RG, 14.03.1889 - VI 347/88
Inwieweit sind die auf den §. 75 der Einleitung zum Allgem. Landrechte gestützten Entschädigungsansprüche der dreijährigen Verjährung des §. 54 A.L.R. I. 6 grundsätzlich entzogen?
Gründe
"Von den jetzt der Klägerin gehörigen Grundstücken Eichwalde Blatt 6 und Blatt 2 ist in den Jahren 1868 bis 1882/3 allmählich ein Teil des am linken Weichselufer belegenen Landes, und zwar, wie Klägerin angiebt, im Umfange von mehr als 5 Hektar, durch den Strom der Weichsel abgespült worden.
Nach der Behauptung der Klägerin soll diese Abspülung dadurch verursacht sein, daß der Weichselstrom infolge der vom Beklagten in den Jahren 1845 flg. vorgenommenen Strombauten auf die linke Uferseite gedrängt sei, und der Beklagte es unterlassen habe, die von ihm in den fünfziger Jahren angelegten, im Jahre 1368 durchrissenen Buhnen wiederherzustellen und weiter zu unterhalten oder doch die ein Hindernis für den Strom bildenden Buhnenreste völlig zu beseitigen.
Klägerin berechnet den ihr beziehungsweise ihrem Vorbesitzer und Cedenten in den Jahren 1869 bis 1885 an dem Grundstücke Eichwalde Blatt 6 durch Entziehung der Nutzungen des abgespülten Landes und durch Fortreißen von Pappeln erwachsenen Schaden auf mehr als 12000 M, hat davon jedoch zunächst mit der am 28. September 1886 zugestellten Klage nur den Betrag von 1600 M eingeklagt.
In erster Instanz wurde die Klage mit der Ausführung abgewiesen, daß ein Verschulden des Beklagten in der Nichtunterhaltung der durch den Strom zerstörten Werke nicht zu finden sei, und daß andererseits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes, betreffend die Befugnisse der Strombauverwaltung etc, vom 20. August 1883 (G.S.S. 333) eine Ersatzverbindlichkeit des Staates für die durch die Strombauten an den Ufern hervorgerufenen Beschädigungen nicht bestanden habe.
Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Obwohl es, abweichend vom ersten Richter, annimmt, daß der Fiskus schon nach den Vorschriften des Allgem. Landrechtes grundsätzlich für den Schaden zu haften habe, welcher Privatpersonen durch die seitens der Strombauverwaltung ausgeführten Strombauten in ihrem Eigentum erwachsen ist, erklärt es die Abweisung der Klage für gerechtfertigt, weil der ursächliche Zusammenhang zwischen den Strombauten und den Abspülungen von den Grundstücken der Klägerin fehle, überdies aber auch der Einwand der Verjährung aus §. 54 A.L.R. I. 6 durchgreife.
Schon an diesem letzteren Abweisungsgrunde muß die Revision scheitern.
Ohne erkennbare Gesetzesverletzung stellt der Vorderrichter fest. daß jedenfalls im Jahre 1882, als von der Strombauverwaltung aufs neue an dem klägerischen Ufer Buhnen erbaut wurden, sowohl das Dasein des Schadens als der Urheber desselben zur Wissenschaft "des Klägers" (womit nach dem Zusammenhange nur der Vorbesitzer der jetzigen Klägerin gemeint sein kann) gelangt waren. Dabei ist der Umstand nicht unbeachtet geblieben, daß die Klägerin nicht bloß Entschädigung für die Jahre 1869 bis 1882, sondern auch Ersatz des Schadens verlangt, welchen sie und beziehungsweise ihr Vorbesitzer in den Jahren 1883 bis 1885 durch Entziehung der Nutzungen von dem vorher abgespülten Lande erlitten haben. Das Berufungsgericht nimmt aber an, daß, wenn auch die schädigenden Handlungen noch über das Jahr 1882 hinaus in die Zukunft wirkten, die Fortdauer der schädigenden Wirkungen sich schon im Jahre 1882 erkennen ließ, und erachtet auf Grund dieser unangefochtenen und unangreifbaren Annahme in richtiger Auffassung des §. 54 A.L.R. I. 6 den Klaganspruch auch bezüglich des für die Jahre 1833 bis 1885 berechneten Schadens für verjährt.1
Nun sucht freilich die Revision, unter Bezugnahme auf die Nr. 1 der Deklaration vom 31. März 1838 (G.S. S. 252) und auf ein Urteil des vormaligen preußischen Obertribunales vom 23. April 1868, auszuführen, daß die dreijährige Verjährung hier überhaupt ausgeschlossen sei, weil es sich um einen Anspruch aus §. 75 der Einleitung zum Allgemeinen Landrechte handele. Dieser Ausführung konnte indessen nicht beigetreten werden.
Die angezogene Deklaration spricht zunächst aus, daß die Vorschrift des §. 54 a. a. O. auf alle, außer dem Falle eines Kontraktes entstandene Beschädigungen, sie mögen durch eine erlaubte oder unerlaubte Handlung verursacht sein, zu beziehen ist. Gemäß der Nr. 1 findet die Vorschrift insbesondere auch Anwendung auf Ansprüche wegen Beschädigungen, die bei Gelegenheit öffentlicher Anlagen sowie bei dem Bergbau zugefügt sind; jedoch soll die Vergütung für das zu solchen Anlagen abzutretende Eigentums- oder Nutzungsrecht hierunter nicht begriffen, sondern der ordentlichen Verjährung unterworfen sein.
Danach läßt sich nicht behaupten, daß die auf den §. 75 der Einleitung zum Allgemeinen Landrechte gestützten Entschädigungsansprüche der dreijährigen Verjährung durchweg entzogen seien. Vielmehr kann die kurze Verjährung bei derartigen Ansprüchen nur insoweit für grundsätzlich ausgeschlossen gelten, als auf Grund des §. 75 eine Vergütung für das zu öffentlichen Anlagen abzutretende Eigentums-- oder Nutzungsrecht beansprucht wird. Eine solche Vergütung ist aber nicht der Gegenstand der vorliegenden Klage. Wie der Vortrag der Klägerin ergiebt, hat der Beklagte die als schädigend bezeichneten Strombauten außerhalb der Eigentumssphäre des Vorbesitzers der Klägerin ausgeführt, ohne bei der Ausführung zu diesem Vorbesitzer in ein Kontrakts- oder sonstiges Rechtsverhältnis zu treten, und ohne ihm durch die Ausführung selbst einen Teil seines Eigentums zu entziehen oder ihn in der Benutzung seines Eigentums zu beschränken. Wäre es nun auch richtig, daß in späteren Jahren durch die Strombauten des Beklagten allmähliche Abspülungen des Ufers von dem Grundstücke Eichwalde Blatt 6 hervorgerufen sind, so könnten doch diese Abspülungen nach dem gewöhnlichen Wortsinne und dem erkennbaren Zwecke der Deklaration vom 31. März 1838 nicht als zu vergütende Abtretungen eines Eigentums- oder Nutzungsrechtes, sondern nur als "Beschädigungen, die bei Gelegenheit öffentlicher Anlagen zugefügt sind", angesehen werden. Daß unter den Begriff der "Beschädigung" auch der gänzliche Verlust eines Eigentumsrechtes fällt, unterliegt nach der Sprachweise der preußischen Gesetze keinem Bedenken (vgl. §§. 1. 82 flg. A.3.R. I. 6).
Mit dieser Auslegung der Deklaration stimmen mehrfache Entscheidungen des vormaligen preußischen Obertribunales überein. Insbesondere kann hier auf das im 78. Bande der Entscheidungen S. 147 flg. abgedruckte Erkenntnis verwiesen werden, wo auch ausdrücklich hervorgehoben ist, daß das jetzt von der Revisionsklägerin angezogene Erkenntnis,2 auf der Voraussetzung eines unmittelbaren Eingriffes der öffentlichen Anlage in den Eigentumskreis der Beschädigten beruhe.3
Für den vorliegenden Fall kommt überdies noch in Betracht, daß die Klägerin die Ursache des entstandenen Schadens nicht in den Strombauten des Beklagten allein für sich, sondern in dem Hinzutreten des Umstandes findet, daß der Beklagte die Reparatur und Unterhaltung des zerstörten Teiles der Bauten unterlassen hat. Ist aber erst durch die Verbindung dieser Unterlassung mit den vorher ausgeführten Bauten die Abspülung hervorgerufen, so kann gewiß nicht davon die Rede sein, daß der Vorbesitzer der Klägerin zu den Bauten einen Teil seines Eigentums "abgetreten" habe.
Unerörtert kann hiernach bleiben, inwiefern die gegen die Verneinung des Kausalzusammenhanges gerichteten Revisionsangriffe begründet erscheinen könnten, und ebensowenig bedarf es eines Eingehens auf die bei den Verhandlungen des Preußischen Landtages über das Strombautengesetz vom 20. August 1883 viel umstrittene Frage, ob der §. 12 dieses Gesetzes nur eine Wiederholung und Bestätigung schon früher bestehenden Rechtes oder einen von den Vorschriften des Allgemeinen Landrechtes abweichenden neuen Grundsatz enthält."
- 1. Vgl. Entsch, des Obertrib. Bd. 13 S. 19 und Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 16 S. 176.
- 2. vgl. Striethorst, Archiv Bd. 71 S. 122.
- 3. Vgl. auch Förster-Eccius, Preuß. Privatrecht Bd. 1 S.316; Rehbein, Entsch. des preuß. Obertrib. Bd. 1 S. 618. 619 und Löwenberg, Beiträge zur Kenntnis der Motive etc Bd. 1 S. 139 flg., namentlich S. 148.149.