RG, 09.03.1889 - I 10/89

Daten
Fall: 
Kostenvorschußpflicht
Fundstellen: 
RGZ 23, 352
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
09.03.1889
Aktenzeichen: 
I 10/89
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Gleiwitz
  • Oberlandesgericht Breslau

Sind die Bestimmungen des Gerichtskostengesetzes über die Kostenvorschußpflicht und deren nachwirkende Kraft auch dann, wenn die zum Armenrechte verstattete Partei in der Instanz oder in den Instanzen, in welchen die vorzuschießenden Kosten erwachsen, die Stellung des angreifenden Teiles einnimmt, hinsichts der Verhältnisses der vermögenden Partei unbeschränkt anwendbar, oder treten dieselben doch mit der rechtskräftigen Entscheidung der Rechtsstreits in Wirkung, auch wenn durch diese Entscheidung die Kosten der armen Partei gänzlich zur Last gelegt worden sind, oder doch der vermögenden Partei nur eine bestimmte Summe als Beitrag zu den Gerichtskosten auferlegt worden ist, über welche hinaus Vorschußbeträge erfordert werden?

Gründe

Die in der Aufschrift gestellte Frage ist verneint worden aus folgenden Gründen:

"Die am 1. Oktober 1879 in Kraft getretenen Reichsjustizgesetze sind, wenn auch die Beratung und Verkündigung derselben zu verschiedenen Zeiten erfolgt ist, als einheitliche Gesetzgebung gewollt, deren mit demselben Zeitpunkte zur Geltung gelangenden Bestimmungen in ihrem Zusammenhange und ihrer Wechselwirkung auszulegen sind. Nun bestimmt

a) der §. 107 Ziff. 1 C.P.O.:
"Durch die Bewilligung des Armenrechtes erlangt die Partei 1. die einstweilige Befreiung von der Berichtigung der rückständigen und künftig erwachsenden Gerichtskosten, einschließlich der Gebühren der Beamten, der den Zeugen und den Sachverständigen zu gewährenden Vergütung und der sonstigen baren Auslagen, sowie der Stempelsteuer;"
b) der §.111 C.P.O.:
"Die Bewilligung des Armenrechtes für den Kläger, den Berufungskläger und den Revisionskläger hat zugleich für den Gegner die einstweilige Befreiung von den im §. 107 Nr. 1 bezeichneten Kosten zur Folge."

Nach der Fassung dieser (ausdrücklich miteinander verknüpften) Gesetzesstellen ist es der klar ausgesprochene Wille des Gesetzes, daß (unter der in denselben gekennzeichneten Voraussetzung der Bewilligung des Armenrechtes für den Kläger, den Berufungskläger und den Revisionskläger) so lange das bewilligte Armenrecht wirksam ist (also nach §§. 112.113 C.P.O. bis dasselbe erlischt oder entzogen wird), beide Parteien, auch für die künftig in der Instanz, für welche das Armenrecht erteilt worden ist (vgl. §. 110 Abs. I C.P.O.), erwachsenden Gerichtskosten einschließlich der baren Auslagen, und zwar namentlich der den Zeugen und Sachverständigen zu gewährenden Vergütung befreit sein sollen.

Dieser (schon aus der Fassung des §. 111 in Verknüpfung mit dem §. 107 Nr. 1 C.P.O. erhellende) Sinn ersterer Gesetzesstelle steht im Einklange mit dessen Entstehungsgeschichte, welche nunmehr zugleich mit der Entstehungsgeschichte der zweiten Absätze der §§. 104. 116 C.P.O. mitgeteilt werden soll. Eine Bestimmung, wie diejenige des §. 111 C.P.O., befand sich nicht in dem vom Armenrechte handelnden Tit. 7 Abschn. 2 Buch I des dem Reichstage im Namen seiner Majestät des Kaisers durch Schreiben des Reichskanzlers vom 29. Oktober 1874 zur verfassungsmäßigen Beschlußnahme überreichten Entwurfes einer Civilprozeßordnung. Diese Bestimmung ist vielmehr in das Gesetz aufgenommen infolge des in der achten Sitzung der Kommission des Reichstages vom 24. April 1674 gestellten, von der Kommission angenommenen Antrages des Abgeordneten Dr. Baehr hinter den §. 104 des Entwurfes (welcher wörtlich lautet wie der §. 107 C.P.O.), als §. 104a eine Bestimmung aufzunehmen, welche wörtlich lautet, wie der oben wiedergegebene §.111 C.P.O., nur daß statt des Allegates des §. 107 Nr. 1 im Gesetze der §. 104 Nr. 1 des Entwurfes allegiert war. Zur Begründung seines Antrages erklärte der Antragsteller:

"Er bezwecke, entsprechend dem hannoverschen Rechte, welches auch eine Vorprüfung bei dem Gesuche um Gewährung des Armenrechtes kenne, das Armenrecht relativ unschädlich zu machen. Die Kostenfreiheit solle selbstverständlich nur so lange dauern, bis die vermögende Partei in die Kosten verurteilt sei oder die in die Kosten verurteilte arme Partei zu Vermögen gelange."

Nach Beendigung der Kommissionsberatungen zur ersten Lesung des Entwurfes wurde die (so motivierte) Norm als Nr. 107 a, in die Redaktion des Entwurfes aufgenommen, zugleich auch bei dieser Redaktion (offenbar infolge der mitgeteilten Begründung seines Antrages seitens des Abgeordneten Dr. Baehr und der Aufnahme der von ihm beantragten Bestimmung in den Entwurf) dem §.110 des letzteren, welcher (dem ersten Absatze des §. 114 C.P.O. wörtlich entsprechend) lautet:

"Die Gerichtskosten, von deren Berichtigung die arme Partei einstweilen befreit ist, können von dem in die Prozeßkosten verurteilten Gegner nach Maßgabe der für die Beitreibung rückständiger Gerichtskosten geltenden Vorschriften eingezogen werden,"

als Abs. 2 des §. 110 des Entwurfes folgende Bestimmung hinzugefügt, welche mit der Norm des Abs. 2 in dem §. 114 C.P.O.:

"Die Gerichtskosten, von deren Berichtigung der Gegner der armen Partei einstweilen befreit ist, sind von demselben einzuziehen, soweit er in dir Prozeßkosten verurteilt, oder der Rechtsstreit ohne Urteil über die Kosten beendigt ist,"

sonst übereinstimmt, nur daß die Worte

"oder der Rechtsstreit ohne Urteil über die Kosten beendigt"

in dem Abs. 2 des §. 110 des Entwurfes sich noch nicht befanden. Die letzterwähnten Worte sind (ausweislich des Protokolles über die 84. Sitzung der Kommission vom 9. Oktober 1875) auf Anregung des Regierungskommissars und Antrag des Abgeordneten Becker bei der zweiten Lesung des Entwurfes von der Kommission angenommen, nachdem zu ihrer Begründung angeführt war:

"Dadurch solle erreicht werden, daß der Gegner der armen Partei, der einstweilen von den Kosten befreit sei, die Staatskasse nicht dadurch benachteiligen könne, daß er sich unter der Hand mit der armen Partei vergleiche und den Prozeß liegen lasse. Thue er letzteres, so solle er die ihn treffenden Kosten bezahlen,"

Als darauf in derselben Sitzung zur Beratung des §. 112 des Entwurfes übergegangen wurde) welcher dem ersten Absatze des §.116 C.P.O. entsprechend lautete:

"Die zum Armenrechte zugelassene Partei ist zur Nachzahlung der Beträge, von deren Berichtigung sie einstweilen befreit war, verpflichtet, sobald sie ohne Beeinträchtigung des für sie und ihre Familie notwendigen Unterhaltes dazu imstande ist,"

stellte der Direktor v. F. anheim, zur Beseitigung etwaiger Zweifel am Schlusse dieses §. 112 des Entwurfes denselben Zusatz aufzunehmen, wie im §. 110 des Entwurfes (jetzt §. 114 C.P.O.). Als dagegen von dem Abgeordneten Becker bemerkt wurde, der Fall scheine bereits durch den Zusatz zum §. 110 mitbetroffen, es würde sich also nur um eine Wiederholung eines bereits gefaßten Beschlusses handeln, wurde, wir es in dem Protokolle über die oben bezeichnete Sitzung wörtlich heißt:

"da ein Widerspruch im materiellen nicht erfolgte,"

die Frage der Redaktionskommission überlassen. Die Redaktionskommission hat dem oben wiedergegebenen §. 112 des Entwurfes (jetzt Abs. 1 des §. 116 C.P.O.) als Abs. 2 die Bestimmung hinzugefügt, welche jetzt den Abs. 2 des §. 116 C.P.O. bildet und lautet:

"Dasselbe gilt in betreff derjenigen Beträge, von deren Berichtigung der Gegner einstweilen befreit war, soweit die arme Partei in die Kosten verurteilt ist."

Nach der systematischen Stellung des §. 114 C.P.O. (im Anschlusse an den das Allegat des §. 107 Nr. 1 enthaltenden §. 111, sowie an die §§. 112. 113 C.P.O., welche die Normen über das Aufhören des Armenrechtes und folgeweise der aus dem Bestehen desselben entfließenden Wirkungen normieren), sowie aus der Fassung des §.114 und adminikulierend aus der vorstehend vergegenwärtigten Entstehungsgeschichte dieser Gesetzesstelle und des §.111 C.P.O. bilden die Fälle des §.114 C.P.O. Ausnahmen von der regelmäßigen Wirkung des dem in der betreffenden Instanz angreifenden Streitteile bewilligten Armenrechtes auf die Kostenpflicht des Gegners, d. h. von der während der Existenz des Armenrechtes dem Gegner zustehenden Befreiung von der (im Sinne des Gesetzes auch die vorschußweise Deckung umfassenden) Berichtigung der im §. 107 Nr. 1 spezifizierten (neben den Gebühren auch die Auslagen in sich begreifenden) Gerichtskosten. Von diesen Ausnahmen setzen der Fall des Abs. 1 und des ersten Falles im Abs. 2 des §. 114 die rechtskräftige Verurteilung des vermögenden Gegners in die Prozeßkosten voraus. (Daß der Verurteilung zur Zahlung einer bestimmten Summe als Beitrag zu den Gerichtskosten nicht die Wirkung beigemessen werden kann, daß die vermögende Partei über diese Summe hinaus noch Kosten, welche, abgesehen von dem gegnerischen Armenrechte, hätten vorschußweise eingezogen werden können, nachzuzahlen, folgt aus dem Worte "soweit" in dem zweiten Absatze des §. 114.) Der Gesetzesgrund der vorerwähnten Ausnahmen besteht in dem Gesichtspunkte, daß nach einer solchen Verurteilung von einer Schädlichkeit der Bewilligung des Armenrechtes für den vermögenden Gegner nicht mehr die Rede sein kann, da es durch definitiven Rechtsspruch feststeht, daß dieser vermögende Gegner die Kosten des Rechtsstreites zu tragen hat. Der zweite Fall im Abs. 2 des §. 114 gründet sich auf legislative Zweckmäßigkeitsrücksichten zum Schutze der Staatskasse gegen Kollusionen der Parteien.

Die vorstehend ausgelegten Normen des §. 111 in Verknüpfung mit §. 107 Nr. 1 und des §. 114 C.P.O. gehen (als Sonderbestimmungen für die Fälle der Bewilligung des Armenrechtes an den Kläger, den Berufungskläger und den Revisionskläger) den (diese speziellen Fälle nicht in das Auge fassenden) Bestimmungen des sechsten Abschnittes des Gerichtskostengesetzes vor, sodaß die letzteren, insoweit sie mit jenen Bestimmungen der Civilprozeßordnung, nicht im Einklange stehen, in jenen speziellen Fällen nicht anwendbar sind. Derartige Normen des Gerichtskostengesetzes sind namentlich die Bestimmungen in §§. 84 Abs. 1. 86 Abs. 2. 90. 93. 97. und zwar, wenn es sich um die Befreiung des vermögenden Gegners von der Pflicht zum Vorschusse ober vor Eintritt der Thatbestände der §§. 112. 113. 114 C.P.O. zu leistenden Nachzahlung von Auslagen handelt, jedenfalls dann, wenn die Auslagen sich auf Akte beziehen, welche als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig erachtet werden können, sodaß der vermögende Gegner an sich berechtigt sein konnte, im Falle der Verlegung der betreffenden Auslagen deren Erstattung von dem zum Armenrechte verstatteten Gegner zu fordern.

Im vorliegenden Falle handelt es sich um solche Auslagen, und sind diejenigen Thatbestände, welche in den §§. 112. 113. 114 C.P.O. gekennzeichnet sind, nicht gegeben. Ebensowenig würde die Voraussetzung des §. 116 C.P.O. gegeben sein, falls man etwa geneigt sein wollte, dieser Gesetzesstelle den Sinn beizumessen, daß die Norm des zweiten Absatzes dieser Gesetzesstelle eine für das Angriffsrecht der Staatskasse gegen den vermögenden Gegner maßgebende Bedingung festsetze. Zu einer solchen Annahme konnte die Motivierung des Abgeordneten Dr. Baehr bei seinem mit der gegenwärtigen Bestimmung des §. 111 C.P.O. konnexen Antrage, sowie die Bemerkung des Direktors v. A. und die Entgegnung des Abgeordneten B. einen scheinbaren Anhalt geben, indessen die Fassung des gegebenen Gesetzes spricht dafür, daß dieser §. 116 lediglich die Nachzahlungspflicht der in dem dort gekennzeichneten Maße zu besseren Vermögensumständen gelangten, zum Armenrechte verstatteten Partei in verschiedenen Richtungen regelt." ...