RG, 22.11.1918 - III 226/18

Daten
Fall: 
Verschulden beider Vertragsparteien
Fundstellen: 
RGZ 94, 140
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
22.11.1918
Aktenzeichen: 
III 226/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

1. Findet § 254 Abs. 1 BGB. Anwendung, wenn ein Verschulden beider Vertragsparteien für das spätere Leistungsunvermögen des einen Teiles ursächlich geworden ist?
2. Ist es dem Verkäufer unter allen Umständen als Verschulden anzurechnen, wenn er während des Annahmeverzugs des Käufers das diesem verkaufte Fuhrunternehmen aufgibt?
3. Ist ein Selbsthilfeverkauf wirksam angedroht, wenn die Androhung dem einen Mitkäufer nur persönlich und nicht auch ausdrücklich in seiner Eigenschaft als Bevollmächtigter des zweiten Mitkäufers zugestellt wird?
4. Richterliche Fragepflicht.

Tatbestand

Der Kläger, welcher seit vielen Jahren für das Sägewerk der G.schen Erben die erforderlichen Fuhren leistete, behauptet, er habe im Januar/Februar 1914 das Fuhrunternehmen nebst verschiedenen Pferden, Wagen und Geschirren an die beiden ursprünglichen Beklagten für 9000 M verkauft. Im vorliegenden Rechtsstreite verlangt er das Restkaufgeld von 8700 M, während die Beklagten, welche den Abschluß eines festen Kaufvertrags bestreiten, nicht nur Klagabweisung, sondern im Wege der Widerklage auch Rückgewähr der geleisteten Anzahlung von 300 M begehren. Das Landgericht machte die Entscheidung von einem richterlichen Eide des Klägers über die von ihm behaupteten Vereinbarungen abhängig, das Oberlandesgericht wies die Klage ab, weil der Kläger seine Erfüllungsunmöglichkeit selbst verschuldet habe, und gab der Widerklage statt. Auf die Revision des Klägers wurde das Berufungsurteil aufgehoben, aus folgenden Gründen:

Gründe

"Der Berufungsrichter sieht auf Grund einer umfangreichen Beweisaufnahme für erwiesen an, daß ein Kaufvertrag des von dem Kläger behaupteten Inhalts zustande gekommen und daß der Kläger im März 1914 mit Rücksicht auf die damalige Bereitwilligkeit der G.schen Verwaltung, den Beklagten die Holzfuhren zu übertragen, in der Lage und Willens gewesen sei, die ihm obliegenden Vertragsleistungen zu bewirken, daß es dazu aber lediglich deshalb nicht gekommen sei, weil die Beklagten sich unbegründeterweise geweigert hätten, die ihnen wiederholt angebotene Vertragserfüllung gegen Zahlung des Restpreises anzunehmen. Da diese Feststellungen ebensowenig zu beanstanden sind wie die aus ihnen gezogene rechtliche Folgerung, daß die Beklagten in Gläubigerverzug geraten seien (§§ 293, 295 BGB.), so ist für die Annahme der Revision, der Kläger habe den Vertrag in bezug auf dessen Hauptgegenstand, das Fuhrunternehmen, erfüllt, kein Raum.

Die Beklagten haben indessen nicht nur im Gläubigerverzuge verharrt, sondern der im April 1914 erhobenen Klage gegenüber auch auf das Hartnäckigste bestritten, daß sie überhaupt bindende Vereinbarungen mit dem Kläger getroffen hätten. Dieser hat dagegen bis zum 1. Dezember 1915 das Fuhrgeschäft persönlich in der bisherigen Weise fortbetrieben und ist daher mindestens bis dahin, d. h. 20 Monate lang trotz des vertragswidrigen Verhaltens der Beklagten - denn für das Gegenteil ist dem festgestellten Sachverhalte nichts zu entnehmen - erfüllungsbereit und erfüllungsfähig gewesen. Alles das hat aber bei der weiteren Beurteilung der Rechtslage keine Berücksichtigung gefunden, obgleich es, wie die Revision zutreffend hervorhebt, zu einer Prüfung der Frage genötigt hatte, ob neben dem vom Oberlandesgericht angenommenen Verschulden des Klägers nicht auch ein solches der Beklagten für seine spätere Leistungsunfähigkeit mitursächlich geworden und ob diese, wenn man zu einer Bejahung gelangt, nur von einem Teile oder anteilsmäßig von beiden Parteien zu vertreten sei. Daß in einem solchen Falle die vollständige oder teilweise Anwendung des § 324 oder des § 325 BGB. sich nach den Grundsätzen des § 254 a. a. O. richte und bestimme, ist bereits vom II. Zivilsenat im Urteile vom 21. Mai 1909 (RGZ. Bd. 71 S.188 flg.) ausgesprochen. Daran ist festzuhalten. Denn nur auf diesem Wege läßt sich eine einwandfreie, ebenso dem Inhalt und Zwecke der §§ 324, 325 BGB. wie der Billigkeit entsprechende Grundlage für die Entscheidung finden. Der Gesetzgeber hat den Fall der schuldhaften Mitwirkung beider Vertragsparteien an dem späteren Erfüllungsunvermögen des einen Teiles nicht ausdrücklich behandelt. Er brauchte es aber auch nicht, weil der in dem § 254 BGB. verkörperte allgemeine Rechtsgedanke die Möglichkeit bot, den Einfluß, welchen das Verhalten des einen und das des anderen Teiles auf das Unmöglichwerden der gerade in Betracht kommenden Leistung ausgeübt hat, in gerechter Weise abzuwägen und die Vertretungspflicht nach den Gesamtumständen des Falles und den Forderungen und Bedürfnissen des Verkehrs zu regeln.

Ist danach der Vorwurf einer Verletzung der §§ 324, 325, 254 BGB. gerechtfertigt, so ist auch den weiteren, gegen die Feststellung eines klägerischen Verschuldens gerichteten Revisionsangriffen der Erfolg nicht zu versagen. Der Kläger hatte während des Verzugs der Beklagten nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit einzustehen (§ 300 BGB.). Ob der Berufungsrichter dieser dem § 276 BGB. gegenüber abgeschwächten Haftung des Schuldners sich voll bewußt gewesen ist, erhellt mangels einer Erörterung über die Art und den Grad des klägerischen Verschuldens aus den Urteilsgründen nicht. Es ist davon auszugehen, daß der Kläger, wie der Mitbeklagte D. in seinem an die Forstverwaltung der G.schen Erben gerichteten Schreiben vom 28. Februar 1914 anerkannt hat, das Fuhrgeschäft krankheitshalber auf die Beklagten übertragen wollte. Er hat aber weiter behauptet, daß er bereits hochbetagt und in den Jahren 1914 und 1915 wiederholt erkrankt sei. Deshalb sowie wegen der durch den Krieg hervorgerufenen Futter- und Leutenot habe er persönlich den Fuhrbetrieb für die G.schen Erben schließlich nicht mehr ausüben können und im Dezember 1915 in bezug auf ihn den M. zu seinem Vertreter und zum Platzhalter für die Beklagten bis zur Erledigung des vorliegenden Rechtsstreits bestellt. Das letztere hat M. in dem Schriftstücke vom 6. August 1917 mit dem Zusatze bestätigt, er habe mit einer so langen Dauer des Prozesses nicht gerechnet und deshalb den Fuhrbetrieb, den er nur dem Kläger zu Liebe übernommen habe, Ende März 1917 wieder aufgegeben. Das Oberlandesgericht unterstellt die Richtigkeit der M.schen Angaben, hält sie aber nicht für geeignet, den Kläger zu entlasten, weil er einerseits für die Schwere seines Leidens und für die dadurch bedingte Unmöglichkeit der Fortführung des Fuhrgeschäfts keinen Beweis angetreten habe und weil anderseits in ländlichen Bezirken genügende Futtermengen und eine hinreichende Anzahl zum Lenken von Fuhren geeigneter Personen vorhanden gewesen seien. Die letztere Erwägung steht nicht nur mit dem, was hinsichtlich der Ernährung der Zugtiere und des Mangels an Arbeitskräften auf dem Lande in den Jahren 1916 und 1917 allgemein bekannt geworden ist, in Widerspruch, sondern läßt vor allem auch jeden tatsächlichen Anhalt dafür vermissen, daß die günstige Auffassung des Berufungsrichters gerade für die Verhältnisse in Z., dem damaligen Wohnorte des Klägers, zutraf.

Zwar hat der Kläger für einzelne seiner Behauptungen keine Beweismittel benannt. Das begründete aber unter den obwaltenden Umständen für den Berufungsrichter die Pflicht, in Gemäßheit des § 139 ZPO. das Fragerecht auszuüben. Denn wenn sich alles das als wahr erweist, was der Kläger über die Gründe der Aufgabe des Fuhrbetriebes und über sein Abkommen mit M. vorgetragen hat, wenn er also trotz schlechten Gesundheitszustandes und trotz der Ungunst der wirtschaftlichen Verhältnisse den Beklagten drei Jahre lang die Möglichkeit offen gehalten hat, ihren Verzug zu heilen und das Fuhrgeschäft zu übernehmen, so liegt hinreichender Anlaß zu erneuter Prüfung der Frage vor, ob dem Kläger nach Treu und Glauben anzusinnen war, auf jeden Fall und in anderer Weise, als er es getan hat, für die Sicherung dieser Möglichkeit auch über den März 1917 hinaus zu sorgen und ob ihr schließlicher Wegfall unter den gegebenen Umständen überhaupt auf ein Verschulden des Klägers im Sinne des § 300 BGB. zurückzuführen sei.

Mit Recht bekämpft die Revision endlich auch die Erwägungen, mit welchen das Oberlandesgericht die Unwirksamkeit des Selbsthilfeverkaufs (§ 383 BGB.) begründet. Unstreitig ist er durch das Schreiben vom 23. November 1915 dem Mitbeklagten G. angedroht worden. War dieser aber, wie der Kläger behauptet, von D. beim Eintritt in den Heeresdienst mit der Wahrnehmung seiner Interessen und seiner Vertretung Dritten gegenüber betraut worden, so hatte der Tod des Machtgebers nicht ohne weiteres das Erlöschen der Vollmacht zur Folge. Ob und wann sie endete, bestimmte sich vielmehr nach dem ihrer Erteilung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis, nach dem Anlaß und Zwecke der Vollmacht. Eine Prüfung nach dieser Richtung hat das Oberlandesgericht unterlassen und dadurch gegen §168 BGB. verstoßen. Daß für die Beurteilung der Rechtslage und des Willens der Beteiligten deren persönliche und wirtschaftliche Beziehungen zueinander von erheblicher Bedeutung sein können, bedarf kaum der Erwähnung.

Für den Fall der Fortdauer der Vollmacht über den 22. November 1915 hinaus war es aber für die Wirksamkeit der Verkaufsandrohung (§ 384 BGB.) ohne Belang, daß sie dem G. nicht ausdrücklich auch in seiner Eigenschaft als Vertreter des D. zugestellt wurde. Nach ihrem Inhalt und den sonstigen Umständen des Falles konnte G. nicht in Zweifel sein, daß sie sich wie gegen ihn so auch gegen seinen Machtgeber als den Mitkäufer des zu versteigernden Inventars richtete. Damit war der Zweck der Androhung, die beiden Gläubiger in die Lage zu versetzen, die Versteigerung zu verhindern und die Pferde sich zu erhalten, erfüllt. Die entgegengesetzte Ansicht des Berufungsgerichts legt der äußeren Form des Benachrichtigungsschreibens ein zu großes Gewicht bei und stellt an dieses Anforderungen, die über das hinausgehen, was unter Berücksichtigung der Interessen des Schuldners und des Gläubigers nach dem Sinne und Zwecke des Gesetzes für notwendig, aber auch für genügend zu erachten ist. Diese Erwägungen treffen selbstverständlich erst recht für die beiden Briefe zu, welche der Kläger nach der Einziehung des D. noch zu dessen Lebzeiten durch K. und P. an G. gerichtet und in denen er ihn unter Androhung der Versteigerung zur Abnahme des Inventars aufgefordert haben will. Das war unter allen Umständen erheblich, und die dafür angetretenen Beweise hat das Oberlandesgericht unter Verstoß gegen § 286 ZPO. unbeachtet gelassen. Erheblich war auch die Eideszuschiebung über wiederholte mündliche Verkaufsandrohungen, welche der Kläger seiner Behauptung nach im Laufe des Jahres 1914 nicht nur dem G., sondern auch dem D. gegenüber ausgesprochen hat. Hielt der Berufungsrichter nach den Umständen des Falles genauere Angaben über den Zeitpunkt und den Ort der angeblichen Verkaufsankündigungen für geboten, dann war es gemäß § 139 ZPO. seine Pflicht, auf deren Nachholung hinzuwirken." ...