RG, 09.07.1918 - VII 94/18

Daten
Fall: 
Überlassung von Gesellschaftsrechten
Fundstellen: 
RGZ 93, 244
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
09.07.1918
Aktenzeichen: 
VII 94/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

1. Begriff der Gesellschaften des bürgerlichen Rechtes in der Tarifnr.1 A c RStempG.
2. Trifft die Tarifnr. 1 A e Nr. 1 auch die durch preußisches Landesrecht geregelten Gesellschaften?
3. Sind Überlassungsurkunden nach der Tarifnr. 1 A e Nr. 1 auch., dann stempelpflichtig, wenn sie nur einseitige Erklärungen des Überlassers der Rechte am Gesellschaftsvermögen enthalten?
4. Trifft die Tarifnr. 1 A e Nr. 1 auch Fälle, in denen die Gesellschaft selbst eigene Gesellschaftsrechte, die sie vorübergehend erworben hat, einem anderen überlaßt?

Tatbestand

Die klagende Bergwerksgesellschaft, der im Jahre 1860 die Rechte einer juristischen Person verliehen worden waren, erwarb am 16. Dezember 1916 auf Grund einer schriftlichen Übertragungserklärung der Landwirtschaftlichen Bank in B. von dieser nach mündlicher Vereinbarung mit ihr 9 Geschäftsanteile der Klägerin. Diese und zwei andere Geschäftsanteile überließ sie auf Grund mündlicher Vereinbarungen durch schriftliche Erklärung vom 30. Dezember 1916 an andere Personen. Für alle diese Überlassungen erforderte der Beklagte nach der Tarifnr. 1 A e Nr. 1 Halbsatz 1 RStempG. eine Abgabe von [2/10] v. H. des Überlassungspreises mit zusammen 1234,65 M. Die Klägerin war der Meinung, daß sie entsprechend dem Halbsatze 2 der genannten Steuervorschrift nur eine Abgabe von [1/20] v. H. des Überlassungspreises zu entrichten habe, und beanspruchte mit der Klage die Erstattung des Unterschiedsbetrags von 926,15 M nebst Prozeßzinsen.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Die Revision der Klägerin wurde zurückgewiesen aus folgenden

Gründe

"Die Klägerin hält die Anwendung der Tarifnr. 1 A. RStempG. auf den vorliegenden Streitfall schon deshalb für ausgeschlossen, weil diese Steuervorschrift nur solche Gesellschaften treffe, die ihre Regelung durch das Reichsrecht erfahren hätten, nicht aber solche, die wie die Klägerin nach Landesrecht zu beurteilen seien. Aber schon die geschichtliche Entwicklung der Vorschrift zeigt, daß ihr eine derartige, durch den Wortlaut und Sinn der Tarifnummer nicht unterstützte einschränkende Bedeutung nicht beiwohnt. Die Tarifnr. 1 A ist ohne wesentliche Änderungen in das Reichsstempelgesetz vom 3. Juli 1913 aus der Tarifst. 25 des preuß. Stempelsteuergesetzes übernommen. Diese Tarifstelle unterwarf, wie die Vorschrift unter e Nr. 2 ergibt, sämtliche in Preußen eingesessenen Gesellschaften -- abgesehen von den besonders aufgeführten -- der Abgabe, und zwar sowohl diejenigen, deren Rechtsverhältnisse durch Reichsgesetz geregelt sind, wie z. B. Aktiengesellschaften, Gesellschaften m. b. H. (Tarifst. zu a), als auch die unter der Herrschaft des Landesrechts entstandenen und ihm unterworfenen, wie z. B. die Gewerkschaften (Tarifst. zu e). Die Übernahme der Vorschrift in das Reichsstempelgesetz bezweckte nur ihre Erweiterung dahin, daß sie auf das ganze Gebiet des Reichs ausgedehnt und die Steuereingänge dem Reiche zugeführt werden sollten. Eine Absicht, dabei die landesrechtlichen Gesellschaften der Reichsabgabe zu entziehen, bestand nicht. Sie wäre auch unvereinbar mit der Tatsache, daß nach der Tarifnr. 1 A unter f auch die dem Landesrecht unterstehenden Gewerkschaften (Art. 67 EG. z. BGB.) dem Reichsstempel unterliegen.

Nach Tarifnr. 1 A. zu e Nr. 1 unterliegen Beurkundungen von Gesellschaftsverträgen einem Stempel von [1/20] v. H., wenn sie die Überlassung von Rechten am Gesellschaftsvermögen der unter c bezeichneten Gesellschaften betreffen, und einem Stempel von [2/10] v. H., wenn sie die Überlassung der Rechte am Gesellschaftsvermögen irgendeiner anderen Gesellschaft zum Gegenstand haben. Unter c sind nur die offenen Handelsgesellschaften, die Kommanditgesellschaften, die Gesellschaften des bürgerlichen Rechtes und die Genossenschaften bezeichnet. Von diesen kommen hier nur die Gesellschaften des bürgerlichen Rechtes in Betracht. Darüber, ob zu ihnen die Klägerin zu rechnen sei, streiten die Parteien. Mit dem Beklagten ist die Frage zu verneinen Die Bezeichnung "Gesellschaften des bürgerlichen Rechtes" hat in der Rechtssprache juristisch-technische Bedeutung dahin, daß darunter nur die in den §§ 705 flg. BGB. geregelten Gesellschaften verstanden werden, die inhalts dieser Vorschriften zwar ein Gesellschaftsvermögen besitzen, aber eine selbständige Rechtsperson nicht darstellen. Damit stimmt es überein, daß in der Tarifst. 25 des vor dem Bürgerlichen Gesetzbuch entstandenen Landesstempelgesetzes vom 31. Juli 1895, aus der die Tarifnr. 1 A des Reichsstempelgesetzes vom 3. Juli 1913 hervorgegangen ist, die Gesellschaften des bürgerlichen Rechtes nicht erwähnt sind. Erst in der nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Geltung gelangten Stempelnovelle vom 30. Juni 1909 sind zum erstenmal Gesellschaftsverträge, betreffend Gesellschaften des bürgerlichen Rechtes, als Gegenstand der Besteuerung aufgeführt. Die Entstehungsgeschichte der neuen Fassung der Tarifst. 25 zu b Nr. 1 ergibt auch deutlich, daß unter den nunmehr zur Besteuerung herangezogenen Gesellschaften des bürgerlichen Rechtes die Gesellschaften der §§ 705 flg. BGB. zu verstehen sind und daß insbesondere von diesem Begriffe diejenigen Gesellschaften ausgeschlossen sein sollten, die eine selbständige Rechtspersönlichkeit haben (Verh. des Abg.-H. 1908/09 Nr. 560 A S. 20, 21, 26, Nr. 560 c S. 37, Nr. 560 E S. 3 bis 5). Dafür, daß bei der 1913 erfolgten Übernahme der neuen Fassung in das Reichsstempelgesetz diesem Begriffe der Gesellschaften des bürgerlichen Rechtes (im Sinne des Stempelgesetzes) eine neue und weitere Bedeutung hätte untergelegt werden sollen, fehlt es an jedem Anhalte. Der Klägerin sind unstreitig schon im Jahre 1860 die Rechte einer juristischen Person verliehen worden, sie hat daher keinen Anspruch darauf, stempelrechtlich als eine Gesellschaft bürgerlichen Rechtes behandelt zu werden und deshalb von dem höheren Stempel von [2/10] v. H. befreit zu bleiben.

Die im Streitfalle zur Besteuerung gezogenen Urkunden enthalten nur einseitige Erklärungen des Überlassers der Geschäftsanteile, nicht aber rechtsgeschäftliche Erklärungen des Erwerbers. Die Klägerin hält deshalb die Anwendung der Tarifnr. 1 A hier für ausgeschlossen, weil nach dieser nur Beurkundungen von Gesellschaftsverträgen stempelpflichtig sind. Das Überlassen setzt zwar das Bestehen einer vertraglichen Einigung der Beteiligten voraus; das Reichsgericht steht aber, soweit es sich um derartige, einer besonderen Form nicht bedürfende Überlassungen handelt, in ständiger Rechtsprechung auf dem Standpunkte, daß die Steuerpflicht regelmäßig nicht durch die Beurkundung der Gesamtheit der Tatsachen bedingt ist. welche die beabsichtigte Rechtswirkung herbeiführen, daß vielmehr der Urkundenstempel sich schon an die beurkundete rechtsgeschäftliche Erklärung knüpft, die zur Herbeiführung der Rechtsänderung erforderlich ist, ohne daß es darauf ankommt, ob sie für sich allein die beabsichtigte Rechtswirkung zur Folge hat oder ob dazu noch weitere Tatsachen hinzutreten müssen (RGZ. Bd. 69 S. 326, 328). Die Stempelpflicht ist daher hier nicht durch den Umstand ausgeschlossen, daß die Annahmeerklärung der Erwerber, die auch formlos und sogar stillschweigend erfolgen konnte, nicht zum Gegenstande der Beurkundung gemacht ist. Von gleichen Grundsätzen geht das Reichsgericht für die Auslegung der Tarifst. 2 (Abtretungen) des preuß. Stempelsteuergesetzes aus.

Fehl geht endlich auch der Angriff der Revision, der die Unanwendbarkeit der Vorschrift der Tariftnr. 1 A e auf den Streitfall daraus folgern will, daß darin dem Wortlaute nach nur Überlassungen "seitens eines Gesellschafters oder dessen Erben" dem Stempel unterworfen werden, während bei einem Teile der hier in Betracht kommenden Überlassungen nicht ein Gesellschafter, sondern die Gesellschaft selbst der Überlasser ist. Zwar ist zuzugeben, daß eine Gesellschaft begrifflich nicht gleichzeitig Gesellschafter ihrer selbst sein kann. Besteht aber ein Geschäftsanteil in einer nach außen hin selbständigen, vom Verkehr als solche anerkannten urkundlichen Form als greifbarer Vermögenswert, so ist kein praktischer Grund ersichtlich, weshalb die Gesellschaft nicht im einzelnen Falle mindestens vorübergehend den Geschäftsanteil eines Gesellschafters erwerben und unter Erhaltung seiner Selbständigkeit an Dritte weiterveräußern dürfte. So ist es anerkannten Rechtens, daß eine Aktiengesellschaft ungeachtet der bloßen Sollvorschrift des § 226 HGB. mit voller Rechtswirkung eigene Aktien erwerben kann. Auch im vorliegenden Falle haben die Geschäftsanteile der Klägerin in gewisser Beziehung nach außen hin eine selbständige Existenz insofern gewonnen, als nach § 4 des Statuts jedes Mitglied der Gesellschaft eine von dem Repräsentantenkollegium gerichtlich oder notariell ausgestellte, über seinen Geschäftsanteil lautende Urkunde (Gewährschein) erhält, die es veräußern und die nur gegen Rückgabe oder gerichtliche Ungültigkeitserklärung erneuert werden kann. Die Klägerin hat die von Gesellschaftern ihr übereigneten Geschäftsanteile, über welche Gewährscheine ausgestellt waren, mit diesen erworben und sie unverändert und unter Erhaltung ihrer Selbständigkeit an Dritte übereignet. Es ist nicht zu bezweifeln, daß der Gesetzgeber solche Fälle steuerlich mit denjenigen gleich behandelt wissen wollte, in denen ein Geschäftsanteil von einem Gesellschafter unmittelbar einem Dritten überlassen worden ist."...