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RG, 08.02.1884 - III 309/83

Daten
Fall: 
Civilrechtlichen Verjährungsfristen
Fundstellen: 
RGZ 11, 44
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
08.02.1884
Aktenzeichen: 
III 309/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Braunschweig
  • OLG Braunschweig

Ist in die civilrechtlichen Verjährungsfristen der Reichsgesetze, insbesondere in die Verjährungsfrist des §. 8 des Haftpflichtgesetzes vom 7. Juni 1871 der Tag einzurechnen, an welchem das die Verjährung in Lauf setzende Ereignis stattgefunden hat?

Tatbestand

Der Kläger belangte die Beklagte aus §. 2 des Haftpflichtgesetzes auf Entschädigung wegen der Folge einer Verletzung, welche er am 4. Dezember 1880 in der Fabrik derselben erlitten hatte. Die Beklagte schützte gegen die ihr am 4. Dezember 1882 zugestellte Klage auf Grund des §. 8 dieses Gesetzes die Einrede der zweijährigen Verjährung vor, davon ausgehend, daß der Tag des Unfalles in die Verjährungsfrist einzurechnen und somit dieselbe bereits mit dem Ablaufe des 3. Dezember 1882 abgelaufen sei. Die beiden ersten Instanzen hielten, in Billigung dieser Auffassung, die Einrede für begründet und wiesen die Klage als verjährt ab. Auf die Revision des Klägers wurde das zweitinstanzliche Urteil aufgehoben, und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Der §. 8 des Haftpflichtgesetzes schreibt vor:

"Die Forderungen auf Schadensersatz verjähren in zwei Jahren vom Tage des Unfalles an. Gegen diejenigen, welchen der Getötete Unterhalt zu gewähren hatte, beginnt die Verjährung mit dem Todestage."

Daß durch diese Vorschrift auch die Frage, ob der hiernach für den Beginn der Verjährung maßgebende Tag in die Verjährungsfrist einzurechnen sei oder nicht, zum Gegenstande der Reichsgesetzgebung gemacht worden ist, kann nicht zweifelhaft sein.

Eger, Haftpflichtgesetz Note 8 zu S. 8 will diese Frage als eine landesrechtliche angesehen haben; ebenso für die Anfechtungsverjährung Sarwey, K.O., Note 8 zu §. 24, Note 2 zu §. 34 und Otto, Anfechtung S. 178, 138.

Im übrigen kann aber die Auffassung des Berufungsgerichtes nicht gebilligt werden.

Während für das gemeine Recht auf Grund der Quellen überwiegend angenommen wird, daß der Tag, an welchem das eine Frist in Lauf setzende Ereignis stattgefunden hat, in die Frist einzurechnen sei, haben die neueren Gesetzgebungen das entgegengesetzte Prinzip befolgt1 und dasselbe hat sich auch im gemeinen Rechte als Gewohnheitsrecht für die Berechnung prozessualer Fristen und als präsumtive Norm für die Auslegung vertragsmäßiger Fristbestimmungen Geltung verschafft. Dieser modernen Rechtsanschauung hat sich die Reichsgesetzgebung in den Vorschriften der Wechselordnung (Art. 32) und des Handelsgesetzbuches (Art. 328) über die Berechnung der Erfüllungsfristen und in den Verjährungsvorschriften der Art. 386. 408. 908. 909. 910 H.G.B., sowie späterhin in ihren Prozeßgesetzen (§. 199 C.P.O.; auch §. 42 St.P.O.) angeschlossen. Daß die Reichsgesetzgebung in anderen civilrechtlichen Verjährungsvorschriften dieses Prinzip habe verlassen und statt dessen die Einrechnung des maßgebenden Tages vorschreiben wollen, kann ohne genügenden Grund nicht angenommen werden. Dazu kommt noch, daß durch diese Einrechnung die Frist um einen Teil ihrer durch die Gesetzesworte bezeichneten Dauer, nämlich um die Zeit von dem Beginne ihres ersten Tages bis zu dem Momente des maßgebenden Ereignisses, verkürzt werden würde, und daß eine solche die Fristbestimmung zu Ungunsten desjenigen, welchem die Verjährung seines Rechtes angedroht ist, einschränkende Auslegung überhaupt im Zweifel als unstatthaft erscheint. Der Hinweis der Revisionsbeklagten auf die Verjährungsvorschriften der §§. 61. 67. 70 St.G.B. kann, da aus dem strafrechtlichen Prinzipe eine Folgerung auf die Absicht civilrechtlicher Bestimmungen nicht zu begründen ist, nur in bezug auf die Terminologie der Reichsgesetzgebung Beachtung beanspruchen, insofern nämlich, als das Strafgesetzbuch, wie in den Motiven zu seinem §. 67 bemerkt ist, die Frage, ob der Tag des maßgebenden Ereignisses in die Frist einzurechnen sei, als durch seinen Ausdruck: "die Frist beginnt mit dem Tage" von selbst in bejahendem Sinne entschieden ansieht; allein durch die dortige absichtliche Anwendung dieses Ausdruckes in seinem präzisen Wortsinne ist nicht ausgeschlossen, daß andere, zumal civilrechtliche Reichsgesetze denselben in einer laxeren Bedeutung gebraucht haben können.

Die Worte des §. 8 des Haftpflichtgesetzes: "die Forderungen verjähren in zwei Jahren vom Tage des Unfalles an" lassen nicht erkennen, ob das Gesetz diesen Tag in die Frist eingerechnet haben will oder nicht. Nun ist zwar einerseits nicht zu bezweifeln, daß dieser Ausdruck und derjenige des folgenden Satzes: "die Verjährung beginnt mit dem Todestage" in der fraglichen Hinsicht als gleichbedeutend gebraucht worden sind; allein andererseits ergiebt sich auch gerade aus diesem Wechsel des Ausdruckes, in Verbindung mit der Beschaffenheit des ersten Ausdruckes, daß der Gesetzgeber hier seine Aufmerksamkeit nicht auf die Entscheidung der gedachten Frage gerichtet hat. Dieselbe ist auch bei längeren Fristen für die Dauer derselben von so minimaler Bedeutung und praktisch in so äußerst seltenen Fällen von Erheblichkeit, daß es nicht auffällig sein kann, wenn sie bei der Gesetzesredaktion manchmal unbeachtet bleibt.

Auch das Handelsgesetzbuch bedient sich im Art. 146 Abs. 2 des Ausdruckes: "die Verjährung beginnt mit dem Tage", während dasselbe, neben einigen anderen vereinzelten Bezeichnungsweisen (Art. 146 Abs. 3. Art. 349), in den schon angeführten Artikeln den unzweideutigen Ausdruck "die Verjährung beginnt mit dem Ablaufe des Tages" anwendet. Da dem Handelsgesetzbuche die Absicht nicht zugetraut werden kann, daß es in dieser unwesentlichen Hinsicht für seine verschiedenen Verjährungsfristen verschiedene Vorschriften treffen wolle, so ist hiermit ein Fall gegeben, in welchem die Reichsgesetzgebung den ersteren Ausdruck erweislich im Sinne der Nichteinrechnung des betreffenden Tages gebraucht hat.

Endlich wird auch durch die Entstehungsgeschichte des §. 8 des Haftpflichtgesetzes bestätigt, daß bei der schließlichen Fassung desselben die hier in Rede stehende Frage unbeachtet gelassen worden ist. In dem dem Bundesrate vorgelegten Entwürfe lautete derselbe:

"die (einjährige) Verjährungsfrist beginnt mit dem Ablaufe des Tages, an welchem der Beteiligte von dem Schaden Kenntnis erhalten hat."

Der hiermit ausgesprochene Grundsatz der Nichteinrechnung des maßgebenden Tages wurde in den Verhandlungen des Bundesrates von keiner Seite berührt. Dieselben beschäftigten sich lediglich mit der Dauer der Verjährung und dem für den Beginn derselben maßgebenden Umstande. Der Bundesrat gab dem Paragraphen die für die Berechnungsmethode indifferente Fassung:

"Die Verjährung beginnt mit der Entstehung der Forderung."

Auch die Verhandlungen des Reichstages betrafen nur die beiden im Bundesrate erwogenen Fragen, und namentlich wurde auch der vom Reichstage angenommene Abänderungsantrag, welcher dem Paragraphen seine jetzige Fassung gegeben hat, nur in diesen beiden Richtungen begründet und erörtert.2

Kann nach allem diesen die Ansicht des Berufungsgerichtes aus der Fassung des §. 8 a. a. O. nicht begründet werden, so muß man aus den schon angeführten Gründen annehmen, daß die Reichsgesetzgebung auch hier den Grundsatz der Nichteinrechnung des maßgebenden Tages zur Anwendung gebracht haben will.

Ebenso ist auch schon in betreff der Berechnung der Verjährungsfristen der Wechselordnung, welche gleichfalls abwechselnd die Ausdrucke "vom Tage an" (Art. 77. 79. 100) und "mit dem Tage" (Art. 78) anwendet, sowohl vom Reichsoberhandelsgerichte3 als auch von anderen obersten Gerichtshöfen4 erkannt worden.5

Hiernach erscheint die vorgeschützte Verjährungseinrede als unbegründet."

Die Klagen verjähren in drei Jahren.

  • 1. vgl. Savigny, System Bd. 4 S. 420; Dernburg, Preuß. Privatr. Bd. 1 §. 70 Note 2; Eccius in Förster's Preuß. Privatr. 4. Aufl. Bd. 1 §. 45 Note 7;Entgegengesetzter Meinung ist Förster selbst n. a. O. der früheren Auflagen. Das preuß. Allg. Landrecht bedient sich ohne Unterschied der Ausdrücke "von dem Tage an" und "nach dem Tage". Zachariä, Franz. Privatr. 6. Aufl. Bd. 1§. 146 Note 3a; Sächsisches bürgerliches Gesetzbuch §. 87,
  • 2. Vgl. Drucksachen des Bundesrates, 1871 Nr. 5. 13. 18.29; Protokoll desselben vom 21. März 1871 §. 92; Reichstagsverh. 1871 I. Leg.-Per. Stenogr. Ber. Bd. 1 S. 503 flg. 620; Anl. 3 Nr. 16.
  • 3. vgl. Entsch. d. R.O.H.G.'s Bd. 3 Nr. 26 S. 130; Nr. 86 S. 417,
  • 4. vgl. Seuffert, Archiv Bd. 15 Nr. 243 (Berlin), Bd. 19 Nr. 63 (Dresden), Centralorgan für Wechselrecht N. F. Bd. 9 S. 347 (Wien),
  • 5. In den übrigen civilrechtlichen Verjährungsvorschriften der Reichsgesetze besteht in betreff der Bezeichnung des Beginnes der Verjährung eine große Mannigfaltigkeit der Ausdrucksweise. Außer den Ausdrücken " von dem Tage an" (z. B. Postgesetz vom 28. April 1871 ß, 14; Zollgesetz vom 1. Mai 1869 §. 15; Witwenpensionsgesetz vom 20. April 1881 §. 16) und " mit dem Tage" (Genossenschaftsgesetz vom 4. Juli 1868 §. 63; Reichsbeamtengesetz vom 31. März 1873 §. 144) kommen auch noch folgende vor: " nach der Ablieferung" (H.G.B. Art. 349); " nachdem" das maßgebende Ereignis stattgefunden hat (Reichsbeamtengesetz §. 150); " mit dem Zeitpunkte" (H.G.B. Art. 146 Abs. 3; Genossenschaftsgesetz §. 63); " von der Verfallzeit angerechnet", " nach eingetretener Fälligkeit" (die sämtlichen Anleihe- und Schatzanweisungsgesetze, das Bankgesetz vom 14. März 1875 §. 24); " seit dem Tage" (Wuchergesetz vom 24. Mai 1880 Art. 3); " seit der Eröffnung des Verfahrens" (K.O. §. 34, ebenso Anfechtungsgesetz vom 21. Juli 1879 §. 12). Korrekt sagt der §. 141 d der revidierten Gewerbeordnung: "Die Verjährung beginnt mit dem Schlusse des Kalenderjahres, in welchem etc" Ähnlich §. 17 des Gesetzes über die Quartierleistung für die bewaffnete Macht vom 25. Januar 1868 und §. 16 des Gesetzes über die Naturalleistungen für dieselbe vom 13. November 1875. Das Strafgesetzbuch bedient sich (§§. 6l. 67. 70) nur des Ausdruckes " mit dem Tage"; die oben erwähnte Bemerkung seiner Motive hierzu lautet: "Durch die Anordnung, daß mit dem Tage des begangenen Verbrechens die Verjährung beginne, sollte einer Streitfrage über den Endpunkt der Verjährung vorgebeugt werden. Denn es ist nunmehr von selbst gegeben, daß die Verjährung mit dem Beginne des dem Anfange der Verjährung entsprechenden Kalendertages ihr Ende erreicht." Hiernach ist allgemein anerkannt, daß dieser Ausdruck in den strafrechtlichen Verjährungsvorschriften (z, B. Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 §. 100) überall die Vorschrift der Einrechnung des maßgebenden Tages enthält. Es findet sich aber auch in manchen strafrechtlichen Verjährungsvorschriften der Ausdruck " von dem Tage an" (z. B. Zollgesetz vom 1. Juli 1869 S. 164; Wechselstempelgesetz vom 19. Juni 1869 §. 17; Brausteuergesetz vom 21. Mai 1872 §§. 8. 40). Oppenhoff, Komm. zum St.G.B. N. 9 zu §. 67, und Binding, Grundriß S. 163, entnehmen aus der sprachlichen Bedeutung dieses Ausdruckes, daß derselbe, anders wie das Strafgesetzbuch, die Nichteinrechnung des maßgebenden Tages vorschreibe; entgegengesetzter Meinung ist Olshausen, Komm, zu §. 67 St.G.B. Gegen die oben angeführten Entscheidungen zum Art. 79 W.O. haben sich namentlich ausgesprochen Thöl, Wechselrecht 4. Aufl. §. 195 N. 12 und Swoboda in dem Centralorgan für Wechselrecht N. F. Bd. 9 S. 398; sie finden - umgekehrt wie Oppenhoff und Binding - in den Worten "von dem Tage an" auch ihrer sprachlichen Bedeutung nach die Absicht der Einrechnung jenes Tages ausgedrückt. Dernburg, Preuß. Privatrecht Bd. 1 §. 69 N. 9 stellt für die civilrechtlichen Verjährungsfristen des Reichsrechtes allgemein den Grundsatz der Nichteinrechnung desselben auf. Besondere Zweifel können sich aber bei der Verschiedenheit des civilrechtlichen und des strafrechtlichen Standpunktes noch ergeben hinsichtlich derjenigen Vorschriften des Reichsrechtes, welche (wie z. B. der §. 33 des Gesetzes betr. das Urheberrecht an Schriftwerken vom 11. Juni 1870) zugleich die civilrechtliche und die strafrechtliche Verjährung betreffen, oder doch (wie z. B. die §§. 15 u. 164 des Zollgesetzes) in verschiedenen Paragraphen desselben Gesetzes unter Anwendung derselben Worte für beide Gegenstände gegeben sind.