RG, 12.11.1884 - I 303/84

Daten
Fall: 
Ersatzzustellung
Fundstellen: 
RGZ 14, 338
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
12.11.1884
Aktenzeichen: 
I 303/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Breslau, Kammer für Handelssachen
  • OLG Breslau

1. Bedeutung des Wortes "erwachsen" in §. 166 Abs. 1 C.P.O.
2. Rechtliche Bedeutung von Mängeln der s. g. Ersatzzustellung.
3. Verzicht auf die Geltendmachung solcher Mängel nach §. 267 C.P.O.

Tatbestand

Die Revision wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Der vom Kläger erhobenen Wechselklage ist von den Beklagten vor allem die Einrede der Verjährung entgegengesetzt worden, deren Beurteilung nach der unstreitigen Sachlage nur davon abhängt, ob die gegenwärtige Klage der Mitbeklagten Witwe Kr. für sich selbst und als Vormünderin ihrer Kinder gültig zugestellt ist, insofern dann durch diese Klagerhebung die Verjährung unterbrochen sein würde. Das Berufungsgericht hat, in Übereinstimmung mit dem Gerichte erster Instanz, diese Frage verneint, weil die Zustellung, da die Witwe Kr. von dem Gerichtsvollzieher in ihrer Wohnung nicht angetroffen wurde, für sie an ihren elfjährigen Sohn G. erfolgt ist. Der Kläger hat diese Entscheidung aus dem doppelten Grunde angegriffen, weil der Knabe G. als ein "erwachsenes" Familienmitglied der Witwe Kr. im Sinne des §. 166 C.P.O. hätte gelten müssen, und weil die vom Kläger unter Beweis gestellte Behauptung, daß die zugestellte Klageschrift alsbald, oder doch jedenfalls vor dem Ablaufe der Verjährungsfrist in die Hände der Witwe Kr. gelangt sei, mit Unrecht als unerheblich behandelt sei.

Was den ersten Punkt anlangt, so hat der Kläger nicht sowohl die Annahme des Berufungsgerichtes bemängeln wollen, daß der elfjährige Knabe kein "Erwachsener" sei, wenn man dieses Wort, im Sinne des gemeinen Lebens, von der durch das Lebensalter bedingten körperlichen Entwicklung versteht - in welcher Annahme einen Rechtsirrtum aufzuzeigen auch wohl schwerlich denkbar sein möchte -, als vielmehr diese ganze Auffassung der gesetzlichen Bestimmung als zu wörtlich und äußerlich angegriffen, indem es nur darauf ankomme, daß dasjenige Familienmitglied, an welches die Zustellung erfolge, nach dem Ermessen des zustellenden Beamten soweit in der Entwicklung vorgeschritten sei, daß es die Bedeutung des Aktes verstehe, und man ihm die richtige Weiterbesorgung des zugestellten Schriftstückes zutrauen dürfe. In Wirklichkeit ist aber gerade diese, allerdings auch in der Litteratur nicht unvertretene, freiere Auslegung unhaltbar; denn sie ist nicht nur dem klaren Wortlaute des §. 166 C.P.O. gegenüber ganz willkürlich, sondern auch in ihren praktischen Ergebnissen wegen der großen Unbestimmtheit des für maßgebend erklärten Merkmales sehr bedenklich; endlich steht ihr insbesondere noch der Umstand entgegen, daß in §. 166 Abs. 1, wie auch in den ähnlichen Vorschriften des §. 679 und des §. 771 Abs. 2 C.P.O., nicht bloß die erwachsenen Familienglieder, sondern auch die erwachsenen Dienstboten gedanklich den unerwachsenen entgegengesetzt werden, während doch unter den Dienstboten kaum solche vorausgesetzt werden könnten, welchen die Eigenschaft der "Erwachsenheit" in dem soeben besprochenen uneigentlichen Sinne nicht zukäme, und während daher bei dieser Auffassung die besondere Hervorhebung des erwähnten Erfordernisses für die in Betracht kommenden Dienstboten als überflüssig erscheinen würde.

In Ansehung der Frage sodann, ob Mängel der s. g. Ersatzzustellung als solcher dadurch geheilt werden, daß das zugestellte Schriftstück infolge der Zustellung doch schließlich in die Hände des Adressaten gelangt, kann darauf kein Gewicht gelegt werden, daß in der deutschen Civilprozeßordnung nicht, wie in der französischen Gesetzgebung, die Nichtigkeit der Zustellung ausdrücklich als Folge von Verstößen gegen die die Form derselben regelnden Vorschriften angedroht ist. Vielmehr ist im allgemeinen in Ermangelung besonderer Gegengründe daraus, daß im Gesetze die Zustellung als ein in einer gewissen bestimmten Weise erfolgender Akt beschrieben und definiert ist, zu, folgern, daß ein in anderer Weise sich abwickelnder Vorgang eben keine Zustellung im Sinne des Gesetzes ist, mögen auch bei der Beratung des Gesetzentwurfes hierüber abweichende Vorstellungen in unklarer Art zu Tage getreten sein. Daher geht denn auch die durchaus vorherrschende Ansicht der Ausleger der Civilprozeßordnung dahin, daß von genauer Beobachtung der im Gesetze für die Zustellung gegebenen Formvorschriften die Gültigkeit des Aktes abhängt. Wenn daneben einzelne dieser Ausleger, wie außer dem schon vom Oberlandesgerichte angeführten Petersen auch Struckmann und Koch, es gerade mit den Besonderheiten der s. g. Ersatzzustellung, weniger streng nehmen wollen, so lassen sich für diese Unterscheidung kaum plausible Gründe anführen, und jedenfalls sprechen ganz überwiegende Gründe dagegen. Hierher ist die Betrachtung zu rechnen, daß nach jener Ansicht wenigstens im regelmäßigen Laufe der Dinge der ausbleibende Gegner, zu dessen Gunsten das Gericht sich zunächst an die offen vorliegenden Fehler der Zustellung halten müßte, besser gestellt sein würde, als der erschienene, der diese Fehler etwa selbst geltend machen wollte, aber zugeben müßte, daß das zugestellte Schriftstück ihm doch zu Händen gekommen sei, ferner der Umstand, daß nach dem System der jetzigen Civilprozeßordnung durch die Zustellung in gewissen Fällen die Rechtsmittelfrist in Lauf gesetzt wird, für welche doch ein von vornherein feststehender, sicher erkennbarer Anfangspunkt legislativ durchaus gewünscht werden muß; endlich der Schluß vom Gegenteile, der daraus zu entnehmen ist, daß in §. 165 Abs. 2 und §. 171 Abs. 4 C.P.O. für gewisse Ausnahmsfälle die " Gültigkeit" der Zustellung besonders verordnet wird.

War hiernach die fragliche Klagezustellung rechtlich in der That als nicht geschehen zu behandeln, so könnte man nur etwa noch zweifeln, ob es denn von diesem Standpunkte aus sich rechtfertigte, in der Sache erkennend die Klage als verjährt abzuweisen, und ob nicht vielmehr die Klage nur als noch nicht ordnungsmäßig erhoben hätte zurückgewiesen werden sollen. Dieses Bedenken ließe sich auch nicht mit der Betrachtung überwinden, daß beide Arten der Abweisung für den Kläger praktisch das gleiche bedeuteten, weil doch auch bei der letzteren Art schon feststehen würde, daß die etwaige neue Klage mit der Verjährungseinrede würde zurückgeschlagen werden können; denn formell würde man nicht wissen, ob nicht dem Kläger vielleicht noch andere Repliken gegen die genannte Einrede zu Gebote ständen, die er, wenn in dem gegenwärtigen Prozesse noch gar nicht über die Sache selbst zu entscheiden war, in diesem auch noch nicht vorzubringen brauchte. Das angefochtene Urteil entspricht aber dennoch auch in dieser Beziehung den Rechten. Eine Abweisung des Klägers aus dem prozessualischen Grunde der nicht gehörigen Zustellung war nämlich dadurch ausgeschlossen, daß die Beklagten sich ohne weiteres auf die Sache selbst eingelassen und dadurch im Sinne des §. 267 C.P.O. auf die Befolgung der betreffenden Vorschrift über die Form der Zustellung verzichtet hatten; denn es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Formvorschriften über die Zustellung an sich keineswegs zu den im zweiten Absatze daselbst erwähnten gehören, auf deren Befolgung eine Partei nicht wirksam verzichten kann. Auch in dem in den Entscheidungen in Civilsachen Bd. 10 S. 362 abgedruckten Urteile des zweiten Civilsenates des Reichsgerichtes ist nur insofern das Gegenteil angenommen, als die Zustellung im einzelnen Falle zugleich zu den Förmlichkeiten eines Rechtsmittels gehört, auf deren Wahrung freilich von Amts wegen zu halten ist. Andererseits war dadurch, daß die Klage infolge des Verhaltens der Beklagten im Prozesse nachträglich als ordnungsmäßig erhoben zu behandeln war, nicht ausgeschlossen, daß die Beklagten sich materiell mit Erfolg auf die Verjährung berufen konnten, weil die einmal vollendete Verjährung durch irgend ein prozessualisches Verhalten des die Verjährungseinrede vorschützenden Beklagten nicht wieder rückgängig gemacht sein kann." ...