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RG, 07.12.1883 - III 209/83

Daten
Fall: 
Kodizillarklausel bei Übergebung von Noterben
Fundstellen: 
RGZ 11, 230
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
07.12.1883
Aktenzeichen: 
III 209/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Darmstadt
  • OLG Darmstadt

1. Ist die Kodizillarklausel bei Übergebung von Noterben in dem Testamente wirksam?
2. Enthält die Anerkennung des Testamentes vonseiten des eingesetzten Erben eine Antretung der Erbschaft aus dem Testamente und die Ausübung des dem Bedachten nach c. 8 pr. § 1 Cod. de cod. 6, 36 zustehenden Wahlrechtes?
3. Liegt in der Erklärung des Kurators eines im Testamente eingesetzten Erben, daß er für den Kuranden die Erbschaft antrete, unter allen Umstanden ein wirksamer Erbschaftsantritt?

Tatbestand

Der am 20. Juni 1881 zu Olsen (Großherzogtum Hessen, Provinz Starkenburg) gestorbene I. G. B. von Schl. war in den dreißiger Jahren nach Amerika ausgewandert und hatte sich dort am 10. Juni 1836 mit Marie geb. D. verheiratet. Aus dieser Ehe gingen fünf Kinder hervor, wovon jedoch die am 3. Januar 1840 geborene Margarete B. bereits im Jahre 1860 ledig und kinderlos starb. Die Ehe B.'s wurde im Mai 1859 auf Klage der Ehefrau gerichtlich für aufgelöst erklärt und B. kehrte demnächst nach Deutschland zurück.

Hier errichtete er am 4. Mai 1881 vor dem Amtsgerichte B. (Ober-Hessen) ein Testament, in welchem er einen von ihm mit seiner Haushälterin, Margarete S., erzeugten, am 29. August 1861 geborenen außerehelichen Sohn, Egidius S., dermalen zu W. (New-York), zum alleinigen Erben seines Nachlasses, und zwar mit Übergehung seiner vier noch lebenden ehelichen Kinder, einsetzte, sowie weiter seiner genannten Haushälterin verschiedene Vorteile zuwendete.

Mit Rücksicht auf die Abwesenheit des eingesetzten Erben bestellte das zuständige Erbschaftsgericht einen Kurator für E. S. in der Person des jetzigen Beklagten, und dieser hat nach Eröffnung des letzten Willens des Erblassers (18. Juli 1861) zu Gerichtsprotokoll erklärt, daß er das fragliche Testament als rechtsbeständig anerkenne. Die Legatarin schloß sich dieser Erklärung an. Die auf Antrag des Kurators vorgenommenen Versuche, die ehelichen Kinder des Testators zum Verzichte auf die Erbschaft ihres Vaters durch Vermittelung des Kaiserlich deutschen Konsulates in Cincinnati zu bewegen, blieben erfolglos, und es gab demnächst der Kurator, von dem inzwischen aufgetreten Anwälte jener Kinder gedrängt, am 31. Mai 1882 vor Gericht die Erklärung ab:

"daß er die Erbschaft für den Egidius S. und bezw. dessen Mutter antrete."

In der anfangs Mai 1882 gegen den Kurator S. erhobenen Klage verlangten nun die ehelichen Kinder des I. G. B. Ungültigkeitserklärung des von letzterem errichteten Testamentes und Herausgabe des väterlichen Nachlasses samt Accessionen, während der Beklagte zunächst den außergerichtlich erklärten Verzicht der Kläger auf ihr Erbrecht geltend machte und mit Rücksicht hierauf die Gültigkeit des Testamentes behauptete, eventuell aber unter Berufung auf die dem Testamente beigefügte Kodizillarklausel 5/6 des Nachlasses für seinen Kuranden in Anspruch nahm.

Nach verhandelter Sache hat das Landgericht unterm 16. Februar 1883 erkannt:

  1. daß die im Testamente des I. G. B. von O. enthaltene Erbeseinsetzung für ungültig zu erklären; dagegen dieser letzte Wille, mit Rücksicht auf die demselben beigefügte Kodizillarklausel, als Kodizill aufrecht zu erhalten, und
  2. der Beklagte schuldig sei, das Erbrecht der Kläger an sieben Zwölfteilen des Nachlasses des I. G. B. anzuerkennen und die Auslieferung dieses Teiles an die Kläger zu gestatten,
  3. im übrigen aber die Klage als unbegründet zurückzuweisen sei. Auf Berufung der Kläger hat die zweite Instanz dieses Erkenntnis bestätigt. Auch die Revision der Kläger wurde verworfen.

Gründe

"Es ist kein Rechtsirrtum, wenn die vorige Instanz davon ausgeht, daß der Beklagte namens seines Kuranden sich auf die dem Testamente des I. G. B. beigefügte Kodizillarklausel berufen könne, obgleich dieses Testament selbst wegen Übergehung der klagenden Noterben hinfällig sei. Der schon unter den Glossatoren geführte Streit über die Natur der Ungültigkeit der Erbeseinsetzung in einer letzten Willensordnung bei ungegründeter Enterbung oder Übergehung eines Noterben ist nach dem jetzt geltenden Rechte im Sinne der Nichtigkeit des Testamentes zu entscheiden. Diese Nichtigkeit erstreckt sich jedoch nur auf die Erbeseinsetzung, während der übrige Inhalt des Testamentes bestehen bleibt, und tritt ein, wenn zur Zeit des Todes des Erblassers ein Noterbe vorhanden ist, welcher nicht eingesetzt und rechtmäßig enterbt wurde.

Für diese Auslegung der Nov. 115 hat sich nicht nur die Mehrzahl der (neueren) Rechtslehrer, sondern auch fast durchgängig die Praxis der deutschen Gerichte ausgesprochen. Es genügt, sich zu deren Begründung auf

Arndts im Rechtslexikon Bd. 8 S. 104 flg. und die dort Angeführten; v. Wächter, Pandekten §. 327; v. Vangerow, Pandekten (7. Aufl.) §§. 485. 527; Seuffert, Archiv Bd. 28 Nr. 42, Bd. 33 Nr. 240

zu beziehen.

Daß nun nach Beseitigung des Testamentes und bei dem Eintritte der gesetzlichen Erbfolge vermöge der einem letzten Willen beigefügten Kodizillarklausel auch eine nach den Vorschriften der Novelle nichtige Erbeseinsetzung als Universalfideikommiß aufrecht zu halten ist, folgt aus dem Zwecke dieser Klausel, der allgemeinen Vorschrift des c. 8 pr. § 1 Cod. de cod. 6, 36 und des cod. de test. man. 7, 2, sowie der besonderen, analog anzuwendenden Bestimmung in I. 24 §.11 Dig. de fideic. lib. 40, 5.1

Es kann sich daher vorliegend, da nach der thatsächlichen Feststellung des Berufungsurteiles der eingesetzte Erbe selbst sich bis jetzt noch nicht über Annahme oder Ausschlagung der ihm angefallenen Erbschaft erklärt hat, nur darum handeln, ob dessen Kurator, der Beklagte, bereits in bindender Weise die Erbschaft aus dem Testamente angetreten hatte, bevor er die Kodizillarklausel zu Gunsten des Vertretenen geltend machte, wie dies vonseiten der Kläger behauptet wird. Denn in diesem Falle könnte der Beklagte nach c. 8 pr. § 1 Cod. de cod. 6, 36 von der getroffenen Wahl nicht mehr abgehen, zumal dem Bedachten, als außerehelichem, wenn gleich im Kirchenbuche und Testamente anerkanntem Sohne des Testators, die in §. 2 a. a. O. dem ehelichen Descendenten des Erblassers eingeräumte Vergünstigung nicht zur Seite steht. Mit Recht legt nun das Berufungsgericht der zu den Nachlaßakten abgegebenen Erklärung des Beklagten vom 18. Juli 1881, daß er das fragliche Testament anerkenne, sowie der Behauptung des Prozeßbevollmächtigten des Beklagten in der schriftlichen Klagebeantwortung, daß jenes Testament gültig sei, keine Bedeutung bei. Eine derartige Anerkennung ist noch keine Antretung der Erbschaft aus dem Testamente, enthält vielmehr für sich allein nur die Erklärung über deren Echtheit, und, wenn sie sich zugleich auf die Rechtsbeständigkeit der Disposition erstreckt, die Erklärung über deren formelle und materielle Gültigkeit. Der eingesetzte Erbe kann demungeachtet noch die Erbschaft ausschlagen.

Zu Zweifeln giebt nur die seitens des beklagten Kurators unterm 31. Mai 1882 vor dem Amtsgerichte B. erfolgte Erklärung: "daß er die Erbschaft für den E. S. und bezw. dessen Mutter antrete", Anlaß. Das Berufungsgericht interpretiert jedoch mit Rücksicht darauf, daß nach den Mitteilungen des deutschen Konsulates in Nordamerika der Kurator anzunehmen berechtigt gewesen sei, es würden die dort lebenden Kinder des I. G. B. auf ihr Intestaterbrecht verzichten, und daß die Mutter des Kuranden überhaupt nicht im Testamente als Erbin eingesetzt sei, diese Erklärung dahin, daß der Kurator damit nur bezweckt habe, seinem Kuranden die Zuwendungen, welche er nach dem gesamten Inhalte des Testamentes in Anspruch nehmen könne, zu erhalten. So aufgefaßt, ist es keine Verletzung einer Rechtsnorm, wenn der vorige Richter in jenem Vorgange keine Erbschaftsantretung und folgeweise keine bindende Ausübung des Wahlrechtes des im Testamente Bedachten durch dessen Kurator findet. Der Erbschaftsantritt bedarf zwar keiner besonderen Form; es genügt jede Willensäußerung des Delaten oder dessen Stellvertreters, welche dessen ernstlichen Willen, Erbe werden zu wollen, unzweideutig zum Ausdrucke bringt. Bei der Prüfung der Frage aber, ob ein solcher Wille vorhanden gewesen sei, sind die Umstände eines jeden einzelnen Falles, die Veranlassung und die Beschaffenheit der Willensäußerung in Betracht zu ziehen. Es muß deshalb als eine tatsächliche, der Nachprüfung in der Revisionsinstanz entzogene Feststellung des Berufungsrichters angesehen werden, wenn er hier nach der konkreten Sachlage die bestimmte Erklärung des Beklagten, daß sein Kurande Testamentserbe werden wolle, vermißt.

In der mündlichen Verhandlung des gegenwärtigen Rechtsstreites selbst hat endlich der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten vor allem bestritten, daß der letztere für seinen Kuranden die Erbschaft aus dem Testamente angetreten habe, sodann die Einrede des Verzichtes der Kläger auf Geltendmachung ihres Erbrechtes vorgeschützt und für den Fall, daß dieser Einwand unerweislich sei, auf Grund der Kodizillarklausel fünf Sechsteile des Nachlasses als Erbschaftsvermächtnis beansprucht. Daß das Vorbringen jener Einrede den Beklagten nicht hindert, auf die Kodizillarklausel zurückzugreifen, bedarf keiner Ausführung.

Unter diesen Umständen ist es nicht erforderlich, auf die gemeinrechtlichen Streitfragen einzugehen, ob einerseits der Honorierte sich dadurch die Vorteile der Kodicillarklausel sichern könne, daß er sich eventuell, auf solche beruft, und andererseits nur die von demselben als Kläger oder Beklagten im Prozesse getroffene Wahl entscheidend sei, wie dies letztere von den Vorinstanzen angenommen worden ist." ...

  • 1. Vgl. Degener in Linde's Zeitschrift Bd. 18 S. 403 flg,; Windscheid, Pandekten §. 631 Note 9.