RG, 08.03.1884 - I 21/84

Daten
Fall: 
Cif-Klausel: cost, insurance, freight
Fundstellen: 
RGZ 14, 111
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
08.03.1884
Aktenzeichen: 
I 21/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin
  • KG Berlin

1. Unterschied des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung und wegen verspäteter Erfüllung beim Kaufvertrage.
2. Ist bei ausdrücklicher vertragsmäßiger Festsetzung eines Ortes für die Vornahme einer Leistung insoweit noch Raum, für die Erforschung der "Absicht der Kontrahenten" in Ansehung des Erfüllungsortes?
3. Hat die Klausel " cif" eine Bedeutung für den Übergang der Gefahr bei Distanzkäufen?
4. Bedeutung eines auswärtigen Handelsgebrauches als dispositiver Rechtsnorm.
5. Kommt das Recht des Erfüllungsortes bei obligatorischen Verträgen auch dann zur Anwendung, wenn nur eine einzelne zur Erfüllung gehörige Handlung nach der Natur der Sache fern vom Wohnsitze der Kontrahenten vorgenommen werden muß?

Tatbestand

Geklagt war auf Zahlung eines beträchtlichen Schadensersatzes wegen Verspätung einer Roggenlieferung, welche dem Mühlenbetriebe und Mehlhandel des Klägers zu dienen bestimmt war; die Abladung des Roggens in Nikolajeff, von wo derselbe vertragsmäßig nach Bremerhaven zu verschiffen war, sollte um 13 Tage zu spät erfolgt sein. Das Berufungsgericht hatte den geforderten Betrag wenigstens teilweise zugesprochen. Durch das Reichsgericht wurde auf Revision der Beklagten dieses Urteil aufgehoben, und die Sache zu neuer Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Aus den Gründen

"Die Art, wie im Berufungsurteile der der Klägerin durch die Verspätung der beklagtischen Erfüllung des Kaufvertrages angeblich verursachte Schade berechnet ist, mußte als ganz unhaltbar erscheinen. Ein solcher Schade kann nie ohne weiteres gefunden werden in demjenigen Betrage, um welchen der Kaufpreis, den der Käufer zum Zwecke rechtzeitiger Beschaffung eines Ersatzes für die ausgebliebene Ware hat anlegen müssen, den von ihm früher dem jetzt säumigen Verkäufer bewilligten Kaufpreis übersteigt. Dieser Betrag würde nicht den wegen verspäteter Erfüllung, sondern den wegen Nichterfüllung zu verlangenden Schadensersatz darstellen.

Vgl. Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 24 S. 154. Nur beim letzteren findet auch der in der gegenwärtigen Sache vielfach herangezogene Begriff des Deckungskaufes, der überhaupt kein technischer ist, seine eigentliche Anwendung. Wollte man (in einem anderen Sinne) auch bei bloß verspäteter Erfüllung des Verkäufers von einem Deckungskaufe reden und die bei diesem zu Tage getretene Preisdifferenz zum Ausgangspunkte für die Schadenberechnung nehmen, so wäre das nur in der Weise gerechtfertigt, daß dann andererseits auch der an der verspätet gelieferten Ware etwa gemachte Gewinn, wenn auch unter Abzug der Zwischenzinsen, dem Verkäufer zu gute gerechnet, und also zu diesem Zwecke eine Abrechnung darüber beigebracht würde: womit denn freilich sachlich doch der Standpunkt des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung eingenommen wäre. Die Berechnung des Schadens wegen verspäteter Erfüllung muß, wenn es in Wahrheit bei dieser Art des Schadensersatzes verbleiben soll, von vornherein in anderer Weise geschehen. Es giebt Fälle, wo nach der Natur des Geschäftes der Abs. 3 des Art. 357 H.G.B. in der Weise zu entsprechender Anwendung kommen kann, daß der Käufer, wenn der Marktpreis der betreffenden Ware von dem vertragsmäßigen Erfüllungstage bis zum Tage der verspäteten Lieferung gefallen ist, einfach diese Differenz der Marktpreise als seinen Schaden liquidiert.1

Zu diesen Fällen möchte indessen der vorliegende kaum gehören. Es wäre aber sehr wohl denkbar, daß die Klägerin einen Schaden insofern als durch die Verspätung ihr entstanden darlegte, als sie den Gewinn, der durch die Verarbeitung des ihr von der Beklagten zu liefernden Roggens, bezw. durch den Vertrieb des daraus herzustellenden Mehles, zu erzielen war, nun erst um soviel später gemacht hätte; ganz abgesehen davon, daß ihr Schade sich auf Grund besonderer Umstände, welche sie natürlich nachzuweisen haben würde, auch höher belaufen könnte, als auf die bloßen Zwischenzinsen von dem verspätet erzielten Gewinne.

Aus diesen Ausführungen ergiebt sich, daß das angefochtene Urteil jedenfalls deshalb aufgehoben werden mußte, weil zum Nachteile der Beklagten darin der Begriff des Schadensersatzes wegen verspäteter Erfüllung verkannt, und insofern gegen den Art. 355 H.G.B. verstoßen war. ...

Von den der Beklagten nachteiligen Ausführungen des Berufungsgerichtes verstößt außer der oben erörterten noch eine andere gegen revisible Rechtsnormen, nämlich diejenige, mittels welcher die Einwendung der Beklagten verworfen wird, daß nach einem in Nikolajeff, welches für sie vertragsmäßiger Erfüllungsort gewesen sei, geltenden Handelsgebrauche der Verkäufer von Getreide auf Lieferung erst zehn Tage nach dem bedungenen Ablieferungs- oder Abladetermine die Ware zu liefern oder abzuladen verpflichtet sei. Wäre diese Einrede begründet, so würde die Verspätung der Abladung und Lieferung nicht dreizehn, sondern nur drei Tage betragen. Das Kammergericht begegnet derselben nun zunächst mit der Feststellung, daß nach dem Inhalte des Vertrages und nach der Absicht der Kontrahenten nicht Nikolajeff, sondern Bremerhaven als Erfüllungsort anzusehen sei. Dabei ist offenbar rechtsirrtümlicherweise davon ausgegangen, daß die Frage nach dem Erfüllungsorte unabhängig von dem, was der Vertrag ausdrücklich über den Ort der einzelnen Leistungen bestimmen mag, noch nebenher auf Grundlage der "Absicht der Kontrahenten" erörtert werden müßte oder könnte. Da im vorliegenden Falle nach ausdrücklicher Verabredung der Kontrahenten der Roggen in Nikolajeff abzuladen war, so war eben Nikolajeff für diese Abladung Erfüllungsort, und die abweichende Annahme der vorigen Richter verstößt gegen Art. 342 Abs. 1, bezw. Art. 324 Abs. 1 H.G.B. Hieran würde auch dadurch nichts geändert werden, wenn wirklich, wie das Kammergericht ferner annimmt, die Beklagte die Gefahr und die Kosten des Seetransportes zu tragen übernommen hätte. Zudem aber ist unerfindlich, worauf die Annahme, daß die Gefahr von der Beklagten übernommen sei, beruht; sollte dies aus der Klausel " cif geschlossen, sein, so würde hierin eine Verletzung des Art. 345 Abs. 2 H.G.B. liegen.2

Einen zweiten Grund, die fragliche Einrede zu verwerfen, entnimmt das Berufungsgericht daraus, daß die Beklagte nicht dargethan habe, daß die Klägerin bei Abschluß des Vertrages von dem Nikolajeffer Handelsgebrauche Kenntnis gehabt und sich demselben unterworfen habe. Allein dieser Grund steht nicht im Einklänge mit der Bedeutung, welche dispositiven Rechtsnormen zukommt. Wäre überhaupt das in Nikolajeff geltende Recht auf das vorliegende Vertragsverhältnis anwendbar, so würde es unerheblich sein, ob die Kontrahenten dasselbe bei Abschluß des Vertrages gekannt hätten, oder nicht; es bedarf keiner besonderen Unterwerfung unter das an und für sich maßgebende Recht, sondern es steht nur den Kontrahenten frei, die Anwendung einzelner dispositiver Rechtsnormen durch besondere Beredung auszuschließen.

Gleichwohl war aus diesen Verstößen ein fernerer Grund zur Aufhebung des angefochtenen Urteiles nicht zu entnehmen, da die Entscheidung selbst in dem hier fraglichen Punkte aus anderen Gründen als richtig erschien. Einmal ist von der Beklagten selbst der Inhalt der angeblichen Usance gar nicht in dem Sinne angegeben worden, daß man sie als einen allgemeinen Rechtssatz für alle in Nikolajeff zu erfüllenden Geschäfte, und nicht vielmehr nur für die am dortigen Platze geschlossenen Geschäfte aufstellend zu verstehen hätte. Sodann ist auch überhaupt nicht anzunehmen, daß das vorliegende Vertragsverhältnis, welches in Deutschland unter zwei hier niedergelassenen Firmen zustande gekommen ist, deshalb in irgend einer Beziehung nach den in Nikolajeff geltenden Rechtsnormen zu beurteilen wäre, weil der eine Kontrahent einen Teil der zu seiner Erfüllung gehörigen Leistungen an jenem Orte vorzunehmen hatte. Denn der Satz, daß die aus obligatorischen Verträgen entspringenden Rechtsverhältnisse nach dem Rechte des Erfüllungsortes zu beurteilen seien, wenn man ihn überhaupt als Regel gelten lassen will, kann jedenfalls nur da durchgreifen, wo die ganze Abwickelung des Geschäftes in seinen wesentlichsten Beziehungen an dem betreffenden Orte vor sich gehen soll, nicht auch in Fällen, wo, wie im gegenwärtigen, nur eine einzelne zur Erfüllung gehörige Handlung wegen der obwaltenden thatsächlichen Verhältnisse an einen von dem Wohnsitze der Kontrahenten verschiedenen Ort verlegt werden muß." ...

  • 1. Vgl. Entsch. des R.O.H.G.'s a. a. O. S. 155 flg.
  • 2. Vgl. Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 10 S. 176 flg. und Bd. 13 S. 438.