RG, 05.04.1884 - I 66/84

Daten
Fall: 
Irrevisibles Partikularrecht
Fundstellen: 
RGZ 14, 427
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
05.04.1884
Aktenzeichen: 
I 66/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg
  • OLG Hamburg

1. Inwieweit ist die Entscheidung des Berufungsgerichtes, daß eine Klagänderung vorliege, in der Revisionsinstanz nachzuprüfen, falls irrevisibles Partikularrecht dabei im Spiele ist?
2. Abgrenzung des Begriffes der Klagänderung.

Tatbestand

In einem Rechtsstreite, der sich wesentlich um Fragen drehte, die irrevisiblem hamburgischem Partikularrechte angehörten, wurde das Berufungsurteil, insoweit es einen vom Kläger gestellten eventuellen Antrag als eine Klagänderung in sich schließend verworfen hatte, vom Reichsgerichte aufgehoben.

Aus den Gründen

... "Was die Frage der Klagänderung betrifft, so hat der Beklagte mit Unrecht geltend gemacht, es sei diese gleichfalls nur aus den erwähnten partikularrechtlichen, nicht revisiblen Rechtsnormen zu entscheiden. Es kann allerdings in einem konkreten Falle die Sache so liegen, daß der mögliche Zweifel, ob eine Klagänderung anzunehmen sei, oder nicht, gerade in den in Betracht kommenden materiellen Rechtsnormen seinen Sitz hat; wenn aber diese, wie hier in der, nach §. 525 C.P.O. auch für die Revisionsinstanz maßgebenden Feststellung des Oberlandesgerichtes, ganz klar vorliegen, so bleibt nur noch die prozessualische Seite der Frage übrig, bei welcher es sich ausschließlich um die richtige Anwendung der Civilprozeßordnung handelt. In dieser Beziehung ist nun wohl aus dem Eingange des §. 240 C.P.O. argumento a contrario die Behauptung abgeleitet worden, daß Klagänderung und Änderung des Klagegrundes begrifflich identisch seien.1

Hieraus würde sich für den vorliegenden Fall ergeben, daß von einer Klagänderung nicht die Rede sein könnte, da der Klaggrund auch bei dem eventuellen Antrage zweifellos derselbe geblieben ist. ... Allerdings war nun aber die erwähnte Auffassung ebensowenig zu billigen, wie die gänzlich entgegengesetzte, von Seuffert in der ersten Auslage seines Kommentares zur Civilprozeßordnung (Bem. 1 zu §. 240) ausgesprochene, wonach zwischen den unter Nr. 1-3 in §. 240 aufgezählten Fällen und dem der eigentlichen Änderung des Klagegrundes noch ein weites Gebiet in der Mitte läge, innerhalb dessen in jedem einzelnen Falle das richterliche Ermessen entscheiden müßte. Vielmehr ergiebt sich aus dem, was in §. 230 Abs. 2 Nr. 2 C.P.O. über den wesentlichen Inhalt der Klageschrift vorgeschrieben ist, daß die Klagänderung bestehen muß entweder in der Änderung des Grundes des Anspruches, oder in der Änderung des Gegenstandes desselben oder - was mit dem letzteren zusammenfällt- Änderung des Antrages. Dementsprechend ist in §. 240 unter Nr. 1 C.P.O. der Änderung des Klagegrundes die bloße Ergänzung oder Berichtigung einzelner zum Klagegrunde gehöriger Anführungen, unter Nr. 2 der Änderung des Klagantrages die bloße Erweiterung oder Beschränkung desselben gegenübergestellt; unter Nr. 3 wird dann noch eine Ausnahmebestimmung hinzugefügt, wonach selbst die Änderung des Klagantrages dann ausnahmsweise nicht als Klagänderung gelten soll, wenn sie "wegen einer später eingetretenen Veränderung" vorgenommen wird. Hier nun könnte es sich nach dem oben dargelegten höchstens um eine Änderung des Klagantrages handeln, und falls eine solche anzunehmen wäre, so stände es freilich außer Zweifel, daß der Ausnahmefall, in welchem eine solche nach §. 240 Nr. 3 C.P.O. zugelassen werden müßte, hier nicht gegeben sein würde. Alles kommt daher darauf an, ob auf den gegenwärtigen Fall §. 240 Nr. 2 C.P.O. Anwendung leidet, oder nicht, ob der eventuelle Antrag nur eine Beschränkung oder eine wirkliche Änderung des ursprünglichen Klagantrages enthält. Dies ist einigermaßen zweifelhaft. Der engste Wortsinn der Ausdrücke "erweitert" und "beschränkt" würde allerdings durch die Beziehung auf rein quantitative Unterschiede bei im übrigen völlig gleichartigem Begehren erschöpft sein. Aber nicht nur würde diese Auslegung zu einer sehr formalistischen Handhabung des Gesetzes führen, deren praktische Wirkung über den legislativen Zweck des Verbotes der Klagänderung, nämlich eine ungebührliche Erschwerung der Verteidigung des Beklagten bezw. eine Verwirrung des Prozesses zu verhindern, weit hinausreichen würde, sondern es gewährt auch die Civilprozeßordnung selbst einen Anhalt dafür, daß die obigen Ausdrücke in einem weiteren Sinne zu nehmen sind, indem in §. 253 C.P.O. die Erhebung einer sog. Inzidentfeststellungsklage unter den Begriff der Erweiterung des Klagantrages gebracht ist. Bei der Abgrenzung der Erweiterung wie der Beschränkung des Klagantrages gegen die Änderung desselben muß dann freilich ein gewisses richterliches Ermessen walten. Für den vorliegenden Fall aber führt dieses zur Verneinung einer eigentlichen Änderung des Klagantrages." ...

  • 1. Vgl. Kleinschrod, Klagänderung S. 18 und Fitting im Archiv für die civil. Praxis Bd. 61 S. 422.