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RG, 05.04.1884 - I 57/84

Daten
Fall: 
Reingewinn
Fundstellen: 
RGZ 11, 160
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
05.04.1884
Aktenzeichen: 
I 57/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin
  • KG Berlin

Maßgeblichkeit der statutengemäßen Feststellung des Jahresgewinnes bei einer Aktiengesellschaft zu Gunsten des auf Prozente des Reingewinnes normierten Tantièmeanspruches eines Gesellschaftsbeamten. Verschiedenheit des Begriffes "Reingewinn'', je nachdem es sich um den Tantièmeanspruch des Gesellschaftsbeamten oder den Aktionäranspruch auf Dividendenverteilung handelt.

Tatbestand

Kläger war durch Vertrag vom 2. September 1881 von der Beklagten, einer Aktiengesellschaft, zu deren kaufmännischem Direktor gegen ein festes Gehalt und eine Tantième von fünf Prozent des Reingewinnes der Gesellschaft bestellt worden. Auf Grund der Aufstellung der Bilanz für das Geschäftsjahr 1881 und deren Genehmigung durch Generalversammlungsbeschluß vom 16. Februar 1882, wonach der Reingewinn der Gesellschaft mittels Ansetzung gewonnener, aber noch nicht verkaufter nicht marktgängiger Rohöle zu dem präsumtiven Verkaufspreise des sich bei der erst vorzunehmenden Raffinerie voraussichtlich ergebenden Fabrikates auf 264546 M angenommen, zugleich aber freilich entsprechend den Antragen des Vorstandes und Aufsichtsrates beschlossen worden war, eine Dividendenauszahlung erst nach Realisierung entsprechender Bestände an Öl an einem vom Aufsichtsrate bekannt zu machenden Termine vorzunehmen, erachtete Kläger seinen Tantièmeanspruch in Höhe von 13227 M begründet und machte, nachdem ihm in einem Vorprozesse darauf eingeklagte 500 M rechtskräftig zuerkannt worden, einen weiteren Teilbetrag hiervon gegen die Beklagte geltend. Das Berufungsgericht wies den Anspruch ab, weil ein zu Recht vorhandener, rechnungsmäßiger Überschuß, zu dessen Auszahlung es aber an Barmitteln fehle, kein verteilungsfähiger Gewinn sei, die gewonnenen und nicht verkauften Rohprodukte aber auch zu Unrecht zu dem erst noch zu erzielenden Verkaufspreise des durch Raffinerie zu gewinnenden Fabrikates in der Bilanz angesetzt seien. Das Reichsgericht hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur weiteren Verhandlung in die Instanz zurück.

Gründe

"Es konnte schon im allgemeinen die Unterscheidung nicht für zutreffend erachtet werden, welche das Berufungsgericht zwischen rechnungsmäßigem Überschuß des Bilanzergebnisses und reinem oder verteilungsfähigem Gewinne in der Weise aufstellt, daß eine treue Bilanz zwar ersteren ergeben könne, damit aber noch nicht letzterer dargethan sei, da es für denselben des Vorhandenseins zur Auszählung erforderlicher Barmittel bedürfe. Betrachtet man zunächst nur das Rechtsverhältnis der Aktionäre, so ist, was sich nach einer treuen Bilanz als Überschuß der Aktiva über die Passiva, unter letzteren das volle, bei Verlusten zunächst wieder zu ergänzende Grundkapital und statutarisch vorgesehene besondere aufzusammelnde Fonds angesetzt, darstellt, Gewinn, der, soweit nicht etwa das Ob und Wieviel der Verteilung statutenmäßig dem Ermessen der Generalversammlung überlassen ist, eben, weil er das Ergebnis der treuen Bilanz ist, verteilungsfähig ist (Art. 217 H.G.B.). Ergiebt sich nachträglich noch vor der Auszahlung des Gewinnes die Unrichtigkeit von Bilanzansätzen oder sind bis zur Auszahlung Verluste eingetreten, welche behufs der Auszahlung des Gewinnes das Angreifen des Grundkapitales oder statutarisch zu erhaltender Fonds notwendig machen würden, so mögen diese Thatsachen die Wirksamkeit des Rechtes auf die Verteilung beseitigen. Aber der bloße Mangel erforderlicher Barmittel zur Auszahlung des Gewinnes vermag dem bilanzmäßigen Gewinn nicht die Eigenschaft eines verteilungsfähigen zu nehmen. Das Gegenteil ist auch nicht in den vom Berufungsgerichte citierten Urteilen des Reichsoberhandelsgerichtes vom 13. Februar 1877 (Deutsche Juristenzeitung 1877 S. 29) und des Reichsgerichtes vom 4. Mai 1881 (Reichsanzeiger vom 13. Juli 1881 Beilage) ausgesprochen.1

Sehr häufig werden die Inkonvenienzen, welche der Aktiengesellschaft durch eine Auszahlung bereitet würden, ihren Grund darin haben, daß bei treuer Bilanzaufnahme kein Überschuß sich hatte ergeben dürfen. Was insbesondere gewonnene Rohprodukte anlangt, so sind solche bei sorgfältiger Bilanzaufnahme, wenn sie zur Zeit der Bilanzaufstellung noch nicht veräußert sind, eben nicht zu dem bloß erhofften Verkaufspreise, noch dazu in einem noch nicht erzielten verarbeiteten Zustande, dessen Ergebnis noch unsicher ist, sondern, insbesondere wenn sie als Rohprodukte keinen Marktpreis haben, der Regel nach nur zu dem Herstellungspreise anzusetzen. Bei Beschlüssen, welche vermöge der Nichtinnehaltung solcher Grenzen zwar einerseits einen Überschuß feststellen, aber doch die Konsequenzen durch Verschiebung einer Verteilung bis zur wirklichen Erzielung des zu Unrecht anticipierten Ergebnisses zu beseitigen suchen, wird daher zu untersuchen sein, ob nicht in Wahrheit statt wirklicher definitiver Bilanzfeststellung mit Vertagung der Gewinnverteilung eine lediglich provisorische, bedingte Bilanzfeststellung gewollt worden ist, wobei übrigens dahingestellt bleiben kann, ob der damit bethätigte Versuch, das nachträglich eintretende Ergebnis in den Kreis der Ergebnisse des ohne geschehene Veräußerung abgelaufenen Wirtschaftsjahres zu ziehen, Erfolg haben kann. Im vorliegenden Falle handelt es sich nicht um den Anspruch eines Aktionärs auf Gewinnverteilung, sondern um den eines Gesellschaftsbeamten auf Tantième zu einem Prozentsatze des Reingewinnes nach dem Anstellungsvertrage. Kläger lehnt es dabei zunächst ab, mit der Beklagten darüber zu streiten, wie das Ergebnis des Geschäftsjahres nach richtigen Grundsätzen zu ziehen war. Er stützt sich darauf, daß eine bestimmte Bilanz mit einem Gewinnergebnis aufgestellt und von der Generalversammlung genehmigt, also für die Gesellschaft maßgebend geworden sei, und daß die Bestimmung über die Verteilung dieses festgestellten Gewinnes unter die Aktionäre seinen Tantièmenanspruch nicht berühre. Wären die seitens der Gesellschaftsorgane getroffenen Maßnahmen in der That im Sinne einer definitiven Bilanzfeststellung mit dem im Thatbestande angegebenen Überschußergebnisse unter bloßer Vertagung der Verteilung des an die Aktionäre auszuzahlenden Gewinnes aufzufassen, so wäre hierauf, wenn man zunächst von späteren Ereignissen absieht, der erhobene Anspruch allerdings zu begründen. Wenn im Anstellungsvertrage ein bestimmter Prozentsatz des Reingewinnes als Tantième von der Aktiengesellschaft versprochen ist, so ist darunter als gemeint zu erachten der Reingewinn, wie er sich nach den Bewertungen der verfassungsmäßig festgestellten Jahresbilanz ergeben wird. Es kann der Regel nach nicht als beabsichtigt gelten, daß, während die Gesellschaft eine bestimmte Bilanz als ihren Vermögenszustand und seine Ergebnisse darstellend auf statutarischem Wege zur endgültigen Feststellung gebracht hat, diese im Verhältnis zu den Tantièmeberechtigten ignoriert werden sollte und ihnen gegenüber eine besondere oder abweichende Bewertung sollte Platz greifen dürfen. Ist eine bestimmte Bilanz als die wirtschaftlichen Ergebnisse der Gesellschaft darstellend statutengemäß festgestellt worden, so kann die Gesellschaft dem tantièmeberechtigten Angestellten die Berufung auf dieselbe nicht versagen. Erachtet sie diese Bilanz für falsch, gleichviel, aus welchem Grunde, so mag sie ihre Wiederbeseitigung oder Veränderung auf dem verfassungsmäßigen Wege herbeiführen. Aber sie kann nicht dieselbe im allgemeinen als maßgebend aufrecht erhalten und doch ihre Ansätze dem Tantièmeberechtigten gegenüber verleugnen. Dagegen erscheint es bei der grundsätzlich verschiedenen Stellung der Aktionäre, die in Höhe des gemachten Gewinnes, auch soweit er nicht ausgezahlt wird, bereichert sind, da er immerhin ihnen zu gute kommt, und des tantièmeberechtigten Beamten, der nichts Anderes als den als Tantième ausgezahlten Teil des Gewinnes erwirbt, für das Recht auf die Tantième unerheblich, ob die Aktionäre in bezug auf den zur Verteilung bestimmten Gewinn wegen Mangels vorhandener Mittel zur Flüssigmachung desselben die Nichtauszahlung oder Vertagung der Auszahlung beschließen. Nach dem Wesen der Tantième als der Zubilligung einer Belohnung für die Mitarbeit zur Erlangung eines Erträgnisses wird man sogar mangels eines besonderen Anhaltes dafür, daß etwas Anderes gewollt wäre, anzunehmen haben, daß unter dem Reingewinn, von welchem die Tantième zu entrichten ist, dasjenige verstanden wird, was von der Jahreseinnahme nicht durch die Jahresbetriebskosten absorbiert ist, sodaß, wenn das Ergebnis der Vermögensbilanz und einer bloßen Ertragsbilanz ein verschiedenes wäre, der Tantièmenprozentsatz nach dem aus letzterer, wie sie entsprechend den Ansätzen in der von der Gesellschaft festgestellten Bilanz aufzustellen, sich ergebenden Gewinn zu bemessen wäre. Ob dabei die Ansetzung des Bruttoreinertrages, d. i. des Ertragsüberschusses vor Abzug der jährlichen Verwendungen für einen statutarischen Reservefonds und für Abschreibungen auf Abnutzung des Substanzvermögens, als gewollt zu erachten ist, dafür wird in erster Reihe die Aufklärung in einer Vergleichung des Inhaltes des Anstellungsvertrages mit dem Inhalte des Gesellschaftsstatutes zu suchen sein. In dem vorliegenden Bilanzkonto für 1881 - Anlage A. - ist anscheinend die Tantième von dem Aktivenüberschusse noch vor Abzug der Beträge für den Reservefonds und für Abschreibungen berechnet.

Es konnte daher, wenn man die Bilanzaufstellung und Feststellung pro 1881, wie sie Ende 1881 und am 16. Februar 1882 stattgefunden hat, für sich allein und unter Nichtberücksichtigung alles später Geschehenen betrachtet, der erhobene Anspruch nicht deshalb zurückgewiesen werden, weil nach den gesetzlichen Vorschriften die Bilanz nicht in dieser Weise hätte aufgenommen und genehmigt werden sollen. War in jenen Akten eine wirkliche definitive Bilanzfeststellung, bei der nur die Gewinnauszahlung wegen Mangels flüssiger Mittel vertagt wurde, zu finden - eine Frage, welche das Berufungsgericht gerade ungeprüft läßt -, so war zwischen den Parteien nicht zu erörtern, ob die Bilanz richtigen Grundsätzen entsprach oder ob dies nicht der Fall war. War aber in jener Bilanzfeststellung nur eine provisorische, von einer Bedingung, die nicht eingetreten, abhängige zu finden, so mußte sich doch die weitere Frage ergeben, zu welchem wirklichen definitiven Abschlüsse für das Jahr 1881 die Gesellschaft schließlich gelangt ist und ob nicht doch nach diesem dem Kläger noch ein Tantièmenanspruch zusteht." ... (Es wird weiter ausgeführt, daß nach Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und ihrer Anlagen das Berufungsgericht Anlaß gehabt hätte, auf eine Vervollständigung des Sachverhältnisses hinzuwirken, welche ergeben hätte, daß Ende des Jahres 1882 eine neue Bilanz pro 1881 mit einem infolge Wertsherabsetzung jener Bestände veränderten Ergebnisse aufgestellt und von der Generalversammlung am 2. Juni 1883 genehmigt worden war. Danach könnte sich Kläger allerdings auf die erste Bilanzfeststellung pro 1881, weil sie in verfassungsmäßiger Weise wieder beseitigt worden, nicht mehr stützen. Es müßte aber geprüft werden, ob nicht der erhobene Teilbetragsanspruch auf der zweiten Bilanzfeststellung begründet wäre, da, wenn auch diese nur einen Gewinnbetrag von so geringer Ziffer auswerfe, daß Kläger durch die empfangenen 500 M für seinen Tantièmenanspruch befriedigt erscheinen könnte, doch anscheinend dabei die vom Kläger im Prozesse beanspruchte Summe schon bei der Gewinnberechnung vorher in Reserve gesteckt sei, sodann aber die geringe Ziffer des Gewinnes auf über das Maß bloßer Abnutzung wesentlich hinausgehenden Abschreibungen auf das Petroleumwerk selbst, welche ihren Grund in dessen konstatiertem Produktionsminderwerte hätten, beruhe und geprüft werden müsse, ob die Kürzungen des Gewinnes durch diese Abschreibungen den klägerischen Tantièmenanspruch berühren könnten.)

  • 1. Vgl. auch Entsch. d. R.O.H.G.'s Bd. 9. S. 274, Bd. 18 S. 158 flg.