Beklagte zur Zeit der Wechselacceptierung Premierlieutenant war und noch ist und sein Vater noch lebt, unstreitig ist. Aus beiden Thatsachen folgt nach dem Gesetze ohne weiteren Beweis, daß der Beklagte in väterlicher Gewalt und deshalb wechselunfähig ist, wenn der Anh. §. 90 besagt, daß der großjährige Subalternoffizier, abgesehen von dem hier durch den Eid des Beklagten ausgeschlossenen Fall der ausdrücklichen Entlassung aus der väterlichen Gewalt (§. 216 a. a. O.), einzig und allein dadurch aus der väterlichen Gewalt tritt, daß er Kompagnie- oder Eskadronführer wird oder doch zum Rittmeister oder Kapitän (Hauptmann) ernannt wird und das mit dieser Charge verknüpfte Gehalt bezieht.
Der Berufungsrichter nimmt dies an, und verneint deshalb die rechtliche Bedeutung der Thatsache, daß der großjährige Beklagte seit Jahren verheiratet, Vater mehrerer Kinder ist und eine selbständige Haushaltung hat, deren Kosten er aus den ihm gehörigen Einkünften des Vermögens seiner Ehefrau bestreitet. Auch diese Thatsache ist unstreitig und bedarf deshalb des Beweises nicht, welcher dem Kläger obgelegen hätte, der aus ihr replikatorisch die Aufhebung der an sich aus dem Leben des Vaters des Beklagten folgenden Fortdauer der väterlichen Gewalt herleitet.
Der Berufungsrichter befindet sich bei seiner Auslegung des Anh. §. 90 in Übereinstimmung mit dem Urteile des vormaligen Obertribunales zu Berlin vom 20. Dezember 1877,3 dem Urteile des vormaligen Reichsoberhandelsgerichtes vom 18. Oktober 1878,4 und einer nicht veröffentlichten Entscheidung desselben Gerichtshofes vom 27. September 1878 i. S. v. M. w. Sch. Rep. 1214/78. Seine Begründung ist zum Teil wörtlich aus der Entscheidung vom 18. Oktober 1878 entnommen.
Alle diese Entscheidungen des vormaligen höchsten Landesgerichtshofes und Reichsgerichtshofes beruhen auf der unzweideutig ausgesprochenen Auffassung, daß der Anh. §. 90 zu §§. 212 a und b A.L.R. II. 2 auch den §. 210 daselbst umfasse und das Ausscheiden des großjährigen Subalternoffizieres aus der väterlichen Gewalt durch Errichtung einer von den Eltern abgesonderten Wirtschaft (separata oeconomia) im Sinne des §. 210 a. a. O. durch die Worte des Gesetzes "nur alsdann" ausschließe.
Die Bedenken gegen diese von der Revision angegriffene Auslegung des Anh. §. 90 liegen nahe. Sie unterscheidet nicht, ob der Subalternoffizier verheiratet ist oder nicht, einen eigenen Hausstand hat oder nicht, ob er wohlhabend ist und aus eigenem Vermögen völlig selbständig lebt oder nicht. Sie weist dem Subalternoffizier, indem sie ihn unterschiedslos der väterlichen Gewalt unterwirft, eine Stellung im sozialen und im Rechtsleben zu, welche namentlich dann, wenn der Offizier verheiratet ist, Kinder und die ihm gesetzlich zustehende väterliche Gewalt über dieselben hat, mit den Lebensanschauungen, der Rechtssicherheit und der Stellung, welche der Offizier in solchen Fällen thatsächlich im wirtschaftlichen und sozialen Leben einnimmt, in unverkennbarem Widerspruch steht.
Diese Bedenken sind bei der Entscheidung der Frage durch das vormalige Reichsoberhandelsgericht, wie das in seinen Entscheidungen Bd. 24 S. 136 abgedruckte Urteil andeutet und die eingesehenen Akten ergeben, nicht unerwogen geblieben, aber gegenüber der Rücksicht auf den Ausspruch des damaligen höchsten Landesgerichtshofes, des vormaligen Obertribunales zu Berlin, "über diese territorialrechtliche Frage" zurückgetreten.
Für das Reichsgericht kann dieser Gesichtspunkt nicht maßgebend sein. Das Reichsgericht hat sich bei Prüfung der Frage der Auffassung der früheren höchsten Gerichtshöfe nicht anschließen können, obwohl dieselbe auch in der Doktrin des preußischen Rechtes Widerspruch nicht erfahren hat.5
Nach den §§. 210. 21 l. 212 a und b A.L.R. II. 2 wird die väterliche Gewalt bei einem großjährigen Sohne aufgehoben:
- durch Errichtung einer eigenen, von den Eltern abgesonderten Wirtschaft nach erlangter Großjährigkeit (§. 210);
- wenn der großjährige Sohn ein eigenes Gewerbe betreibt;
- wenn der großjährige Sohn ein öffentliches Amt bekleidet, -- in beiden Fällen unter 2 und 3 auch dann, wenn er fortwährende Unterstützung von seiten des Vaters durch Gebung des Tisches oder sonst erhält (§. 212a und b).
Jeder dieser drei Aufhebungsgründe hat seine selbständige Bedeutung. Die §§. 1. 4. 53 flg. A.L.R. II. 10 rechnen den Offizier zu den Dienern des Staates, und auch begrifflich fällt der nicht nur zur Erfüllung einer allgemeinen Bürgerpflicht (Wehrpflicht) übernommene Militärdienst als freiwilliger Eintritt in ein Dienstverhältnis zum Staat zur Ausübung eines Teiles der Staatsgewalt unter die öffentlichen Ämter.
Davon gingen auch die Redaktoren des Allgemeinen Landrechtes ans. Bei der revisio monitorum zu den in Betracht kommenden Bestimmungen des gedruckten Entwurfes äußerte Suarez: "Bei allen vorstehenden Bestimmungen bleibt noch eine Schwierigkeit wegen der Subalternoffiziere übrig, die ein mit fixierter Besoldung verbundenes öffentliches Amt bekleiden und separatam oeconomiam führen, ohne daß man doch bisher angenommen hat, daß sie nicht mehr unter väterlicher Gewalt ständen. Herr v. Grolmann schlägt vor, festzusetzen, daß Söhne, die in Militärdiensten stehen, sobald sie großjährig sind, ohne Unterschied sich nicht mehr in väterlicher Gewalt befinden. Cui accedo."
Die Bemerkung v. Grolmann's ging dahin:
"Subalternoffiziere und Soldaten sollten von der väterlichen Gewalt frei sein, sobald sie großjährig sind; alsdann kommt Großjährigkeit und der Dienst des Vaterlandes zusammen, welche beide billig die Befreiung von der väterlichen Gewalt wirken."6
Hiernach und nach der auch bei der Schlußrevision deutlich zum Ausdrucke gebrachten Absicht der Redaktoren wurde nach den §§. 212a, u. b A.L.R. II. 2 der minderjährige Subalternoffizier durch die Erreichung der Großjährigkeit von der väterlichen Gewalt ipso jure befreit, ebenso wie der Großjährige dadurch, daß er Offizier wurde, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob er daneben separatam oeconomiam führte oder nicht. Es ergiebt sich daraus, daß weder der §. 210 a. a. O. noch der §. 225 A.L.R. II. 2, nach welchem in allen Fällen, wo der minderjährige Sohn eine zuerst ohne väterliche Einwilligung oder Entlassung angefangene besondere Wirtschaft bis nach zurückgelegtem vierundzwanzigsten Lebensjahre (dem damaligen Termine der Großjährigkeit) fortsetzte, ohne daß der Vater seinen Widerspruch dagegen gerichtlich erklärt und ihn zur Wiederaufhebung dieser abgesonderten Wirtschaft wirklich angehalten hat, mit dem Zeitpunkte der erlangten Volljährigkeit zugleich aus der väterlichen Gewalt ging, auf Offiziere Anwendung fand, da sie nach den §§. 212a und b durch die Erlangung der Großjährigkeit allein von der väterlichen Gewalt befreit wurden, auch wenn sie der Vater durch Gebung des Tisches und sonst fortwährend unterstützte. Diesem Grundsätze des Allgemeinen Landrechtes, daß das öffentliche Amt allein emanzipierend wirke, der minderjährige Offizier allein durch die Erlangung der Großjährigkeit und der großjährige Sohn allein durch Erlangung der Offizierscharge von der väterlichen Gewalt befreit werde, trat rücksichtlich der Subalternoffiziere der wörtlich aus der "Nr. 10 ad part. II. Tit. 2 5. 212a und b" des Publikandums wegen Einführung des Allgemeinen Landrechtes bei den Militärgerichten vom 14. März 1797 (vgl. Rabe, Sammlung Bd. 4 S. 44) entnommene Anh. §. 90 entgegen, weil sich, wie der Eingang des Publikandums besagt, bei einigen Stellen des Landrechtes ergeben, daß dieselben bei ihrer Anwendung auf Militärpersonen gewisse Modifikationen nach der Verfassung unserer Armee bedürfen."
Der Anhangs- §. 90 setzt fest:
daß ein Offizier durch Erlangung der Majorennität von der väterlichen Gewalt nur alsdann befreit wird, wenn er zu einem solchen Posten avanciert, in welchem er der väterlichen Hilfe zu seinem Unterhalte nicht mehr bedarf, welches in dem Falle angenommen werden soll, da er entweder eine Kompagnie oder Eskadron erhält, oder doch zum Rittmeister oder Kapitän ernannt wird, und das mit dieser Charge verknüpfte Gehalt zu genießen hat. Darauf allein, daß die Nr. 10 des Publikandums ausdrücklich nur zu den §§. 212 a und b, nicht auch zu §. 210 A.L.R. II. 2 ergangen ist, kann für die Auslegung des Anh. §. 90 ein entscheidendes Gewicht nicht gelegt werden. Denn, wie oben dargelegt ist, fand der §. 210 bei Offizieren sowenig Anwendung wie der §. 225 A.L.3l. II. 2. Die Nr. III des Publikandums konnte nur als Modifikation des §. 212 a und b bezeichnet werden, denn nur um die Modifikation des Grundsatzes der emanzipierenden Wirkung des öffentlichen Amtes in seiner Anwendung auf Offiziere konnte es sich handeln. Die §§. 310. 225 A.L.R. II. 2 kamen direkt dabei überhaupt nicht in Frage.
Die Aufhebung jenes Grundsatzes in bezug auf Offiziere hatte auch nach den damaligen Verhältnissen der Armee einen guten Sinn, gerade weil bei seiner Anwendung dem Subalternoffizier eine Selbständigkeit gegeben wurde, die er wirtschaftlich und sozial in all den Fällen nicht hatte, in denen er von der Hilfe des Vaters abhängig war, das heißt in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle. Auf der anderen Seite kann aber auch bei der Auslegung des Anh. §. 90 auf die Worte des Gesetzes "nur alsdann" nicht das entscheidende Gewicht gelegt werden, welches die früheren Entscheidungen des Obertribunales, wie des Reichsoberhandelsgerichtes ihnen beimessen.
Nach dem aus seiner Entstehungsgeschichte hervorgehenden inneren Zusammenhange mit den §§. 212a. b ist das Schwergewicht im §. 90 Anh. vielmehr auf die Worte "durch Erlangung der Majorennität" zu legen. Denn der Grundsatz des Allgem. Landrechtes, daß schon durch die Erlangung der Großjährigkeit der minderjährige Offizier von der väterlichen Gewalt befreit wurde, sollte aufgehoben werden. Die Bedeutung des Anh. §. 90 liegt in dem Satze, daß durch die Erlangung der Großjährigkeit allein nicht, wie bis dahin, die väterliche Gewalt aufgehoben wird, sondern nur, wenn hinzutritt das Avancement zum Rittmeister oder Kapitän und der Genuß des mit diesen Chargen verknüpften Gehaltes.
Die Frage, ob der Offizier durch die Erlangung der Majorennität von der väterlichen Gewalt dann befreit werde, wenn ihr die Errichtung einer eigenen von den Eltern abgesonderten Wirtschaft im Sinne des §. 210 A.L.R. II. 2 hinzutrat, war nach dem Allgem. Landrechte vor dem Anh. §. 90 überhaupt nicht aufzuwerfen. Sie gewann erst Bedeutung durch den die §§. 212a. b für Offiziere aufhebenden Grundsatz des Anh. §. 90 Erst nachdem vorgeschrieben war, daß der minderjährige Offizier durch die Majorennität allein nicht mehr ans der väterlichen Gewalt trete, konnte in Frage kommen, ob er von der väterlichen Gewalt durch die Majorennität wie der Nichtoffizier doch dann befreit würde, wenn die Errichtung oder die Dauer einer eigenen Wirtschaft hinzutrat. Mit dem Erlasse des Anh. §. 90 trat der §. 210 für Offiziere erst in Kraft.
Nach den damaligen Verhältnissen der Armee, nach denen der Subalternoffizier regelmäßig einquartiert, Verheiratung höchst selten war, von einer abgesonderten Wirtschaft, einem selbständigen Haushalte bei dem Subalternoffiziere deshalb regelmäßig nicht die Rede sein konnte, war die Frage, ob der Offizier durch abgesonderte Wirtschaft wie der Nichtoffizier von der väterlichen Gewalt befreit werde, kaum von Bedeutung, und die §§. 210. 225 A.L.R. II. 2 sind bei Erlaß des Publikantums schwerlich überhaupt ins Auge gefaßt worden. Keinesfalls aber ist aus dem Anh. §. 90 die Entscheidung der Frage in dem Sinne der bisherigen oberstrichterlichen Rechtsprechung zu entnehmen. Weder der Wortlaut des Anh. §. 90 noch seine Entstehungsgeschichte zwingen, wie dargelegt, zu der Annahme, daß die Anwendung des §. 210 auf Offiziere überhaupt hat ausgeschlossen werden sollen. Dazu lag auch gar keine Veranlassung vor. Wenn der Subalternoffizier eigenes, dem Nießbrauch des Vaters entzogenes Vermögen besitzt und mit demselben, ohne auf den Vater angewiesen zu sein, einen eigenen Hausstand errichtet, insbesondere aber, wenn er eine wohlhabende Frau heiratet, mit den Einkünften ihres Vermögens seinen eigenen Haushalt einrichtet und erhält und die volle wirtschaftliche Selbständigkeit wie jeder andere verheiratete Mann hat, liegt auch vom Standpunkte des Gesetzgebers des Anh. §. 90 kein innerer Grund vor, der separate oeconomia im Sinne des §. 210 a. a. O. die emanzipierende Wirkung zu versagen, und auch das Interesse der Armee fordert es nicht. Letzteres ist umsoweniger der Fall, als die für die preußische Armee bestehenden Vorschriften über den zur Nachsuchung der Genehmigung des obersten Kriegsherrn für die Verheiratung der aktiven Subalternoffiziere erforderlichen Vermögensnachweis (vgl. die Verordnungen vom 14. März 1850 und vom 20. Mai 1886, Militärverordnungsbl. 1850 S. 66 und Armeeverordnungsbl. 1886 S. 174) dafür Sorge tragen, daß die künftigen Eheleute aus eigenem Vermögen oder durch Zuschüsse oder Zulagen aus fremdem Vermögen, welche gegen die Verfügung des Zuwendenden völlig sichergestellt sind und lediglich der Verfügung der Eheleute unterliegen, ein sicheres, fortlaufendes, den Dienstbezügen der im Anh. §. 90 bezeichneten Chargen des Rittmeisters oder Kapitäns mindestens gleichkommendes, ihre wirtschaftliche Selbständigkeit garantierendes Einkommen besitzen.
Gerade darauf, auf dieses durch ein vom Vater unabhängiges, die wirtschaftliche Selbständigkeit sicherndes Einkommen kam es aber dem Gesetzgeber des Anh. §. 90 an. Denn der Anh. §. 90 knüpft die Wirkung der Befreiung von der väterlichen Gewalt nicht an die Charge, sondern an das mit der Charge verbundene Gehalt und motiviert dies mit seinen eigenen Worten dadurch: daß der Offizier in diesem Falle der väterlichen Hilfe zu seinem Unterhalte nicht mehr bedarf.
Deshalb kann aus dem Anh. §. 90 nur der Satz entnommen werden:
Die Bekleidung der Offizierscharge allein befreit den großjährigen Offizier von der väterlichen Gewalt nicht, sondern es muß hinzukommen, daß er der väterlichen Hilfe zu seinem Unterhalte nicht mehr bedarf; eines Beweises dafür bedarf es nach dem Gesetze nicht, wenn der Subalternoffizier zum Rittmeister oder Kapitän avanciert und das Gehalt dieser Charge bezieht.
Dagegen folgt aus dem Anh. §. 90 in keiner Weise der Satz, daß die Bekleidung der Offizierscharge die emanizipierende Wirkung des Eintrittes der Großjährigkeit in Verbindung mit bei Errichtung eines eigenen Haushaltes hindert, auch wenn der Offizier der väterlichen Hilfe zu seinem Unterhalte nicht mehr bedarf, weil er ein selbständiges, unabhängiges, den Dienstbezügen des Rittmeisters oder Kapitäns gleichkommendes Einkommen hat, auch ohne das Gehalt dieser Charge zu beziehen. Bei dem unverheirateten Offiziere wird es Sache der Prüfung und Feststellung im konkreten Falle sein, ob der Offizier, der eine abgesonderte Wirtschaft errichtet hat, durch die ihm außer seiner Gage zu Gebote stehenden, von dem Vater unabhängigen Mittel wirtschaftlich derart selbständig gestellt ist, wie der Anh. §. 90 es verlangt. Bei dem verheirateten Offiziere ist es nach den oben bezeichneten Vorschriften für die preußische Armee regelmäßig ohne weiteren Beweis zu bejahen, im vorliegenden Falle aber durch die unstreitige Thatsache außer Frage gestellt, daß der großjährige (am 9. Januar 1854 geborene) Beklagte seit vier Jahren seinen eigenen Haushalt aus den Einkünften der Mitgift seiner Ehefrau im Betrage von 20000 M selbständig erhält.
Hiernach stand der Beklagte nicht mehr unter väterlicher Gewalt, als er die eingeklagten Wechsel acceptierte. Damit fällt die in dem jetzigen Rechtsgange allein in Betracht kommende Einrede fort, und es war deshalb unter Aufhebung des Berufungsurteiles und Abänderung des ersten Urteiles die Verurteilung des Beklagten nach dem Klagantrage auszusprechen, welcher (in analoger Anwendung der Artt. 50. 51 W.O.) auch bezüglich der geforderten sechs Prozent Zinsen begründet ist (vgl. Entsch, des R.O.H.G.'s Bd. 1 S. 251.)."
- 1. Vgl. Entsch. des vormaligen Reichsoberhandelsgerichtes Bd. 7 S. 25. Bd. 11 S. 177; Entsch. des vormaligen Obertribunales zu Berlin Bd. 22 S. 401.
- 2. Vgl. Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 20 S. 98 und die Citate daselbst.
- 3. vgl. Striethorst, Archiv Bd. 96 S. 186.
- 4. vgl. Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 24 S. 180, vom 10. Oktober 1873, vgl. Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 11 S. 177. 181.
- 5. Vgl. Dernburg, Preuß. Privatrecht Bd. 3 §. 48 Anm. 13; Eccius (Förster), Theorie und Praxis Bd. 4 §. 224; auch Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechtes Bd. 4 §. 216 Anm. 106.
- 6. Vgl. Bornemann, Systematische Darstellung des Preuß. Civilrechtes Bd. 5 S. 304; Gesetzrevision, Pens. 14 zu §. 152 des Entwurfes.