RG, 03.12.1918 - VI 248/18

Daten
Fall: 
Klage auf Ersatz des Vertrauensinteresses
Fundstellen: 
RGZ 94, 195
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
03.12.1918
Aktenzeichen: 
VI 248/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

Kann, nachdem die Klage des Gläubigers gegen den Bürgen wegen Irrtums des Bürgen rechtskräftig abgewiesen worden ist, die spätere Klage auf Ersatz des Vertrauensinteresses deshalb abgewiesen werden, weil der im Vorprozesse für erwiesen erachtete Irrtum nicht erwiesen sei?

Gründe

"Auf Grund einer Urkunde vom 4. Mai 1904 hatte die Klägerin die Beklagten als Bürgen in einem Vorprozesse, der durch diesseitiges Urteil vom 16. Januar 1911 (RGZ. Bd. 75 S. 271) abgeschlossen worden ist, in Anspruch genommen. Die Klage wurde auf Grund der §§ 119 Abs. 1, 1280 BGB. und einer von den Beklagten rechtzeitig erklärten Anfechtung (§§ 142, 143) abgewiesen, weil, wie für erwiesen erachtet wurde, die Bürgen bei der Bürgschaftsleistung irrtümlich angenommen hätten, daß dem Gläubiger vom Hauptschuldner ein Forderungspfandrecht gültig bestellt worden sei, was in Wahrheit wegen Unterlassung der dafür in § 1280 vorgenommenen Anzeige nicht zutraf.

Im vorliegenden Rechtsstreite sucht die Klägerin als Gläubigerin Schadensersatz bei den Bürgen für deren entgangene Bürgschaftshaftung, und zwar auf verschiedener rechtlicher Grundlage. In der Revisionsinstanz interessiert davon nur noch ein rechtlicher Gesichtspunkt, der des § 122 BGB., auf dessen Abs. 2 die Beklagten zwei Einwendungen gestützt haben. Zum ersten: die Klägerin habe den Grund der Anfechtbarkeit, d. i. die Unkenntnis der Bürgen von der Unwirksamkeit der Forderungspfändung kennen müssen. Durch Zwischenurteil vom 18. Juni 1917 hat das Berufungsgericht hierüber dahin befunden, daß es im Verhältnis der Parteien zueinander nicht Sache der Klägerin, sondern der Beklagten gewesen wäre, sich über die Erstattung der Anzeige, nach § 1280 zu vergewissern. Gegen diese Entscheidung (über fahrlässige Unkenntnis) ist kein Angriff erhoben worden.

Zum anderen haben die Beklagten die Klage damit bekämpft, daß die Klägerin jenen Irrtum der Beklagten über die Forderungspfändung selbst hervorgerufen habe und deshalb, auch wenn dies ohne Verschulden (§ 276 BGB.) geschehen sei, den Schadensersatz nach § 122 nicht fordern könne. Mit diesem Einwande befaßt sich das Endurteil des Berufungsgerichts vom 17. Juni 1918. Es betrachtet ihn an und für sich als erheblich, und dies mit Recht, wofür auf die rechtsgrundsätzlichen Ausführungen in RGZ. Bd. 81 S. 398/399 verwiesen sei. Auf Grund einer von ihm gepflogenen Beweisaufnahme indessen hält es für nicht erwiesen, daß die Beklagten bei der Verbürgung über das Bestehen einer wirksamen Verpfändung überhaupt im Irrtum gewesen seien. Sie hätten eine solche nur in Aussicht genommen, aber kein Anhalt bestehe dafür, daß sie sie schon als zustande gekommen angenommen hätten. Sei mithin schon kein Irrtum der Bürgen über die Wirksamkeit. der Verpfändung dargetan, so könne auch nicht behauptet werden, die Klägerin habe einen solchen Irrtum verursacht. Das Klagebegehren wurde mithin für begründet erachtet.

Hiernach liegt zwischen dem jetzt angefochtenen Urteile des Oberlandesgerichts Hamburg und dem im Vorprozeß ergangenen Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom 6. Oktober 1909 in den tatsächlichen Voraussetzungen der Beurteilung ein Widerstreit vor. Während früher angenommen wurde, die Beklagten hätten zur Zeit der Verbürgung die Hauptforderung bereits als durch die Forderungsverpfändung gesichert angesehen, haben sie nach jetziger Annahme des Tatrichters eine solche Sicherung nur erhofft, während für nicht bewiesen erachtet wird, daß die Beklagten sie schon als bestehend angenommen hätten, als sie sich verbürgten.

Diese Abweichung des jetzt angefochtenen Urteils von der tatsächlichen Grundlage des Vorprozesses hält die Revision für unzulässig. Für den Fall einer Rückkehr zu jener aber will die Revision dem Beweisergebnis des vorliegenden Rechtsstreits den Umstand entnehmen, daß die Klägerin zur Zeit der Verbürgung um das Nichtbestehen der Verpfändung gewußt habe, daher die Klage gemäß § 122 Abs. 2 wegen Kennens des Anfechtungsgrundes abzuweisen sei.

Die Revision war zurückzuweisen, da die beanstandete Abweichung von den tatsächlichen Annahmen des Vorprozesses rechtlich für zulässig zu erachten ist. Die Revision hat dagegen ausgeführt: Da der Erfolg der Anfechtung im Vorprozesse darauf beruht habe, daß die Beklagten bei der Verbürgung von dem Bestehen des Forderungpfandrechts ausgegangen seien, so müsse die Klägerin dies gegen sich gelten lassen, wenn sie aus der geschehenen und erfolgreichen Anfechtung -- wie hier -- Rechte herleite. Ob jener Anfechtungsgrund tatsächlich vorhanden war, sei jetzt nicht nochmals zu prüfen, andernfalls würde der ganze Vorprozeß bedeutungslos werden und Widerspruch entstehen. Dieser Erwägung ist indessen Sachdienliches nicht zu entnehmen. Für eine Bindung des Gerichts im vorliegenden Rechtsstreit an die Ergebnisse der tatsächlichen Würdigung im Vorprozesse fehlt es an einer rechtlichen Grundlage. Im besonderen ist eine solche nicht unter dem Gesichtspunkte der Rechtskraft der den Vorprozeß abschließenden Urteile zu gewinnen (§ 322 ZPO.). Ohne weiteres erhellt, daß im Vorprozeß ein anderer Anspruch zur Entscheidung stand, als hier: dort die Bürgschaftsforderung, hier Schadensersatz für deren Wegfall. Die erste Voraussetzung des § 322, daß über den durch die Klage oder Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist, trifft mithin schon nicht zu. Aber auch keiner der in der Rechtsprechung gleichgestellten Fälle, wo das Bestehen oder Nichtbestehen des früher beurteilten Anspruchs die Voraussetzung des jetzt erhobenen bildet (vgl. u. a. RGZ. Bd. 49 S. 33, Bd. 50 S. 417, Bd. 80 S. 323) und deshalb jenes Bestehen oder Nichtbestehen nicht in Frage gezogen werden kann, liegt hier vor. Denn es handelt sich bei dem in Rede stehenden Revisionsangriff lediglich um eine tatsächliche Feststellung, die dem früheren Urteile zugrunde gelegen hat. Eine solche aber erwächst nicht in Rechtskraft. Vielmehr kann der Richter zur Entscheidung einer anderen Streitfrage den früher geführten Beweis einer erneuten und selbständigen Prüfung unterziehen, ausgenommen die nach § 256 ZPO. erwirkte Feststellung der Echtheit einer Urkunde. Ist z.B. (Hellwig, System des Zivilprozesses § 231) der Anspruch des Verkäufers wegen arglistiger Täuschung abgewiesen, so steht diese nicht rechtskräftig fest für den Fall, daß der Käufer auf Schadensersatz wegen Betrugs klagt. Für den hier neu erhobenen Ersatzanspruch stand auf Grund des Vorprozesses nur eine der rechtlichen Voraussetzungen fest und durfte nicht mehr in Zweifel gezogen werden: das Nichtbestehen des aberkannten Bürgschaftsanspruchs. Die besonderen weiteren Voraussetzungen des vorliegenden Ersatzanspruchs waren selbständig zu prüfen; für die tatsächlichen Vorgänge und Zustände, auf deren Bejahung oder Verneinung die Entscheidung der Rechtsfrage im Vorprozesse beruhte, gibt es keine Rechtskraft (Stein, ZPO. § 322 V). Daran kann es auch nichts ändern, daß der neue Klaganspruch selbst sich auf die durch das frühere Urteil geschaffene Rechtslage stützt. Auch gegenüber solcher Klage ist die Beurteilung der Tatsachen durch das Gericht frei.

Hiernach bleibt es für das angefochtene Urteil dabei, daß ein Irrtum der Beklagten über das Bestehen des Forderungspfandrechts nicht erwiesen ist. Damit wird der Einwand, die Klägerin habe solchen Irrtum ihrerseits verursacht oder darum gewußt, von selbst erledigt."...