RG, 12.11.1884 - I 306/84

Daten
Fall: 
Eideszuschiebung
Fundstellen: 
RGZ 15, 336
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
12.11.1884
Aktenzeichen: 
I 306/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg, Kammer für Handelssachen
  • OLG Hamburg

Ist die Eideszuschiebung über den Wert einer Sache durch §. 410 C.P.O. unbedingt ausgeschlossen ?

Tatbestand

Die klagende Konkursmasse hat zum Nachweise, daß der Gemeinschuldner, welcher sein Warenlager und Inventar zum Preise von 5600 M an die beiden Beklagten verkauft hat, dies in der Absicht, seine Gläubiger zu benachteiligen, gethan hat und Beklagte hiervon Kenntnis gehabt haben, behauptet, das Warenlager und Inventar hätten einen Wert von 14000 und 4000 M gehabt, und hat hierüber den Beklagten den Eid zugeschoben. Das Berufungsgericht hat diese Eideszuschiebung, weil sie sich nicht auf Thatsachen beziehe, für unzulässig erachtet.

Gründe

"Diese Annahme beruht auf einer zu abstrakten Auffassung des Begriffes des Thatsächlichen, soweit solcher für die Eideszuschiebung in Betracht kommt. Von den Beklagten ist der eine Auktionator, der andere Geschäftsmann, und der käufliche Erwerb von Warenlagern zum Wiederverkaufe liegt, wie sich auch daraus ergiebt, daß sie noch andere Waren angekauft und in den Laden gebracht haben, innerhalb ihrer geschäftlichen Gewohnheiten. Offenbar war daher bei beiden durchaus die Befähigung vorauszusetzen, zu erkennen, ob die dem Gemeinschuldner für 5600 M abgekauften Waren und Inventar einen Wert von 14000 und 4000 M gehabt haben. Es handelt sich nicht um geringfügige Wertsunterschiede, die etwa eine subtile Schätzung, sei es der Konjunktur oder des allgemeinen Urteiles im Tauschverkehre, über den Wert der Sachen voraussetzten. Vielmehr handelt es sich darum, ob das verkaufte Objekt nicht mindestens den dreifachen Wert des Kaufpreises gehabt hat, und zwar als Gegenstand der Beobachtung von Personen, die nach ihrer geschäftlichen Thätigkeit den Durchschnittspreis, zu welchem solche Gegenstände verkauft zu werden pflegten, kennen mußten. Mag man nun das Ergebnis der Beobachtung immerhin als ein Urteil qualifizieren wollen, so beruhte dasselbe doch lediglich auf einer unmittelbaren Schlußfolgerung aus Thatsachen, welche den Beklagten infolge ihrer Sachkunde bekannt sein mußten, wie insbesondere die Beschaffenheit der Waren und die Durchschnittspreise, welche für solche Waren im Einzelverkaufe gewährt zu werden pflegten. Daß der Begriff der Thatsachen, über welche, im Gegensatze zu reinen Urteilen, allein nach §. 410 Abs. 1 C.P.O. die Eideszuschiebung zulässig, nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil das bestimmte Ergebnis für das Bewußtsein des Wahrnehmenden durch Schlüsse vermittelt wird, unterliegt keinem Bedenken. Ob eine Erscheinung oder ein Ergebnis überwiegend thatsächlich oder überwiegend nur durch besondere Anwendung eines Urteilsvermögens erschließbar ist, läßt sich nur in jedem einzelnen Falle nach Maßgabe der Kenntnisse und Erfahrungen, welche für Wahrnehmung der Erscheinung oder des Ergebnisses erforderlich waren, und des Besitzes solcher Kenntnisse und Erfahrungen auf seiten desjenigen, welcher über die Wahrnehmung den Eid leisten soll, feststellen. Vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 7 S. 1 flg.

Wem nach Lage der Sache ein bestimmtes Ergebnis, falls es vorhanden war, auf Grund ihm nach seiner Stellung und Lebenserfahrung geläufiger thatsächlicher Verhältnisse ohne weiteres zur Wahrnehmung gelangen mußte, der kann sich auch nicht der Verpflichtung entziehen, in bezug auf solche Wahrnehmung einen Eid zu leisten. Hätten aber das Warenlager und Inventar wirklich einen den Kaufpreis soweit übersteigenden Wert - gemeint ist offenbar in betreff des Warenlagers der Wert im Einzelverkaufe - gehabt, so würde diese Thatsache sowie die Wahrnehmung derselben seitens der Beklagten vor, bezw. bei dem Kaufe geeignet sein, die Behauptung, daß der Gemeinschuldner in dem Bewußtsein, seine Gläubiger zu benachteiligen, gehandelt habe, vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 9 S. 75, und Beklagte von diesem Bewußtsein Kenntnis hatten, zu begründen."