RG, 06.12.1918 - III 316/18

Daten
Fall: 
Pensionsfähige Dienstzeit
Fundstellen: 
RGZ 94, 198
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
06.12.1918
Aktenzeichen: 
III 316/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

Unter welchen Voraussetzungen ist in Preußen einem an einer staatlichen höheren Schule angestellten Oberlehrer bei seiner Versetzung in den Ruhestand auf die pensionsfähige Dienstzeit diejenige Zeit anzurechnen, während welcher er nach Bekleidung einer unbesoldeten Hilfslehrerstelle an einem staatlichen Gymnasium einen Kursus an einer Turnlehrerbildungsanstalt durchgemacht und demnächst ohne Beschäftigung zur Verfügung eines Provinzialschulkollegiums gestanden hat?

Tatbestand

Der Kläger, welcher am 1. April 1914 als Oberlehrer an dem staatlichen Gymnasium in C. in den Ruhestand trat, hatte nach Ablegung seines Probejahres eine unbesoldete Hilfslehrerstelle an dem staatlichen Gymnasium zu G. inne. Im Anschluß an sie nahm er vom 1. Oktober 1886 bis zum 31. März 1887 an einem Kursus an der Turnlehrerbildungsanstalt in B. teil. Während des darauf folgenden Jahres blieb er unbeschäftigt, obwohl er sich wiederholt dem Provinzialschulkollegium in B. zur Verfügung stellte. Diese 18 Monate sind bei Berechnung seines pensionsfähigen Dienstalters nicht berücksichtigt worden. Seine Pension wurde nach einem solchen von 29 Jahren festgesetzt, während er ihre Erhöhung nach Maßgabe eines Dienstalters von 301/2 Jahren beansprucht. Der Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten und der Finanzminister beschieden ihn abschlägig.

Dagegen gaben das Landgericht und das Oberlandesgericht seinem Klagebegehren statt. Die Revision des Beklagten blieb erfolglos.

Gründe

"Der erkennende Senat hat in dem Urteile vom 16. Januar 1914 (RGZ. Bd. 84 S. 54 flg.) mit eingehender Begründung dargelegt, daß die anstellungsfähigen Kandidaten des höheren Schulamts mit der Übernahme einer, sei es besoldeten, sei es unbesoldeten Hilfslehrerstelle an einer staatlichen höheren Schule unmittelbare Staatsbeamte werden und ebenso vor wie nach dem Inkrafttreten des Pensionsgesetzes vom 27. März 1872 auch von der Anstellungsbehörde als solche angesehen worden sind. Von dieser Ausfassung abzugehen, bieten die Ausführungen der Revision keinen Anlaß. Sie beruft sich für ihre abweichende Ansicht auf § 14 Nr. 5 PensG. in a. F., aus welchem hervorgehe, daß den Kandidaten jedenfalls während des Probejahres die Beamteneigenschaft gefehlt habe, da die Vorschrift, daß dieses der pensionsfähigen Dienstzeit zuzurechnen sei, sich anderenfalls erübrigt hätte. Eine Willensänderung der Unterrichtsverwaltung sei aber, so meint die Revision weiter, nicht anzunehmen, wenn sie dem Kandidaten im Anschluß an das Probejahr gestatte, auch nach dessen Erledigung einige Stunden in der Woche unentgeltlich Unterricht zu erteilen. Diese Erwägungen entbehren schon deshalb der Überzeugungskraft, weil die Rechtslage der Kandidaten während des Probejahres eine ganz andere ist als nach dessen erfolgreicher Beendigung. Das Probejahr dient ihrer praktischen Vorbereitung und der Bewährung ihres Lehrgeschickes. Nur soweit es zu diesem Zwecke erforderlich ist, werden sie unter der Leitung und Überwachung des Anstaltsdirektors zur Unterrichtserteilung herangezogen. Je nach dem Erfolg oder Mißerfolge dieser Lehrbetätigung hat ihnen das zuständige Provinzialschulkollegium nach Ablauf des Probejahres die Anstellungsfähigkeit zuzuerkennen oder zu versagen, d. h. darüber zu befinden, ob die Kandidaten zur Erfüllung der Amtspflichten eines Lehrers und Jugenderziehers geeignet seien oder nicht. Die Veränderung; welche die Zuerkennung der Anstellungsfähigkeit für die Rechtsstellung des Kandidaten zur Folge hat, ist von der Revision übersehen. Mit ihr endet der Vorbereitungsdienst der Kandidaten, mit ihr erlangen sie die Möglichkeit, als selbständige wissenschaftliche Hilfslehrer Verwendung zu finden und ein besoldetes Staatsamt zu erhalten. Es bedarf daher im vorliegenden Rechtsstreite keiner Entscheidung darüber, ob die Kandidaten der 1880er Jahre bereits mit dem Beginne des Probejahres in den Staatsdienst traten oder ob § 14 Nr. 5 PensG. in a. F. einer solchen Annahme entgegenstehe, denn jedenfalls für die Frage der Beamteneigenschaft der nach erlangter Anstellungsfähigkeit an höheren Staatsschulen als Hilfslehrer beschäftigten Kandidaten kann jener Vorschrift keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden. Mit dem Antritt einer besoldeten oder unbesoldeten Hilfslehrerstelle übernahmen sie zweifellos dem Staate, den Eltern der Kinder, welche sie unterrichteten, sowie den Kindern selbst gegenüber öffentlichrechtliche Pflichten und wurden ihnen gegenüber, z.B. in bezug auf das Züchtigungsrecht, auch mit öffentlichrechtlichen Befugnissen ausgestattet. Ist daher an dem im Urteile vom 16. Januar 1914 gewonnenen Ergebnisse festzuhalten, so ist der Kläger durch Ausübung der Hilfslehrertätigkeit am Gymnasium in G. unmittelbarer Staatsbeamter geworden.

Das Beamtenverhältnis ist aber, wie der erkennende Senat - und zwar in Übereinstimmung mit dem IV. Zivilsenate (vgl. RGZ. Bd. 41 S. 112, Bd. 47 S. 287) - wiederholt ausgesprochen hat, seinem Wesen nach ein dauerndes, das nur nach Maßgabe des Gesetzes oder der Anstellungsbedingungen endet, jedoch dadurch nicht unterbrochen wird, daß der Staat von den Diensten des ihm zur Verfügung stehenden Beamten zeitweise keinen Gebrauch macht (RGZ. Bd. 51 S. 304 flg., Bd. 86 S. 291). Auch daran ist festzuhalten. Die Revision vertritt die Ansicht, daß dieser Grundsatz, wenn er auch im übrigen zutreffend sei. auf Lehrer an höheren Schulen deshalb keine unbeschränkte Anwendung finden könne, weil vor der endgültigen Anstellung die Beschäftigung der jüngeren Oberlehreranwärter häufig wechsle, d.h. bald an staatlichen, bald an städtischen oder Stiftsanstalten stattfinde. Gerade diesem Umstande trage § 19a PensG. (Art. III des Gesetzes v. 25. April 1896) Rechnung. Aus ihm sei zu entnehmen, daß es für die Ruhegehaltsansprüche der Lehrer nicht auf ihre Beamteneigenschaft und deren Dauer, sondern nur darauf ankomme, ob sie im öffentlichen oder nichtöffentlichen Schuldienste tätig gewesen seien. Damit wird dem § 19a, eine Tragweite beigelegt, die ihm dem § 13 a. a. O. gegenüber nicht zukommt. Er beabsichtigte nicht, die bisherigen staatsrechtlichen Grundsätze über die Entstehung und Fortdauer des Beamtenverhältnisses der Lehrer abzuändern, sondern lediglich, die den Lehrern an staatlichen höheren Unterrichtsanstalten durch § 13 der Verordnung vom 28. Mai 1846 (GS. S. 214 flg., vgl. auch § 6 Abs. 2 PensG.) gewährleistete Anrechnungsfähigkeit der gesamten im öffentlichen Schuldienste verbrachten Zeit auch den Lehrern an nicht staatlichen höheren Schulen zugute kommen zu lassen, also eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichheit zu beseitigen (vgl. Drucks. des Abgeordnetenhauses 1896 N5 8 S. 7 flg.). § 19a hat also für die Berechnung der pensionsfähigen Dienstzeit der als unmittelbare Staatsbeamte in den Ruhestand tretenden Oberlehrer nur die Bedeutung, die vor seinem Inkrafttreten § 13 der angezogenen Verordnung für sie hatte.

Die Ministerialverfügung vom 15. Mai 1905 (U II 1234, bei Beier, Die höheren Schulen in Preußen, 3. Aufl. S. 1031) ordnete an, daß denjenigen Kandidaten, welche in Gemäßheit der Bestimmungen der Erlasse vom 7. August 1892 (U II 1383, Beier S. 604 flg.) und vom 22. November 1892 (U II 2100, Beier S. 609) zur Verfügung des Provinzialschulkollegiums gestanden hatten, bei der Pensionierung die Zeit von der Eintragung in die Anziennitätslisten bis zum Ausscheiden aus dem öffentlichen Schuldienst als öffentlicher Schuldienst anzurechnen sei. Aus diesen Verfügungen ist indessen, im Gegensatze zu der Auffassung der Revision hinsichtlich der Fortdauer der einmal erworbenen Beamteneigenschaft zuungunsten der Oberlehrer älterer Jahrgänge nichts zu entnehmen. Ihnen sollte und konnte durch sie der im § 13 PensG. zugelassene Nachweis dafür, zu welchem Zeitpunkte sich ihr Eintritt in den Staatsdienst vollzogen habe, nicht abgeschnitten werden. Für die Annahme, daß die Beamtenstellung eines Lehrers nicht dieselben öffentlichrechtlichen Wirkungen äußere wie die anderer Beamtengruppen, bieten daher die beiden Verfügungen vom 7. August 1892 und 15. Mai 1905 sowie die Ordnung betreffend die Verhältnisse der anstellungsfähigen Kandidaten für das Lehramt an höheren Schulen vom gleichen Tage (U II 1234, Beier S. 613 flg.) nicht den geringsten Anhalt. Daß übrigens über die den Provinzialschulkollegien zur Verfügung stehenden Kandidaten auch schon vor 1892 Listen in irgendeiner Form geführt wurden und geführt werden mußten, erhellt nicht nur aus der Natur der Sache, sondern auch aus früheren Ministerialerlassen. Schon der Erlaß vom 14. Oktober 1884 (Zentralbl. f. d. gesamte Unterrichtsverwaltung Preußens 1885, S. 186) verlangte eine angemessene Berücksichtigung des Dienstalters der Kandidaten des höheren Schulamts, die sich dem Provinzialschulkollegium zur Verfügung gestellt hatten, bei der Vergebung von Kommissorien und bei der Anstellung. Eine solche war nur möglich, wenn eine urkundliche Unterlage über die Zahl, die Namen und das Dienstalter der dem Provinzialschulkollegium zur Verfügung stehenden Kandidaten vorhanden war oder nunmehr geschaffen wurde. Der Erlaß vom 5. Februar 1891 (Zentralbl. S. 294) schärfte die Befolgung der erwähnten Verfügung von 1884 ein und forderte eine Zusammenstellung aller an staatlichen Lehranstalten entgeltlich beschäftigten oder zu einer solchen Beschäftigung "notierten" Kandidaten, setzte also das Vorhandensein von Kandidatenlisten voraus. Hieran schließt sich die Verfügung vom 7. August 1892, welche die Meldepflicht derjenigen Kandidaten regelte, die eine Anstellung im preußischen höheren Schuldienste wünschten, und auch Bestimmungen für diejenigen traf, bei denen die Voraussetzungen für die Meldung schon vor dem Erlasse der Verfügung vorlagen, die aber trotzdem sich bisher bei keinem Provinzialschulkollegium "zur Aufnahme in die Anziennitätsliste" gemeldet hatten. Es ist daher nicht richtig, daß, wie die Revision meint, der Eintragung in sie vor dem Jahre 1892 keinerlei Bedeutung beizumessen sei. Sie gewährte dem Provinzialschulkollegium nicht nur eine Übersicht über die ihm zur Verfügung stehenden Kandidaten, sondern ermöglichte es ihm auch, mit ihnen jederzeit in unmittelbare amtliche Beziehungen zu treten, stellte also ein, wenn auch noch so loses Band zwischen dem Provinzialschulkollegium und den Kandidaten während der Dauer ihrer Nichtbeschäftigung her. Jedenfalls läßt sich die Listenführung vor 1892 nicht für die Auffassung der Revision verwerten, daß damals das Beamtenverhältnis eines Hilfslehrers an einer staatlichen höheren Schule stets mit dem Aufhören seiner Hilfslehrertätigkeit endete. Dazu bedurfte es vielmehr des Hinzutritts anderer Umstände, an denen es hier indessen fehlt.

Der Kläger hatte sich auf eine Anregung des Ministers hin zu einem Kursus bei der Turnlehrerbildungsanstalt gemeldet. Die Meldung erfolgte ebenso in seinem Interesse wie in dem des Staates, dem daran liegen mußte, tüchtige Kräfte für den Turnunterricht zu gewinnen und auszubilden. Die Entscheidung über die Zulassung des Klägers hatte dessen vorgesetzte Behörde zu treffen. Sie fiel zu seinen Gunsten aus und wurde ihm amtlich mit der Anweisung mitgeteilt, sich rechtzeitig am 1. Oktober 1888 bei dem Leiter des Turnunterrichts zu melden. In diesem Verhalten der Unterrichtsverwaltung liegt die unzweideutige Erklärung, daß sie für die Dauer des Kursus den Kläger von seiner bisherigen Tätigkeit wie überhaupt von jeder Dienstleistung für den Staat entbinde, d. h. ihn zu seiner Ausbildung als Turnlehrer auf 6 Monate beurlaube. Eines besonderen Zusatzes, daß das ohne Beeinträchtigung seiner durch den Eintritt in den Staatsdienst erworbenen Rechte geschehe, bedurfte es nicht, da es einem anerkannten öffentlichrechtlichen Grundsatz entspricht, daß diese ihm wie jedem anderen Beamten wider seinen Willen nur nach Maßgabe des Gesetzes genommen oder geschmälert werden können. Unter den geschilderten Umständen bildete die Unterbrechung der dienstlichen Tätigkeit keinen gesetzlichen Grund für die des Beamtenverhältnisses. Weder der Kläger hatte seinen Willen, aus dem Staatsdienst auszuscheiden, noch der Beklagte seine Absicht, ihn daraus zu entlassen, kundgetan.

Daß der Kläger nach Beendigung des Turnkursus zunächst nicht wieder als Hilfslehrer beschäftigt wurde, war nicht seine Schuld, sondern beruhte auf dem freien Entschlusse seiner vorgesetzten Behörde. Er hat sich in der Zeit vom 1. April 1887 bis zum 31. März 1888 dem Provinzialschulkollegium in B. dreimal zur Verfügung gestellt. "Damit sei". - so führt die Revision aus, - "aber nicht gesagt, daß er zur Verfügung des Provinzialschulkollegiums gestanden habe." Es ist indessen nicht ersichtlich, was der Kläger denn anders hätte tun sollen, als seine Dienste dem Provinzialschulkollegium anzubieten und sich wiederholt zur Annahme einer Hilfslehrerstelle bereit zu erklären. Daß er tatsächlich nicht dazu bereit gewesen sei, hat der Beklagte selbst nicht behauptet. Für die Frage der Bereitschaft des Klägers, den Anweisungen des Provinzialschulkollegiums jederzeit nachzukommen, ist selbstverständlich auch der von der Revision hervorgehobene Umstand ohne Belang, daß dieses ihn zur Annahme einer bestimmten Hilfslehrerstelle nicht hätte zwingen und ihrer Ansicht nach eine Gehorsamsverweigerung nach dieser Richtung disziplinarisch nicht hätte ahnden können. Denn eine solche Weigerung liegt nicht vor. so daß eine Erörterung über deren etwaige Rechtsfolgen sich erübrigt." ...