RG, 22.12.1883 - I 427/83

Daten
Fall: 
Verteilungsplan einer e.G.
Fundstellen: 
RGZ 14, 89
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
22.12.1883
Aktenzeichen: 
I 427/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Weimar
  • OLG Jena

1. Klage einer in den Verteilungsplan einer eingetragenen Genossenschaft aufgenommenen Person auf Feststellung, daß sie nicht Mitglied der Genossenschaft geworden sei, und daß daher gegen sie keine Zwangsvollstreckung auf Grund des Verteilungsplanes stattfinden dürfe; Beweislast bei solcher Klage.
2. Ist eine schriftliche Erklärung wesentliche Form für den Beitritt der einzelnen Genossenschafter zur eingetragenen Genossenschaft?
3. Ist ein formloser Vertrag gültig, welcher die Übernahme der Verpflichtung zum Beitritte zu einer eingetragenen Genossenschaft zum Inhalte haben soll?
4. Welche rechtliche Bedeutung kommt einem unausgefüllten Wechselblankette zu?

Tatbestand

Der Kläger, welcher in dem Verteilungsplane einer in Liquidation getretenen und in Konkurs verfallenen eingetragenen Genossenschaft als Genossenschafter vorkam, hatte gegen den Vorstand derselben auf die Feststellung geklagt, daß er nicht zu den Mitgliedern der Genossenschaft gehöre oder gehört habe, und daß der Verteilungsplan daher gegen ihn nicht vollstreckt werden dürfe; der Vorstand hatte gegen ihn Widerklage erhoben auf Verurteilung zur nachträglichen Unterschrift des Statutes, zur Teilnahme an der Liquidationsgenossenschaft und zur Bezahlung des auf ihn nach dem Anlageplane entfallenden Beitrages. Durch das Berufungsurteil war die Widerklage abgewiesen, die Entscheidung über die Hauptklage aber von einem dem Kläger über die Nichtunterscheidung der Vereinsstatuten auferlegten Eide abhängig gemacht. Die hiergegen von dem Beklagten eingelegte Revision wurde vom Reichsgerichte zurückgewiesen.

Aus den Gründen

... "In der vorigen Instanz hatte der Beklagte zunächst die Zulässigkeit der angestellten Feststellungsklage bestritten, well die Klage auf Verurteilung zur Streichung des Klägers aus dem Verteilungsplane möglich sei. Das Oberlandesgericht hat jedoch jene Zulässigkeit mit Recht bejaht, da dem für vollstreckbar erklärten Verteilungsplane einer eingetragenen Genossenschaft gegenüber die Feststellungsklage, und zwar sogar ganz abgesehen von der Bestimmung des §. 231 C.P.O., stets das einzige Mittel war und ist, welches einem sich durch den Plan widerrechtlich benachteiligt Glaubenden zum Zwecke der Abwehr zu Gebote stand und steht. Die Klage, mittels welcher jeder Genossenschafter nach §. 56 des Genossenschaftsgesetzes von 1868 den Verteilungsplan anzufechten befugt ist, ist eben ihrem wesentlichen Gegenstande nach niemals etwas anderes als eine Feststellungsklage gewesen, und wenn man auch Bedenken tragen mag, diese Gesetzesbestimmung, gegen ihren Wortlaut, unmittelbar auch auf denjenigen anzuwenden, welcher den Plan gerade insofern anficht, als er überhaupt mit Unrecht darin als Genossenschafter aufgenommen zu sein behauptet, so ist es doch gewiß, daß nach Analogie derselben auch einem solchen immer eine entsprechende Klage zugestanden werden mußte. Daß das Klagegesuch richtig auf die äußere Handlung der Streichung aus dem Verteilungsplane gestellt werden würde, muß gerade in Abrede genommen werden. ...

Nicht mit Stillschweigen übergangen werden kann die Frage der Beweislast zur Hauptklage. Das Oberlandesgericht hat den Beklagten .,. deshalb für beweispflichtig wegen der Thatsache, daß der Kläger der beklagten Genossenschaft als Mitglied beigetreten sei, erklärt, weil bei einer negativen Feststellungsklage die Beweislast überhaupt grundsätzlich den Beklagten treffe. Diesem Grunde könnte nicht ohne weiteres beigetreten werden, jedenfalls schon deshalb nicht, weil es mindestens noch erst einer Untersuchung darüber bedürfen würde, ob derselbe nicht einer, in Seuffert's Archiv Bd. 37 Nr. 2 und in Gruchot's Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechtes Bd. 26 S. 839 flg. abgedruckten Entscheidung des V. Civilsenates des Reichsgerichtes widerstreite, sodaß im Falle seiner Billigung nach §.137 Abs. 1 G.V.G. eine Verweisung der Sache an die vereinigten Civilsenate erforderlich werden würde (eine Frage, die freilich vom III. Civilsenate des Reichsgerichtes, der diesen Grundsatz ebenfalls als richtig angenommen hat, verneint worden ist).1

Es kam indessen hierauf gegenwärtig nicht an, da die allgemeine Frage nach der Beweislast bei der negativen Feststellungsklage des §. 231 C.P.O. hier beiseite gelassen werden konnte. Diese Frage betrifft Fälle, wo jemand willkürlich, ohne zwingende Notwendigkeit, zur negativen Feststellungsklage greift: auch wenn man da der Ansicht sein sollte, daß der Kläger dann auch die Beweislast in betreff der Negative zu übernehmen habe, so würde daraus nichts folgen für die hier in Rede stehende besondere Art von Klage, welche durch das eigentümliche Institut des vollstreckbaren Verteilungsplanes bei den eingetragenen Genossenschaften nötig gemacht ist, und welche, mag sie auch formell als Klage erscheinen, materiell doch nur die Abwehr eines gerichtlichen Angriffes darstellt. Hier muß selbstverständlich die beklagte Genossenschaft den Beweis der bestrittenen Zugehörigkeit des Klägers zu ihr erbringen.

Was nun aber den für die letztere maßgebenden materiellen Rechtssatz betrifft, so hat der Beklagte in der gegenwärtigen Instanz von neuem die Frage gestellt, ob wirklich, wie nach dem Vorgange des Reichsoberhandelsgerichtes,2 vom Reichsgerichte schon früher,3 und auch in zwei den jetzigen Beklagten betreffenden Sachen4 angenommen worden ist, durch §. 2 Abs. 4 des Genossenschaftsgesetzes von 1868 die schriftliche Erklärung zur wesentlichen Form des Beitrittes gemacht sei. Dies kann indessen keinem Zweifel unterliegen. Wenn auch die Wortfassung:

"Zum Beitritte der einzelnen Genossenschafter genügt die schriftliche Erklärung",

an sich nicht ganz unzweideutig sein mag, so ist doch nach der historischen Entwickelung der deutschen Gesetzgebung über das Genossenschaftswesen im Anschlusse an das Handelsgesetzbuch die Annahme ganz unabweislich, daß der angeführte Satz keine andere Bedeutung haben soll, als die entsprechenden Bestimmungen für die Kommanditgesellschaft auf Aktien und die Aktiengesellschaft im Handelsgesetzbuche Art. 174 Abs. 2 und Art. 208 Abs. 3. Daß hier aber die Schriftlichkeit der Erklärung wesentlich ist, ergiebt sich, wie bereits vom Reichsgerichte in den Entscheidungen in Civilsachen Bd. 4 S. 308 ausgeführt ist, mit Notwendigkeit teils aus dem im Gesetze gebrauchten Ausdrucke "Aktienzeichnung", teils aus der Bestimmung des Art. 177 Abs. 1 Nr. 1, wonach der Anmeldung der Kommanditgesellschaft auf Aktien zum Handelsregister die Bescheinigung beigefügt sein muß, daß der gesamte Betrag des Kapitales der Kommanditisten durch Unterschriften gedeckt ist. (Die analoge Bestimmung für die Aktiengesellschaft in Art. 210a Abs. 1 Nr. 1 kommt für die Auslegung des Genossenschaftsgesetzes von 1868 deshalb nicht mit in Betracht, weil sie erst aus der Novelle von 1870 herrührt.) ...

Was die Widerklage anlangt, insofern sie auf das angeblich vom Kläger geleistete und vom Vorstande der beklagten Genossenschaft angenommene Versprechen des Beitrittes zur letzteren gestützt ist, so bedarf es nicht des Eingehens auf die Gründe, welche das Oberlandesgericht zur Abweisung der betreffenden Ansprüche bestimmt haben. Denn selbst wenn in denselben Rechtsirrtümer vorkommen sollten, so würde doch die Entscheidung aufrechtzuhalten sein schon aus dem Grunde, weil einem solchen, nicht in schriftlicher Form zustande gekommenen Vorvertrage hier nicht die mindeste rechtliche Bedeutung beigelegt werden konnte. Dabei kann auch das dahingestellt bleiben, ob überhaupt ein Rechtsanspruch einer Genossenschaft als solcher darauf, daß eine gewisse Person ihr als Mitglied beitrete, denkbar ist; denn jedenfalls ist ein formloser Vorvertrag ungültig, der weiter gar keinen Inhalt hat, als die Übernahme der Verpflichtung zur Eingehung eines Hauptvertrages, welcher in seiner Gültigkeit überhaupt, nicht etwa nur, wie der Wechselvertrag, mit Rücksicht auf gewisse, gerade diesen Vertrag auszeichnende Rechtswirkungen, gesetzlich an die Beobachtung einer bestimmten Form geknüpft ist. Wollte man einen formlosen Vertrag, wodurch einer Aktiengesellschaft, einer Kommanditgesellschaft auf Aktien oder einer eingetragenen Genossenschaft der Beitritt versprochen wird, als gültig anerkennen, so wäre damit einfach die Umgehung der Formvorschriften, welche für den Beitritt eine schriftliche Erklärung verlangen, sanktioniert. Dies entspricht auch der Lehre von

Windscheid, Pandektenrecht Bd. 2 (Aufl. 5) §. 310 S. 193,

auf den sich der Beklagte mit Unrecht berufen hat.5

Soweit die Widerklage auf ein angebliches Versprechen des Klägers gestützt ist, eventuell auch als Nichtmitglied die Verluste der beklagten Genossenschaft nach Höhe von vier Stammanteilen mittragen zu wollen, ist von beklagtischer Seite vielleicht nicht ohne Grund der Gebrauch gerügt, welchen das Oberlandesgericht von der ihm angeblich aus anderen vor ihm verhandelten Rechtsstreitigkeiten erwachsenen Kenntnis gewisser Vorgänge gemacht hat, die es nicht einmal näher bezeichnet, und auf welche sich jedenfalls die Parteien gar nicht berufen hatten. Indessen darf eine genauere Erörterung auch dieses Punktes unterbleiben, da auch hier doch ein anderer Grund zur Aufrechthaltung der Entscheidung vorliegt. Das Oberlandesgericht nämlich hat jene Kenntnis dazu mit benutzt, um festzustellen, daß das vom Kläger dem Beklagten ausgestellte Wechselblankett einen anderen Zweck gehabt habe, als zur Sicherung einer Verpflichtung, wie der vom Beklagten behaupteten, zu dienen. Einer solchen Erwägung bedurfte es nun aber gar nicht einmal; denn ein unausgefülltes Wechselblankett bedeutet rechtlich überhaupt nichts, weder in wechselrechtlicher, noch in irgend einer anderen Beziehung; alle seine Bedeutung kann es immer nur dadurch erlangen, daß der Inhaber die Verantwortung auf sich nimmt, es zu einem gültigen Wechsel auszufüllen." ...

  • 1. Vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 9 S. 342.
  • 2. vgl. Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 23 S. 228 flg.,
  • 3. vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 1 S. 242 und Kah, Beiträge zum Rechte der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften S. 217 flg.,
  • 4. vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 8 S. 5 und Rep. I. 223/83,
  • 5. Vgl. auch Thöl, Handelsrecht Bd. 1 (Aufl. 6) §. 241 S. 755.