RG, 18.09.1918 - V 80/18

Daten
Fall: 
Passivlegitimation von Miterben vor Teilung des Nachlasses
Fundstellen: 
RGZ 93, 292
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
18.09.1918
Aktenzeichen: 
V 80/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

1. Ist vor Teilung des Nachlasses die Verfügung nur eines Teiles der Miterben über einen Nachlaßgegenstand nichtig oder liegt heilbare Unwirksamkeit vor?
2. Greift gegenüber einer Klage, die vor der Teilung nur von einem Teile der Miterben die Vornahme einer Verfügung über einen Nachlaßgegenstand begehrt, die Einrede mangelnder Passivlegitimation durch?
3. Stellt die Löschungsbewilligung, die von Nacherben betreffs des auf dem Nachlaßgrundstücke für sie eingetragenen Nacherbenvermerks erteilt wird, eine Verfügung über einen Gegenstand des Nachlasses dar?

Tatbestand

Die Beklagte zu 1, Maria von D., ist die Hinterbliebene Witwe des Rittergutsbesitzers Anton von D., mit dem sie in Gütergemeinschaft gelebt hatte. In seinem im Jahre 1897 errichteten Testamente hatte Anton von D. sie als Vorerbin und seine Kinder, das sind der Gutsbesitzer Kasimir von D. und die Beklagten zu 2 bis 7, als Nacherben auf den Überrest eingesetzt. Auf Grund des Erbscheins vom 26. September 1907 wurde die Beklagte zu 1 im Grundbuche des Ritterguts Ludzisk, das zur gütergemeinschaftlichen Masse gehörte, als Alleineigentümerin eingetragen; gleichzeitig wurde in Abt. II unter Nr. 9 folgende Eintragung bewirkt: "Die Beschränkung des Verfügungsrechts der Eigentümerin Maria von D. als Vorerbin nach ihrem verstorbenen Ehemann Anton von D. durch das Recht folgender Nacherben" (Kasimir von D. und der Beklagten zu 2 bis 7).

Durch notariellen Vertrag vom 16./21. Dezember 1911 verkaufte die Beklagte zu 1 das Rittergut Ludzisk für den Preis von 1242000 M an den Kläger, worauf die Auflassung am 30. Dezember 1911 erfolgte. Der Kläger war der Ansicht, daß die zugunsten der Nacherben des Anton von D. eingetragene Verfügungsbeschränkung jetzt gegenstandslos sei. Nachdem er zunächst erfolglos beim Grundbuchamte die Löschung beantragt hatte und nachdem auch seine Beschwerde vom Landgerichte zurückgewiesen war, forderte er die Beklagten zu 2 bis 7 auf, ihre Einwilligung zur Löschung zu erteilen. Diese wandten ein, der Kaufvertrag vom 16./21. Dezember 1911 enthalte zum großen Teil eine Schenkung, zu der ihre Mutter nicht berechtigt gewesen sei; daher sei das gesamte Veräußerungsgeschäft ihnen gegenüber unwirksam und eine Verpflichtung zur Löschungsbewilligung nicht gegeben.

Mit der Klage beanspruchte der Kläger gegenüber der Maria von D. die Feststellung, daß der Kaufvertrag keine teilweise Schenkung enthalte. Der Anspruch wurde vom Landgerichte wegen mangelnden Feststellungsinteresses abgewiesen, wobei sich der Kläger beruhigte. Gegenüber den Beklagten zu 2 bis 7 -- nicht auch gegenüber Kasimir von D. -- begehrte er Verurteilung zur Einwilligung in die Löschung der Eintragung Abt. II Nr. 9. Die Vorinstanzen verurteilten antragsgemäß. Auf die Revision wies das Reichsgericht auch die gegen diese Beklagten gerichtete Klage ab.

Gründe

... "Die Revision hat in erster Linie geltend gemacht, daß die Klage schon deshalb der Abweisung unterliegen müsse, weil sie nicht gegen alle Nacherben gerichtet worden sei. Dieser Einwand, auf dessen Erörterung die mündliche Verhandlung beschränkt wurde, war auch für durchgreifend zu erachten. Zwar haben die Beklagten sich seiner erst in diesem Rechtszuge bedient; gleichwohl mußte der Einwand, weil er die materielle Frage nach der Passivlegitimation betraf, auch jetzt noch berücksichtigt werden. Wenn die Revision zugleich das Vorhandensein einer notwendigen Streitgenossenschaft zwischen den Beklagten zu 2 bis 7 und dem nicht mitbeklagten Nacherben Kasimir von D. vorschützte, so übersah sie, daß, da letzterer an dem Prozeß überhaupt nicht beteiligt ist, von keinerlei Streitgenossenschaft hier die Rede sein kann.

Die sachliche Berechtigung des Revisionseinwandes folgt aus § 2040 BGB., der bestimmt, daß Miterben vor geteilter Erbschaft nur gemeinschaftlich über einen Gegenstand des Nachlasses verfügen können, in Verbindung mit der Erwägung, daß, wenn Miterben nur gemeinschaftlich in der Lage sind, über einen Nachlaßgegenstand verfügen zu können, und wenn mithin Verfügungen nur eines Teiles der vorhandenen Miterben als rechtswirksam überhaupt nicht gelten dürfen, daß dann nur einem Teile der Miterben auch nicht im Wege der Klage angesonnen werden kann, eine Verfügung über einen Nachlaßgegenstand zu treffen. Oder es müßte der Fall so liegen, daß es nur noch der Erklärung der verklagten Miterben bedürfte, um der Gesetzesvorschrift gemäß eine gemeinschaftliche Verfügung der sämtlichen Erben zu ergeben. Das Recht, von jemand die Vornahme einer Rechtshandlung klageweise zu fordern, deren Rechtsunwirksamkeit von vornherein feststände, kann niemand zugestanden werden, und ein dinglicher Anspruch insbesondere, wie er hier mit der Klage aus § 894 BGB. verfolgt wird, kann, wie das in der Natur der Dinge begründet ist, nur gegen den geltend gemacht werden, der dem Anspruch zu genügen überhaupt imstande ist.

In Ansehung der Vorschrift des § 2040 könnte nur in Frage kommen, ob sie in der Tat zur Folge hat, daß Verfügungen, die der Bestimmung entgegen nur von einem Teile der Miterben vorgenommen werden, wie vorausgesetzt worden, völlig wirkungslos bleiben. Die Bejahung der Frage ist aber unbedenklich und entspricht dem klaren Ausspruche des Gesetzes selbst. Zwar bedient sich das Gesetz in vereinzelten Fällen des Ausdrucks "kann nicht" in Hinblick auf die Vornahme einer Rechtshandlung auch dann, wenn es die vorgenommene Rechtshandlung nicht unbedingt (absolut), sondern nur zugunsten einer bestimmten Person als unwirksam angesehen wissen will (so im Falle des § 181 und des § 719 BGB.; vgl. RGZ. Bd. 68 S. 37, Bd. 92 S. 399). Aber in solchen Fällen entspringt die entsprechende Vorschrift auch nicht mit innerer Notwendigkeit aus dem Wesen des Rechtsverhältnisses selbst, ist vielmehr nur aus Erwägungen hervorgegangen, die unter den zu denkenden Verhältnissen den Rechtsschutz einer bestimmten Person zu fordern schienen (so bei § 181 den Schutz des Vertreters und bei § 719 den Schutz der Gesellschaft). Die Bestimmung des § 2040 wurzelt dagegen in der Rechtsnatur der Erbengemeinschaft selbst, wie sie vom Gesetze begrifflich verstanden wird, und stellt sich daher gerade nur als das folgerichtige Ergebnis des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses dar. Da nämlich das Gesetz die Erbengemeinschaft vor Teilung des Nachlasses als eine Gemeinschaft zur gesamten Hand auffaßt, und zwar mit der Tragweite, daß der Nachlaß eine gesonderte rechtliche Einheit darstellt, daß die Verfügung wie die Verwaltung über das Sondervermögen nur allen Erben zusammen zusteht und dem einzelnen Erben auch nicht ein Verfügungsrecht über seinen Anteil an den einzelnen Nachlaßgegenständen gebührt (§§ 2032, 2038, 2033 Abs. 2), so durfte das Gesetz folgerichtig auch die Frage, wer über die einzelnen Nachlaßgegenstände selbst zu verfügen berechtigt und befähigt sei, nur im Sinne der Vorschrift des § 2040 Abs. 1 beantworten und damit das fragliche Verfügungsrecht nur der Gemeinschaft belassen; den einzelnen Erben mußte es abgesprochen werden. Hieraus folgt nun unbedenklich, daß gegebenenfalls auch nur eine solche Verfügung über einen Nachlaßgegenstand im Sinne des Gesetzes als rechtswirksam erachtet werden kann, die als eine Verfügung der Gemeinschaft gelten darf, und daß anderseits Verfügungen, die nicht als solche der Gemeinschaft in Betracht kommen können, der gewollten Wirkung vollends entbehren müssen. So hat auch der VII. Zivilsenat in dem Urteil Jur. Wochenschr. 1907 S. 834 ausgesprochen, daß Verfügungen nur einzelner Miterben über einen Nachlaßgegenstand keinerlei rechtliche Beziehungen begründen. Und offenbar aus den nämlichen Rechtserwägungen hat der erkennende Senat in RGZ. Bd. 71 S. 367 bereits angenommen, daß bei einer Gesamthandklage aus § 2059 Abs. 2, insonderheit auf Vornahme einer Verfügung, alle Miterben verklagt werden müssen; zu entscheiden, welche Folgen es hat, wenn dem nicht nachgekommen ist, hatte der Senat damals allerdings keinen Anlaß.

Aus dem Grundsätze, daß zutreffendenfalls die sämtlichen Erben verklagt werden müssen, folgt freilich nicht, daß die Nichtbeachtung der Regel ausnahmslos zur Abweisung der Klage führen muß. Es kann nämlich nicht verlangt werden, daß die mehreren Erben ihre die Verfügung enthaltende Erklärung sämtlich gleichzeitig und bei derselben Gelegenheit abgeben. Daher kann der Vorschrift auch auf die Weise genügt werden, daß die Erben die Verfügung gesondert vornehmen, wofern nur die einzelnen Erklärungen wegen ihrer Beziehungen zueinander schließlich eine gemeinschaftliche Verfügung aller Erben ergeben. Und demgemäß wird es namentlich dann auch nicht notwendig sein, alle Miterben auf Abgabe der Verfügungserklärung zu belangen, wenn ein Teil von ihnen eine an sich rechtsbeständige und unumstößliche Verfügung freiwillig bereits erklärt hat und es sonach nur noch des Hinzutritts der Erklärungen der weiteren Erben bedarf, um das Ergebnis einer gemeinschaftlichen Verfügung im Sinne des § 2040 zu erzielen. Dementsprechend ist in dem angegebenen Urteile Bd. 71 S. 367 als Ausnahme von der Regel, daß sämtliche Erben verklagt werden müssen, ausdrücklich der Fall zugelassen, daß ein Erbe zur Vornahme der Verfügung bereits verurteilt worden ist, oder daß eine dem gleich zu stellende Urkunde vorliegt. Nur von dem Gedanken wird man sich freihalten müssen, daß die Verfügung des einzelnen Erben auch insofern von rechtlicher Bedeutung wäre, als sie durch die nachfolgende Genehmigung der weiteren Erben gemäß § 185 Abs. 2 Rechtswirksamkeit erlangen könnte. Da nämlich dem einzelnen Erben jedes Verfügungsrecht betreffs eines Nachlaßgegenstandes überhaupt mangelt, jede einzelne Verfügung für sich mithin wirkungslos ist, so besteht hier für die Anwendbarkeit des Grundsatzes des § 185 über das Wirksamwerden von Verfügungen des Unberechtigten durch die Genehmigung des Berechtigten nach keiner Richtung hin Raum. Der Verfügungsberechtigte ist eben im zutreffenden Falle einzig und allein die Gemeinschaft der sämtlichen Erben. Wenn also hier und da in Ansehung von Verfügungen nur einzelner Erben die Anwendbarkeit des § 185 Abs. 2 bejaht wird (vgl. zu § 2040 Planck Anm. 5, Fischer-Henle Anm. 1, Komm, von RGR. Anm. 1; ferner Kretzschmar Erbrecht § 85 III 1) und wenn dabei auch an den Fall vom Wirksamwerden unwirksamer Verfügungen durch die nachträgliche Genehmigung des Berechtigten gedacht sein sollte, so kann dem nicht zugestimmt werden.

Was nunmehr den gegenwärtigen Streitfall anlangt, so liegen alle Voraussetzungen vor, die die Anwendbarkeit des § 2040 und daraufhin die Befolgung der aus dieser Vorschrift im Vorstehenden abgeleiteten Grundsätze erheischen. Es handelt sich hier zwar nicht um Erben schlechthin, sondern um Nacherben. Aber auch solche bilden eine Gemeinschaft zur gesamten Hand, nicht anders als sonst Erben (RGZ. Bd. 89 S. 56, 57). Fest steht sodann, daß zu den Nacherben des Anton von D. außer den Beklagten zu 2 bis 7 auch der Rittergutsbesitzer Kasimir von D. gehört, der nicht mitverklagt worden ist, und daß der grundbuchliche Vermerk, dessen Löschung bewilligt werden soll, auch den Genannten als Nacherben aufführt. Unfraglich wird endlich aber auch mit der Klage nach § 894 BGB. von den Beklagten zu 2 bis 7 eine Verfügung über einen Gegenstand des Nachlasses des Anton von D. begehrt. Eine Verfügung insofern, als die Beklagten die Löschung desjenigen Eintrags bewilligen sollen, der sich über die "Beschränkung des Verfügungsrechts der Maria von D. als Vorerbin durch das Recht der Nacherben" verhält, und als die Erklärung der Nacherben ihrer Wirkung nach die Aufgabe (zwar nicht eines überhaupt nicht begründeten Rechtes am Grundstücke, wohl aber) derjenigen Sicherung enthalten würde, die der Eintrag den Nacherben für den Fall gibt, daß ihr Nacherbenrecht durch unwirksame Verfügungen über das Nachlaßgrundstück verletzt würde (§§ 2113, 892 BGB.). Diese Sicherung ist auch dinglicher Art (RGZ. Bd. 89 S. 59), und daß die von den Beklagten freizugebende Sicherung einen Gegenstand des Nachlasses im Sinne des § 2040 darstellt, kann nicht zweifelhaft sein, da sie auf dem Nacherbenrechte beruht und eine zum Nachlasse gehörende Sache betrifft.

Einer der Ausnahmefalle, bei deren Vorhandensein dem Kläger zu verstatten gewesen wäre, seine Klage nur gegen den einen Teil der Nacherben, die Beklagten zu 2 bis 7, zu richten, liegt im übrigen nicht vor. Daß Kasimir von D. bereits verurteilt worden sei, die Löschungsbewilligung zu erteilen, oder daß er die erforderliche Erklärung schon in einer gleichzustellenden Urkunde abgegeben hätte, erhellt nicht. Der Vertreter des Revisionsbeklagten hat nichts derart zu behaupten vermocht, hat sich vielmehr in der Verhandlung auf die Erklärung beschränken müssen -- und dies, wiewohl ihm der erörterte Revisionsangriff durch Zustellung der Revisionsrechtfertigungsschrift schon seit längerer Zeit bekannt geworden ist --, daß nicht zu ersehen sei, weshalb Kasimir von D. nicht mitverklagt wurde. Aber auch nicht einmal dafür besteht irgendein Anhalt, daß der Genannte gesonnen sei, nachträglich im Falle der Verurteilung der Beklagten zu 2 bis 7 der Löschungsbewilligung beizutreten. Der Vertreter der Revisionskläger hat anderseits darauf hingewiesen, daß Kasimir von D. zur Verhandlung vom 19. Juni 1915 als Zeuge bekundet hat, er habe sich zum Verkaufe des Rittergutes Ludzisk zum Preise von 1400000 M an seinen Bruder St. seiner Mutter gegenüber einverstanden erklärt, halte jedoch den Wert des Gutes auch darüber hinaus für weit höher. Mit einem Einverständnis des Kasimir von D. mit dem Verkauf an den Kläger zum Preise von nur 1242000 M zu rechnen, liegt also kein Grund vor.

Schließlich kann auch nicht als ausgeschlossen erachtet werden, daß bei einer nachträglichen gleichartigen Klage gegen Kasimir von D. ein Urteil erginge, das mit dem etwaigen Ergebnisse des gegenwärtigen Prozesses -- falls nämlich die Entscheidung des Berufungsgerichts etwa bestehen bliebe -- in Widerspruch stände, während das Sachverhältnis selbst nur eine einheitliche Entscheidung zuläßt. Zur Herbeiführung einer solchen Unzuträglichkeit darf das Gericht keinesfalls seine Hand bieten. Demgemäß mußte alles gegen die Verwerfung der Revisionsrüge sprechen und lag auch kein Anlaß vor, die Sache noch in die vorige Instanz zurückzuverweisen. Nach § 565 Abs. 3 ZPO. hatte das Revisionsgericht schon jetzt in der Sache selbst zu entscheiden."