RG, 12.11.1881 - I 153/81

Daten
Fall: 
Aufhebung der väterlichen Gewalt
Fundstellen: 
RGZ 6, 265
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
12.11.1881
Aktenzeichen: 
I 153/81
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Berlin
  • KG Berlin

Voraussetzungen der Aufhebung der väterlichen Gewalt durch Übernahme einer mit Gehalt verbundenen Stelle als Kommis in einem Handlungsgeschäfte.

Tatbestand

Der Beklagte hat den eingeklagten Saldoanspruch der klagenden Bankfirma aus einem den Zeitraum vom 1. April bis 1. Oktober 1873 umfassenden Geschäftsverkehr, welcher den kommissionsweisen Ein- und Verkauf von Wertpapieren für Rechnung des Beklagten zum Gegenstande hatte, deshalb angefochten, weil er während jenes Zeitraumes noch in väterlicher Gewalt gestanden habe. Der Beklagte war im Januar 1872 großjährig geworden, hatte bis zum 1. April 1873 bei Gebr. H. als Handlungslehrling fungiert und wollte nach beendigter Lehrzeit zunächst seiner Militärpflicht als Einjährig-Freiwilliger genügen. Da er aber erst zum 1. Oktober 1873 eintreten konnte, und für das Halbjahr vom 1. April bis 1. Oktober 1873 keine andere ihm konvenierende Stelle als Kommis fand, so erboten sich seine bisherigen Lehrherren, ihn für dieses halbe Jahr, jedoch unter Vorbehalt sechswöchiger Kündigung, als Kommis in ihrem Geschäft gegen eine etwas höhere Remuneration, als er schon in der letzten Zeit seiner Lehre bezogen hatte, beizubehalten, und Beklagter nahm diese Offerte an. Gebr. H. verfielen jedoch im Mai 1873 in Konkurs; Beklagter bezog daher nur bis 1. Juli 1873 das stipulierte Gehalt, wurde jedoch vom Konkursverwalter zur Aushilfe bei Abwickelung der Geschäfte noch bis in den Monat August 1873 beibehalten. Während der Zeit vom 1. April bis 1. Oktober 1873 hat Beklagter, ebenso wie während seiner Lehrzeit, bei seinem Vater unentgeltlich Logis und Kost erhalten. Bei dieser Sachlage erachtete das Gericht II. Instanz, unter Abänderung des Urteils erster Instanz, den Einwand des Beklagten für begründet und wies die Klage ab. Auf Revision des Klägers hat das Reichsgericht das zweite Urteil bestätigt aus folgenden Gründen:

Gründe

"Das angefochtene Urteil beruht auf der Annahme, daß der Beklagte auch während des Zeitraumes vom 1. April 1873 bis 1. Oktober 1873 noch nicht durch Betrieb eines eigenen Gewerbes im Sinne des §. 212 a A. L. R. II. 2 aus der väterlichen Gewalt ausgeschieden sei, weil er nicht dauernd, sondern nur vorübergehend in eine, mit auskömmlichem Gehalte ausgestattete Stellung als Kommis eingetreten sei. Diese Annahme ist zu billigen. Der Betrieb eines eigenen Gewerbes kann allerdings vorliegen, wenn ein Haussohn eine Stelle als Kommis mit Gehalt übernimmt, aber ein solcher liegt nicht notwendig und in allen Fällen darin, vielmehr ist allgemein in der Doktrin wie in der gerichtlichen Praxis1 angenommen, daß dazu außer einem auskömmlichen Gehalt eine dauernde Stellung, welche ein auskömmliches Einkommen dauernd bringen kann, erforderlich ist, eine bloß vorübergehende Beschäftigung nicht ausreicht. Eine, wie vorliegend, als eine ganz vorübergehende von Anfang an ins Auge gefaßte, wenngleich mit Gehalt verbundene Stellung als Kommis ist nicht geeignet, . die Aufhebung der väterlichen Gewalt zu bewirken. Anders läge die Sache, wenn Beklagter eine Stelle als Kommis mit der Absicht, solche dauernd als Lebensberuf, und um sich dadurch dauernd seine Subsistenz zu erwerben, angenommen und dann wider Erwarten nach kurzer Zeit wieder verloren hätte, und dadurch genötigt wäre, bis auf weiteres in das elterliche Haus zurückzukehren. In diesem Falle wäre die väterliche Gewalt als aufgehoben anzusehen, und sie könnte auch durch die Rückkehr in das väterliche Haus nicht wieder aufleben. Darum ist es auch im vorliegenden Falle nicht entscheidend, daß Beklagter infolge der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Gebr. H. seine Stelle in deren Geschäfte früher, als er erwartete, wieder verloren hat. Entscheidend ist aber, daß Beklagter schon beim Eintritt in die Stelle als Kommis bei den Gebr. H. am 1. April 1873 beabsichtigte, die Stelle nur zum Zwecke einer vorübergehenden Beschäftigung bis zu dem zum 1. Oktober 1873 beabsichtigten Eintritt als Einjährig-Freiwilliger zu übernehmen, und nur bis zum 1. Oktober 1873 noch bei seinem bisherigen Lehrherrn gegen eine etwas erhöhte Remuneration bleiben wolle und sollte, wie mit dem Appellationsrichter als erwiesen anzunehmen ist. Daß, wie Beklagter selbst behauptet, sein Dienstherr sich auch in Bezug auf den Beklagten eine sechswöchige Kündigung vorbehalten, hatte nur die Bedeutung, daß der Prinzipal sich des Beklagten auch vor dem 1. Oktober 1873 nach vorgängiger Kündigung entledigen konnte."

  • 1. v. Kamptz, Jahrbücher Bd. 52 S. 52, Gesetzrevision XV. S. 119. 120; Bornemann, Preuß. Civilrecht Bd. 5 S. 305. 306; Dernburg, Preuß. Privatrecht Bd. 3 S. 142 und Note 7. 8; Förster, Preuß. Privatrecht 3. Ausg. Bd. 3 S. 624 und Note 15; Gruchot, Beitr. Bd. 6 S. 61; Entsch. des preuß. Obertribunals Bd. 20 S. 378 flg. Präjudiz 2348; Striethorst, Archiv Bd. 51 S. 341; Entsch. d. R. O. H. G's Bd. 4 S. 390.