RG, 21.02.1884 - IV 461/83

Daten
Fall: 
Im Lande befindlicher Gegenstand
Fundstellen: 
RGZ 11, 255
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
21.02.1884
Aktenzeichen: 
IV 461/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Magdeburg
  • OLG Naumburg

Was ist im §. 12 Abs. 3 des Stempelgesetzes vom 7. März unter einem im Lande befindlichen Gegenstande zu verstehen?

Tatbestand

Die klagende, in Eisleben domizilierende Gewerkschaft empfing in den Jahren 1875 und 1879 von der Allgemeinen Deutschen Kreditanstalt in Leipzig zwei Darlehne von 3000000 und 1650000 M. Die für diese Darlehne in verschiedenen Einzelbeträgen ausgestellten Schuldverschreibungen sind namens der Klägerin von Deputierten derselben in Leipzig unterzeichnet, und dort der Gläubigerin gegen Zahlung der Valuta ausgehändigt worden. In den Schuldverschreibungen hat sich Klägerin verpflichtet, die Nominalbeträge nach einem bestimmten Verlosungsplane nach Wahl des Gläubigers bei der Allgemeinen Deutschen Kreditanstalt in Leipzig oder bei ihrer eigenen Kasse in Eisleben zu zahlen. Die Stempelbehörde verlangte für diese Schuldverschreibungen auf Grund des §.12 des Stempelgesetzes vom 7. März 1822 den Schuldverschreibungsstempel in Höhe von 4520 M, weil die von der Klägerin übernommene Zahlungsverpflichtung ein im Inlande befindlicher Gegenstand sei, auch weil die Zahlung, eventuell in Eisleben, also mit inländischen Geldmitteln versprochen sei. Die Klägerin zahlte jenen Betrag unter Vorbehalt.

Im gegenwärtigen Prozesse hat Klägerin die gezahlte Summe vom Fiskus zurückgefordert mit der Behauptung, daß in den ausgestellten Schuldverschreibungen nicht über einen im Inlande befindlichen Gegenstand verhandelt sei. Beide Vorinstanzen haben den Fiskus zur Zurückzahlung verurteilt. Die vom Beklagten eingelegte Revision ist zurückgewiesen worden.

Gründe

"Die Forderung des Stempels, ist vom Beklagten gestützt und kann nur gestützt werden auf Satz 2 des §.12 Abs. 3 des Stempelgesetzes vom 7. März 1822. Das Stempelsteuer-Hoheitsrecht erstreckt sich nur auf das eigene Gebiet jedes Staates, und Regel ist, daß ausländische Verhandlungen nicht einem preußischen Stempel unterliegen (Finanzminist.-Reskript vom 10. Oktober 1842; Justizminist.-Reskripte vom 20. April 1838 und 31. Januar 1871, Hoyer, Preuß. Stempelgesetzgebung 3. Aufl. S. 10. 20). Ausnahmen von der Regel bedürfen einer ausdrücklichen Gesetzesbestimmung, und eine solche für Schuldverschreibungen anwendbare Bestimmung findet sich nur in jenem Satze des §. 12 a. a. O., welcher nicht bloß, wie aus dem übrigen Inhalte der Stellung und der Überschrift des Paragraphen zu schließen wäre, eine formelle, sondern auch eine materielle Vorschrift über die Stempelpflicht von Urkunden enthält. Als Ausnahme von einem allgemeinen Grundsätze des Staatsrechtes ist der betreffende Satz des §. 12 strikt zu interpretieren, und abgesehen von gewissen darin enthaltenen Dunkelheiten ist für seine Anwendung das mit klaren Worten aufgestellte Erfordernis zu beachten, daß der Gegenstand, über welchen Inländer im Auslande eine Verhandlung gepflogen haben, im Inlande befindlich ist.

Mit dem Gegenstande, über welchen eine Verhandlung gepflogen worden, ist nicht das beurkundete Rechtsgeschäft und dessen Inhalt, sondern der Gegenstand gemeint, auf den das Rechtsgeschäft und dessen Inhalt sich beziehen; denn nicht ein Rechtsgeschäft, sondern nur eine Sache kann sich an einem bestimmten Orte, im Inlande befinden, und für Schuldverschreibungen besteht der Gegenstand in den darin verschriebenen Geldsummen. Sind diese und nicht das aus den Schuldverschreibungen sich ergebende Forderungsrecht der Gegenstand, auf welchen es hier ankommt, so ist es nicht, wie Beklagter will, zulässig, behufs Feststellung des Ortes des Gegenstandes den §. 24 C.P.O. und den §. 34 Anhang zur Allg. G.O. heranzuziehen; denn diese Paragraphen bestimmen den Ort, an dem sich Forderungsrechte befinden, und zwar lediglich in bezug auf den Gerichtsstand.

Der Ort, an welchem die beurkundete Verbindlichkeit erfüllt werden soll, ist nicht gleichbedeutend mit dem Orte, an welchem der Gegenstand der Verhandlung sich befindet; jener Satz des §.12 des Stempelgesetzes erfordert einen Stempel für die darunter fallenden Urkunden auch dann, wenn der Erfüllungsort im Anstände belegen ist. Abgesehen von letzterem Orte muß der Gegenstand der Verhandlung im Lande sein.

Das Gesetz erfordert das Imlandesein des Gegenstandes als einen tatsächlichen Zustand, und dieser tatsächliche Zustand wird weder geschaffen, noch bestätigt oder anerkannt durch die urkundliche Zusicherung einer Erfüllungsart, welche voraussetzt, daß der Gegenstand der Verhandlung sich in einer späteren Zeit im Lande befinden wird. Auch muß der Gegenstand zur Zeit der Ausstellung der Urkunde sich im Lande befinden, weil das Gesetz eben verlangt, daß über einen im Inlande befindlichen Gegenstand verhandelt worden ist. Eine spätere Ortsveränderung des Gegenstandes kann einen Einfluß auf die vorher mit der Ausstellung der Urkunde entstandene Stempelpflicht nicht ausüben. Welche Konsequenz hieraus für den vom Revisionskläger herangezogenen Fall zu ziehen ist, daß über Sachen verhandelt ist, die erst zukünftig im Inlande entstehen, kann dahingestellt bleiben, da ein solcher Fall nicht vorliegt.

Soll ein Gegenstand sich im Inlande befinden, so muß er dort auch ein räumliches Dasein haben, und dieses erfordert seine Individualisierung, d. h. der Gegenstand muß eine für sich besondere, spezielle Sache oder wenigstens ein bestimmbarer Teil einer solchen sein. Die genetische Bezeichnung einer Sache, welche sowohl im Auslande als im Inlande vorhanden ist, z. B. die Bezeichnung gewisser Geldbeträge, giebt ihr kein örtliches oder räumliches Dasein.

Im vorliegenden Falle hat Klägerin, welche als Inländerin zu betrachten ist, im Auslande Schuldverschreibungen ausgestellt, welche, wenn sie im Inlande ausgestellt wären, stempelpflichtig sein würden. Sollen dieselben, ungeachtet ihrer Entstehung im Auslande, stempelpflichtig sein, so muß in ihnen über einen im Inlande befindlichen Gegenstand verhandelt sein. Ihren Gegenstand bilden die verschriebenen Geldsummen; diese sind nur generisch bezeichnet; Klägerin hat sich nicht einmal verpflichtet, diese Summen aus den eigenen Mitteln herzunehmen, und kann sich fremder Geldmittel bedienen; sie hat nicht die Zahlung mit Geldern oder Teilen von Geldern versprochen, welche als eine wirkliche Spezies sich im Inlande befinden. Nach der vorherigen Ausführung fehlt demnach für die Stempelpflichtigkeit das Erfordernis, daß der Gegenstand der Schuldverschreibungen sich im Inlande befindet, und diesem Erfordernisse ist nicht dadurch genügt, daß die Zahlung nach der Wahl der Gläubiger im Inlande versprochen ist."