RG, 08.12.1884 - IV 226/84
Besteht Kollationspflicht bei der letztwilligen Erbfolge auch nach preußischem Rechte?
Tatbestand
Der Vater der Parteien hat in seinem Testamente neben einer Tochter die Parteien zu Erben eingesetzt und dabei bestimmt, daß Kläger sich 24000 M, Beklagte 34000 M, welche sie bereits von ihm erhalten, auf ihr Erbteil anrechnen lassen sollen.
Nach Behauptung des Klägers hat der Vater dem Beklagten nach Errichtung des Testamentes ein Guthaben an eine Handelsgesellschaft von 75815,32 M unter der Bedingung der Rückzahlung überwiesen, und Kläger beantragt daher an erster Stelle die Festsetzung, daß Beklagter die gedachte Summe zum Nachlasse verschulde.
Für den Fall, daß Beklagter die Schenkung der Forderung nachweisen würde, beantragt er die Verurteilung desselben, sich die Summe als Miterbe auf sein Erbteil anrechnen zu lassen.
Die Vorderrichter haben die Entscheidung auf einen Eid des Beklagten darüber gestellt, daß ihm sein Vater bei Überweisung des Guthabens die Verpflichtung zur Rückzahlung nicht auferlegt habe. Für den Nichtschwörungsfall ist Beklagter nach dem Prinzipalantrage der Klage, für den Schwörungsfall nach dem eventuellen Antrage verurteilt.
Nur gegen die letztere, für den Schwörungsfall erlassene Entscheidung ist die Revision des Beklagten gerichtet, indem er für diesen Fall die Abweisung des Klägers auch mit dem eventuellen Antrage begehrt. Die Revision ist zurückgewiesen aus folgenden Gründen:
Gründe
"Der angefochtene Teil des Urteils ist darauf gegründet, daß der Beklagte die in Rede stehende, von dem Vater und Erblasser der Parteien erhaltene Summe, wenn durch die Eidesleistung festgestellt werde, daß er sie nicht zur Begründung einer Forderung des Erblassers erhalten habe, sich wenigstens als Konferendum anzurechnen habe.
Beide Vorderrichter haben angenommen, daß die Kollationspflicht dadurch nicht ausgeschlossen ist, daß der Erblasser ein Testament errichtet hat, da er in dem Testamente die Kollation dieser Summe nicht ausgeschlossen hat.
Darin muß den Vorderrichtern beigetreten werden.
Die Frage, ob die Kollation bei der testamentarischen Erbfolge überhaupt stattfindet, ist eine streitige; dieselbe ist aber zu bejahen.
Der §. 378 A.L.R. II. 2 bestimmt in unmittelbarem Anschluß an die Lehre von der gesetzlichen Erbfolge der Abkömmlinge: Von vorstehenden Gesetzen über die Erbfolge der Kinder und weiteren Abkömmlinge (§§. 300 - 376) können die Eltern durch letztwillige Verordnungen abweichen.
Damit ist hinreichend klar ausgedrückt, daß im Landrechte die testamentarische Erbfolge als Ausnahme aufgestellt ist, daß es also bei der gesetzlichen Erbfolge verbleibt nicht allein, wenn die Eltern eine Abweichung von derselben überhaupt nicht bestimmt haben (d. h. wenn sie überhaupt nicht testiert haben), sondern auch soweit sie eine Abweichung letztwillig nicht angeordnet haben.
Nach §. 384 a. a. O. können die Eltern in der letztwilligen Verfügung die Kollation ausschließen und beschränken; nach §. 385 den Wert, zu welchem das Konferendum anzurechnen ist, bestimmen; nach §. 386 das Kind verpflichten, sich auch solche Gelder, Sachen oder auf dasselbe verwendete Kosten auf sein Erbteil anrechnen zu lassen, auf welche sonst nach der gesetzlichen Erbfolge keine Rücksicht genommen wird.
Alles dies weist darauf hin, daß, soweit die Eltern dergleichen Anordnung nicht treffen, die Vorschriften über die Kollationspflicht der durch das Gesetz zur Erbfolge berufenen Abkömmlinge zur Anwendung kommen sollen. Diese Paragraphen handeln augenscheinlich von der letztwilligen Abweichung von der Regel, und diese Regel kann nur in den Rechtssätzen gefunden werden, welche in §§. 303 flg. a. a. O. für die gesetzliche Erbfolge aufgestellt sind. Auf diese Regel weist auch §. 386 a. a. O. ausdrücklich mit den Worten: "bei der gesetzlichen Erbfolge" hin.
Daraus folgt aber, daß, soweit der Testator keine Ausnahme von der Regel anordnet, er den Ausschluß der Regel nicht, sondern vielmehr die Anwendung der angeführten Paragraphen will, und daß also diese Paragraphen auch vom Richter anzuwenden sind.
An diese Bestimmungen über die Befugnis der Eltern zur Anordnung eines solchen Ausschlusses der gesetzlichen Regel schlicht sich der §. 390 a. a. O. unmittelbar an und faßt das in den vorhergehenden Paragraphen erkennbare Prinzip dahin zusammen: Was in der letztwilligen Verordnung der Eltern nicht bestimmt ist, muß nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge beurteilt werden. Diese Satzung ist allerdings nicht bloß bei der Kollation anwendbar; aber der Umstand, daß der Gesetzgeber dieselbe gerade in unmittelbarem Anschlusse an die Regelung der Kollationspflicht durch letztwillige Verfügung hinstellt, weist darauf hin, daß sie vorzugsweise für die Kollation gegeben ist.
Der §. 390 a. a. O. hat eine so allgemeine Fassung, daß er nicht bloß (wie Förster, Theorie und Praxis Bd. 4 §. 374 1. Ausg. S. 330 will) eine Regel für die Auslegung des letzten Willens ist, sondern zugleich ausdrückt, daß eine Abweichung von den Grundsätzen der gesetzlichen Erbfolge nur eintreten soll, soweit eine dahin gehende Absicht des Testators in dem letzten Willen zum Ausdrucke gekommen ist. Daß es andere gesetzliche Bestimmungen (z. B. §. 521 A.L.R. I. 12) giebt, welche sich mit ausdrücklichen Worten lediglich als für die Ergänzung des letzten Willens bestimmt bezeichnen, schließt nicht aus, daß der §. 390 a. a. O. sowohl zur Auslegung, als auch (in dem obigen Sinne) zur Ergänzung des letzten Willens dienen soll, Ist aber der §. 390 nicht bloß Auslegungsregel, so kann nicht entgegengesetzt werden, daß durch die Anwendung der Vorschriften über die Kollation auf die testamentarische Erbfolge in unzulässiger Weise durch Auslegung etwas ganz neues in das Testament hineingetragen werde.
Da hiernach das Landrecht hinreichende Anhaltspunkte für die Beantwortung der streitigen Frage giebt, so bedarf es des Zurückgehens auf Novelle 18 cap. 6 und der Erörterung der Frage nicht, ob der in derselben angegebene Grund des Gesetzes ein unjuristischer ist.
Dasjenige, was in der Note zu §. 251 des gedruckten Entwurfes zur Rechtfertigung der Abweichungen des Allgemeinen Landrechtes in der Materie der Kollation von den Grundsätzen des römischen Rechtes gesagt ist (Koch, Kommentar zu §. 303 A.L.R. II. 2), giebt kein Argument für die entgegengesetzte Meinung. Es wird zwar hier als der natürlichen Billigkeit gemäß bezeichnet:
daß für die mögliche Gleichheit unter den Kindern, sobald die Eltern weder unter Lebendigen, noch von Todes wegen ein anderes disponiert haben, durch das Gesetz gesorgt werde.
Man muß aber das Wort "sobald" in diesem gesetzlichen Motive in der Bedeutung von "soweit" verstehen. Denn sonst würde der Gesetzgeber für den Fall, daß der Vater auch nur bei der Hingabe einer einzelnen Schenkung an ein Kind (also unter Lebendigen) die Kollation anordnet, damit auch bei der Intestaterbfolge jede anderweite Kollation ausschließen. Offenbar entspricht es aber auch der Billigkeit nicht, die Kollation weiter auszuschließen, als die Eltern sie ausgeschlossen haben. In der vierten, von Eccius herausgegebenen Auflage (Bd. 4 S. 662) ist denn auch die Ansicht Förster's aufgegeben und die oben entwickelte Beantwortung der Frage als auf Willensinterpretation beruhend bezeichnet.
Die obige Ausführung entspricht demjenigen, was Bornemann (System Bd. 6 S. 293), Dernburg (Bd. 3 S. 676 §. 242) und Hinschius (in der juristischen Wochenschrift von 1836 S. 408) für die entwickelte Ansicht geltend machen, und auch das Obertribunal ( Striethorst, Bd. 17 S. 270) hat dieselbe wesentlich ebenso begründet. Die Schriftsteller, welche die entgegengesetzte Ansicht vertreten ( Witte, Intestaterbrecht S. 232; Koch, Erbrecht §. 102 S. 1010 Nr. 4 und S. 1019 flg.) stellen, abgesehen von Förster, nur den einfachen Satz hin, ohne ihn zu begründen. Damit stimmen auch die Gesetzrevisoren überein, ohne aber die Ansicht näher zu motivieren.
Der Berufungsrichter hat ferner als den in dem Testamente zum Ausdrucke gekommenen letzten Willen des Erblassers festgestellt, daß derselbe seinen Kindern den Nachlaß zu gleichen Teilen hat zuwenden wollen und zu diesem Zwecke dem Kläger die Kollation von früher erhaltenen 24000 M, dem Beklagten die Kollation von früher erhaltenen 34000 M zur Pflicht gemacht hat.
Der Berufungsrichter erwägt, daß es diesem testamentarischen Willen nicht entsprechen, vielmehr gegen das vom Erblasser gewollte Prinzip der Gleichheit verstoßen würde, wenn man hinsichtlich der jetzt streitigen 75815,82 M, welche der Testator dem Beklagten erst am 1. November 1878 (also nach Errichtung des Testamentes) überwiesen habe, die Kollation ausschließen wolle.
Dies alles beruht auf der Auslegung des letzten Willens, und diese ist, da eine bei derselben vorgekommene Gesetzesverletzung nicht dargelegt ist, für das Revisionsgericht bindend.
Daraus, daß ein Testament sich als letzter Wille darstellt, läßt sich nicht folgern, daß der Testator, indem er die Kollation bestimmter Beträge anordnet, damit die Kollation von kollationsfähigen Zuwendungen, welche nach Errichtung des Testamentes gegeben sind, ausschließen will."