RG, 22.12.1883 - I 420/83

Daten
Fall: 
Erben eines Einzelkaufmannes
Fundstellen: 
RGZ 10, 101
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
22.12.1883
Aktenzeichen: 
I 420/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Görlitz
  • OLG Breslau

Entsteht, wenn die mehreren Erben eines Einzelkaufmannes dessen Handelsgewerbe fortsetzen, notwendig eine Handelsgesellschaft?

Tatbestand

Johann Traugott B. betrieb in Penzig unter der ins Handelsregister eingetragenen Firma I. T. B. eine Glasfabrik. In seinem Testamente bestimmte er, seine Erben sollten in gemeinschaftlichem Besitze des Nachlasses bis zum 1. Oktober 1884 verbleiben, bis dahin solle der eine Sohn, Robert, den Nachlaß und namentlich die Glasfabrikation allein bewirtschaften und verwalten und in dieser Eigenschaft den Erblasser in jeder Beziehung vertreten. Bei einer künftigen definitiven Nachlaßverteilung sollten die einzelnen Erben bestimmte Beträge, bezw. Anteile erhalten. B. starb am 23. Oktober 1874 mit Hinterlassung einer Witwe, dreier Söhne, Reinhold, Robert, Wilhelm, und zweier Töchter, der verehelichten P. und K. Es wurde zunächst eine Erbteilung nicht vorgenommen und die Glasfabrikation wurde weiter betrieben. In das Firmenregister, nicht in das Gesellschaftsregister, wurden die sämtlichen sechs Hinterlassenen als Inhaber der Firma I. T. B. eingetragen. Am 30. Juni 1875 verkauften die beiden Töchter des Erblassers, die jetzigen Revisionsbeklagten, ihre Erbschaftsanteile an die Miterben. Am 28. Januar 1879 schloß der eine Sohn, Reinhold, mit seinen beiden Brüdern und seiner Mutter einen notariellen Kontrakt ab, nach welchem er "aus der Handelsgesellschaft I. T. B. ausschied". Später wurde Konkurs über das Vermögen der Firma I. T. B. erkannt, welcher durch Amtsgerichtsbeschluß vom 1. August 1881 nach erfolgter Schlußverteilung aufgehoben wurde.

Die Firma H. & F. hatte eine Forderung von 3627,70 M für im Jahre 1880 gelieferte Soda und Potasche an die Firma I. T. B., meldete dieselbe im Konkurse an und erhielt auf dieselbe eine Dividende von 17 7/8 % ausbezahlt. Den Ausfall klagt sie mit der vorliegenden Klage in Höhe von 2950,86 M ein gegen die sechs einzeln namhaft gemachten Erben B.'s, als die "Inhaber der Firma I. T. B.", und zwar in solidum gegen die einzelnen Mitbeklagten.

Das Oberlandesgericht verurteilte die Witwe B. und deren drei Söhne solidarisch nach der Klage, wies aber die Klage gegen die beiden Töchter B. ab. Die gegen dieses Urteil, soweit es die Klage abwies, von der Klägerin eingelegte Revision wurde vom Reichsgerichte zurückgewiesen.

Aus den Gründen

"Eine streng wörtliche Auslegung des Art. 85 H.G.B. könnte zu dem Ergebnis führen, daß, wenn die mehreren Erben eines Kaufmannes im Handelsgewerbe ihres Erblassers ein einziges Handelsgeschäft abschließen oder abschließen lassen, dies als Errichtung einer offenen Handelsgesellschaft anzusehen sei; denn im Abschlusse eines Handelsgeschäftes in einem Handelsgewerbe liegt ein Betreiben des Handelsgewerbes, die ererbte Firma ist thatsächlich eine gemeinschaftliche, eine Beschränkung der Haftung auf Vermögenseinlagen liegt bei keinem der Handelnden vor.

Allein es ist offenbar, daß der Gesetzgeber dies nicht hat aussprechen wollen, insbesondere, daß er in Art. 85 nicht den Begriff der Gesellschaft, unter welchen auch die offene Handelsgesellschaft fällt, hat definieren wollen. Dieser Begriff muß vielmehr zur Ergänzung der Legaldefinition herbeigezogen werden. Jede Gesellschaft beruht auf Übereinkunft, in der Legaldefinition muß mithin auch dieses Moment als enthalten angenommen werden. Die Übereinkunft braucht nicht in Worten erklärt zu sein, sie kann aus konkludenten Handlungen sich erkennen lassen, und dasselbe gilt von der gegenüber Dritten bedeutsamen Erklärung über die erfolgte Errichtung der Gesellschaft.

Die Fortführung des Handelsgewerbes des Erblassers durch die Erben kann als konkludent für die Errichtung einer Handelsgesellschaft und für die Erklärung über das Bestehen einer solchen erscheinen und kann darum Dritte berechtigen, das Bestehen einer Handelsgesellschaft unter den Miterben anzunehmen. Es braucht ein solches Verhalten aber nicht notwendig in diesem Sinne aufgefaßt zu werden. Ein wesentliches Kriterium dafür, ob in der Fortführung eines Handelsgewerbes durch die Erben "eine Maßregel zum Zwecke der Verwaltung des durch die Vererbung gemeinschaftlich gewordenen Vermögens ( communio incidens)" oder der Abschluß eines Gesellschaftsvertrages, bezw. eine desfallsige Erklärung zu finden sei, bildet die Art, der Umfang, die Dauer des Gewerbebetriebes.1

Von diesen Anschauungen ist der Berufungsrichter ebenfalls ausgegangen und ist auf Grund derselben zu der thatsächlichen Feststellung gekommen, daß zwar die Witwe B. und zwei ihrer Söhne, Reinhold und Wilhelm B., als Handelsgesellschafter für die eingeklagte Forderung zu haften haben, daß aber die beiden Revisionsbeklagten

"nicht bloß den Willen, eine über die vorläufige Verwaltung des Nachlasses hinausgehende Gemeinschaft, bezüglich Handelsgesellschaft, einzugehen nicht ausgesprochen, sondern rechtzeitig dadurch, daß sie, sobald sie die Lage der Erbschaft ihres Vaters übersehen konnten, acht Monate nach dem Tode desselben, durch den Erbschaftskauf vom 30. Juni 1875 ihren Anteil an der Erbschaft aufgaben, unzweideutig erklärt haben, daß sie sich an der etwa zu errichtenden offenen Handelsgesellschaft nicht beteiligen wollten."

Ein Rechtsirrtum nach dieser Richtung kann dem Berufungsrichter daher keinesfalls zur Last gelegt werden." ...

  • 1. Vgl. Entsch. des Reichsoberhandelsgerichtes Bd. 11 Nr. 37 S. 101, Bd. 23 Nr. 57 S. 166.