RG, 18.10.1883 - V 246/83

Daten
Fall: 
Anfechtung einer Entscheidung über den Kostenpunkt
Fundstellen: 
RGZ 10, 309
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
18.10.1883
Aktenzeichen: 
V 246/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Dortmund
  • OLG Hamm

Ist nach §. 94 C.P.O. die Anfechtung einer Entscheidung über den Kostenpunkt auch dann unzulässig, wenn die Entscheidung nur den Kostenpunkt zum Gegenstande hat?

Tatbestand

Klägerin beanspruchte mit der hypothekarischen Klage Zinsen eines Hypothekendarlehns, welche nach Erhebung der Klage von dem beklagten dinglichen Schuldner bezahlt wurden, sodaß nur die Kostenpflicht streitig blieb. Der erste Richter verurteilte den Beklagten in die Kosten. Die dagegen eingelegte Berufung wurde als unzulässig zurückgewiesen. Infolge der vom Beklagten eingelegten Revision wurde die Sache zur Verhandlung und Entscheidung vor die vereinigten Civilsenate verwiesen und von diesen das Rechtsmittel zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Die Revisionsbeschwerde ist gegen die entscheidende Auslegung des §. 94 C.P.O. gerichtet worden mit Ausführungen, die sich an die Begründung des Bd. 6 S. 432 flg. der Reichsgerichtsentscheidungen abgedruckten und eines späteren, in Sachen G. wider M. Rep. I. 506/821 ergangenen Urteiles anlehnen. Dieser Begründung kann aber bei anderweiter Prüfung nicht beigepflichtet werden; die vorderrichterliche Auslegung ist vielmehr für richtig zu erachten.

Der §. 94 C.P.O. lautet:

"Die Anfechtung der Entscheidung über den Kostenpunkt ist unzulässig, wenn nicht gegen die Entscheidung in der Hauptsache ein Rechtsmittel eingelegt wird."

Die Vorschrift steht im allgemeinen Teile des Gesetzbuches und schließt sich der allgemeinen Lehre von der Kostenpflicht der Parteien einander gegenüber an. Dabei ist von in der Doktrin feststehenden Begriffen ausgegangen, nach denen die Prozeßkosten ihren Entstehungsgrund in dem Rechtsstreite haben, in Existenz und Umfang von diesem abhängig sind und jeder eigenen Selbständigkeit entbehren. Hierin beruht die von der Civilprozeßordnung verschiedentlich gemachte Unterscheidung von Hauptsache (Haupt- und Nebenanspruch) und Kostenpunkt (§§. 91. 279. 282. 94), und es ergiebt sich daraus zugleich, daß die Prozeßkosten als solche nicht Gegenstand eines anderen Rechtsstreites und nicht zur Hauptsache werden können, wenn der anhängige Rechtsstreit im übrigen erledigt ist. Sodann beziehen sich die dem §. 94 vorhergehenden Bestimmungen der §§. 87 flg. auf die Kosten des ganzen Rechtsstreites in allen Instanzen und sie ergeben deshalb in Verbindung mit der dem Richter aufgelegten Pflicht, über die Kosten zu erkennen (§. 270 C.P.O.), daß der mit dem Rechtsstreite in höherer Instanz befaßte Richter auch mit dem Kostenpunkte befaßt ist und daher das in der Hauptsache eingelegte Rechtsmittel auch den Kostenpunkt ergreift. Dagegen lassen jene Bestimmungen die Frage unberührt, wie es sich mit der Anfechtung einer Entscheidung über den Kostenpunkt verhalte, wenn in der Hauptsache kein Rechtsmittel eingelegt wird, oder aus irgend einem Grunde, insbesondere auch, weil eine Entscheidung über die Hauptsache nicht ergangen, nicht eingelegt werden kann. Diese Frage ist von der Civilprozeßordnung, abgesehen von dem §. 94, nirgends beantwortet. Ist nun an dieser Stelle der Prozeßordnung mit dem §. 94 eine Vorschrift des Inhaltes angeschlossen, daß die Anfechtung der Kostenentscheidung, wenn nicht gegen die Entscheidung in der Hauptsache ein Rechtsmittel eingelegt wird, unzulässig sei, so drängt sich von selbst der Gedanke auf, daß diese Vorschrift, jene Frage zu beantworten bestimmt sei, daß also in den bemerkten Fällen eine Anfechtung überhaupt nicht stattfinden solle. In diesem Sinne spricht der erste Satz des §. 94 die Unanfechtbarkeit einer Kostenentscheidung als Regel aus, während der zweite Satz davon diejenigen Entscheidungen ausnimmt, deren Anfechtbarkeit schon nach den vorhergehenden Bestimmungen die Regel ist, sodaß beide Regeln neben einander Platz haben und den Gegenstand erschöpfen. Hiergegen ist von den Vertretern der abweichenden Auffassung, welche die Vorschrift nur auf mit der Hauptentscheidung verbundene Kostenentscheidungen beziehen wollen, auf die Satzstellung und die Wortfassung der Vorschrift hingewiesen, und einerseits der Gebrauch des bestimmten Artikels bei den Worten "gegen die Entscheidung" im zweiten Satze, welcher auf die Voraussetzung einer vorhandenen Hauptentscheidung auch im ersten Satze hindeute, hervorgehoben, andererseits die Bedingungsform des zweiten Satzes mit Rücksicht auf den unsicheren Sprachgebrauch und die Seltenheit alleiniger Kostenentscheidungen nicht für geeignet angesehen, den ersten Satz als Regel und den zweiten als Ausnahme erscheinen zu lassen, woraus dann gefolgert ist, daß die Tragweite der Vorschrift zweifelhaft bleibe, und dies dahin führen müsse, daß Entscheidungen über den Kostenpunkt allein dem Angriffe durch die ordentlichen Rechtsmittel unterliegen. Nun steht zwar dieser Motivierung von Bedenken entgegen, einmal: daß die gewählte Art der Satzverbindung es keinesweges unklar macht, daß der erste Satz eine Regel der Unzulässigkeit der Anfechtung aufstellt, welche der bedingende Nachsatz beschränkt, und daß dieses Verhältnis der Sätze zu einander durch die Frage, was danach das Gewöhnliche ist und sein wird, die Unanfechtbarkeit oder die Anfechtbarkeit, nicht beeinflußt werden kann, das andere Mal: daß der Gebrauch des bestimmten Artikels statt des unbestimmten im zweiten wie im ersten Satze an und für sich nicht nötigen kann, die sich aus einem Satze ergebende Voraussetzung auch auf den anderen zu übertragen, aber es kann freilich dennoch nicht behauptet werden, daß die Vorschrift keines deutlicheren Ausdruckes fähig war und ihre Fassung das erhobene Bedenken schlechterdings ausschließe.

Indessen machen die Konsequenzen der abweichenden Auslegung es rätlich, dieses Bedenken fallen zu lassen. Denn zunächst ist ein rationeller Grund, die Anfechtung der Kostenentscheidung allein, je nachdem sie mit einer Hauptentscheidung in Verbindung steht, oder letztere sich erledigt hat, zuzulassen oder nicht zuzulassen, nicht erfindbar, da diese Entscheidung in einem Falle nicht anfechtungsbedürftiger erscheint, als in dem anderen. Dem Wesen nach stehen beide Fälle gleich, es steht der Kostenentscheidung eine erledigte Hauptsache zur Seite, welcher gegenüber der Kostenpunkt seine Unselbständigkeit und innerliche Abhängigkeit behält, und in beiden Fällen kann die Kostenfrage von beliebig erheblicher Bedeutung sein; der Unterschied ist lediglich ein formeller, der auch dadurch, daß der Richter die Erledigung der Hauptsache virtuell aussprechen kann, wieder verschwindet. Sodann führt die Ansicht, daß in dem einen Falle die ordentlichen Rechtsmittel eintreten, zu neuen Unterscheidungen und Zweifeln. Denn daß dieser Grundsatz dann nicht anwendbar ist, wenn es sich um die bloßen Kosten solcher erledigten Streitfälle handelt, bei denen die Beschwerde das ordentliche Rechtsmittel ist, kann nach §.530 C.P.O. nicht bedenklich sein, und die Frage, wie es in den Fällen zu halten, in welchen die Kosten dem in der Hauptsache obsiegenden Teile auferlegt sind, oder sonst ein Rechtsmittel gegen die Hauptentscheidung unmöglich ist, würde auf jenem Standpunkte besonderer und schwieriger Lösung bedürfen. Es ist aber nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber diese Konsequenzen ganz übersehen haben sollte.

Mit diesem Ergebnisse befindet sich auch die sogenannte Entstehungsgeschichte der Vorschrift im Einklange, wenngleich die abweichende Interpretation auch hierin einer anderen Auffassung folgt. Dabei kommen insbesondere die verschiedenen Entwürfe der Prozeßordnung nebst Motiven in Betracht, da der §. 94 aus den Beratungsstadien, welche die Entwürfe seit 1869 betrafen, unverändert hervorgegangen ist. Die Vorschrift lautete in dem preußischen Entwurfe von 1864:

"§. 617 wegen unrichtiger Entscheidung des Kostenpunktes findet nur insofern die Berufung statt, als diese zugleich in der Hauptsache eingelegt wird;"

die Motive dazu ( Decker'sche Ausgabe 1864 S. 147) sprechen aus, daß die Zulassung der Berufung wegen des Kostenpunktes auch mit Beschränkung auf einen Beschwerdewert mißlich sei, deshalb die Aufstellung des Grundsatzes, daß wegen des Kostenpunktes allein die Berufung nicht zulässig ist, bezweckt werde, und sie sind sonst wesentlich gleichlautend mit den Motiven des letzten Entwurfes. Das Vorbild ist offenbar die preußische Deklaration vom 6. April 1839 Art. 1 Nr. 3 gewesen, welche "wegen unrichtiger Entscheidung des Kostenpunktes, wenn in der Hauptsache kein Rechtsmittel zulässig ist oder eingelegt wird", den Rekurs, und auch diesen nur mit Beschränkung, für statthaft erklärte.

Die Bestimmung ist dann nach §. 156 des norddeutschen Entwurfes und von da in die Entwürfe zur deutschen Civilprozeßordnung, immer in der jetzigen Fassung, übernommen worden. Daß aber die veränderte Fassung von vornherein keine Veränderung oder Einschränkung des Sinnes bezweckte, ergiebt sich aus den Protokollen der norddeutschen Kommission vom 11. und 13. September 1869 S. 1485 flg. - Die Motive zum letzten Entwurfe ( Kortkampf'sche Ausgabe S. 437) endlich besagen nach Bezugnahme der abweichenden Grundsätze des französischen und preußischen Prozesses wörtlich:

"Konform dem preußischen Entwurfe §. 617 Nr. 4 und dem norddeutschen Entwurfe §. 156 schließt der §. 92 (§. 94) die Anfechtung der Entscheidung über den Kostenpunkt aus, wenn nicht gegen die Entscheidung in der Hauptsache ein Rechtsmittel eingelegt wird. Zwar ist es für eine Partei gleich drückend, ob sie einen Betrag als Kosten oder Hauptschuld zu bezahlen hat, es erscheint aber aus allgemeinen Gründen mißlich, Rechtsmittel, auch nur in Form der Beschwerde, wegen unrichtiger Entscheidung des Kostenpunktes allein zuzulassen."

Diese verschiedenen Äußerungen gestatten keinen Zweifel darüber, daß mit der ursprünglichen wie mit der veränderten Fassung der Vorschrift ein und dasselbe bestimmt werden sollte, nämlich, daß die Anfechtung von Kostenentscheidungen nur mit dem in der Hauptsache zuständigen Rechtsmittel zuzulassen sei und dieselbe gegen bloße Entscheidungen über den Kostenpunkt (wegen des Kostenpunktes allein) nicht stattfinde. Es ist zwar dennoch, um die mit der Fassungsänderung verbundene Absicht, der Vorschrift die behauptete eingeschränkte Bedeutung zu geben, zu konstatieren, auf die sich an die vorstehende Motivierung des letzten Entwurfes anschließende Ausführung Bezug genommen, welche das Rechtsmittel für unangemessen oder überflüssig erachtet, gleichviel, ob man von dem Prinzipe ausgehe, es sei bei der Beurteilung eines solchen Rechtsmittels auch die Sachentscheidung nachzuprüfen, oder von dem entgegengesetzten Prinzipe der Trennung von Sach- und Kostenentscheidung, und es wird in dieser Ausführung der eigentliche Gesetzesgrund der Vorschrift gefunden, der auf die Anfechtung der alleinigen Kostenentscheidung nicht passe. Dabei ist aber übersehen, daß diese Ausführung fast wörtlich aus der Begründung des Entwurfes von 1864 entnommen worden ist, dessen Fassung, wie ja auch vom jenseitigen Standpunkte angenommen wird, die Bedenken gegen die Tragweite der Vorschrift ausschloß, und es kann endlich auch nicht zugegeben werden, daß die gedachte Ausführung auf die Frage nach dem Anfechtungsbedürfnisse bloßer Kostenentscheidungen nicht anwendbar gemacht werden könne, und noch weniger, daß, wenn sie eine solche Anwendung ausschlösse, sie den deutlichen Sinn der daraus hergeleiteten Intention zu beschränken und zu beseitigen geeignet wäre.

Nach alledem muß man sich für diejenige Auslegung des §. 94 a. a. O. entscheiden, nach welcher die Anfechtung einer Entscheidung über den Kostenpunkt auch dann unzulässig ist, wenn die Entscheidung nur den Kostenpunkt zum Gegenstande hat, und mußte daher das eingelegte Rechtsmittel zurückgewiesen werden."

  • 1. Abgedruckt in Bd. 9 Nr. 94 S. 325 D. R.