RG, 07.04.1884 - IV 547/83

Daten
Fall: 
Wertverdingungsvertrag oder Lieferungsvertrag
Fundstellen: 
RGZ 11, 263
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
07.04.1884
Aktenzeichen: 
IV 547/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Breslau
  • OLG Breslau

Ist in einem Vertrage, durch welchen einem Baumeister der Bau einer Straßeneisenbahn und zugleich die Beschaffung der zum Bahnbetriebe erforderlichen Gegenstände übertragen sind, nur ein einheitlicher Wertverdingungsvertrag oder neben diesem noch ein Lieferungsvertrag enthalten?

Tatbestand

Mittels Vertrages vom 4. November 1876 übertrug Klägerin, die Breslauer Straßeneisenbahn-Gesellschaft, dem Ingenieur B. die Erbauung der Straßeneisenbahn zu Breslau nach einem beigefügten Generalanschlage, welcher mit einem Gesamtbetrage von 1275000 M abschloß, gegen eine Vergütung von ebendemselben Betrage. Über die Stempelung dieses Vertrages entstanden Differenzen mit der Steuerbehörde, u. a. bezüglich der in dem Generalanschlage zu II. l. 2. 3 aufgeführten Gegenstände, zu deren Beschaffung für die zu erbauende Eisenbahn der Ingenieur B. durch den Vertrag sich verpflichtet hatte, nämlich

  1. Pferde veranschlagt zu 48000 M,
  2. Wagen veranschlagt zu 125000 M,
  3. Inventar, Utensilien, Livreen veranschlagt zu 27000 M.

Für diese Gegenstände verlangte die Steuerbehörde außer dem Vertragsstempel von 1,50 M für die Übertragung des Eisenbahnbaues den Lieferungsstempel von 1/3 % mit 667 M. Klägerin erachtete den Vertrag bezüglich des Eisenbahnbaues sowie der Beschaffung oben gedachter Gegenstände für einen einheitlichen Werkverdingungsvertrag, und beantragte im vorliegenden Prozesse die Verurteilung des Fiskus zu dem Anerkenntnisse, daß er zur Forderung der 667 M Lieferungsstempel nicht berechtigt sei. In beiden Vorinstanzen wurde Fiskus dem Klagantrage gemäß verurteilt; auf die von ihm eingelegte Revision wurde das Berufungsurteil aufgehoben, und die Sache aus einem hier nicht interessierenden Grunde in die zweite Instanz zurückverwiesen.

Gründe

"Der Berufungsrichter führt aus, die Vertragsurkunde lasse zweifellos erkennen, daß zwischen den Kontrahenten ein einheitliches Abkommen getroffen worden, inhalts dessen der Ingenieur B. die Herstellung einer betriebsfähigen Straßeneisenbahn übernommen und die Gesellschaft für Ausführung des Werkes die einheitliche Summe von 1275000 M versprochen hat. Hiernach könne der Vertrag nicht in zwei verschiedene Rechtsgeschäfte, nämlich bezüglich der Erbauung der Bahn und der Gebäude in eine Werkverdingung und bezüglich der Beschaffung des Betriebsmateriales in einen Lieferungsvertrag zerlegt werden, vielmehr bilde im Hinblick auf die von B. versprochene Betriebsfähigkeit der Bahn die Beschaffung jenes Materiales einen integrierenden Teil des von ihm herzustellenden Werkes. Der Berufungsrichter rechnet also nicht allein die Bahn und die Gebäude, deren Erbauung übernommen ist, sondern auch die zur Ausrüstung der Bahn erforderlichen Betriebsmittel, wie Pferde, Wagen, Inventar, Utensilien und Livreen, deren Beschaffung (nicht Anfertigung) von B. versprochen ist, zu dem Werke, dessen Verdingung unter die Bestimmung des §. 925 A.L.R. I. 11 fällt; hierin liegt eine irrtümliche Anwendung des §. 925 a. a. O. Letzterer handelt von einem ganzen Werke im Gegensätze zu einzelnen Arbeiten, und bezieht sich auf einen Vertrag, durch welchen ein Werkmeister oder Künstler, nicht die Verrichtung gewisser in sein Fach fallender Arbeiten, sondern die Herstellung des Produktes dieser Arbeiten übernommen hat, sodaß nicht die Arbeiten, sondern die durch die Arbeiten herzustellende Sache den Gegenstand des Vertrages ausmacht. Zum Werkverdingungsvertrage gehört nach dessen Begriffe also, daß sein Gegenstand das Produkt der Arbeiten des Werkmeisters oder- Künstlers ist, und nur insoweit dies der Fall ist und der Vertrag einen Gegenstand betrifft, welcher durch die Arbeit des einen Kontrahenten hergestellt werden soll, kann ein Werkverdingungsvertrag als vorliegend angenommen werden. Woher die zur Herstellung des Werkes erforderlichen Materialien genommen, ob sie von dem Besteller oder ob sie von dem Werkmeister geliefert werden, ist gleichgültig, weil auch im letzteren Falle der begriffliche Gegenstand des Vertrages, nämlich die Herstellung eines fertigen Werkes, eine Änderung nicht erleidet. Anders steht es aber mit einem Vertrage, in welchem neben dem angedungenen Arbeitsprodukte noch über andere körperliche Sachen kontrahiert wird, die eine besondere Existenz haben, nicht zur Herstellung jenes Produktes dienen, und auch selbst nicht ver- oder bearbeitet werden sollen, sondern nur anzuschaffen sind. Diese Anschaffung besonderer nicht zu bearbeitender Sachen fällt an sich nicht unter den Begriff des Werkverdingungsvertrages, und kann unter diesen Begriff nicht aus dem die Natur des Vertrages nicht berührenden Grunde gebracht werden, daß sie den Zweck hat, das mit der herzustellenden Bahn zu betreibende Straßenbahnunternehmen und Geschäft mit den erforderlichen Betriebsmitteln auszurüsten. Die unter II 1. 2 und 3 des Generalanschlages bezeichneten Gegenstände sind nicht Bestandteile oder Pertinenzen des von B. als Werkmeister herzustellenden Baues, nämlich des Bahnkörpers und der Bahngebäude; sie können höchstens als Bestandteile einer betriebsfähigen Straßenbahnanstalt oder als Zubehör eines Geschäftes, eines Straßenbahnunternehmens angesehen werden, übertragen hierdurch aber nicht den Begriff eines Werkes von den herzustellenden Bauwerken auf das mit diesen zu betreibende Geschäft und Unternehmen, und der Berufungsrichter, welcher wegen der versprochenen Betriebsfähigkeit der Bahn die Beschaffung des fraglichen Materielles für einen integrierenden Teil des von B. herzustellenden Werkes erachtet, irrt darin, daß er die durch die Beschaffung des Betriebsmateriales zu bewirkende Betriebsfähigkeit der Bahn als eine Eigenschaft des als Arbeitsprodukt anzusehenden Werkes betrachtet, während diese Betriebsfähigkeit als eine Eigenschaft nur dem Bahnunternehmen, dem gewerblichen Geschäfte innewohnen kann. Der Berufungsrichter hat daher den Begriff des im §. 925 a., a. O. gemeinten Werkes durch die Anwendung nicht bloß auf Bahn und Gebäude, sondern auch auf die für den Betrieb der Eisenbahnunternehmung zu beschaffenden Betriebsmittel dem Gesetze zuwider zu weit ausgedehnt, und die festgestellte Einheitlichkeit des Vertragsinhaltes hebt diesen Verstoß nicht auf, da die Zusammenlegung mehrerer nach dem Willen der Kontrahenten konnexer Rechtsgeschäfte in einen einheitlich wirksamen Vertrag über die rechtliche Natur des oder der geschlossenen Geschäfte nicht entscheiden kann.

Sobald die Beschaffung der Betriebsmittel nicht unter den mit dem Bahnbau gemeinsamen Gesichtspunkt, des Werkverdingungsvertrages zu bringen ist, sind bezüglich ihrer die Erfordernisse eines Lieferungsvertrages nach §. 981 a. a. O. als vorhanden zu erkennen."