RG, 07.12.1883 - IV 342/83

Daten
Fall: 
Formerfordernis beim Widerruf eines Erbvertrages
Fundstellen: 
RGZ 10, 250
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
07.12.1883
Aktenzeichen: 
IV 342/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin
  • KG Berlin

Welche Form erfordert der Widerruf eines Erbvertrages, wenn der eine Kontrahent sich im Vertrage die Befugnisse zum Widerrufe unter der Bedingung vorbehalten hat, daß der andere Kontrahent einer von ihm im Vertrage übernommenen Verpflichtung nicht nachkomme?

Tatbestand

Die Klägerin und der Kaufmann L. in B. setzten sich in einem Erbvertrage wechselseitig zu Erben ein. In demselben Vertrage verpflichtete sich die Klägerin, den Kaufmann L. bis an sein Lebensende zu verpflegen, und L. behielt sich die Befugnis zum Rücktritte vom Erbvertrage für den Fall vor, daß die Klägerin jener Verpflichtung nicht nachkäme. Nach dem Tode des L. erhob die Klägerin wider den dem Nachlasse bestellten Pfleger auf Anerkennung ihres Erbrechtes und Herausgabe des Nachlasses Klage. Der Beklagte wandte ein, daß der Erblasser, weil die Klägerin der gedachten Verpflichtung nicht nachgekommen wäre, seinen Willen, von dem Vertrage zurückzutreten, mehrfach mündlich erklärt und solchergestalt von dem vorbehaltenen Rücktrittsrechte Gebrauch gemacht hätte. Die Einrede wurde vom Berufungsgerichte wegen Formlosigkeit des behaupteten Rücktrittes verworfen. Die gegen diese Entscheidung eingelegte Revision hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen

"Nach §. 587 A.L.R. I. 12 erfordert der Widerruf einer letztwilligen Verordnung in der Regel die Beobachtung derselben Förmlichkeiten, welche zur rechtsgültigen Errichtung derselben erforderlich sind. Der innere Grund dieser Rechtsnorm liegt darin, daß der Widerruf einer letztwilligen Verordnung virtuell ebenso eine letztwillige Verordnung ist, wie die Errichtung einer solchen. Erbverträge stehen unter denselben Formvorschriften, wie Testamente (§. 621 a. a. O.). Die Befugnis zum Widerrufe ist für Erbverträge infolge der vertragsmäßigen Gebundenheit des Willens der Kontrahenten nur unter bestimmten Voraussetzungen vorhanden. Behalten sich beide Teile die Befugnis zum Widerrufe nach Gutdünken vor, so wird das Rechtsgeschäft wie ein Testament beurteilt und kann als solches nur unter Beobachtung der für die Errichtung eines Testamentes geltenden Formvorschriften widerrufen werden. Dies ergiebt sich zweifellos aus den §§. 635. 636 und aus dem im letzteren Paragraphen enthaltenen Allegate der §§. 587 flg. a. a. O. - Der Fall, daß im Erbvertrage nur der eine Kontrahent sich die Befugnis zum Widerrufe vorbehält, ist in den §§. 639. 640 a. a. O. vorgesehen. In diesen Paragraphen fehlt das Allegat der §§. 587 flg. Aber hieraus ist nicht mit dem Revisionskläger der Schluß zu ziehen, daß in dem gedachten Falle auch ein formloser Widerruf rechtswirksam sei. Dieser Schluß ist weder aus dem Wortlaute der gesetzlichen Bestimmungen herzuleiten, noch folgt derselbe daraus, daß im Erbvertrage die rechtliche Natur des Vertrages mit dem Wesen der letztwilligen Verordnung vereinigt ist. Es liegt vielmehr kein innerer Grund vor, den Widerruf in dem letzteren Falle in Ansehung des Erfordernisses der Form anders zu beurteilen, als in dem ersteren Falle. Wenn aber der Fall, daß nur der eine Kontrahent sich den Rücktritt vom Erbvertrage vorbehält, wie angegeben, zu beurteilen ist, so liegt auch kein Grund vor, um in dem hier vorliegenden Falle, in welchem die Befugnis des einen Kontrahenten zum Rücktritte eine beschränkte, nämlich eine von der Nichtgewährung einer Leistung seitens des anderen Kontrahenten abhängige, durch dieselbe bedingte ist, das Erfordernis der Solennität, welches für den Widerruf letztwilliger Verordnungen gegeben ist, nicht gelten zu lassen. Hieraus ergiebt sich, daß das Berufungsgericht die Einrede richtig beurteilt hat."