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RG, 19.12.1884 - III 223/84

Daten
Fall: 
Eigentumsübergang im Versendungskauf
Fundstellen: 
RGZ 12, 78
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
19.12.1884
Aktenzeichen: 
III 223/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hannover
  • OLG Celle

1. Wann geht das Eigentum einer von einem anderen Orte übersandten Ware auf den Käufer über?
2. Bedeutung der Übergabe eines an Order lautenden Konnossements für den Eigentumsübergang.
3. Sind die ädilitischen Rechtsmittel beim Gattungskaufe zulässig?

Tatbestand

Die Klägerin kaufte im Jahre 1883 von der Beklagten 1000 kg Loando-Gummi. Schon vor Ankunft der Ware erhielt die Klägerin über einen Teil desselben Faktura und stellte zu Gunsten der Beklagten den Kaufbedingungen entsprechend ein Wechselaccept über 5/6 der Kaufsumme im Betrage von 5096 M aus. Beklagte setzte den Wechsel in Umlauf und hat Klägerin denselben zur Verfallzeit eingelöst. Das gekaufte Gummi traf am 30., bezw. 31. Mai 1883 in Hannover ein und wurde der Klägerin von der Eisenbahn überliefert. Mittels Schreibens vom 31. Mai 1883 zeigte Klägerin der Beklagten an, daß die Ware mangelhaft, nicht die gekaufte Sorte sei, stellte dieselbe zur Disposition und verlangte Rückgabe des Wechselacceptes. Auf Antrag der Klägerin fand eine Untersuchung des Gummis durch gerichtsseitig ernannte Sachverständige statt, durch welche festgestellt wurde, daß die gelieferte Ware, bis auf die Fässer, rechtswidrig sei. Die Klägerin erachtet sich berechtigt, wegen der Mangelhaftigkeit der Ware deren Annahme zu verweigern, das Geschäft rückgängig zu machen und Erstattung des eingelösten Wechsels nebst Zinsen, der Frachtauslagen und der Untersuchungskosten zu fordern. Sie macht für diese Forderungen das Zurückbehaltungsrecht aus Artt. 313. 315 H.G.B. geltend, hat dieses der Beklagten durch Schreiben vom 23. Juni 1883 angezeigt und jetzt klagend beantragt: die Beklagte schuldig zu erkennen, den öffentlich meistbietenden Verkauf der in ihrem Besitze befindlichen 13 Fässer und 10 Säcke Rohgummi geschehen zu lassen, damit sie, die Klägerin, aus dem Erlöse wegen der vorgedachten drei Forderungen sich befriedigen könne.

Die Beklagte hat Abweisung der Klage beantragt und außer anderen Einwendungen:

  1. die Massigkeit des Zurückbehaltungsrechtes aus Artt. 313. 315 H.G.B. bestritten, weil die Klägerin ein Orderkonnossement über die Gummisendung ausgehändigt erhalten habe, auf Grund welches die Übergabe des Gummis an sie erfolgt sei; dadurch habe die Klägerin das Eigentum an dem Gummi erworben;
  2. die Berechtigung der Klägerin, vom Vertrage zurückzutreten, bestritten, vielmehr behauptet, die Klägerin sei verpflichtet, die Lieferung vertragsmäßiger Waren, die noch jetzt angeboten werden, anzunehmen, weil die ädilitischen Rechtsmittel beim Gattungskaufe nicht statthaft seien.

Das Landgericht Hannover, Kammer für Handelssachen, hat diese Einwendungen verworfen und die Beklagte nach dem Klagantrage verurteilt. Die von der Beklagten erhobene Berufung ist zurückgewiesen und ebenso die gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes zu Celle eingelegte Revision aus folgenden Gründen.

Gründe

"Nach den Verhandlungen in der Berufungsinstanz hat es sich, während die übrigen in erster Instanz bestehenden Streitpunkte erledigt waren, nur noch darum gehandelt, ob das von der Klägerin auf Grund der Bestimmungen in Artt. 313. 315 des Handelsgesetzbuches geltend gemachte Retentionsrecht begründet sei, ob die Klägerin befugt sei, vom Vertrage zurückzutreten und ob sie berechtigt sei, auch die Annahme desjenigen Teiles der Ware zu verweigern, welcher vertragsmäßig geliefert ist. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes über diese Streitpunkte beruht nicht auf der Verletzung des Gesetzes; es war daher die von der Beklagten eingelegte Revision zurückzuweisen.

Da die Klägerin an dem ihr von der Beklagten in Erfüllung des unter den Parteien abgeschlossenen Kaufvertrages übersandten, in ihrem Besitze befindlichen Gummi nicht lediglich ein Retentionsrecht wegen der ihr aus diesem Kaufvertrage gegen die Beklagte zustehenden Forderungen geltend gemacht, sondern, gestützt auf die Vorschriften in den Artt. 313. 315 H.G.B., beantragt hat, die Beklagte schuldig zu verurteilen, den öffentlich meistbietenden Verkauf des in ihrem Besitze befindlichen Gummis geschehen zu lassen, damit sie sich aus dem Erlöse wegen der ihr gegen die Beklagte wegen Nichterfüllung jenes Kaufvertrages zustehenden, im einzelnen näher angegebenen Forderungen befriedigen könne, so ist das Berufungsgericht mit Recht davon ausgegangen, daß für die Frage, ob dieser Anspruch der Klägerin begründet sei, es wesentlich sei, ob die Klägerin, wie die Beklagte behauptet, das Eigentum an dem in Rede stehenden Gummi erworben habe, oder ob dasselbe sich noch im Eigentume der Beklagten befindet, da der Gläubiger das Zurückbehaltungsrecht aus Art. 313 H.G.B. nur an den dem Schuldner gehörigen Sachen ausüben kann, nicht an solchen Sachen, welche in seinem Eigentume stehen, welche er aber auf Grund eines persönlichen Rechtes dem Schuldner herauszugeben verpflichtet ist. Der Berufungsrichter ist der Ansicht, daß die Klägerin durch die Annahme des ihr von der Beklagten übersandten Gummis nicht Eigentümerin desselben geworden sei, erachtet in dieser Beziehung die unter Eid gestellte Behauptung der Beklagten, daß der Klägerin ein Orderkonnossement über die Gummisendung übergeben sei, für bedeutungslos und die Eideszuschiebung über die weitere Behauptung, daß die Klägerin bei der Annahme des Gummis die Absicht gehabt habe, das Eigentum desselben zu erwerben, für unstatthaft. Die hiergegen von der Revisionsklägerin erhobenen Angriffe sind unbegründet, es ist vielmehr die Entscheidung des Berufungsgerichtes zu billigen.

Die Frage, wann das Eigentum an einer von einem anderen Orte dem Käufer übersandten Ware auf den Käufer übergehe, ist in Theorie und Praxis bestritten;1 es ist jedoch von dem Berufungsgerichte mit Recht angenommen worden, daß nach den Grundsätzen des gemeinen Rechtes, wenn der Kaufpreis bezahlt oder kreditiert ist, durch die Annahme des von dem Verkäufer einseitig ausgeschiedenen, dem Käufer in Erfüllung eines Kaufvertrages übersandten Kaufgegenstandes allein der Übergang des Eigentumes auf den Käufer nicht bewirkt wird, daß vielmehr der Wille des Käufers, das Eigentum an der ihm übersandten Ware erwerben zu wollen, ausdrücklich oder durch konkludente Handlungen erklärt sein müsse. Durch die Tradition wird das Eigentum an der tradierten Sache nur dann übertragen und erworben, wenn beim Übergange des Besitzes der Wille beider Teile auf Geben, bezw. auf Erwerben des Eigentumes gerichtet ist. Dieser Wille braucht nicht ausdrücklich erklärt zu werden, sondern kann auch stillschweigend erklärt werden, und ist aus der Gesamtheit der die Übergabe der Sache veranlassenden und begleitenden Umstände zu folgern, insbesondere aus dem der Tradition zu Grunde liegenden Rechtsgeschäfte. Läßt dieses seiner Natur nach auf den Willen, Eigentum zu übertragen bezw. zu erwerben, schließen, so wird in Ermangelung entgegenstehender Umstände anzunehmen sein, daß der Wille auf Übertragung bezw. Erwerb des Eigentumes gerichtet ist. Wird auf Grund eines Kaufvertrages von dem Verkäufer die verkaufte Spezies dem Käufer tradiert, und der letztere nimmt sie an, so wird darin die Erklärung des beiderseitigen Willens, Eigentum zu übertragen bezw. zu erwerben, gefunden werden müssen. Anders liegt dagegen die Sache, wenn der Gegenstand des Kaufes ein genus ist, und der Verkäufer die einseitig von ihm ausgeschiedenen Sachen zum Zwecke der Erfüllung des Kaufvertrages dem Käufer übersendet. In Ermangelung besonderer, diesen Willen ausschließender Umstände wird zwar auch in diesem Falle der Wille des Verkäufers, das Eigentum an der übersandten Ware auf den Käufer zu übertragen, angenommen werden müssen, allein es kann in der Annahme der übersandten Ware durch den Käufer allein nicht der Ausdruck des Willens, das Eigentum an dieser Ware zu erwerben, gefunden werden. Wenn nicht aus den Erklärungen oder Handlungen des Käufers hervorgeht, daß er die ihm vom Verkäufer übersandte Ware mit der Absicht, Eigentum daran zu erwerben, in Besitz nehme, so wird in der bloßen Abnahme der Ware von dem mit deren Transporte Beauftragten zunächst nur der Wille des Käufers zum Ausdrucke gebracht, die Ware zu detinieren, seiner Verpflichtung zur Abnahme der Ware zu genügen, um zu konstatieren, ob dieselbe vertragsmäßig empfangbar sei. Erklärt der Käufer sofort nach der Ablieferung der Ware oder doch rechtzeitig, daß er die Ware als nicht vertragsmäßige nicht empfangen wolle, und stellt er dieselbe dem Verkäufer zur Disposition, so giebt er damit zu erkennen, daß er nicht den Aneignungswillen habe, sondern daß er die Ware nur detinieren, für den Verkäufer aufbewahren wolle. Die zur Disposition gestellte Ware bleibt in diesem Falle im Eigentume des Verkäufers.2

Mit Recht ist zwar geltend gemacht worden, daß die Frage, ob ein Käufer das Recht habe, das ihm vom Verkäufer zum Zwecke der Erfüllung des Kaufvertrages übersandte Kaufobjekt zurückzuweisen, und die Frage, ob er Eigentümer der ihm übersandten Ware geworden sei, von einander unabhängig seien, daß die redhibitorische Klage auch von demjenigen, welcher bereits Eigentümer geworden sei, angestellt werden könne. Allein es ist nicht richtig, daß die Beanstandung der dem Käufer von dem Verkäufer übersandten Ware den Eigentumsübergang nicht hindere, daß stets der Käufer das Eigentum an der ihm übersandten Ware dadurch erwerbe, daß er den körperlichen Besitz derselben erlangt habe, sofern er nicht bei der Besitzergreifung erkläre, daß er das Eigentum nicht erwerben wolle. Da der Käufer die ihm vom Verkäufer übersandte Ware unter Umständen dem mit deren Transporte Beauftragten abnehmen muß, auch wenn er nicht den Willen hat, das Eigentum an derselben zu erwerben, so kann nicht angenommen werden, der Käufer habe schon durch die bloße Annahme der Ware den Willen, Besitzer oder Eigentümer derselben zu werden, bethätigt; es müssen vielmehr Thatsachen nachgewiesen werden, aus denen dieser Wille zu entnehmen ist. Dieser Wille ist aber nicht allein aus der Genehmigung der gelieferten Ware durch den Käufer zu folgern, sondern jede Handlung, durch welche er seinen Willen, den Besitz als Eigentumsbesitz ausüben zu wollen, insbesondere jede eigentumsmäßige Disposition über die Ware macht ihn zum Eigentümer.

War daher im vorliegenden Falle daraus allein, daß die Klägerin die ihr von der Beklagten übersandten und von der Eisenbahn ihr abgelieferten Quantitäten Gummi in Besitz genommen hat, nicht zu folgern, daß sie das Eigentum an denselben erworben habe, vielmehr dieser Eigentumsübergang dadurch verhindert, daß sie unmittelbar nach der Ablieferung der Ware der Beklagten anzeigte, daß sie dieselbe, weil sie nicht vertragsmäßig sei, nicht empfangen wolle, vielmehr der Beklagten zur Disposition stelle, so würde, wie der Berufungsrichter mit Recht angenommen hat, die Sachlage auch dadurch nicht geändert sein, wenn, wie die Beklagte behauptet hat, der Klägerin ein Orderkonnossement über die fragliche Ware zugesandt und von ihr angenommen wäre. Nach Art. 649 H.G.B. hat die Übergabe des an Order lautenden Konnossements an denjenigen, welcher durch dasselbe zur Empfangnahme legitimiert wird, sobald die Güter wirklich abgeladen sind, für den Erwerb der von der Übergabe der Güter abhängigen Rechte dieselben rechtlichen Wirkungen wie die Übergabe der Güter. Welche Rechte dieses sind, ist im Handelsgesetzbuche nicht bestimmt, es ist diese Frage vielmehr nach dem in den einzelnen Ländern geltenden Civilrechte, im vorliegenden Falle nach den Grundsätzen des gemeinen Rechtes zu beantworten. Das der Übergabe des Konnossementes zu Grunde liegende Rechtsverhältnis äußert die gleiche rechtliche Wirkung, welche es bei der unmittelbaren Übergabe der Ware selbst gehabt haben würde. Der Konnossementsinhaber wird daher keineswegs schlechthin Eigentümer der in dem Konnossemente verzeichneten Waren mit dessen Übergabe, sondern er erwirbt bald das Eigentum, bald den juristischen Besitz, bald auch nur bloße Detention mit den daran sich knüpfenden Rechten, je nachdem er durch die unmittelbare Übergabe der Waren das eine oder das andere erlangt haben würde.3

Da nun im vorliegenden Falle, wie oben ausgeführt worden, die Klägerin durch die körperliche Besitzübertragung an den ihr von der Beklagten zugesandten Waren allein deren Eigentum nicht erworben hat, so würde ein Eigentumsübergang von der Beklagten auf die Klägerin auch durch die Übergabe eines an Order lautenden Konnossementes allein nicht eingetreten sein, es hat der Berufungsrichter daher mit Recht von einer Beweisaufnahme über die Behauptung der Beklagten, daß der Klägerin ein an Order lautendes Konnossement übergeben worden sei, Abstand genommen.

Die Eideszuschiebung der Beklagten darüber, daß die Klägerin bei der Annahme der Waren die Absicht gehabt habe, deren Eigentum zu erwerben, hat der Berufungsrichter aus zutreffenden Gründen für unstatthaft erklärt. Da in der Annahme des ihr übersandten Gummis eine Erklärung des Willens der Klägerin, dessen Eigentum zu erwerben, nicht enthalten ist, so hätte die Beklagte sonstige Thatsachen behaupten und unter Beweis stellen müssen, aus welchen dieser Wille zu entnehmen gewesen wäre.

Ist danach das im Besitze der Klägerin befindliche Gummi noch Eigentum der Beklagten, so ist das von der Klägerin geltend gemachte kaufmännische Zurückbehaltungsrecht mit Recht als begründet angenommen, da die übrigen in Art. 313 H.G.B. aufgestellten Voraussetzungen desselben vorliegen.

Der zweite Einwand der Beklagten, daß die Klägerin nicht berechtigt sei, vom Vertrage zurückzutreten, vielmehr verpflichtet sei, die Lieferung vertragsmäßiger Ware, die noch jetzt angeboten werde, anzunehmen, weil die ädilitischen Klagen auf den Gattungskauf keine Anwendung finden, ist mit Recht von dem Berufungsgerichte zurückgewiesen worden. Es ist die von ihm seiner Entscheidung zu Grunde gelegte, auch vom Reichsoberhandelsgerichte und vom Reichsgerichte angenommene Ansicht, daß die ädilitischen Rechtsmittel beim Gattungskaufe unter denselben Voraussetzungen wie beim Spezieskaufe zulässig seien, zu billigen."4

  • 1. Zimmermann in der Zeitschrift für Handelsrecht Bd. 18 S. 397 flg.; Thöl, Handelsrecht §. 270 Note 29; Hanausek, Die Haftung des Verkäufers für die Beschaffenheit der Ware. Abt. 2 S. 106 flg.; Kierulf, Sammlung der Entscheidungen des Oberappellationsgerichtes zu Lübeck Bd. 4 Nr. 48 E. 447 flg. D. E.
  • 2. Gareis, Das Stellen zur Disposition S. 151.
  • 3. Vgl. Goldschmidt, Handelsrecht Bd. 1 S. 700 flg. namentlich S. 717; Thöl, Handelsrecht §. 270; Lewis, Seerecht, in Endemann's Handelsrecht Bd. 4 S. 187; Exner, Die Lehre vom Rechtserwerb durch Tradition S. 152 flg. 185 flg. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 5 S. 79. D. E.
  • 4. Vgl. Goldschmidt in der Zeitschrift für Handelsrecht Bd. 19 S. 88 flg; Hanausek, a. a. O. S. 113 flg. Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 4 S. 183, Bd. 5 S. 252. 399. Entsch. d. R.G.'s in Civils. Bd. 6 S. 188. D. E.