RG, 31.12.1883 - IV 371/83
Voraussetzungen der Unterbrechung des Verfahrens durch Eröffnung des Konkurses über das Vermögen einer Partei. Erfordernisse der Aufnahme des Verfahrens durch den Konkursverwalter.
Tatbestand
Die Beklagte war in erster Instanz zur Zahlung von 1525,30 M nebst Zinsen verurteilt und das Urteil gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt worden. Ihre Berufung wurde als unbegründet zurückgewiesen. Vor der in der Berufungsinstanz stattgehabten Schlußverhandlung war der Konkurs über das Vermögen der Beklagten eröffnet, die Thatsache der Konkurseröffnung aber bei der Verhandlung nicht zur Sprache gebracht worden. Der bestellte Konkursverwalter legte unter Aufnahme des nach seiner Auffassung durch die Konkurseröffnung unterbrochenen Prozeßverfahrens gegen das Berufungsurteil Revision ein, machte geltend, daß der Kläger auf Grund des für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteiles erster Instanz gegen Hinterlegung von 2000 M von der nachmaligen Gemeinschuldnerin die Judikatsumme mit im ganzen 1555 M hätte beitreiben lassen und sprach diesen Betrag als zur Konkursmasse gehörig an. Die Revision wurde für begründet erachtet, das Berufungsurteil und das demselben vorangegangene, nach der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Beklagten stattgehabte Prozeßverfahren aufgehoben, und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung in die Berufungsinstanz zurückgewiesen.
Aus den Gründen
"Nach §. 218 C.P.O. wird im Falle der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen einer Partei das Prozeßverfahren, wenn es die Konkursmasse betrifft, unterbrochen, bis dasselbe nach den für den Konkurs geltenden Bestimmungen aufgenommen oder das Konkursverfahren aufgehoben wird. Die Frage der Aufnahme des Prozeßverfahrens aber bestimmt sich nach den §§. 8. 9. 10 K.O. Von den letztgedachten Vorschriften kommt die des §. 10 für den Streitfall nicht in Betracht. Die Anwendung derselben und der mit ihr in Verbindung stehenden §§. 134 flg. a. a. O. setzt voraus, daß der Rechtsstreit eine im Konkurse zur Befriedigung aus der Konkursmasse angemeldete Forderung betrifft. Die im gegenwärtigen Prozesse vom Kläger geltend gemachte Forderung ist aber, wie unter den Parteien feststeht, im Konkurse über das Vermögen der Beklagten nicht angemeldet worden. Ebensowenig kommt die Bestimmung im §. 9 a. a. O. zur Anwendung. Die Anwendbarkeit derselben ist auf die Fälle beschränkt, in welchen die Aussonderung eines Gegenstandes aus der Konkursmasse oder die abgesonderte Befriedigung eines Konkursgläubigers oder ein Anspruch, der unter den Begriff der Masseschuld fällt, geltend gemacht wird - von welchen Fällen keiner hier vorliegt. Es bleibt also nur noch die Anwendbarkeit des §. 8 a. a. O. zu prüfen, nach welcher Bestimmung Rechtsstreitigkeiten über das zur Konkursmasse gehörige Vermögen, welche zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens für den Gemeinschuldner anhängig sind, in der Lage, in welcher sie sich befinden, von dem Konkursverwalter aufgenommen werden können. Die Frage der Unterbrechung des Prozeßverfahrens (§. 218 C.P.O.) und die der Aufnahme des Verfahrens durch den Konkursverwalter hängt also davon ab, ob es sich um einen für den Gemeinschuldner anhängigen Rechtsstreit handelt, welcher die Konkursmasse (§. 218 a. a. O.), das zur Konkursmasse gehörige Vermögen (§. 8 K.O.), betrifft.
Wird bei Entscheidung der Frage die seitens des Konkursverwalters geltend gemachte Thatsache zum Grunde gelegt, daß das gegen die Berufung der Beklagten in zweiter Instanz aufrecht erhaltene Urteil erster Instanz, durch welches die Beklagte für schuldig erklärt worden ist, dem Kläger 1525 M nebst 5 % Zinsen seit dem 13. November 1882 zu zahlen, gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt worden ist, und daß der Kläger gegen Hinterlegung von 2000 M in preußischer Staatsanleihe von der Beklagten durch Zwangsvollstreckung die Judikatsumme mit in ganzen 1555 M beigetrieben hat, so ist die Frage zu bejahen. Der Anwendbarkeit des §. 8 K.O. steht der Umstand nicht entgegen, daß die Klage des gegenwärtigen Prozesses gegen die nachmalige Gemeinschuldnerin angestellt ist, während in der fraglichen Vorschrift von einer für den Gemeinschuldner anhängigen Rechtsstreitigkeit gesprochen wird. Um einen für den Gemeinschuldner anhängigen Prozeß handelt es sich nach Beitreibung der Klageforderung jedenfalls insofern, als im Zeitpunkte der Konkurseröffnung die Frage im Prozesse noch zum Austrage zu bringen war, ob dem Kläger der beigetriebene Geldbetrag verbleiben oder der beklagten Partei ein Anspruch auf Rückzahlung der Geldsumme gegeben sein sollte. Mit der Aufnahme des Verfahrens aber wird eine Entscheidung darüber erstrebt, ob die beigetriebenen 1555 M dem Kläger verbleiben oder zur Konkursmasse gezahlt werden sollen. Der Rechtsstreit betrifft danach die Konkursmasse (§. 218 C.P.O.), das zur Kontursmasse gehörige Vermögen (§. 8 K.O.). Denn zu diesem Vermögen gehört nach §. 1 a. a. O. der von dem Erstreiten eines der beklagten Partei günstigen Urteiles abhängige Anspruch auf Rückzahlung des eingezogenen Betrages. Der Konkursmasse entgehen die 1555 M, wenn das Berufungsurteil bestehen bleibt, während der Betrag zur Konkursmasse zu zahlen ist, wenn der Konkursverwalter zur Aufnahme des Rechtsstreites zugelassen wird und es ihm gelingt, in dem Fortgänge des Rechtsstreites ein obsiegliches Endurteil zu erstreiten. Das vom Kläger aufgestellte Argument, daß der Anspruch auf Rückzahlung der beigetriebenen Geldsumme erst durch die Aufhebung oder Änderung des für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteiles entstehe, und daß daher der Gemeinschuldnerin ein Anspruch auf Rückzahlung der 1555 M niemals zugestanden habe, ein solcher Anspruch daher auch von dem Konkursverwalter nicht geltend gemacht werden könne, ist ohne Halt. Mit der Beitreibung der 1555 M war, wenn dem Kläger der mit der Klage geltend gemachte Anspruch nicht zustand, das Recht der Rückforderung von selbst gegeben, der Anspruch auf Rückzahlung mithin alsbald vorhanden. Die Aufhebung oder Änderung des für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteiles schafft den Anspruch nicht. Sie bringt nur den vorhandenen zur Anerkennung und Feststellung und verschafft ihm die Möglichkeit der Realisierung. Danach liegt objektiv in der vom Konkursverwalter geltend gemachten Thatsache eine Voraussetzung der Unterbrechung des Prozeßverfahrens. Die Voraussetzung besteht in der vor der Konkurseröffnung erfolgten Einziehung der 1555 M. Mit dieser Einziehung war der Kläger der Notwendigkeit enthoben, seinen Prozeßanspruch im Konkurse anzumelden und im Falle des Bestreitens die Feststellung nach Vorschrift des §. 134 a. a. O. zu betreiben. Der Gemeinschuldner aber war nicht in der rechtlichen Lage, diesen Prozeß fortzusetzen. Seine gesetzliche Befugnis zur Prozeßführung beschränkt sich auf Streitfälle, aus deren Entscheidung für die Konkursmasse sich kein Präjudiz ergiebt.1
Wenn der Kläger geltend macht, daß die in Rede stehende Voraussetzung der Unterbrechung des Prozesses zum Prozeßstoffe des Berufungsgerichtes nicht gehöre, sondern erst in der Revisionsinstanz vorgebracht sei und deshalb nach §. 524 C.P.O. nicht mehr berücksichtigt werden könne, so ist dies Argument ohne Halt. Daß eine Aufnahme des Verfahrens durch den Konkursverwalter auf Grund des §. 8 a. a. O. in der Revisionsinstanz an sich nicht ausgeschlossen ist, erscheint mangels einer entgegenstehenden Rechtsnorm ohne weiteres klar. Ist aber die Aufnahme des Verfahrens in der Revisionsinstanz dem Konkursverwalter nicht versagt, so liegt es in der Natur der Sache, daß der letztere in der Revisionsinstanz die Thatsachen, von denen die Zulässigkeit seiner Aufnahme des Verfahrens abhängt, geltend zu machen befugt sein muß. Und es kann ihm diese Geltendmachung nicht durch den Hinweis darauf verkümmert werden, daß die fraglichen Thatsachen nicht zum Prozeßstoffe des Berufungsgerichtes gehören. Die Thatsachen sind vom Kläger nicht bestritten.
Hiernach liegen alle Voraussetzungen der Unterbrechung des Streitverfahrens und der Aufnahme desselben durch den Konkursverwalter vor.
- 1. Vgl. Hullmann, Kommentar zur Konkursordnung zu §. 10 Nr. 3; Petersen, Kommentar zu §. 10 und v. Wilmowski, Kommentar am gleichen Orte.