RG, 19.12.1884 - II 323/84

Daten
Fall: 
Rheinpreußisches Teilungsverfahren
Fundstellen: 
RGZ 12, 329
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
19.12.1884
Aktenzeichen: 
II 323/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Aachen
  • OLG Köln

Einfluß der Civilprozeßordnung auf das rheinpreußische Teilungsverfahren.
Ist die Geltendmachung der Rechtswohlthat des Art. 1483 Code civil von der Errichtung eines notariellen Inventares abhängig?

Tatbestand

G. starb mit Hinterlassung einer Witwe und minderjähriger Kinder. Der Vormund dieser letzteren ließ unter Zuziehung der Witwe durch einen vereideten Taxator ein Inventar errichten und reichte dasselbe bei dem Vormundschaftsgerichte ein. Ein Gläubiger der Witwe erhob die Teilungsklage, die Beteiligten bestritten dessen Legitimation, erklärten sich aber mit der Teilung einverstanden. Das Landgericht verordnete die Teilung, beauftragte mit der Auseinandersetzung einen Notar und erklärte nach Beweiserhebung den Gläubiger L. berechtigt, gemäß Art. 882 Code civil an den Verhandlungen teilzunehmen. Bei den ferneren Verhandlungen stellte der Vormund den Antrag, die Witwe der Rechtswohlthat des Art. 1483 Code civil verlustig zu erklären, weil sie die Errichtung eines notariellen Inventares unterlassen habe. Das Landgericht erklärte das Privatvermögensverzeichnis für ausreichend, auf Berufung des Vormundes aber erkannte das Oberlandesgericht nach dem Klagantrage. Die Revision der Witwe wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

1.

"In prozessualer Beziehung ist allerdings zu rügen, daß der Einfluß der Civilprozeßordnung auf das gerichtliche Teilungsverfahren des französischen Rechtes und der abändernden Vorschriften des Gesetzes vom 18. April 1855 in beiden Instanzen nicht richtig gewürdigt ist. Dieses Verfahren bildet nicht mehr eine einheitliche Prozedur, welche, mit der Teilungsklage beginnend, sich aus einer Reihe von Akten der freiwilligen und streitigen Gerichtsbarkeit zusammensetzt und auf Kosten der Masse bis zur gänzlichen Auseinandersetzung durchgeführt wird. Die frühere Gesetzgebung ist nur insofern aufrecht erhalten, als sie das materielle Recht und die Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit betrifft; geben aber die Verhandlungen zu einem Rechtsstreite Veranlassung, so ist derselbe, wie das Reichsgericht wiederholt ausgeführt hat (vgl. Urteile vom 3. und 21. Oktober 1884 in Sachen Wingen wider Helff und Baum wider Baum), nach den Vorschriften der Civilprozeßordnung im Wege der selbständigen Klage zu erledigen. Hieraus ergiebt sich, daß es nicht genügte, die entstandene Kontestation zur gerichtlichen Entscheidung zu verweisen, und daß die Parteirollen nicht richtig verteilt sind. Der Vormund, welcher namens der von ihm vertretenen Minderjährigen die Entscheidung des Richters anruft, war nicht Beklagter, sondern Kläger, einzige Beklagte war die Witwe, gegen welche der streitige Anspruch verfolgt wird. Dem Gläubiger L. ist zwar die Befugnis zugesprochen, gemäß Art. 882 Code civil an allen Teilungsverhandlungen auf seine Kosten teilzunehmen, er mag auch ein rechtliches Interesse daran haben, daß im vorliegenden Streitfalle die beklagte Witwe obsiege, und konnte daher gemäß §. 63 C.P.O. derselben zum Zwecke ihrer Unterstützung beitreten. Er hat aber von dem Rechte der Nebenintervention keinen Gebrauch gemacht und gehörte daher gar nicht in diesen besonderen Prozeß. Diese unrichtige Auffassung der Prozeßvorschriften kann aber die Revision nicht begründen, da der Mangel der richtigen Einführung der Klage gemäß §. 267 C.P.O. geheilt ist und die ungenaue Bezeichnung der Parteien die Entscheidung nicht beeinflußt.

2.

In materieller Beziehung rügt die Revision unrichtige Anwendung des Art. 1483 Code civil, weil derselbe ein notarielles Inventar nicht vorschreibe, und Verletzung des §. 14 des Einführungsges. zur C.P.O., weil das Erfordernis des Inventares nur eine Beweisvorschrift darstelle. Beide Angriffe erscheinen nicht gerechtfertigt.

Die Bestimmung des Art. 1483 a. a. O. knüpft die der Ehefrau gewährte Rechtswohlthat an die Bedingung, daß ein richtiges und getreues Inventar aufgenommen werde. Es wird der freien Wahl der Ehefrau anheimgestellt, ob sie diese Bedingung erfüllen oder unterlassen wolle. Wählt sie das letztere, so begiebt sie sich dadurch freiwillig des Anspruches auf die Wohlthat des Gesetzes und leistet stillschweigend auf dieselbe Verzicht. Dies führt zu der notwendigen Folgerung, daß das Gesetz nicht eine bloße Beweisregel aufgestellt, sondern eine Formvorschrift erteilt habe, welche durch §. 14 Nr. 2 des Einführungsgesetzes nicht berührt wird.

Der mehrerwähnte Art. 1483 schreibt allerdings nicht ausdrücklich ein notarielles Inventar vor; er kann aber, wie sich aus einer Vergleichung mit den Artt. 794 und 1456 ergiebt und auch die einstimmige französische Rechtsprechung annimmt, nur das damals in Frankreich allein anerkannte, durch einen öffentlichen Beamten aufgenommene Inventar im Auge gehabt haben. In welcher Form dasselbe zu errichten sei, wird durch die Artt. 943 flg. Code de procédure genau vorgeschrieben. Auch diese, wie das ganze Buch über das Verfahren bei Eröffnung von Erbschaften (Artt. 907 flg, Code de procédure) der freiwilligen Gerichtsbarkeit ungehörigen Vorschriften, werden durch die Civilprozeßordnung nicht berührt.

Demnach bildet die Errichtung des notariellen Vermögensverzeichnisses die notwendige Voraussetzung für die Geltendmachung der Rechtswohlthat. Nach der Kabinetsordre vom 4. Juli 1834 und §. 35 der preußischen Vormundschaftsordnung kann zwar das Vermögen der Minderjährigen durch ein von dem Vormunde unter Zuziehung des Gegenvormundes errichtetes Vermögensverzeichnis festgestellt werden, diese Bestimmungen beziehen sich aber nur auf das Vormundschaftswesen und ändern nichts an der Bedingung, an welche die Rechtswohlthat der Ehefrau geknüpft wird.

Wenn die Revision nach dem Vorgange des ersten Richters eine Unterscheidung zwischen dem Falle machen will, wo die Ehefrau den Gläubigern der Gütergemeinschaft und wo sie dem Manne, bezw. dessen Erben gegenübersteht, so verstößt sie damit gegen den klaren Ausdruck und gegen die Absicht des Gesetzes. Der Art. 1483 knüpft sowohl in Rücksicht der Gläubiger, als des Mannes die Rechtswohlthat an die angeführte Bedingung. Zu einer Unterscheidung bietet aber auch der Grund des Gesetzes keinen Anlaß; denn der Mann oder seine Erben bedürfen nicht weniger des gesetzlichen Schutzes gegen Unredlichkeit als die Gläubiger, und diesen Schutz findet der Gesetzgeber allein in der durch einen öffentlichen Beamten aufgenommenen Urkunde.

Allerdings wird nach dem Vorgänge von Pothier (Nr. 735) von manchen Schriftstellern und Gerichten die Ansicht verteidigt, daß dem Manne und dessen Erben gegenüber der über die Teilung des Gemeingutes aufgenommene Akt geeignet sei, die Stelle des Inventares zu vertreten. Die Richtigkeit dieser Meinung kann jedoch dahingestellt bleiben, da dieselbe doch keinesfalls zu der Folgerung führen würde, daß einem den Vorschriften der Vormundschaftsordnung entsprechenden Privatinventare die gleiche Wirkung beizulegen sei. Während nämlich die Teilung die völlige Vermögensauseinandersetzung zur Ausführung bringt, wird durch das Inventar nichts entschieden und nichts vereinbart, sondern nur der Vermögensbestand für die Zwecke der vormundschaftlichen Verwaltung festgestellt."