RG, 22.12.1880 - I 399/80

Daten
Fall: 
Genehmigung von Verträgen bei beschränkt Geschäftsfähigen
Fundstellen: 
RGZ 3, 331
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
22.12.1880
Aktenzeichen: 
I 399/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Frankfurt am Main
  • OLG Frankfurt am Main

Kann nach dem preußischen Gesetze vom 12. Juli 1875 ein von einem minderjährigen Hauskinde mit einem Großjährigen abgeschlossener oneroser Vertrag von einem Dritten als wegen der Minderjährigkeit des einen Kontrahenten ungültig angefochten werden? Ist die Genehmigung eines solchen Vertrages durch den zur Zeit des Abschlusses minderjährigen Kontrahenten gültig, wenn sie nach erreichter Großjährigkeit, aber während der Fortdauer der väterlichen Gewalt erfolgt?

Tatbestand

Der in Frankfurt a. M. wohnende Vater der Klägerin hatte eine Wohnung von dem Beklagten gemietet, welcher nach beendigter Mietzeit wegen rückständig gebliebenen Mietzinses verschiedene, in die Wohnung eingebrachte Möbel auf Grund angeblichen gesetzlichen Pfandrechtes retinierte. Die Klägerin, welche als minderjähriges Hauskind durch einen mit ihrer Mutter als angeblichen Eigentümerin der Möbel und ihrem Vater als ehelichem Beistand ihrer Mutter am 9. April 1878 geschlossenen Vertrag jene Möbel gekauft und durch constitutem possessorium tradiert erhalten, auch angeblich aus selbstverdientem Gelde den Kaufpreis bezahlt hatte, klagte nach erreichter Großjährigkeit, jedoch bei fortdauernder väterlicher Gewalt, indem sie den Vertrag nach zurückgelegtem 21. Lebensjahre genehmigt zu haben behauptete, gegen den Beklagten auf Herausgabe der ihr eigentümlich gehörenden retinierten Möbel. Der Beklagte excipierte, daß der Kaufvertrag vom 6. April 1878 nach dem preußischen Gesetze vom 12. Juli 1875, da die Klägerin während ihrer Minderjährigkeit einen onerosen Vertrag mit ihren Eltern ohne Mitwirkung eines ihr zu bestellen gewesenen Pflegers nicht gültig habe abschließen können, nichtig und das Eigentum auf die Klägerin nicht übergegangen sei, daß auch zur Gültigkeit einer späteren Genehmigung nicht genüge, daß Klägerin zur Zeit derselben großjährig, vielmehr erforderlich sei, daß sie selbständig, also nicht mehr in väterlicher Gewalt gewesen, daß Selbständigkeit nicht mit Großjährigkeit zu identifizieren sei.

Das Gericht zweiter Instanz wies die Klage ab, indem es die Einrede für begründet erachtete. Das Reichsgericht hat aber auf die Oberappellation der Klägerin das zweite Urteil aufgehoben und über Streitpunkte, welche hier übergangen werden, interloquiert, und zwar aus folgenden Gründen:

Gründe

"Wenn es auch richtig sein mag, daß das Wort "Selbständigkeit" im §. 3 des die Geschäftsfähigkeit Minderjähriger betreffenden preußischen Gesetzes vom 12. Juli 1875 nicht mit "Großjährigkeit" identisch ist, so folgt doch daraus allein, daß die großjährig gewordene Klägerin noch unter väterlicher Gewalt steht, noch nicht die Ungültigkeit der nach erreichter Großjährigkeit von der Klägerin erklärten Ratihabition des Vertrages vom 9. April 1878. Es wäre vielmehr, da durch das Gesetz vom 12. Juli 1875 neue Bestimmungen über die Geschäftsfähigkeit großjähriger Hauskinder nicht haben getroffen, vielmehr die in den verschiedenen Teilen der preußischen Monarchie geltenden bezüglichen Rechtsnormen haben aufrecht erhalten werden sollen, zu prüfen gewesen, inwieweit großjährige Hauskinder nach gemeinem und nach Frankfurter Recht einen Vertrag des Inhalts der Klageanlage rechtsgültig abzuschließen und folgeweise auch zu genehmigen fähig seien, und ob nicht, wenngleich der Vertrag vom 9. April 1878 wegen der damaligen Minderjährigkeit der Klägerin für ungültig zu erachten wäre, derselbe doch durch die in der Replik behauptete und ohne weiteres Beweisverfahren durch die Erhebung der vorliegenden Klage als festgestellt anzunehmende Ratihabition des Vertrages durch die inzwischen großjährig gewordene Klägerin nach gemeinem respektive Frankfurter Recht rechtsgültig geworden wäre. Wenn aber die Bejahung dieser Frage noch für bedenklich zu erachten wäre, so würde doch jedenfalls der Beklagte nicht berufen sein, die Gültigkeit des Vertrages vom 9. April 1878 in Frage zu stellen. Nach §. 4 des Gesetzes vom 12. Juli 1875 ist nämlich der von einem Minderjährigen mit einem Großjährigen geschlossene Vertrag nicht völlig ungültig, vielmehr ist der großjährige Kontrahent gebunden, und der geschäftsunfähige Kontrahent nicht gebunden ( pactum claudicans), und jener wird nur frei, wenn der Vertreter des geschäftsunfähigen Kontrahenten oder der letztere selbst nach erreichter Selbständigkeit die Genehmigung ausdrücklich verweigert oder nach einer Aufforderung des geschäftsfähigen Kontrahenten binnen zwei Wochen keine Erklärung abgiebt. Die Voraussetzungen, unter welchen hiernach die geschäftsfähigen Mitkontrahenten des Vertrages vom 9. April 1878 von ihrer Verpflichtung aus dem Vertrage hätten frei werden können, liegen nicht vor, vielmehr hat die Klägerin durch die Erhebung der vorliegenden Klage bereits den Vertrag nach erreichter Großjährigkeit genehmigt. Es ist daher nicht abzusehen, wie der Beklagte, ein Dritter, den Vertrag als ungültig soll anfechten können. Es ist vielmehr mit dem Richter erster Instanz, da auch die Tradition durch constitutum possessorium erfolgt ist, indem die Verkäuferin in dem Vertrage sich nur ein Benutzungsrecht vorbehalten hat, die Klage für begründet zu erachten, und nur die Begründetheit der Einreden des Beklagten zu prüfen."