RG, 06.12.1918 - VII 211/18

Daten
Fall: 
Schadensersatz wegen verspäteter Erfüllung
Fundstellen: 
RGZ 94, 203
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
06.12.1918
Aktenzeichen: 
VII 211/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

Wann kann außer wegen Nichterfüllung noch wegen verspäteter Erfüllung Schadensersatz gefordert werden?

Tatbestand

Der Beklagte hatte mit dem Bauunternehmer S. und dem Architekten M. in E. je einen Bauvertrag über zu errichtende Häuser abgeschlossen. Der Preis war bei S. auf 71000 M, bei M. auf 110000 M bedungen. Fertiggestellt sollten die Häuser bis zum 1. Oktober 1914 sein, widrigenfalls für jede angefangene Woche der Verspätung eine Vertragsstrafe von 100 M gezahlt werden sollte. Die Häuser sind nicht rechtzeitig fertig geworden. Am 1. April 1915 konnten sie zwar notdürftig von den Mietern des Beklagten bezogen werden, ein Rest von Arbeiten war aber auch dann noch zu leisten. S. stellte die Arbeit im Sommer 1915 ganz ein und weigerte sich ausdrücklich, sie fortzusetzen, als der Beklagte ihm eine am 15. September 1915 ablaufende Nachfrist setzte. M. starb am 4. April 1915; über seinen Nachlaß wurde Konkurs eröffnet, der Konkursverwalter lehnte es am 26. April 1915 ab, den Bauvertrag zu erfüllen. Der Beklagte hat darauf die noch rückständigen Arbeiten anderweit in der Zeit bis Anfang Januar 1916 ausführen lassen und dafür bei S. 5996,80 M, bei M. 13311,27 M aufgewendet.

Beide Unternehmer haben von dem ihnen zustehenden Preise größere Beträge an ihre Gläubiger abgetreten, darunter auch an die Klägerin. Im gegenwärtigen Rechtsstreite hat diese einen Betrag von 1500 M eingeklagt, den ihr S. am 12. Oktober 1914, und einen Betrag von 3000 M, den ihr M. am 12. Januar 1915 abgetreten hatte. In beiden Fällen ist der Beklagte von der Abtretung sofort benachrichtigt worden. Bevor ihm die Nachrichten zugingen, hatte der Beklagte an S. selbst 25312,19 M auf die Bausumme bezahlt; hinterher hat er in verschiedenen Teilbeträgen und - bis auf eine a conto-Zahlung von 175 M - zur Zahlung von Löhnen noch 3525 M an ihn entrichtet. Bei M. sind die entsprechenden Zahlen 32878.87 M und 6917,80 M. Der Abtretung von S. gehen andere Abtretungen im Betrage von 33 990,93 M im Range vor, der von M. andere im Betrage von 57256,65 M.

Der Beklagte hat die von ihm begehrten Zahlungen verweigert. Er macht sowohl gegenüber der S.schen. wie gegenüber der M.schen Forderung eine Vertragsstrafe von 5200 M für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1915 geltend. Wenn diese von den bedungenen Preisen in Abzug komme, habe er für die Hausbauten schon mehr aufgewendet, als S. und M. zu fordern hatten. Für den Fall, daß die Vertragsstrafen nicht in Ansatz kamen, berechne er als Schaden die erlittenen Mietausfälle. bei den S.schen Bauten 748,34 M, bei den M.schen 1333.75 M.

Das Landgericht sprach der Klägerin von der Forderung des S. 707,08 M, von der des M. 1803,04 M zu; einen dritten - für die Revisionsinstanz nicht mehr in Betracht kommenden - Anspruch auf Zahlung von 993 M wies es ab. Beide Parteien legten Berufung ein und hielten ihre erstinstanzlichen Anträge aufrecht. Das Oberlandesgericht hat der Klägerin die S.sche Forderung mit 1500 M, die M.sche Forderung mit 3000 M und von dem dritten Anspruch 97.30 M - alles nebst den geforderten Zinsen - zugesprochen, im übrigen die Klage abgewiesen. Die Revision des Beklagten, mit der er das Berufungsurteil anfocht, soweit er zu mehr als 97.20 M und Zinsen davon verurteilt worden war, wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Das Oberlandesgericht geht rechtlich bedenkenfrei davon aus, daß der Beklagte sowohl gegenüber S. wie gegenüber M., den beiden Rechtsvorgängern der Klägerin, Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlange, und daß die Unterlage für diese Ansprüche eine gegenseitige Abrechnung zu bilden habe. Unstreitig darf der Beklagte in diese zu seinen Gunsten einsetzen:

a) den Betrag der Zahlungen, die er an die Unternehmer vor Empfang der Nachricht von der Abtretung geleistet hat.
b) die Summe der von den Unternehmern abgetretenen und der Klägerin vorgehenden Forderungsanteile.
c) die zur Fertigstellung der Bauten selbst aufgewendeten Beträge.

und er muß - auch das ist unstreitig - zu seinen Ungunsten einsetzen den vereinbarten Werklohn. Danach stellt sich die Rechnung bei

S. M. zu a) 25312,19 M 32878,87 M
zu b) 33390,93 M 57256,65 M
zu c) 5996,80 M 13311,27 M
Summe 65299,92 M 103446,79 M
Werklohn 71000.- M 110000.- M
mithin an sich noch zu zahlen 5700,08 M 6553,21 M

Streitig ist der Ansatz zweier weiterer Posten, die der Beklagte zu seinen Gunsten berücksichtigt wissen will. Das sind

  1. die Vertragsstrafen von je 5200 M, an deren Stelle schlimmstenfalls die wirklich erlittenen Mietausfälle treten sollen.
  2. die nach Empfang der Nachricht von der Abtretung an die Unternehmer gezahlten Beträge.

Zu 1 führt das Oberlandesgericht aus, daß die Unternehmer gemäß § 328 BGB. und § 17 KO. ihrer Pflicht, die Bauten fertigzustellen, ledig geworden seien, deshalb auch nicht die für den Fall nicht rechtzeitiger Vollendung versprochene Vertragsstrafe zu zahlen brauchten. Gleichwohl billigt es den Beklagten den Ansatz der wirklich erlittenen Mietausfälle zu; die Wohnungen hätten statt, wie geplant, am 1. Oktober 1914, erst am 1. April 1915 bezogen werden können. Die Stellung des Oberlandesgerichts ist in sich widerspruchsvoll. Es will nach den angezogenen Belegstellen dem Beklagten grundsätzlich keinen Anspruch wegen verzögerter Erfüllung gewähren, tut es aber doch, indem es die Mietausfälle zuspricht. Sie sind nicht entstanden, weil S. und M. (oder vielmehr der Konkursverwalter) im September und im April 1915 schließlich nicht erfüllten, sondern weil sie bis zum 1. Oktober 1914, als der Anspruch auf Erfüllung noch bestand, nicht erfüllt hatten.

Richtig ist, daß Schadensersatz wegen Nichterfüllung und Schadensersatz wegen verzögerter Erfüllung nicht nebeneinander begehrt werden können. Es wird also stets zu prüfen sein, ob die Art, wie der Schadensersatz wegen Nichterfüllung berechnet wird, noch Raum läßt für einen Schadensersatz wegen verspäteter Erfüllung. Nebeneinander werden beide Forderungen gestellt, wenn sie gleichzeitig fällig geworden sein sollen. Einen solchen Fall hat das ROHG. Bd. 6 S. 194 entschieden. Der Käufer verlangte Schadensersatz wegen Nichterfüllung, weil ihm gewisse Papiere an einem 12. September nicht geliefert waren, und berechnete den Schaden aus dem Unterschiede zwischen dem Börsenwert am 12. September und dem Vertragspreis. Außerdem wollte er noch den Schaden ersetzt haben, den er erlitten, weil er eben am 12. September nicht in den Besitz der Papiere gekommen sei. Dies wurde abgelehnt. Ähnlich lag der vom ROHG. Bd. 13 S. 423 flg. entschiedene Fall. Auch hier wird das unzulässige Nebeneinander der beiden Ansprüche betont (S. 425). Dasselbe geschieht in der vom Oberlandesgerichte herangezogenen Bemerkung des Kommentars von RGR. zu BGB. § 341 Anm. 2. Den Gegensatz zu diesem Nebeneinander bildet das Nacheinander. In einem vom vormaligen preußischen Obertribunal entschiedenen Falle (Striethorst Arch. Bd. 46 S. 330) war eine Presse bis zum 10. September aufzustellen, sie wurde aber erst am 1. Oktober aufgestellt, genügte nicht und mußte schließlich vom Unternehmer zurückgenommen werden, nachdem der Besteller am 26. November seinen Rücktritt vom Vertrag erklärt hatte. Die Vertragsstrafe wegen verzögerter Lieferung wurde für die Zeit vom 10. September bis 1. Oktober zugebilligt, weil der Unternehmer sie an diesem Tage neben der ordnungsmäßigen Lieferung auch hätte bezahlen müssen; die mangelhafte Leistung könne ihn nicht nachträglich von der bereits verwirkten Strafe befreien. In dem RGZ. Bd. 2 S. 26 entschiedenen Falle waren Hölzer bis 10. Juli zu liefern; sie wurden erst im August und nur zum Teil geliefert; am 26. August erklärte der Käufer, daß er sich das Fehlende auf Kosten des Verkäufers beschaffen werde und sich den Anspruch auf Vertragsstrafe sowohl wegen Verspätung des Gelieferten, als auch für die Zeit bis zur anderweitigen Beschaffung des Fehlenden vorbehalte. Dieser letztere Anspruch wurde unter Berufung auf ROHG. Bd. 13 S. 425 abgesprochen, weil der Verkäufer nach dem Schreiben vom 26. August nicht mehr habe zu liefern brauchen, der Käufer jetzt also nur noch Schadensersatz wegen Nichterfüllung, aber nicht mehr Vertragsstrafe wegen verspäteter Lieferung fordern dürfe. Die Vertragsstrafe für die Zeit bis zum 26. August wurde hingegen an sich für verfallen erachtet und nur wegen mangelnden Vorbehalts bei der Abnahme der Teillieferung nicht zugesprochen; vgl. hierzu Rehbein, BGB. Bd. 2 S. 237 Anm. 14 a. E. Auf dem gleichen Standpunkte steht endlich das Urteil des II. Senats vom 29. Januar 1907. II. 335/06. Wenn der Käufer, heißt es dort, wegen Lieferungsverzugs des Verkäufers nach § 326 BGB. Schadensersatz wegen Nichterfüllung gewählt hat, dann kann er als Mindestbetrag auch dieses Schadens die bis zum Ablauf der Nachfrist verwirkte Vertragsstrafe fordern; vgl. hierzu Staub-Könige, HGB. 9. Aufl., Exkurs zu § 374 Anm. 57. Der Käufer darf also außerdem noch den weiteren Schaden berechnen, den er dadurch erleidet, daß beim Ablaufe der Nachfrist überhaupt nicht geliefert ist. Das vom Berufungsgerichte herangezogene Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg (ROLG. Bd. 17 S. 423) sagt richtig, daß der Besteller nach der Aufhebung des Vertrags nicht mehr die Strafe wegen Verspätung fordern dürfe; es versteht darunter aber, daß nach dem Zeitpunkte der Aufhebung die Strafe nicht mehr gefordert werden dürfe, während sie nur für den Zeitraum nach der Aufhebung nicht mehr gefordert werden darf.

In dem zur Entscheidung stehenden Falle hatte der Unternehmer S. die Bauten bis zum 1. Oktober 1914 fertigzustellen. Die ihm schließlich gesetzte Nachfrist lief am 13. September 1915 ab. An diesem Tage hätte er also an sich vollständige Erfüllung leisten und die Vertragsstrafe für die Zeit vom 1. Oktober 1914 bis 15. September 1919 zahlen müssen. Sein Nichtleisten kann seine Lage nicht verbessert haben, er muß also die einmal bis zum Ende der Nachfrist verwirkte Strafe zahlen und außerdem noch den durch sein Nichtleisten entstandenen Schaden ersetzen. Da der Beklagte freiwillig erklärt hat, wegen des Krieges die Vertragsstrafe erst vom 1. Januar 1915 ab fordern zu wollen, so hat S. also für die 36[5/7] = 37 Wochen (§ 4 des Vertrags) vom 1. Januar bis 15. September 1915 insgesamt 3700 M Vertragsstrafe zu zahlen.

Im Falle M. ist die Pflicht des Unternehmers, den Vertrag zu erfüllen, und das entsprechende Recht des Beklagten erst durch die die Erfüllung ablehnende Erklärung des Konkursverwalters erloschen. Die Konkurseröffnung allein hatte jene Wirkung noch nicht, sie schuf nur einen Schwebezustand, vgl. Jaeger, KO. 5. Aufl. zu § 17 Anm. 43. Ebensowenig hatte der Tod des M. jene Wirkung, wie die Revisionsbeklagte auszuführen sucht. Es handelt sich bei der Erfüllung eines Werkvertrags nicht um eine höchstpersönliche, sondern um eine auch durch einen Dritten erfüllbare Leistung. Die Verbindlichkeit zu dieser Leistung geht also auf den Erben über. Die Erfüllung ist vom Konkursverwalter am 26. April 1915 abgelehnt worden. Wenn M. oder vielmehr der Konkursverwalter an diesem Tage erfüllt hätte, so würde der Beklagte außer vollständiger Erfüllung die Vertragsstrafe für 16[3/7] = 17 Wochen (§ 4 des Vertrags) vom 1. Januar bis 28. April 1915 zu verlangen gehabt haben. Er kann also auch jetzt gegenüber der von M. an die Klägerin abgetretenen Forderung die Vertragsstrafe in Höhe von 1700 M geltend machen und außerdem den Schadensersatz wegen Nichterfüllung fordern. Die vom Beklagten nur in zweiter Linie geltend gemachten Mietausfälle können bei diesem Ergebnis nicht mehr in Ansatz kommen. Sie fallen in die Zeit, für die die Vertragsstrafe zu bezahlen ist.

Hilfsweise lehnt das Oberlandesgericht es ab, die Vertragsstrafen zu berücksichtigen, weil der Beklagte nicht behauptet habe, sie sich bei der Abnahme der Arbeiten vorbehalten zu haben. Dabei übersieht das Oberlandesgericht aber, daß die Unternehmer die übernommenen Arbeiten überhaupt nicht fertiggestellt haben, daß es zu einer Annahme als Erfüllung nicht gekommen ist, daß also der Anspruch auf Vertragsstrafe durch vorbehaltlose Annahme als Erfüllung nicht erlöschen konnte. Wenn der Beklagte im Laufe des Prozesses der Klägerin als der neuen Gläubigerin gegenüber erklärt hat, daß die von S. angefangenen Bauten Anfang Januar 1916 fertiggestellt seien, und daß er die von M. begonnenen Bauten als zu demselben Zeitpunkte fertiggestellt ansehen wolle, obwohl es tatsächlich nicht zutreffe, so liegt in diesen nicht einmal den Unternehmern gegenüber abgegebenen Erklärungen nicht, wie das Oberlandesgericht anzunehmen scheint, eine Annahme als Erfüllung, vielmehr nur die Ankündigung, daß jetzt die Unterlagen für die Schadensberechnung beisammen seien. Wo der Beklagte von den durch M. ausgeführten Bauten spricht, fährt er auch ausdrücklich fort: er wolle die Abrechnung der Bauten schon jetzt erfolgen lassen.

Die ermittelten Vertragsstrafen sind zugunsten des Beklagten in die oben aufgemachten Rechnungen einzusetzen, denn auch sie gehören zu den Einzelposten der gegenseitigen Abrechnung, sie sind nicht selbständige Forderungen, mit denen der Beklagte etwa gegenüber den eingeklagten Teilbeträgen seiner Schuld aufrechnen könnte. Werden die Vertragsstrafen in die am Eingange dieser Urteilsgründe aufgemachte Abrechnung eingestellt, so zeigt sich, daß immer noch Restbeträge von ihm verschuldet bleiben, aus denen er die von S. abgetretenen 1500 M und die von M. abgetretenen 3000 M zahlen müßte. Es kommt deshalb weiter darauf an," ... (folgt Zurückweisung des oben unter Nr. 2 wiedergegebenen Verlangens des Beklagten).