RG, 19.03.1889 - II 12/89

Daten
Fall: 
Ersatz von Zeugengebühren
Fundstellen: 
RGZ 23, 326
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
19.03.1889
Aktenzeichen: 
II 12/89
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Kolmar
  • OLG Kolmar

Nach welchen Grundsätzen ist die Verbindlichkeit eines Richters zum Ersatze von Zeugengebühren zu beurteilen, welche er in zu hohem Betrage angewiesen hat?

Gründe

"Es kann dahingestellt bleiben, ob, wie das Berufungsgericht annimmt, die Zeugengebühren vom Schöffengerichte festzustellen seien, oder, ob nicht der Amtsrichter außerhalb der Hauptverhandlung (§. 30 Abs. 2 G.V.G.) darüber zu beschließen habe oder beschließen könne. Jedenfalls sind die Folgerungen unzutreffend, welche das Berufungsgericht daran knüpft; denn es ist in keinem Gesetze vorgeschrieben und wäre auch weder mit der Stellung des Richters vereinbar, noch geschäftlich durchzuführen, daß der mit der Auszahlung der Gebühr beauftragte Finanzbeamte in jedem einzelnen Falle untersuchte, ob die ihm vorgezeigte Anweisung vom Amtsrichter als Vorsitzender des Schöffengerichtes während oder außerhalb der Hauptverhandlung, oder als Einzelrichter (Untersuchungs-, requirierter Richter) vollzogen worden sei, und die Auszahlung eventuell verweigerte.

Da die Klage überhaupt nicht darauf gestützt ist, daß der Beklagte die fraglichen Gebühren in unzuständiger Weise festgesetzt habe, so ist davon auszugehen, daß derselbe innerhalb seines Wirkungskreises gehandelt habe, und sind demgemäß die vom Berufungsgerichte gebilligten Gründe zum landgerichtlichen Urteile zu prüfen.

Dem Landgerichte ist nun darin beizutreten, daß der Art. 141 des Dekretes vom 18. Juni 1811 neben der Gebührenordnung vom 30. Juni 1878 keine Geltung mehr habe. Überdies wäre das Dekret, auch seine Geltung vorausgesetzt, kein revisibles Gesetz und daher die Auslegung bindend, daß weder "abus" noch "exagération" im Sinne desselben vorliegen.

Ob der Art. 505 Code de procédure civile durch die Civilprozeßordnung oder den §. 13 des Reichsbeamtengesetzes aufgehoben sei, kann unerörtert bleiben, weil er keinesfalls Anwendung finden könnte, da es sich nicht um eine Syndikatsklage, nicht um das außerordentliche Rechtsmittel (voie extraordinaire pour attaquer un jugemant), nicht um die Klage einer verletzten Partei, überhaupt nicht um eine eigentliche richterliche Thätigkeit handelt. Die Festsetzung der den Zeugen zu gewährenden Beträge, welche der §.17 der Gebührenordnung vom 30. Juni 1878 dem Gerichte bezw. dem Richter überträgt, erfolgt nicht der Staatskasse als Partei gegenüber, sondern der Richter soll für sie (an ihrer Stelle) die Betrage bemessen, welche dieselbe nach den §§. 1 flg. des gedachten Gesetzes als Entschädigung für Zeitversäumnis zu leisten hat.

Wenn demnach die Gebührenfestsetzung außerhalb des Kreises der eigentlichen richterlichen Thätigkeit liegt und bezüglich ihrer von einer Syndikatsklage nicht die Rede sein kann, so kommt der Richter dabei nur als Beamter in Betracht, und ist seine Verantwortung nach §. 13 des Reichsbeamtengesetzes zu beurteilen, welches nach Art. 1 des Einführungsgesetzes für Elsaß-Lothringen vom 23. Dezember 1873 auch auf die Richter Anwendung findet. Nach diesem §. 13 ist jeder Beamte für die Gesetzmäßigkeit seiner amtlichen Handlungen verantwortlich. Daß der Beklagte die Gebühren in unzuständiger Weise festgestellt habe, ist, wie bereits bemerkt, gar nicht behauptet worden. Es kann also nur darauf ankommen, ob derselbe bei dieser ihm an sich zustehenden Verrichtung die gesetzlich gezogenen Schranken eingehalten, ob er materiell gesetzmäßig gehandelt habe. Eine materielle Ungesetzmäßigkeit wäre etwa anzunehmen, wenn er in der Absicht zu begünstigen oder in sonst unentschuldbarer Weise Gebühren über das gesetzliche Maß hinaus angewiesen, beispielsweise mehr als eine Mark für die Stunde, mehr als zehn Stunden für den Tag angesetzt hätte. In einem solchen Falle würde es sich nicht um die -- wenn auch unzweckmäßige -- Ausübung eines dem Beamten vom Gesetze anheimgegebenen Ermessens, sondern um eine Überschreitung der diesem Ermessen vom Gesetze gesetzten Grenzen handeln. Ein Vorwurf in dieser Richtung ist aber gegen den Beklagten weder erhoben worden, noch konnte er ihm gemacht werden. Es handelt sich vielmehr mir darum, ob die Entschädigungen "unter Berücksichtigung des von dem Zeugen versäumten Erwerbes" (§. 2 Abs. 2 der Gebührenordnung) richtig bemessen worden seien. Das Landgericht nimmt zutreffend auf Grund des Gesetzes und der Motive an, daß hier ein Ermessen innerhalb einer Minimal- und Maximalgrenze in Frage siehe. Für die Ausübung eines solchen Ermessens kann aber der Beamte der Natur der Sache nach grundsätzlich nicht verantwortlich gemacht,1 es müßte ihm ein besonderes Verschulden dabei, eine absichtliche Nichtbeachtung der für sein Ermessen maßgebenden thatsächlichen Verhältnisse nachgewiesen werden. Das Landgericht hat aber unter Darlegung aller Umstände ausgeführt, daß den Beklagten ein Verschulden überhaupt nicht treffe. Diese thatsächliche Würdigung, bei welcher eine Gesetzesverletzung nicht erkennbar, ist für das Revisionsgericht bindend."

  • 1. vgl. Kanngießer zum §. 13 des Reichsbeamtengesetzes S. 66 Ziff. 3 Lit. c.