RG, 10.12.1918 - III 337/18

Daten
Fall: 
Anspruch auf Fortzahlung von Tagegeldern
Fundstellen: 
RGZ 94, 222
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
10.12.1918
Aktenzeichen: 
III 337/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Metz
  • OLG Colmar

Hat ein außerhalb seines Wohnortes kommissarisch beschäftigter Postbeamter während eines in dieser Zeit ihm gewährten Erholungsurlaubs Anspruch auf Fortzahlung von Tagegeldern?

Tatbestand

Der in C. als Postsekretär angestellte Kläger wurde seit Kriegsbeginn vertretungsweise bei dem Postamt in M. beschäftigt. Infolgedessen wurden ihm neben seinem Gehalte Tagegelder in Höhe von 8 M bewilligt. Für die Zeit vom 17. bis zum 26. Juli 1915 erhielt er Erholungsurlaub. Da der Beklagte ihm für diese 10 Tage die Tagegelder verweigert, erhob er Klage auf Nachzahlung von 80 M. Das Landgericht und das Oberlandesgericht verurteilten antraggemäß. Auf die Revision des Beklagten wurde die Klage abgewiesen.

Gründe

"Die Entscheidung des Oberlandesgerichts, welche die Berechtigung der Forderung des Klägers aus § 18 RBG. in Verb. mit § 2 der auf ihm fußenden Verordnung über die Tagegelder und Fuhrkosten der Reichsbeamten in der Fassung vom 8. September 1910 herleitet, ist nicht zu billigen. Sie steht mit dem Wortlaute der angezogenen Bestimmungen nicht in Einklang und nimmt die Interessen der Beamten in einseitiger, ebenso den Interessen des Reichs wie dem Rechtscharakter und dem Zwecke der Tagegelder widerstreitender Weise wahr. Es ist davon auszugehen, daß die Tagegelder den Beamten keine besonderen Vorteile neben ihrer Besoldung gewähren, sondern nur verhindern sollen, daß ihnen durch Dienstleistungen bei einer auswärtigen Behörde wirtschaftliche Nachteile entstehen. Sie bilden weder einen Teil des Gehaltes noch eine dem Gehalte rechtlich gleichstehende Vergütung der Arbeitsleistungen des Beamten, sondern bezwecken lediglich die Erstattung von Ausgaben, die mit einer auswärtigen Amtsausübung unvermeidlich verbunden sind oder wenigstens verbunden zu sein pflegen. Das ist den Motiven zu dem preußischen Gesetze, betr. die Tagegelder und Reisekosten der Staatsbeamten vom 24. März 1873 (Anlagen zu den Sten. Ber. des Hauses der Abgeordneten von 1871/73 Aktenst. 4) zu entnehmen, und dafür, daß der Gesetzgeber im Reiche sich von anderen rechtlichen oder wirtschaftlichen Gesichtspunkten habe leiten lassen, fehlt es an jedem Anhalte. Wenn er daher in §18 RBG. und in § 2 der genannten Ergänzungsverordnung den Anspruch der Reichsbeamten auf Tagegelder von einer dienstlichen "Beschäftigung" außerhalb ihres Wohnortes abhängig macht, so ist kein Anlaß zu der nur durch zwingende Gründe zu rechtfertigenden Annahme gegeben, daß er, wie das Oberlandesgericht unterstellt, dem Worte Beschäftigung eine über den gewöhnlichen Sprachgebrauch hinausgehende Bedeutung beigelegt und mit ihm auch Beschäftigungsunterbrechungen hat decken wollen. Nach der Fassung und dem Zwecke des Gesetzes unterliegt es vielmehr keinem Zweifel, daß die Zahlungsverbindlichkeit des Beklagten dadurch bedingt ist, daß der Beamte am Sitze der auswärtigen Behörde seinem Auftrage gemäß tätig wird und tätig bleibt oder, dem an ihn ergangenen Rufe folgend, ihr dort wenigstens seine Dienste zur Verfügung stellt und hält. Sie entsteht, wie der erkennende Senat bereits in dem Urteile vom 28. April 1914 (RGZ. Bd. 84 S. 407/08), allerdings für das Geltungsgebiet des preußischen Gesetzes vom 24. März 1873, ausgesprochen hat, immer von neuem an jedem Tage und für jeden Tag, an welchem diese Voraussetzung vorliegt, an welchem der Beamte also nach den Erfahrungen des Lebens gezwungen wird, infolge seiner auswärtigen Tätigkeit außerordentliche Ausgaben zu machen, die ihm an seinem Wohnort erspart geblieben wären. Daraus folgt, daß der Anspruch des Beamten auf Tagegelder so lange ruht, als seine auswärtige Diensttätigkeit aus Gründen, die in seiner Person liegen, unterbrochen wird und erst nach Wegfall der Dienstbehinderung wieder von neuem auflebt, es sei denn, daß gesetzliche oder Verwaltungsvorschriften für einzelne Unterbrechungsfälle eine andere Regelung treffen.

Der Staat und die Steuerzahler haben ein gleich hohes Interesse daran, daß dem Beamten nicht Unkosten vergütet werden, die ihm überhaupt nicht oder doch nicht aus Anlaß einer Dienstausübung erwachsen. Das würde aber geschehen, wenn die Auffassung des Oberlandesgerichts richtig wäre. Der Kläger, der sich infolge seines Urlaubs von M. entfernte, war während dessen Dauer gar nicht in der Lage, dort Ausgaben für seinen Lebensunterhalt, für Nahrungs- und Genußmittel zu machen. Insoweit würde er durch Fortzahlung der Tagegelder in unzulässiger Weise bereichert werden.

Freilich mag bei kurzfristiger Abwesenheit, wie auch im vorliegenden Falle, eine zeitweise Aufgabe der Wohnung rechtlich oder wirtschaftlich nicht angängig sein. Die Miete wird aber regelmäßig nur den bei weitem kleinsten Teil der durch die Tagegelder zu deckenden Ausgaben darstellen. Rechnet man z. B. für ein dem Stande eines Postsekretärs entsprechend eingerichtetes Zimmer einen Monatspreis von 30 bis 40 M, so würde auf den täglichen Mietzins nur der 6. bis 8. Teil der 8 M betragenden Tagegelder entfallen. Da diese übrigens, wenn sie auch grundsätzlich keine Gewinnquelle für die Beamten bilden sollen, dennoch über ihren Zweck hinaus häufig die tatsächlichen Tagesausgaben überschreiten, so ermöglichen sie oft Ersparnisse, aus denen die Beamten kleine wirtschaftliche Nachteile der in Rede stehenden Art bei einer in ihrem Interesse erfolgenden Dienstunterbrechung wieder auszugleichen vermögen. Sollte das in dem einen oder dem anderen Falle nicht möglich sein, so muß der Beamte das auf sich nehmen oder auf die Dienstunterbrechung. d. h. auf Urlaub verzichten.

An dieser Rechtslage haben auch die auf Grund des § 27 der Tagegelderverordnung zu deren Ausführung erlassenen Bestimmungen des Reichskanzlers vom 29. September 1910 (RGBl. S. 1071) nichts geändert. Wie deren § 17 Abs. 1 im Wege der Schlußfolgerung zu entnehmen ist, kommen bei Unterbrechung der Dienstreise oder der dienstlichen Tätigkeit während einer solchen die Tagegelder in Wegfall, sofern die Unterbrechung durch Umstände veranlaßt wird, die auf persönlichen Rücksichten beruhen. Freilich kann der Revision darin nicht beigetreten werden, daß die Beschäftigung eines Beamten bei einer Behörde außerhalb seines Wohnorts eine Reise im weiteren Sinne, einen Unterfall des § 1 der Verordnung darstelle. Die §§ 1 und 2 daselbst behandeln vielmehr zwei ganz verschieden geartete, selbständige Fälle. Es ist jedoch kein Grund ersichtlich, weshalb eine auf privaten Rücksichten beruhende Unterbrechung der auswärtigen Diensttätigkeit im Sinne des § 2 der Tagegelderverordnung anders behandelt werden sollte als die einer Dienstreise. Auf sie muß vielmehr der im § 17 der Ausführungsbestimmungen ausgesprochene Grundsatz, welcher der wirtschaftlichen Bedeutung der Tagegelder und den Interessen der Beamten in gleicher Weise gerecht wird, sinngemäße Anwendung finden. Wie also der Beamte bei Dienstreisen nur während der durch die Ausführung von Dienstgeschäften bedingten Abwesenheit von seinem Wohnorte Tagegelder erhält, so hat er im Falle der dienstlichen Beschäftigung bei einer auswärtigen Behörde auf sie, wie im Gegensatze zu dem Oberlandesgerichte festzustellen ist, grundsätzlich auch nur so lange Anspruch, als gerade diese Beschäftigung das Fernbleiben von seinem Wohnorte erfordert.

Unbedenklich bedeutet der Erholungsurlaub eine Befreiung vom Dienste aus persönlichen Rücksichten. Denn wenn dem Staate auch daran liegen muß, die Arbeitskraft der Beamten möglichst frisch und möglichst lange zu erhalten, so hat er ihnen doch keinen Anspruch auf zeitweise Entbindung von den Dienstgeschäften eingeräumt. Bei Urlaubserteilung handelt es sich vielmehr in erster Linie um eine Fürsorgemaßregel zugunsten der Beamten, auf welche jeder, der sie entbehren zu können glaubt, ohne weiteres zu verzichten berechtigt ist. Im gegebenen Falle hat der Kläger den Urlaub ausdrücklich erbeten, und somit sein persönliches Interesse daran deutlich bekundet.

Nun soll allerdings nach § 49 Abs. 1 der Allgemeinen Dienstanweisung für Post und Telegraphie Abschn. X Abt. 2 den Beamten und Unterbeamten "das Diensteinkommen" auch bei Erholungsurlaub unverkürzt weiter gezahlt werden. Aber Tagegelder fallen nicht unter das Diensteinkommen im Rechtssinne. Zu diesem gehören nur die den Charakter einer Unterhaltsrente tragenden Einkünfte des Beamten an Gehalt, Wohnungsgeld, Teuerungszulagen, Remunerationen und ähnliche Einnahmen, nicht aber der Ersatz von Aufwendungen, die der Beamte aus seinem Diensteinkommen oder seinem sonstigen Vermögen bestritten hat. Deshalb sind auch die Tagegelder weder pensionsfähig (§ 42 Nr. 5 RBG.) noch einkommensteuerpflichtig (vgl. els.-lothr. Ges. vom 13. Juli 1901 und für Preußen Urt. des OVG. vom 2. April 1902, abgedr. im Min. Bl. f. innere Verw. S. 127). Auch auf die §§ 45 und 46 ADA. Abschn. X Abt. 2 kann sich der Kläger nicht berufen. Nach ihnen sind die Oberpostdirektionen und die Vorsteher der Verkehrsanstalten befugt, Urlaub von beschränkter Dauer zur Erledigung persönlicher Angelegenheiten, die ersteren insbesondere auch zu Erholungszwecken unter Belassung, der "Dienstbezüge" zu erteilen. Die Annahme, die Allgemeine Dienstanweisung habe in den §§ 45 und 46 unter "Dienstbezügen" etwas anderes verstanden als unter "Diensteinkommen" im § 49, ließe sich indessen nur dann rechtfertigen, wenn sie aus zwingenden Gründen unabweisbar erschiene. Daß solche Gründe hier vorliegen, kann nicht zugegeben werden. Aber selbst wenn man zugunsten des Klägers das Gegenteil als richtig unterstellen würde, so haben doch die in Betracht kommenden Behörden von der ihnen erteilten Ermächtigung keinen Gebrauch gemacht. Denn die Fortbewilligung der Tagegelder hätte, weil sie eine Ausnahme von der gesetzlichen Regel darstellt, ausdrücklich und unzweideutig zum Ausdruck gebracht werden müssen. Mangels einer solchen Erklärung muß auch verneint werden, daß der Kläger durch seine Eingabe vom 25. Juni 1915, in welcher er die Oberpostdirektion um Fortzahlung der Tagegelder während seines Urlaubs bittet, und durch dessen zeitlich später liegende Erteilung durch das Postamt 12 einen dem Gebiete des öffentlichen Rechtes angehörigen vertragsähnlichen Anspruch auf die Tagegelder erlangt hat. Er wußte, daß in der Verfügung vom 31. Mai 1915, welche das Postamt 12 zur Erteilung von Erholungsurlaub in gewissen Grenzen ermächtigte, die etwaige Fortbewilligung der Tagegelder, keine Erwähnung gefunden hatte. Deshalb gerade richtete er sein Gesuch vom 25. Juni an die Oberpostdirektion. Wenn ihm kurze Zeit darauf nicht von dieser, sondern von dem Postamte 12 ohne Erwähnung seiner Eingabe und ohne Beantwortung ihres Inhaltes Urlaub bewilligt wurde, so war er unter diesen Umständen nicht zu der Annahme berechtigt, daß seiner Bitte um Fortgewährung der Tagegelder entsprochen war. Wollte er von dem Urlaube nur unter dieser Voraussetzung Gebrauch machen, so mußte er sich über deren Eintritt oder Nichteintritt und über das Schicksal seines Gesuches durch Nachfrage Sicherheit zu verschaffen suchen."