RG, 14.02.1919 - VII 269/18

Daten
Fall: 
Besitzverhältnisse bei Pfändung
Fundstellen: 
RGZ 94, 341
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
14.02.1919
Aktenzeichen: 
VII 269/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Bremen
  • OLG Hamburg

Hat der Schuldner an den gepfändeten, in seinem Gewahrsam belassenen Sachen unmittelbaren Besitz oder ist er Besitzdiener?

Aus den Gründen

... "Wie sich die Besitzverhältnisse gestalten, wenn der Gerichtsvollzieher die gepfändeten körperlichen Sachen im Gewahrsam des Schuldners beläßt, ist streitig.

In der Literatur ist, wie der Revision zuzugeben ist, die mit deren Auffassung übereinstimmende Ansicht vertreten, daß auch in diesem Falle, wie bei der Fortschaffung der Pfandsachen angenommen wird, der Gerichtsvollzieher unmittelbarer Besitzer ist und der Schuldner die rechtliche Stellung eines Besitzdieners im Sinne des § 855 BGB. einnimmt. Nach einer anderen Meinung wird dann in dem Besitzverhältnis überhaupt nichts geändert. Die dritte, soweit ersichtlich, von der Mehrzahl der Schriftsteller insbesondere neuerdings vertretene Auffassung geht dahin, daß, wenn die gepfändeten Sachen im Gewahrsam des Schuldners, bleiben, dieser unmittelbarer Besitzer ist, der Gerichtsvollzieher und durch ihn der Gläubiger mittelbare Besitzer werden.

Der erkennende Senat erachtet die Beurteilung, daß der Schuldner unmittelbarer Besitzer der in seinem Gewahrsam belassenen gepfändeten Sachen ist, für die zutreffende. Der Schuldner darf diese Sachen, wenn ihm auch die Pfändung ihre pflegliche Behandlung zur Pflicht macht, weiter für sich benutzen. Ihm ist nur die Verfügung über sie und die Beseitigung der Pfändungszeichen strafrechtlich verboten (§§ 136. 197 RStGV.). Eine Änderung in dem früheren Besitzverhältnis tritt, entgegen der vorerwähnten zweiten Ansicht, damit ein, daß der Gerichtsvollzieher die gepfändeten Sachen nach § 808 Abs. 1 ZPO. zunächst in Besitz zu nehmen hat. Beläßt er sie dann im Gewahrsam des Schuldners, so räumt er diesem bis auf weiteres die den unmittelbaren Besitz darstellende tatsächliche Gewalt über sie wieder ein. Der Schuldner wird damit im Sinne des § 868 BGB. zum Besitze der Sachen auf Zeit berechtigt und ist zur Fortsetzung des Besitzes durch das strafrechtliche Verbot, sie der Verstrickung zu entziehen, verpflichtet. § 868 BGB. hat ein Vertragsverhältnis nicht zur Voraussetzung, die dort aufgeführten Vertragsformen dienen nur als Beispiele. Ein "ähnliches Verhältnis" kann auch kraft Gesetzes entstehen. § 808 ZPO. hat es geschaffen, indem er in der früheren Fassung als Ausnahme, jetzt als Regel die Belassung von Pfandobjekten im Gewahrsam des Schuldners anordnet. Darin findet die Beurteilung ihre Rechtfertigung, daß bis zur Versteigerung an solchen gepfändeten Sachen der Schuldner, nicht der Gerichtsvollzieher unmittelbaren Besitz hat. Als unmittelbarer Besitzer vermittelt der Schuldner dem Gerichtsvollzieher und dem Gläubiger den Besitz.

Daß der Schuldner die tatsächliche Gewalt über die in seinem Gewahrsam belassenen Pfandobjekte nur als Besitzdiener für den Gerichtsvollzieher ober den Gläubiger ausübt, kann nicht angenommen werden. Der Anwendung des § 855 BGB. auf die durch § 808 ZPO. geschaffene Rechtslage steht entgegen, daß das Besitzdienerverhältnis Beziehungen zwischen den Beteiligten voraussetzt, bei denen der Besitzdiener vermöge seiner sozialen Abhängigkeit von dem anderen Teile dessen sich auf eine Sache beziehenden Weisungen Folge zu leisten hat (RGZ. Bd. 71 S. 248). Wenn nun auch der Schuldner Weisungen, die der Gerichtsvollzieher zur Fortsetzung der Zwangsvollstreckung über die Pfandobjekte trifft, zu befolgen hat, so ist der Grund hierfür doch nicht seine soziale Abhängigkeit von dem Gerichtsvollzieher oder dem Gläubiger, sondern die amtliche Befugnis des Gerichtsvollziehers, der er sich zu fügen hat. Es wird ihm von diesem, wie ausgeführt, der Besitz ja auch nur auf Zeit übertragen." ...