RG, 22.11.1883 - IV 122/83

Daten
Fall: 
Rechtsanwaltsgebühr
Fundstellen: 
RGZ 10, 379
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
22.11.1883
Aktenzeichen: 
IV 122/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Neuruppin
  • KG Berlin

Ist ein Rechtsanwalt in Fällen, in welchen eine Vertretung der Partei durch einen Anwalt nicht geboten ist, berechtigt, Gebühren nach Maßgabe der Gebührenordnung auch für die zum Gebührenbezuge an sich berechtigenden Handlungen zu verlangen, welche nicht von ihm, sondern in seiner Vertretung von einem dem Anwaltsstande nicht angehörigen Substituten vorgenommen worden sind?

Aus den Gründen

"Der Anwalt des Beklagten, der Rechtsanwalt K. in P., hat in einer amtsgerichtlichen Streitsache seine Gebühren liquidiert und unter 2. auch eine Verhandlungsgebühr von 10,50 M zum Ansatze gebracht. Das Amtsgericht in Kyritz hat von dieser Gebühr 5 M gestrichen, weil der Rechtsanwalt K. die Verhandlungstermine weder selbst, noch durch einen anderen Anwalt, oder durch einen seit zwei Jahren im Justizdienste beschäftigten Referendar wahrgenommen habe, und für die aufgewendete Mühewaltung - der Rechtsanwalt war durch den Bürgermeister a. D. K. vertreten gewesen - als angemessene Vergütung 5,50 M passieren lassen. Auf die Beschwerde des Rechtsanwaltes K. hat das Landgericht in Neuruppin die von dem Amtsgerichte in Kyritz gestrichenen 5 M wieder in Ansatz gebracht.

Auf die nunmehr vom Kläger erhobene Beschwerde hat das Kammergericht in Berlin durch Beschluß vom 24. September 1883 die ganze Verhandlungsgebühr von 10,50 M gestrichen, und hiergegen ist nun die gegenwärtige Beschwerde des Rechtsanwaltes K. gerichtet.

Da die Verhandlungsgebühr von 10,50 M, um welche es sich allein handelt, in Höhe von 5 M übereinstimmend von dem Amtsgerichte in Kyritz und, auf die weitere Beschwerde, von dem Kammergerichte in Berlin gestrichen worden ist, in dieser Höhe also zwei gleichlautende Vorentscheidungen vorliegen, in betreff dieses Betrages auch kein neuer selbständiger Beschwerdegrund vorgebracht worden ist, so war die Beschwerde, soweit sie jene 5 M betrifft, als unzulässig zu verwerfen. Allein auch für den Mehrbetrag von 5,50 M ist sie unbegründet.

Die Gebührenordnung für Rechtsanwälte hat die Gebühr für die Gesamtthätigkeit der Rechtsanwälte im bürgerlichen Rechtsstreite nach gewissen Prozeßabschnitten berechnet und als Gebühren, welche in jedem Rechtsstreite - beim regelmäßigen Abschlusse durch Endurteil - stets zum Ansatze kommen, in erster Reihe bewilligt die Prozeßgebühr, welche den gesamten Geschäftsbetrieb außerhalb der mündlichen Verhandlung vergütet, und die Verhandlungsgebühr, welche - gesondert von der ersteren - für die mündliche Verhandlung, als das Ergebnis der vor ihr von dem Rechtsanwalte entwickelten Thätigkeit und den Schwerpunkt des Rechtsstreites darstellend - beansprucht werden kann. Jede dieser Gebühren kann, weil die Gesamtthätigkeit ablohnend, in jeder Instanz nur einmal liquidiert, eine Verhandlungsgebühr aber dann nicht gefordert werden, wenn der Rechtsanwalt zu einer Verhandlung hat laden lassen, ohne daß dieselbe durch das Gesetz vorgeschrieben oder durch das Gericht oder den Vorsitzenden angeordnet worden ist (§§. 9. 13. 15. 25 der Gebührenordnung für Rechtsanwälte). Die Gebührenordnung hat auch eine Bestimmung für das Kollektivmandat und einen Ausgleich in Ansehung der Gebühren für den Fall getroffen, wenn auf Verlangen der Partei die Vertretung in der mündlichen Verhandlung von dem Prozeßbevollmächtigten einem anderen Rechtsanwalte übertragen worden ist (§§. 2. 42. 43 a. a. O.). Daß aber ein zum Prozeßbevollmächtigten bestellter Rechtsanwalt befugt ist, sich für den Prozeß und für einzelne Teile desselben einen Vertreter zu bestimmen, das beruht auf dem Gesetze (§. 77 C.P.O.), und es ist auch nicht zweifelhaft, daß ein solcher Vertreter den beauftragenden Rechtsanwalt in vollem Umfange vertritt. Daraus folgt aber und ist auch bei Beratung des Entwurfes zur Rechtsanwaltsordnung ausdrücklich anerkannt worden, daß ein in solcher Weise vertretener Rechtsanwalt denselben Anspruch auf Gebühren und Auslagen hat, als wenn er selbst die Partei vertritt, und daß auf diese Gebühren die Bestimmung des §. 87 Abs. 2 C.P.O. Anwendung findet (Drucksachen des Reichstages Nr. 173 S. 25. 26).1

Es fragt sich nur, auf welchen Vertreter eines Rechtsanwaltes dieser Grundsatz Anwendung findet?

Im Parteiprozesse, d. i. im Rechtsstreite vor dem Amtsgerichte, ist eine Vertretung der Parteien durch Rechtsanwälte nicht geboten; es kann vielmehr jede prozeßfähige Person als Bevollmächtigter auftreten (§§. 74. 75 C.P.O., §. 26 der Rechtsanwaltsordnung). Es ist aber auch eine Vertretung der Parteien durch Rechtsanwälte zulässig, und - wenn sie geschehen - hat der bevollmächtigte Rechtsanwalt Anspruch auf Erstattung der Gebühren und Auslagen, während die Zubilligung von Reisekosten von dem Ermessen des Gerichtes über die zweckentsprechende Rechtsverfolgung abhängt (§. 87 C.P.O.). Es kann auch wohl nicht zweifelhaft sein, daß ein im Parteiprozesse bevollmächtigter Rechtsanwalt sich durch jede - an sich - prozeßfähige Person vertreten lassen kann; allein das ist eine Vertretung des Rechtsanwaltes vorwiegend in seiner Eigenschaft als Prozeßbevollmächtigter, abgesehen von seiner besonders qualifizierten Stellung als Rechtsanwalt. Und mit der Repräsentation dieser autoritativen Eigenschaft ist eng verbunden - und davon also abhängig - das Recht auf die Gebühr, welche das Gesetz für Aufwendung der Berufstätigkeit als Rechtsanwalt bewilligt (§. 1 der Gebührenordnung für Rechtsanwälte). Diese Repräsentation knüpft das Gesetz an die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder durch einen - diesem gleichstehenden - Rechtskundigen; denn der §. 25 der Rechtsanwaltsordnung bestimmt ausdrücklich:

"Die Stellvertretung eines an der Ausübung seines Berufes zeitweise verhinderten Rechtsanwaltes kann nur einem Rechtsanwalte oder einem Rechtskundigen, welcher mindestens zwei Jahre im Vorbereitungsdienste beschäftigt worden ist, übertragen werden," und bewilligt im Absatze 3 den zu Stellvertretern bestellten Rechtskundigen in Fällen, in welchen eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht geboten ist, auch noch die dem Rechtsanwalte zustehende Prärogative gegenüber den Beschränkungen, welchen die Parteien, Bevollmächtigte und Beistände nach §. 143 C.P.O. unterworfen sind. Andere, als die bezeichneten Stellvertreter haben auf die aus der Rechtsanwaltseigenschaft fließenden und damit verbundenen Vorzüge keinen Anspruch, und macht auch die Strafprozeßordnung den Bezug der Gebühren für die Verteidigung aus der Staatskasse davon abhängig, daß die Verteidigung durch einen Rechtsanwalt geführt ist. Es können daher für die von ihnen vorgenommenen Prozeßhandlungen auch nicht die dem Rechtsanwalte zustehenden Gebühren liquidiert werden.

Hiernach ist der Anspruch des Beschwerdeführers nicht begründet."

  • 1. Vgl. Meyer, Rechtsanwaltsordnung S. 43.