RG, 07.12.1918 - I 141/18
1. Zur Auslegung der Hamburger Kriegsklausel von 1905.
2. Kann der Abandon auf Bedrohung mit einer Art von Totalverlust gestützt werden, die als solche dem Versicherer nicht zur Last fällt? Was ist zur Bedrohung mit Konsistation erforderlich?
Tatbestand
Der Kläger ist Inhaber der Police vom 27. März 1915, auf welche die Beklagten dem Inhaber für Rechnung wen es angeht 44000 M auf 5 Faß gesalzene Schafsdärme nach den Hamburger Allg. Seeversicherungsbedingungen von 1867 einschließlich Kriegsrisiko gemäß der Hamburger Kriegsklausel im neutralen Dampfer von Dedeagatsch nach Venedig und weiter per Bahn nach Deutschland oder der Schweiz versichert haben. In der Kriegsklausel heißt es:
Die Police deckt (auch) die durch die Klausel "Nur für Seegefahr" ausgeschlossenen Gefahren, jedoch haftet der Versicherer nicht:
- für Kosten...
- für die nachstehenden Folgen eines durch Kriegsgefahr verursachten Aufenthalts: Verderb und Verminderung der Güter, sowie andere Schäden, die während der Ausladung und Lagerung der Güter eintreten, soweit solche Schäden durch die Klausel "Nur für Seegefahr" (§ 101 nebst Zusatz) gedeckt sind bzw. gedeckt werden können. Die der ersten Bestimmung entgegenstehenden Vorschriften des § 70 sub 3 werden aufgehoben.
- Für die Auferlegung von Zöllen...
Die Konnossemente sollten lauten "von neutralen Abladern an italienische Empfänger". Die Ware ist im Juli 1915 in Venedig angekommen und lagert seither dort bei dem Spediteur Marcello. Versuche des Klägers und seiner Schweizer Beauftragten, sie aus Italien nach der Schweiz weiterzubefördern oder in Italien zu verkaufen, sind erfolglos gewesen. Nach Behauptung des Klägers ist sie wegen des Kriegszustandes mit Österreich und Deutschland von der italienischen Regierung angehalten worden.
Der Kläger stützt sich in erster Linie auf Totalverlust, da die Ware inzwischen durch inneren Verderb völlig entwertet sei. Er hat aber zugleich am 24. Dezember 1915 den Abandon erklärt und verlangt daraufhin die Versicherungssumme, indem er eventuell Sicherheitsleistung anbietet. Infolge der Anhaltung sei die Ware mit Totalverlust, jedenfalls durch die Gefahr des Verderbens oder der Beschädigung bedroht; es sei aber auch anzunehmen, daß die italienische Regierung sie einziehen werde, da Schafdärme sich zu Kriegszwecken, sei es im medizinischen Betriebe sei es zur Wurstfabrikation, verwenden ließen. Vermutlich sei diese Einziehung inzwischen auch erfolgt.
Die Beklagten bestreiten, daß die Ware durch inneren Verderb untergegangen sei, machen aber auch geltend, daß sie hierfür gemäß der Hamburger Kriegsklausel nicht haften würden. Der Abandon sei gleichfalls unberechtigt, da die Ware nicht mit Totalverlust bedroht sei; sie sei auch nicht einmal von einer Verfügung von Hoher Hand betroffen, sie werde nur nicht während des Krieges aus Italien herausgelassen. Die Gefahr der Konfiskation bestehe nicht, zumal es sich nicht um einen Gegenstand des Kriegsbedarfs handle; zu medizinischen Zwecken seien gesalzene Därme nicht mehr verwendbar.
Die Klage ist in den Instanzen abgewiesen worden. Die Revision des Klägers wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:
Gründe
"Die auf den Totalverlust gestützte Klage ist mit Recht abgewiesen, einmal, weil das Berufungsgericht sich nicht davon hat überzeugen können, daß die Ware völlig vernichtet ist oder daß sie konfisziert wurde; sodann aber, weil der durch Kriegsaufenthalt verursachte Verderb nach der vorliegenden Kriegsklausel nicht dem Versicherer zur Last fällt. Der Auslegung der Kriegsklausel, wie sie das Berufungsgericht vorgenommen hat, kann freilich nicht beigetreten werden; sie wird von der Revision zutreffend beanstandet. Der Nebensatz in Nr. 2 "soweit solche Schäden usw." ist nur auf die Worte "andere Schäden", nicht auch auf die Worte "Verderb und Verminderung der Güter" zu beziehen. Die Nr. 2 der Klausel betrifft Schäden an der Ware selbst (im Gegensatze zu Kosten, Nr. 1) und enthält zwei Bestimmungen:
- soll für Verderb und Verminderung der Ware als Folge eines durch Kriegsgefahr verursachten Aufenthalts nicht gehaftet werden. Zu dieser "ersten Bestimmung" wird zur Sicherheit im Schlußsatze bemerkt, daß die ihr entgegenstehenden Vorschriften des § 70 sub 3 aufgehoben werden;
- soll für andere Schäden, die während der Ausladung und Lagerung der Güter eintreten, insoweit nicht gehaftet werden, als sie durch die Klausel "nur für Seegefahr" gedeckt sind bzw. gedeckt werden können.
Die erste Bestimmung entspricht der allgemeinen Neigung der Versicherer, die Tragung jedes Schadens abzulehnen, der durch eine Verzögerung der Reise verursacht wird, welche auch in dem insoweit auf der Hamburger Tagung von Oktober 1918 angenommenen Entwurfe der Allg. Deutschen Seeversicherungsbedingungen von 1914 § 28 Satz 3 zum Ausdrucke gekommen ist. Sie schließt daher den hier angeblich vorliegenden Schaden, daß die Ware infolge der auf Kriegsgefahr beruhenden langen Lagerung durch inneren Verderb zugrunde gegangen sein soll, von der Versicherung aus. Insoweit wird § 70 Nr. 3. Allg. SVB. aufgehoben, während er für Verderb und Verminderung, die nicht auf Kriegsgefahr beruhen, unberührt bleibt.
Die zweite Bestimmung dagegen betrifft andere Schäden, und zwar solche, die an sich (abstrakt) sowohl auf Kriegs- wie auf reiner Seegefahr beruhen können. Im Sinne des allgemeinen Grundsatzes, daß nur solche Schäden zu Lasten des Kriegsversicherers sind, die zunächst durch Kriegsgefahr verursacht sind (Allg. SVB. § 101 Abs. 1), nimmt sie dann die nicht hierher gehörigen Schäden von der Kriegsklausel aus, indem sie sie als solche kennzeichnet, die unter die Klausel "nur für Seegefahr" fallen oder doch gemäß § 101 Allg. SVB. nebst Zusatz unter dieser Klausel mit Zusatzprämie gedeckt werden können. Es bleiben also übrig nicht durch Reiseverzögerung veranlaßte Schäden, die unmittelbar auf Kriegsgefahr beruhen, z. B. auf roher Behandlung bei einer durch die feindliche Regierung angeordneten Ausladung und Lagerung. Im vorliegenden Falle, wird nur ein auf Reiseverzögerung beruhender Schaden behauptet, wegen dessen die Versicherung versagt.
Auch bezüglich der Klage aus dem Abandon muß dem Berufungsgericht im Ergebnis beigetreten werden. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Ware als angehalten anzusehen ist, obwohl eine direkt gegen sie gerichtete Maßnahme der italienischen Regierung nicht dargetan werden kann, sie vielmehr nur durch die allgemeine Verhinderung der Ausfuhr derartiger Waren mitbetroffen ist. Kein Gewicht ist auf die Behauptung der Klägerin zu legen, daß es ihr nicht gelungen ist, die Ware in Italien zu verkaufen, denn diese Behauptung ist zu unbestimmt, um daraus eine Verfügung von Hoher Hand zu entnehmen. Mit Recht aber hat das Berufungsgericht verneint, daß die Ware durch die Verhinderung der Ausfuhr mit Totalverlust bedroht ist. In dieser Hinsicht kann die Möglichkeit, daß sie infolge der langen Lagerung verdirbt, nicht in Betracht gezogen werden, denn da die Beklagten sich wegen dieses Schadens, falls er wirklich eintritt, freigezeichnet haben, so können sie auch nicht dafür haftbar gemacht werden, wenn er nur droht (RGZ. Bd. 90 S. 146). Davon, daß die Ware der Gefahr der Konfiskation unterliegt und in einer darauf gerichteten Absicht festgehalten wird, hat sich das Berufungsgericht nicht überzeugen können. Die in dieser Hinsicht aufgestellten Behauptungen waren zu unbestimmt, um zu einem anderen Schlusse zu nötigen und eine Beweisaufnahme zu veranlassen. Im wesentlichen laufen sie darauf hinaus, daß die Ware zur Wurstfabrikation geeignet sein würde und aus diesem Grunde einen Anreiz zur Konfiskation bieten könnte. Diese Gefahr erklärt das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum für fernliegend, weil es sich nicht um eine direkt für Kriegszwecke verwendbare Ware handle. Daß eine Zerstörung des Lagerhauses und damit der Ware durch Geschosse, Feuersbrunst u. dgl. zu befürchten sei, ist eine neue Behauptung, die in den Instanzen nicht aufgestellt war. Dort ist nur ganz im allgemeinen auf die Möglichkeit der Beschädigung und des Verderbs hingewiesen." ...