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RG, 12.03.1889 - III 5/89

Daten
Fall: 
Sonderrechte an öffentlichen Gewässern
Fundstellen: 
RGZ 23, 147
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
12.03.1889
Aktenzeichen: 
III 5/89
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Darmstadt
  • Oberlandesgericht Darmstadt

1. Sonderrechte an öffentlichen Gewässern. Ist auch die ordentliche oder außerordentliche Ersitzung ein geeigneter Rechtstitel zum Erwerbe solcher Rechte, insbesondere dem Besitzer eines oberen Triebwerkes gegenüber?
2. Rechtsverhältnisse eines Mühlgrabens nach gemeinem und hessischem Rechte.
3. Rechtliche Bedeutung eines Eichpfahles.

Tatbestand

Die in der Gemarkung St. an der Mümling - einem öffentlichen Bache - gelegene, schon im 14. Jahrhunderte von der ehemaligen Landesherrschaft, den Grafen von Erbach, erbaute sog. Fürstenauer Mühle steht seit dem Jahre 1855 im Eigentume des Beklagten, der solche von dem Vorbesitzer, dem Erblichmüller I. Fr., käuflich erworben hat. Oberhalb dieser Mühle, und zwar in der Gemarkung M., hat die klagende Firma infolge staatlicher Konzessionsurkunde vom 8. April 1846 eine Fabrik errichtet, deren Wassertriebwerk durch das in einen Mühlgraben - einen Seitenarm der Mümling - fließende Wasser in Bewegung gesetzt wird. Bei Revision der Wassertriebwerke am genannten Bache im Frühjahre 1860 stellte sich heraus, daß an der Fürstenauer Mühle kein Eichpfahl angebracht war, und ordnete deshalb die zuständige Verwaltungsbehörde auf Grund der bestehenden Gesetzgebung die ordnungsmäßige Setzung eines solchen an. Dieser Akt wurde am 20. Juli 1860 unter Zuziehung aller Beteiligten vollzogen. Das kreisamtlich aufgenommene Protokoll stellt die Errichtung des Eichpfahls, sowie die Lage und Konstruktionsort des an der Fürstenauer Mühle angebrachten Schleußenwehres fest, fügt aber hinzu: "daß der Eichpfahl die dermalen bestehende Wehrhöhe fixiere". Es hatte nämlich inhaltlich des Protokolls der Vertreter der Firma Gebrüder d'O. behauptet, daß das nach der Konzessionierung des Wassertriebwerkes der letzteren an der Fürstenauer Mühle errichtete Zugfallenwehr mehr als 14 1/2 Zoll höher liege, wie das früher vorhanden gewesene Streichwehr, während der Vertreter des Beklagten sich bezüglich dieses Punktes alle Rechtszuständigkeiten vorbehielt, jedoch erklärte, daß auf Grund der Pläne, welche bei Konzessionierung des d'O.'schen Werkes als Grundlage gedient haben, eine gütliche Verständigung angebahnt werden solle. Diese Verständigung wurde auch versucht, es kam aber keine Einigung der Parteien zustande. Auch ein auf Antrag der Klägerin zu Anfang der 1860er Jahre gegen den Beklagten eingeleitetes Verwaltungsverfahren wegen Erniedrigung des fraglichen Wehres blieb ohne Erfolg.

Nunmehr trat die klagende Firma im Mai 1876 unter dem Anführen, daß das Wehr an der Fürstenauer Mühle widerrechtlich über die konzessionsmäßige Höhe hinaus erhöht worden sei und dadurch Hinterwasser entstehe, welches die Wirksamkeit ihres eigenen Triebwerkes beeinträchtige und ihr beträchtlichen Schaden zufüge, mit der negatorischen Klage gegen den Beklagten auf und beantragte, denselben zur entsprechenden Erniedrigung des fraglichen Wehres und zum Schadensersatze zu verurteilen. Der Beklagte stellte in Abrede, daß er irgend welche Erhöhungen am fraglichen Wehre habe vornehmen lassen und behauptete, daß die Rückstauung des Wassers anderen Ursachen zuzuschreiben sei, sowie daß, wenn wirklich vor dem Jahre 1855 eine teilweise Erhöhung des Wehres stattgefunden habe, diese dem klägerischen Triebwerke keinen Schaden bringe und nicht rechtswidrig gewesen sei. Er schützte sodann die Einreden ... der Ersetzung, sowie der unvordenklichen Verjährung vor und führte aus, daß die Fürstenauer Mühle ursprünglich und bis zur Mediatisierung der Grafschaft Erbach durch die Rheinbundsakte eine landesherrliche Mühle gewesen sei, bei welcher eine Beschränkung auf eine bestimmte Wehrhöhe von vornherein ausgeschlossen erscheine, daß er überdies durch die Eichpfahlsetzung vom Jahre 1860 ein der Konzession gleiches Recht auf die Beibehaltung der beanstandeten Wehrhöhe erworben habe, und daß endlich der Klägerin selber die Konzession für ihr Wassertriebwerk nur unbeschadet der Rechte Dritter und ohne Garantie für ein bestimmtes Gefalle erteilt worden sei. ...

Die erste Instanz erkannte unter Verwerfung sämtlicher vorgeschützten Einreden den Beklagten schuldig:

"a) das streitige Wehr um soviel niedriger zu machen, daß dessen Oberkante 36,4 cm = 14,56 Zoll niedriger liege, als die Oberfläche des zur Zeit an diesem Wehr befindlichen Eichpfahles;
b) jede Erhöhung dieses Wehres über einen 36,4 cm tiefer als die dermalige Oberfläche jenes Eichpfahles gelegenen Punkt hinaus, nach Vollzug der vorstehend angeordneten Herabsetzung zu unterlassen." ...

Gegen diese Entscheidung legte der Beklagte Berufung ein. Das Oberlandesgericht hat das angefochtene Urteil unter Bestätigung seines übrigen Inhaltes auf Grund einer wiederholten Beweisaufnahme dahin abgeändert!

"daß die Erniedrigung des Wehres an der Fürstenauer Mühle statt 36,4 nur 35 cm zu betragen habe."

Die hiergegen von dem Beklagten eingewendete Revision wurde verworfen.

Aus den Gründen

"Der Berufungsrichter geht bei der Zurückweisung der gegen das Landgerichtsurteil eingelegten Berufung zunächst davon aus, daß, wenn auch die Fürstenauer Mühle zur Zeit ihrer Gründung eine landesherrliche Mühle gewesen sei, und aus diesem Grunde eine thatsächliche Vermutung dafür spreche, daß die Grafen zu Erbach als ehemalige Landesherren sich keine Beschränkung des Wassergebrauches hätten auferlegen wollen, doch diese Möglichkeit nicht den Mangel eines Beweises für die Behauptung ersetze, daß jene Mühle in ihrer Wehrhöhe unbeschränkt sei. Es müßte, so fährt das angefochtene Erkenntnis fort, in Ermangelung einer Verleihungsurkunde, ein solches Recht durch unvordenkliche Verjährung erworben worden sein. Hierfür sei jedoch keinerlei Beweis erbracht. ... Die ordentliche und außerordentliche Ersitzung aber greife bei Berechtigungen an öffentlichen Gewässern, welche durch ständige Einrichtungen oder regelmäßigen größeren Verbrauch eine über den gemeinen, jedermann zustehenden Gebrauch hinausgehende Verwendung des Wassers gewährten, überhaupt nicht Platz. Unbestritten sei übrigens die Mümling - ein starker, in den Main mündender Odenwaldbach - ein öffentliches Wasser. Dieselbe Eigenschaft habe ein aus der Mümling in einen Mühlgraben abgeleiteter und wieder in sie einfließender Seitenarm, auch wenn derselbe über Privateigentum geführt werde.

In Ansehung der Frage, ob der Klägerin die Konzession zur Anlage ihres Wassertriebwerkes mit oder ohne Garantie für ein bestimmtes Gefälle erteilt worden sei, bemerkt der Vorderrichter sodann, daß zwar die Regierung durch jene Konzession nicht gehindert sei, die Errichtung weiterer Anlagen an der Mümling zu gestatten, auch wenn dadurch das Gefälle des klägerischen Wasserwerkes vermindert werde; gleichwohl sei hierdurch für den Beliehenen ein durch die negatorische Klage gegen jeden Störer verfügbares Privatrecht geschaffen worden, dessen Inhalt auf die Benutzung des Wassers nach Maßgabe der Konzession, also auch in dem verliehenen Gefälle, gehe. Es lasse sich also nicht behaupten, daß der Klägerin das beanspruchte Recht nur bei normalem Wasserstande zustehe, sonst aber wegfalle. Eine solche Beschränkung hätte, um Wirksamkeit zu erlangen, in der Konzessionsurkunde zum Ausdrucke gelangen müssen, was zugestandenermaßen nicht der Fall gewesen sei.

Zum Streitpunkte endlich, welche rechtliche Bedeutung der Eichpfahlsetzung vom 20. Juli 1860 beizulegen sei, hat das Berufungsgericht keine besonderen Entscheidungsgründe gegeben, vielmehr auf diejenigen des Landgerichtsurteiles verwiesen. Dort wird festgestellt, daß seit jenem Akte keine weitere Erhöhung am Wehre der Fürstenauer Mühle stattgefunden habe, und im Anschlusse hieran erwogen:

"Aus dem aufgenommenen Protokolle gehe hervor, daß nur die faktische Wehrhöhe habe festgestellt werden sollen. Zwar diene der Eichpfahl zur Bezeichnung der Höhe, bis zu welcher der Inhaber eines Wasserwerkes den natürlichen Stand des fließenden Wassers durch Stauanlagen zur Vermehrung der Triebkraft desselben erhöhen dürfe; allein im vorliegenden Falle könne aus dem Eichpfahlsatze kein Recht auf den Fortbestand der dadurch bestimmten Wehrhöhe abgeleitet werden, weil die Klägerin gegen diese ausdrücklich Verwahrung eingelegt, der Vertreter des Beklagten daraufhin eine vergleichsweise Erledigung des Streitpunktes in Aussicht gestellt habe und das Protokoll nur konstatiere: "daß der Eichpfahl die dermalen bestehende Wehrhöhe fixiere". In der That seien denn auch zwischen den streitenden Teilen Vergleichsverhandlungen gepflogen worden, die jedoch bei dem für den Beklagten ungünstigen Ausfalle einer Expertise zu keinem Ergebnisse geführt hätten."

Der Beklagte greift diese Entscheidung als rechtsirrtümlich an, indem er geltend macht:

  1. zur Frage der ordentlichen und außerordentlichen Ersetzung, daß, da der Mühlgraben, an welchem das Triebwerk der Klägerin liege, zum Zwecke des Fabrikbetriebes über deren Privatgrundstücke geführt worden sei, das darin abgeleitete Wasser der Mümling den Charakter der Öffentlichkeit verloren habe, daß aber, selbst diese unterstellt, das Verhältnis zwischen Ober- und Untermüller auch durch bloße Ersitzung bestimmt werden könne, insbesondere wenn es sich, wie hier, um eine an der unteren Mühle zum Nachteile des oberen Triebwerkes errichtete besondere Anlage handle;
  2. in Ansehung der Eichpfahlsetzung vom Jahre 1860, daß die Vorinstanzen die rechtliche Natur und den Zweck eines solchen Aktes verkannt, auch dem Protokolle vom 20. Juli 1860 eine unrichtige Auslegung gegeben hätten, da dieses offenbar den damals faktisch und in erlaubter Weise bestehenden Zustand der Wehrhöhe an der Fürstenauer Mühle urkundlich habe feststellen wollen.

Diese Angriffe sind nicht begründet. 1. Nach dem unbestrittenen Sachverhalt ist die Mümling ein öffentliches Gewässer. An einem solchen konnte im Großherzogtume Hessen schon vor Erlaß des Gesetzes vom 20. Februar 1853, die Errichtung und Beaufsichtigung der Wassertriebwerke betreffend, ein Triebwerk nur mit staatlicher Genehmigung (landesherrlicher Konzession) errichtet werden. Selbst die Besitzer von Wassermühlen an Orten, die erst durch die Staatsveränderungen zu Anfang dieses Jahrhunderts zu Hessen (diesseit des Rheines) kamen, mußten, wie schon der erste Richter hervorgehoben hat, nach einer Verordnung vom 29. Juli 1811 nachträglich um die Konzessionierung ihrer bereits bestehenden Triebwerke nachsuchen. Das Gesetz vom 11. Juni 1827 hat die bis dahin bestandenen Regalitätsabgaben von Mühlenanlagen an nicht schiffbaren Flüssen und Bächen aufgehoben und die Wasserrechtsgesetzgebung des Jahres 1853 der Anlage von Wassertriebwerken und der Benutzung öffentlicher Gewässer nur eine etwas veränderte Grundlage gegeben. Auch die Reichsgewerbeordnung vom 21. Juni 1869 schreibt in §. 16 vor, daß zu Stauanlagen für Wassertriebwerke die Genehmigung der Behörde erforderlich sei, und hält in §. 23 die dafür landesgesetzlich bestehenden Bestimmungen aufrecht. Die Konzession selber soll nach Anhörung aller Beteiligten durch die zuständige Verwaltungsbehörde erteilt und dabei das Maß und der Umfang der Ausübung des Wassernutzungsrechtes bestimmt, insbesondere unter öffentlicher Autorität die Wehrhöhe oder der Normalstand des Wassers festgestellt werden. Dieses Verfahren ist nach den thatsächlichen Feststellungen der Vorinstanzen auch im vorliegenden Falle bei Errichtung des klägerischen Wassertriebwerkes eingehalten worden, und es verlangt daher die Klägerin nunmehr mit Recht, daß der Beklagte als Rechtsnachfolger des Erblichmüllers Fr. zur Entfernung der von letzterem dem Inhalte der Konzessionsurkunde vom 8. April 1846 zuwider auf dem Wehre der Fürstenauer Mühle errichteten Stauvorrichtung angehalten werde.

Nach den Grundsätzen des gemeinen Rechtes dienen die öffentlichen Gewässer dein Gemeingebrauche Aller, welche die rechtliche Möglichkeit des Zutrittes haben; Sonderrechte an solchen Gewässern, welche ein ausschließliches oder Vorzugsrecht Einzelner zu einer bestimmten Wassernutzung begründen, können nur durch einen Akt der Staatsgewalt oder durch unvordenkliche Verjährung erworben werden. Der Beklagte hätte daher, da er die Befugnis in Anspruch nimmt, das Wasser der Mümling ohne Rücksicht auf das oberhalb der Fürstenauer Mühle belogene Werk allein oder doch vorzugsweise als Triebkraft zu benutzen und demzufolge das Wassertriebwerk der Klägerin durch Erhöhung des Wehres jener Mühle auf seinen jetzigen Stand zu beschränken, behaupten und darthun müssen, daß entweder seinen Rechtsvorgängern im Besitze der Fürstenauer Mühle durch Verleihung der ehemaligen Landesherrschaft vor dem Jahre 1806 oder der hessischen Staatsregierung infolge der Verordnung vom 29. Juli 1811 ein solches Recht zugestanden worden sei, oder daß er und seine Rechtsvorgänger sich seit unvordenklicher Zeit im Besitze dieser Befugnis befunden hätten. Keiner dieser Erwerbsgründe eines Sonderrechtes liegt hier vor, wie die Vorinstanzen unangefochten und ohne Rechtsirrtum festgestellt haben.

Dagegen kann sich der Beklagte nicht auf den Rechtstitel der ordentlichen oder außerordentlichen Ersitzung stützen, mag man nun davon ausgehen, daß es sich nach dem Stande der Partikulargesetzgebung des Großherzogtums Hessen vor Erlaß des Gesetzes vom 20. Februar 1853 bei der Begründung von Sonderrechten an öffentlichen Gewässern um die Übertragung der Ausübung des Wasserregales oder schon seit dem Gesetze vom 11. Juni 1827 nur noch um die begrifflich hiervon verschiedene Genehmigung der Regierungsbehörde (polizeiliche Konzession) zur Anlage eines Triebwerkes als Ausfluß der Wasserhoheit des Staates gehandelt habe. Denn der Mangel eines Privilegiums sowohl, wie der einer Konzession der Staatsgewalt kann eben nur durch den Rechtstitel der unvordenklichen Verjährung ersetzt werden.1

Mit Unrecht verweist der Vertreter des Beklagten auf das Urteil des Reichsgerichtes in Bd. 4 Nr. 77 S. 282 der Entsch. des R.G.'s in Civils., worin anerkannt sei, daß ein Rückstaurecht an einem Bache zum Nachteile des Nachbargrundstückes auch durch Ersitzung erworben werden könne. Dieses Erkenntnis stützt sich ausschließlich auf preußisches Recht, insbesondere auf das preußische Gesetz vom 28. Februar 1843 §. 13 und kann umsoweniger hierher gezogen werden, als jenes Recht die unvordenkliche Verjährung nicht kennt. Es begründet ferner keinen Unterschied in der rechtlichen Beurteilung der Sache, daß hier nicht ein Rechtserwerb gegen den Staat (Fiskus), sondern ein solcher gegenüber dem Besitzer des oberen Triebwerkes in Frage steht. Durch die staatliche Konzession erlangt der Konzessionsträger ein Privatrecht auf die Wassernutzung in den verliehenen Grenzen, das ihm durch willkürliche Eingriffe Dritter nicht entzogen oder geschmälert werden darf. Jede einseitige Änderung des solchergestalt geordneten Zustandes ist zugleich im öffentlichen Interesse verboten und kann von der Staatsgewalt und dem dadurch benachteiligten Mitberechtigten je nach der Art des Eingriffes auf dem Verwaltungswege oder durch Anrufen der Gerichte rückgängig gemacht werden. Wesentlich in Übereinstimmung mit dem gemeinen Rechte hat sich hierüber auf Grundlage der Landesgesetzgebung eine feste Praxis der hessischen Obergerichte gebildet,2 welche der Berufungsrichter auch im vorliegenden Falle zur Anwendung gebracht hat.

Unerheblich ist es endlich, daß das Wassertriebwerk der Klägerin nicht an der Mümling selber, sondern an einem über den Grund und Boden der Klägerin führenden Mühlgraben angelegt ist, der als ein Seitenarm des öffentlichen Baches dessen Wasser aufnimmt. Es ist eine bekannte Streitfrage des gemeinen Rechtes, ob das in einem solchen künstlichen Graben fließende Wasser die Eigenschaft eines öffentlichen Gewässers behält oder, soweit die Leitung über Privatgrundstücke geht, Gegenstand des Privatrechtes wird.3

Die hessischen Gerichte haben seither - vor Erlaß des Gesetzes vom 30. Juli 1887 Art. 4 - angenommen, daß zwar Wasser, das aus einem öffentlichen Flusse, um in Cisternen und Teichen aufgefangen oder zu landwirtschaftlichen und gewerblichen Zwecken verbraucht zu werden, damit die Eigenschaft der Öffentlichkeit verliere, daß aber ein aus einem öffentlichen Gewässer abgeleiteter und dahin zurückfließender Kanal noch fortwährend als solches zu betrachten sei und folgeweise demselben Rechtsverhältnisse, wie der öffentliche Fluß oder Stich, unterliegt.4

Das Reichsgericht hat sich über diese Kontroverse im allgemeinen noch nicht ausgesprochen. In der von beiden Teilen bei der heutigen Verhandlung angezogenen Rechtssache des preußischen Fiskus, Klägers, gegen den Fabrikanten M. zu E., Beklagten (Urteil des III. Civilsenates vom 24. Juni 1887 Rep. III. 31/87), handelte es sich um die Frage, ob nach dem im ehemaligen Herzogtume Nassau geltenden Rechte dem Fiskus das Fischereirecht in dem vom Bakenhäuser Bache abgeleiteten und in denselben zurückgeführten Mühlgraben der Schmelzmühle zustehe. Mit Rücksicht auf die Feststellung des Berufungsgerichtes, daß nach nassauischem Rechte Regalität an allen fließenden Gewässern nicht bestehe, entschied der Gerichtshof, daß das beanspruchte Fischereirecht des Fiskus in dem fraglichen Mühlgraben ans dem unbestrittenen Fischereirechte im Bache nicht hergeleitet werden könne:

"da solche auf Privateigentum angelegte Gräben nach deutschem Rechte Privatgewässer seien und in letzteren die Fischerei als ein Recht des Eigentümers am Bette sich darstelle, möge nun das Wasser stehend sein oder als aqua profluens sich dem Eigentumsbegriffe entziehen."

Daß dieses Erkenntnis den Fall nicht trifft, wo ein Mühlgraben aus einem Gewässer abgeleitet wird, welches nach der partikularen Rechtsentwickelung als ein öffentliches (regales) zu betrachten ist, bedarf keiner Ausführung.

Eine grundsätzliche Entscheidung jener Streitfrage ist indessen nach Lage der Sache nicht erforderlich. Denn die erhobene Revisionsbeschwerde ist unbegründet, selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellt, daß in dieser Frage durchgängig das gemeine deutsche Recht zur Anwendung komme und nach diesem das in einem künstlichen, über Privateigentum geführten Graben enthaltene Wasser stets die Eigenschaft eines Privatgewässers annehme. Es unterlag und unterliegt nämlich nach hessischem Rechte auch die Errichtung eines Wassertriebwerkes am Seitenarm eines öffentlichen Gewässers der staatlichen Konzession, und die Rechte und Pflichten der an der Benutzung der Wasserkraft Beteiligten werden durch den Inhalt dieser Konzession nicht weniger geregelt, als wenn die Anlage eines Werkes unmittelbar im öffentlichen Flusse oder Bache selber gestattet worden wäre. Dazu kommt, daß die Erhöhung der Stauvorrichtungen abseiten des Ober- oder Untermüllers notwendig auf den Gang des konzessionierten unteren oder oberen Triebwerkes zurückwirkt. Denn das fließende Wasser bildet eine natürliche zusammenhängende Masse, bei der sich die Einwirkungen, welche sie an einem Orte empfängt, nach unten oder oben mitteilen und dadurch schädigend in ein fremdes Rechtsgebiet eingreifen können. Auf diese Eigentümlichkeit des fließenden Wassers muß bei der juristischen Behandlung des Gegenstandes, der Entscheidung von Streitigkeiten unter den Interessenten die geeignete Rücksicht genommen werden.5

Nun läßt sich im vorliegenden Falle die widerrechtliche Handlung des Rechtsvorgängers des Beklagten, welche letzterer zu vertreten hat, unmöglich teilen; man kann solche nicht, soweit sie sich auf das im Bachbette der Mümling fließende Wasser erstreckt, für unerlaubt, und, soweit sie auf das im Mühlgraben fliehende Wasser zurückwirkt, für erlaubt ansehen, für jenes ein Vorzugsrecht in der Wassernutzung dem Besitzer des unteren Triebwerkes nur unter den Voraussetzungen der unvordenklichen Verjährung, für dieses aber schon bei dem Vorhandensein der Erfordernisse der Servitutenersitzung zusprechen.

Daß sich aber in der That das Gefälle zwischen den beiden in Rede stehenden Wasserwerken seit Errichtung der d'O.'schen Fabrik durch widerrechtliche Erhöhung des Wehres an der Fürstenauer Mühle zum Nachteile der Klägerin um 36,4 cm verändert hat, wird von dem Beklagten jetzt nicht mehr bestritten.

Anlangend die Behauptung des Beklagten, daß ihm durch die Eichpfahlsetzung vom 20. Juli 1860 ein der Konzession gleiches Recht auf Beibehaltung der damals festgestellten Wehrhöhe an der Fürstenauer Mühle erwachsen sei, so ist es unerfindlich, wie sich derselbe auf jenen Vorgang zu berufen vermag. Nach den Vorschriften des Gesetzes vom 20. Februar 1853 Artt. 17 flg. soll das Setzen eines Eichpfahles bei der Errichtung neuer Triebwerke sowohl, als bei bestehenden Triebwerken, wenn Eichpfähle bisher nicht vorhanden waren, auf Anordnung der zuständigen Verwaltungsbehörde durch den dazu bestellten Techniker unter Wahrung bestimmter Förmlichkeiten zum Zwecke der Erkennung des Normalstandes des Wassers erfolgen. Selbstverständlich setzt dies aber voraus, daß die beteiligten Triebwerkbesitzer, welche in jedem Falle zu dem Akte beizuziehen sind, über die Grenzen ihrer gegenseitigen Befugnisse einig sind, oder daß sonst der höchste zulässige Wasserstand an dem betreffenden Triebwerke durch eine rechtsbeständige Verfügung der Verwaltungsbehörde oder rechtskräftige richterliche Entscheidung festgestellt worden ist. Nun wurde inhaltlich des über den Vollzug des streitigen Aktes aufgenommenen Protokolle keine Einigung unter den Interessenten über den Normalstand des Wassers erzielt, und es konnte daher das Großherzogl. Kreisamt die endgültige Setzung eines Eichpfahles gar nicht anordnen, sondern mußte die Beteiligten entweder auf den Rechtsweg verweisen oder den Streit, soweit thunlich, im Verwaltungswege, unter Eröffnung des Rekurses gegen seine Anordnungen, für beide Teile zum Austrage bringen. Letzteres ist späterhin auf Anstehen der Klägerin wirklich, wenngleich erfolglos versucht worden. Bei diesem Sachverhalte hat die Setzung des Eichpfahles an der Fürstenauer Mühle nicht die Bedeutung eines rechtsbegründenden Verwaltungsaktes oder auch nur die der öffentlichen Beurkundung eines bestehenden Rechtes, man wird vielmehr den vorderen Instanzen darin beizutreten haben, daß es sich hierbei ausschließlich um die Beurkundung einer Thatsache gehandelt habe. Die angeordnete Verwaltungsmaßregel charakterisiert sich mithin ihrem Erfolge nach als eine rein polizeiliche, deren Vollzug die demnächstige Geltendmachung entgegenstehender Privatrechte der Interessenten nicht ausschloß. Auf keinen Fall ist es rechtsirrtümlich, wenn die Vorinstanzen durch Auslegung der von den Parteien abgegebenen Willenserklärungen und der Beurkundung des Vorganges selbst zu dem erwähnten Ergebnisse gelangt sind, und verstößt dies auch nicht gegen die in der Reichsgerichtsentscheidung Bd. 4 Nr. 59 der Entsch. des R.G.'s in Civils. ausgesprochenen Grundsätze." ...

  • 1. Vgl. Klüber, Öffentliches Recht §. 356; Gerber, Deutsches Privatrecht §. 61; Windscheid, Pandekten §§. 113. 136. 146 zu Note 13.
  • 2. vgl. Seuffert, Archiv Bd. 21 Nr. 97, Bd. 23 Nr. 110.
  • 3. Vgl. Stobbe, Deutsches Privatrecht Bd. 1 §. 64 zu Note 17 und die dort angeführten Schriftsteller und Entscheidungen vormaliger oberster Gerichtshöfe.
  • 4. Vgl. Seuffert, Archiv Bd. 22 Nr. 116; Archiv für praktische Rechtswissenschaft N. F. Bd. 6 S. 304. 315; Neubauer, Zusammenstellung des in Deutschland geltenden Wasserrechtes etc S. 36.
  • 5. Vgl. Walter, Deutsches Privatrecht §. 170; Bluntschli, Deutsches Privatrecht §. 75.