RG, 19.12.1918 - VI 279/18

Daten
Fall: 
Fahrlässige Geltendmachung eines Gebrauchsmusters
Fundstellen: 
RGZ 94, 248
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
19.12.1918
Aktenzeichen: 
VI 279/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Cöln
  • OLG Cöln

Fahrlässigkeit bei Geltendmachung eines zwar formell eingetragenen, materiell aber der Neuheit entbehrenden Gebrauchsmusters.

Tatbestand

Für den Beklagten zu 2a wurde am 10. Juni 1908 in die Gebrauchsmusterrolle des Patentamts unter Nr. 342454 ein Gebrauchsmuster für Socken eingetragen, deren Oberteil ganz oder teilweise aus Wolle, deren Unterteil dagegen aus nichtwollhaltigen Stoffen besteht. Seine Rechte aus diesem Gebrauchsmuster übertrug der Beklagte zu 2a der von ihm in Gemeinschaft mit dem Beklagten zu 2b betriebenen offenen Handelsgesellschaft H. B., der Beklagten zu 1. Am 21. März 1911 richtete die Beklagte zu 1 an die Firma L. & S. in D., die von dem Kläger den Vertrieb seiner Socken erhalten hatte, ein Schreiben, in dem sie diese unter Hinweis auf das für sie eingetragene Gebrauchsmuster vor dem Vertrieb der vom Kläger bezogenen Söckchen warnte, sie aufforderte, die gemachten Offerten zurückzuziehen und ihr mit einem Anspruch auf Schadensersatz drohte. Nach Behauptung des Klägers hat die Beklagte zu 1 Schreiben desselben Inhalts an zwei andere Firmen gerichtet, denen der Kläger gleichfalls den Vertrieb seiner Sockenfabrikate übertragen hatte. Der Kläger macht weiter geltend, daß die Beklagte zu 1 den mit ihren Schreiben verfolgten Zweck, ihm den Vertrieb seiner Socken unmöglich zu machen, im vollen Umfange erreicht habe, da seine Kunden ihre namhaften Bestellungen infolge jener Schreiben der Beklagten zu 1 widerrufen hätten.

Der Kläger behauptet ferner, daß ihm infolgedessen ein sehr erheblicher Schaden erwachsen sei. Er verlangt im gegenwärtigen Rechtsstreit von der Schadenssumme einen Teilbetrag von 16000 M, indem er geltend macht, die Inhaber der Beklagten zu 1, nämlich die Beklagten zu 2, hätten bei Absendung jener Schreiben gewußt, daß ihr Gebrauchsmuster nicht schutzfähig, insbesondere nicht neu gewesen sei.

Die Beklagten, die behaupten, sie seien zur Zeit der Absendung jener Schreiben von der Gültigkeit des Gebrauchsmusters überzeugt gewesen und auch jetzt noch davon überzeugt, haben die Abweisung der Klage und widerklagen beantragt, festzustellen, daß dem Kläger keinerlei Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten zustehen.

Das Landgericht hat den Klaganspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, das Berufungsgericht dagegen den beiden Beklagten zu 2 einen Eid darüber auferlegt, daß ihnen, als die Firma L. & S. sowie zwei weitere Firmen vor der Verletzung des Gebrauchsmusters Nr. 342454 verwarnt wurden, nicht bekannt gewesen sei, daß schon vor der Anmeldung des Gebrauchsmusters Socken hergestellt und in Verkehr gebracht worden waren, deren Oberteil teilweise aus Wolle und deren Unterteil aus nichtwollhaltigem Stoff bestand. Falls die beiden Beklagten den Eid leisten, soll die Klage abgewiesen, falls sie ihn nicht leisten, soll der Klaganspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt werden.

Auf die Revision des Klägers wurde die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen.

Gründe

1.

"Das Berufungsgericht geht zunächst in Übereinstimmung mit dem ersten Richter zutreffend davon aus, daß die Handlungsweise der Beklagten einen Eingriff in einen eingerichteten Gewerbebetrieb darstelle und dieser als ein durch § 823 BGB. geschütztes Rechtsgut anzusehen sei. Diese Auffassung steht mit der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts im Einklang (vgl. RGZ. Bd. 58 S. 24, Bd. 64 S. 52).

Sodann legt das Oberlandesgericht den Inhalt des Gebrauchsmusters der Beklagten dar und stellt aus dem von der Beklagten zu 1 und dem Beklagten zu 2a gegen den jetzigen Kläger geführten Vorprozesse des Landgerichts Chemnitz fest, daß der Beklagte zu 2a in diesem Prozesse rechtskräftig verurteilt worden ist, in die Löschung des für ihn eingetragenen Gebrauchsmusters Nr. 342454 einzuwilligen.

Diesem Urteil mißt das Berufungsgericht für den vorliegenden Rechtsstreit keine Bedeutung bei. Es nimmt nämlich an, daß das in jenem Vorprozeß ergangene erstinstanzliche wie das Berufungsurteil nur deshalb die Löschung des Gebrauchsmusters des Beklagten zu 2a ausgesprochen habe, weil der in der Verwendung von nur teilweise aus Wolle bestehenden Oberteilen der Socken liegende Erfindungsgedanke durch die Anmeldung nicht offenbart worden sei. Daraus folgert es weiter, es erscheine ausgeschlossen, daß die Beklagten diesen auf juristischem Gebiete liegenden Grund der Unwirksamkeit des Gebrauchsmusters gekannt hätten; sie seien deshalb auch ohne das Vorliegen besonderer Umstände, deren Vorhandensein nicht behauptet worden, nicht verpflichtet gewesen, nach dieser Richtung Erkundigungen einzuziehen.

Diese Erwägungen sollen offenbar dazu dienen, die Fahrlässigkeit der auch nach der Ansicht des Berufungsgerichts vorliegenden objektiv widerrechtlichen Handlungsweise der Beklagten zu verneinen. Schon insofern erscheinen die Darlegungen des Berufungsgerichts nicht unbedenklich. Es gewinnt nämlich den Anschein, als ob das Oberlandesgericht der Eintragung eines Gebrauchsmusters eine Bedeutung beilegt, die ihr nicht zukommt.

Im Gegensatz zu den für das Patentrecht geltenden Grundsätzen, wonach die Erteilung des Patents (und die gemäß § 19 PatG. erfolgte Eintragung in die Patentrolle) dem Patentinhaber ohne weiteres das ausschließliche Recht verleiht, den Gegenstand der Erfindung gewerbsmäßig herzustellen, in Verkehr zu bringen und feilzuhalten (§4 PatG.), erlangt derjenige, zu dessen Gunsten ein Gebrauchsmuster in die Gebrauchsmusterrolle eingetragen ist, nur dann ein ausschließliches Recht, das Muster gewerbsmäßig nachzubilden und in Verkehr zu bringen, wenn es dem Arbeits- oder Gebrauchszweck durch eine neue Gestaltung, Anordnung oder Vorrichtung dient. Mit anderen Worten: die Eintragung in die Gebrauchsmusterrolle verleiht dem Eingetragenen kein ausschließliches Benutzungsrecht, das ihn ermächtigen könnte, in den bestehenden Gewerbebetrieb eines anderen einzugreifen, wenn nicht die Voraussetzungen vorliegen, die in § 1 GebrMustG. aufgestellt sind.

Es kann also schon ein fahrlässiger Eingriff in den Gewerbebetrieb eines anderen vorliegen, wenn jemand, zu dessen Gunsten ein Gebrauchsmuster eingetragen ist, lediglich auf Grund dieser Tatsache einem Gewerbetreibenden den Vertrieb solcher Gegenstände verbietet, auf die sich das Gebrauchsmuster bezieht. Wer auf Grund eines für ihn eingetragenen Gebrauchsmusters sich eines Eingriffs in den Gewerbebetrieb eines anderen schuldig macht, kann demnach unter Umständen schon dann fahrlässig im Sinne des § 823 BGB. handeln, wenn er sich nicht die Überzeugung von der Wirksamkeit seines Gebrauchsmusters verschafft hat, ehe er die Eintragung nachsucht. Denn diese wird im Gegensatz zu den für die Patenterteilung geltenden Vorschriften der §§ 20 flg. PatG. nicht auf Grund einer behördlichen Prüfung darüber verfügt, ob die materiellen Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach § 1 GebrMustG. ein Gebrauchsmuster einen Anspruch auf Rechtsschutz hat. Vielmehr muß das Patentamt nach § 3 GebrMustG. die Eintragung des Gebrauchsmusters in die Gebrauchsmusterrolle schon dann anordnen, wenn lediglich die formellen Voraussetzungen des § 2 des Gesetzes vorliegen (vgl. auch Urt. des RG. vom 27. Februar 1900, VIa. 347/99).

2.

Erscheint schon aus den vorstehenden Gründen die Annahme des Berufungsgerichts, den Beklagten könne um deswillen eine Fahrlässigkeit nicht zur Last gelegt werden, weil sie den auf juristischem Gebiete liegenden Grund der Unwirksamkeit ihres Gebrauchsmusters nicht gekannt hatten, nicht ganz bedenkenfrei, so geben vollends die weiteren Ausführungen der Vorinstanz zu erheblichen rechtlichen Bedenken Anlaß.

Das Berufungsgericht hat nämlich weiter ausgeführt, daß in den beiden von den Beklagten über das Gebrauchsmuster Nr. 342454 geführten Vorprozessen gegen Bi. (Landgericht Cöln) und gegen den jetzigen Kläger (Landgericht Chemnitz) zwar auch behauptet worden sei, der Gegenstand des Gebrauchsmusters sei zur Zeit der Anmeldung nicht neu gewesen. Über diese Frage sei aber in beiden Prozessen eine richterliche Entscheidung nicht gefällt worden. Der Prozesse gegen Bi. sei durch Vergleich beendet und in dem Prozeß gegen den jetzigen Kläger sei die Neuheit des Gebrauchsmusters unterstellt worden. In dem Prozesse gegen Bi. hatten zwar die Zeugen, K. und Sch. bei ihrer im April 1911 erfolgten Vernehmung ausgesagt, daß sie bereits seit 25 Jahren Socken führen, bei denen der Unterteil aus Baumwolle, der Oberteil aus wollhaltigem Garn hergestellt sei. Daraus wird von dem Berufungsgericht weiter die Schlußfolgerung gezogen, daß durch die Bekundungen der beiden Zeugen die "fehlende Neuheit" des Gegenstandes des hier fraglichen Gebrauchsmusters festgestellt sei. Da aber deren Vernehmung erst nach Absendung der Verwarnungsschreiben der Beklagten zu 1 stattgefunden, diese auch nicht die Verpflichtung gehabt habe, sich danach zu erkundigen, was diese Zeugen aussagen würden, und es den Beklagten auch nicht zum Verschulden angerechnet werden könne, daß sie die Vernehmung der Zeugen nicht abgewartet, ehe sie ihre Verwarnungsschreiben abgesandt, so könnte ihnen dieserhalb eine fahrlässige Handlungsweise nicht zur Last gelegt werden. Sie seien aber auch nicht einmal verpflichtet gewesen, nach erlangter Kenntnis von der Aussage der beiden Zeugen ihre Verwarnung durch eine entsprechenden Widerruf zurückzunehmen, da es ausgeschlossen erscheine, daß die Aussagen der Zeugen K. und Sch. sie in ihrer Überzeugung, von der Neuheit ihres Gebrauchsmusters irgendwie erschüttert hätten. Somit liege auch darin keine Fahrlässigkeit der Beklagten, daß sie es unterlassen hätten, nach Kenntnisnahme von diesen Zeugenaussagen ihre Verwarnung zurückzunehmen.

In diesen Ausführungen tritt noch deutlicher als in den bereits unter 1 erörterten Erwägungen des Berufungsgerichts zutage, daß es die Bedeutung der Eintragung eines Gebrauchsmusters verkannt hat. Da diese Eintragung dem Eingetragenen nur ein rein formelles, nicht aber ein materielles Recht gewährt, so übt er es, wie der erkennende Senat bereits in dem Urteil vom 3. Juli 1916, VI. 186/16 ausgesprochen hat, lediglich auf seine Gefahr und Verantwortung aus, soweit es sich um die Frage der Neuheit und der Vorbenutzung des Gebrauchsmusters handelt. Demnach muß "derjenige, der auf Grund eines Gebrauchsmusters mit dem einschneidenden Verbot, die Ware weiter herzustellen und feilzuhalten, in einen fremden Gewerbebetrieb eingreift und dadurch Schaden verursacht, fortdauernd aufs sorgfältigste prüfen, ob und wie lange er hierzu berechtigt ist".

Geht man von diesem grundsätzlichen Standpunkt aus, so liegt ein fahrlässiges Verhalten der Beklagten zu 1 schon darin, daß sie, obwohl der Beklagte des Vorprozesses Bi. schon in dem Schriftsatz vom 3. März 1911 unter Berufung auf die Zeugen K. und Sch. behauptet hatte, daß der Gegenstand des Gebrauchsmusters Nr. 342454 bereits am 25. Mai 1908, dem Tage seiner Anmeldung beim Patentamt, in Deutschland offenkundig benutzt worden sei, gleichwohl am 21. März 1911 die hier fraglichen Verwarnungsschreiben abgesandt hat. Denn die Beklagten mußten damit rechnen, daß die Zeugen K. und Sch. die Richtigkeit der Angaben des damaligen Beklagten Bi. bestätigen würden.

Einer ganz besonders groben Fahrlässigkeit haben sich aber die Beklagten dadurch schuldig gemacht, daß sie nach der im April 1911 erfolgten Vernehmung der Zeugen K. und Sch,. die, wie das Berufungsgericht selbst nicht verkennt, die Behauptung des Bi. im vollen Umfang bestätigt haben, indem es davon ausgeht, daß durch deren Bekundungen "die fehlende Neuheit des Gegenstandes des Gebrauchsmusters festgestellt sei", gleichwohl ihre Verwarnung nicht zurückgenommen haben.

Das Berufungsgericht, das die Beklagten zu einem derartigen Widerruf nicht für verpflichtet erachtet, tritt dadurch mit seinen eigenen Ausführungen in Widerspruch. Es legt nämlich zunächst besonderes und entscheidendes Gewicht darauf, daß die Verwarnung bereits vor erfolgter Vernehmung der Zeugen K. und Sch. abgesandt war. Daraus ist zu folgern, daß selbst vom Standpunkte des Berufungsgerichts aus die Absendung der Verwarnungsschreiben nach erfolgter Vernehmung der Zeugen hätte unterbleiben müssen. Ist dies aber richtig, so war der Widerruf der Verwarnungsschreiben durch die Beklagten unter allen Umständen erforderlich, nachdem die Zeugenvernehmung erfolgt war. Das Berufungsurteil, das somit zu Unrecht eine Fahrlässigkeit der Beklagten verneint hat, unterliegt deshalb der Aufhebung wegen Verletzung des § 823 BGB." ...