RG, 19.12.1918 - VI 157/18

Daten
Fall: 
Verbürgung für ein Vereinbarungsdarlehen
Fundstellen: 
RGZ 95, 9
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
19.12.1918
Aktenzeichen: 
VI 157/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Leipzig
  • OLG Dresden

Zur Auslegung einer der Verbürgung für ein Vereinbarungsdarlehen beigefügten Abrede, wonach der Bürge nur bis zu der zu ermittelnden Höhe der jenem zugrundeliegenden Werklohnforderung haften soll. Form einer solchen Abrede.

Tatbestand

Die Beklagten sind aus einer Urkunde vom 9. April 1913 als Bürgen in Anspruch genommen und in erster Instanz verurteilt worden. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Urteil wurde auf die Revision des Klägers aufgehoben.

Aus den Gründen

"In der Urkunde vom 9. April 1913 hat der Hauptschuldner erklärt, dem Kläger aus einem über den Umbau seines Hauses geschlossenen Werkvertrage 29000 M schuldig geworden zu sein. Beide Parteien haben inhaltlich derselben Urkunde vereinbart, daß der Hauptschuldner dem Gläubiger künftig diesen Betrag als Darlehen schulde und vom 1. April 1913 an jährlich mit 5% zu verzinsen habe.

Die beklagten Bürginnen erklären in der Urkunde, "für die oben erwähnte(n) Darlehnsschuld(en) samt Anhang selbstschuldnerische Bürgschaft" zu übernehmen. Das Berufungsgericht hält weiter für erwiesen, daß vor Unterzeichnung der Urkunde den Bürginnen mündlich zugesichert worden sei, daß sie aus der Bürgschaft nicht wegen der Summe von 29000 M, sondern nur wegen des Betrags, der bei Nachprüfung der Baukostenrechnungen nach Fertigstellung des Umbaues als dem Kläger gebührend durch einen Sachverständigen festgesetzt werde, in Anspruch genommen werden würden. Nur unter dieser Zusicherung, stellt es fest, hätten sie die Bürgschaft übernommen; der Kläger sei damit und daß diese Vereinbarung neben der Urkunde Geltung haben solle, einverstanden gewesen.

Das Berufungsgericht hält diese mündliche Vereinbarung für unwirksam, weil sie der in § 766 BGB. vorgeschriebenen Schriftform ermangele; es komme ihr nicht nur die Bedeutung einer die Bürgschaft erleichternden und deshalb formlos gültigen Nebenabrede zu. Vielmehr sei davon auszugehen, daß die Umwandlung der Werklohnforderung des Klägers in eine Darlehnsforderung nach dem Willen der Beteiligten mit der Wirkung beabsichtigt gewesen sei, daß an Stelle des Schuldgrundes aus dem Werkvertrage der neue Schuldgrund aus dem Darlehnsvertrag treten und damit der erstere Schuldgrund beseitigt werden solle. Während nun die schriftliche Bürgschaftserklärung nach zweifelsfreiem, nicht auslegungsbedürftigem und deshalb auch nicht auslegungsfähigem Wortlaut für die Darlehnsforderung abgegeben sei, enthalte die mündliche Nebenabrede eine vollständige Änderung der Bürgschaftsverpflichtung in Ansehung der Hauptschuld, als welche im Sinne jener mündlichen Abmachung die ursprüngliche Werklohnforderung - in einer erst durch Sachverständige zu ermittelnden Höhe - anzusehen sei. , Bei dieser Tragweite habe die mündliche Abmachung zur Wirksamkeit der Schriftform bedurft. Aber auch die schriftliche Bürgschaftserklärung sei unwirksam; ihr Inhalt sei, wie sich aus der Vereinbarung, daß daneben die mündliche Abrede gelten solle, ergebe, nicht gewollt, vielmehr nur zum Schein (§ 117 BGB.) erklärt worden. Ihre Unwirksamkeit ergebe sich aber auch aus § 139 BGB., weil die Bürginnen die schriftliche Erklärung nicht ohne die mündliche Abänderung abgegeben haben würden.

Hiernach können nach Ansicht des Berufungsgerichts die Bürginnen aus der in Rede stehenden Verbürgung überhaupt nicht in Anspruch genommen werden.

Mit Recht wendet sich die Revision gegen dieses Auslegungsergebnis. Das Berufungsgericht hat hierbei der Vorschrift des § 133 BGB., daß der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften sei, nicht völlig zu genügen vermocht. Nicht zu beanstanden ist die Auffassung, daß die Verbürgung für eine Darlehnsforderung erklärt sei; rechtlich nicht begründet dagegen ist die Annahme, daß Umfang und Tragweite dieser Bürgschaft nicht von der Ermittelung der Höhe des dem Kläger aus dem Werkvertrage zukommenden Guthabens hätten abhängig gemacht werden können. Zu Unrecht legt das Berufungsgericht hierbei auf die Umschaffung der ursprünglichen Werklohn- in eine Darlehnsforderung entscheidendes Gewicht; zur Willenserforschung in dem durch § 133 gebotenen Maße und Sinne genügt insbesondere dieser formalrechtliche Gesichtspunkt nicht.

Ohne weiteres erhellt, daß für die Rechtslage der Bürginnen die rechtliche Fundierung der Hauptschuld und deren juristische Betrachtungsweise bedeutungslos war. Nach dem festgestellten Sachverhalte kam es für die Bürginnen nur darauf an, zu keiner größeren Leistung verpflichtet zu werden, als sie, worüber noch kein Einverständnis bestand, der Kläger in der Tat vom Hauptschuldner zu fordern hatte. Ein hierauf gerichtetes Abkommen änderte an dem rechtlich bedeutsamen und maßgebenden Inhalte der Verbürgung als solcher nichts; nur das Maß der Verpflichtung sollte damit näher bestimmt werden. Wie der Schuldner eines durch Vereinbarung nach § 607 Abs. 2 BGB. begründeten Darlehnsverhältnisses grundsätzlich geltend machen kann, daß jener Vereinbarung ganz oder teilweise keine Forderung zugrunde gelegen habe, so kann auch der Bürge geltend machen, die von ihm verbürgte Forderung, sie mag unmittelbar aus Darlehen stammen oder erst zur Darlehnsforderung umgeschaffen sein, bestehe ganz oder teilweise nicht. Dem wäre nur dann anders, wenn in der Verbürgung vom 9. April 1913 zugleich eine Anerkennung der Hauptforderung in dem urkundlich angeführten Betrage von 29000 M zu finden wäre. Derartiges nimmt aber das Berufungsgericht, offenbar nicht an. Nach der seiner Beurteilung zugrunde liegenden Betrachtungsweise bedeuten jene 29000 M in der Bürgschaftsurkunde nur den Höchstbetrag der Haftung. Im übrigen kann grundsätzlich der Umfang der Bürgenhaftung in jeder von den Vertragschließenden beliebten Weise beschränkt, insbesondere nach der Höhe einer anderen Forderung bemessen werden, diese mag unter denselben Parteien bestehen oder unter anderen, mit der Hauptforderung im wirtschaftlichen oder rechtlichen Zusammenhange stehen oder nicht.

Das in Rede stehende Abkommen enthielt auch nicht, wie das Berufungsgericht meint, eine vollständige Änderung der Bürgschaftsverpflichtung in Ansehung der Hauptschuld. Vielmehr war und blieb diese die gleiche wie in der schriftlichen Verbürgung. Nur um für den - zulässigen - Vorbehalt der Betragsermittelung den zutreffenden Ausdruck zu finden, wurde auf den früheren Ursprung der Hauptforderung als Werklohnforderung zurückgegriffen. War die Hauptforderung im übrigen durch die gewählte Ausdrucksweise auch nur unter den Beteiligten ausreichend bezeichnet, so stand der Wirksamkeit der Verbürgung von dieser Seite nichts entgegen.

Das Urteil war hiernach aufzuheben. Der Grundgedanke der angefochtenen Entscheidung, daß das mündliche Nebenabkommen wegen der zwischen dem Gläubiger und dem Hauptschuldner vorgenommenen Abschaffung der Werklohn- in eine Darlehnsforderung der Schriftform des § 766 BGB. bedurft hätte, kann nicht gebilligt werden. Vielmehr wäre auf die Frage sachlich einzugehen gewesen, ob jene mündliche Abrede als Bürgschaftserleichterung formlos gültig ober aber etwa als selbständiger Nebenvertrag ( pactum de non petendooder von rechtsähnlicher Art) überhaupt keinem Formzwang unterworfen ist.

Bezüglich der schriftlichen Verbürgung füllt damit zugleich der dem § 139 BGB. entnommene Grund, ihre Wirksamkeit zu verneinen. Aber auch die auf § 117 gestützte Ausführung, die schriftliche Bürgschaftserklärung sei nur zum Schein erfolgt, kann nicht gebilligt werden. Die Bürginnen haben sich ernstlich für ein Guthaben des Klägers an den Hauptschuldner bis zum Betrage von 29000 M verpflichten zu wollen erklärt - vorbehaltlich näherer Betragsermittelung, worüber das mündliche Abkommen getroffen ist. Der Wortlaut der Urkunde weicht von diesem Willensinhalt allerdings ab; diese Abweichung aber, über die unter den Parteien nach der Annahme des Berufungsgerichts Einverständnis bestand, hat den Verpflichtungswillen als solchen im übrigen nicht beeinträchtigt. Die Sache liegt nicht anders, als wenn die Bürginnen haften zu wollen erklärt hätten für die Forderung des Klägers an den Hauptschuldner bis zum Betrag von 29 000 M vorbehaltlich der Ermittelung des Betrags, ohne Angabe des Forderungs- (Vertrags-) Grunds überhaupt. Daß dieser im Zusammenhang der abgegebenen rechtsgeschäftlichen Erklärungen Erwähnung fand, ändert nichts am Bestehen noch am Gegenstand des Verbürgungswillens und kann daher bei dieser Sachlage nicht zur rechtlichen Unwirksamkeit der ganzen Verbürgung führen." ...