RG, 19.10.1883 - II 220/83

Daten
Fall: 
Übergebotsverfahren nach freiwilligen Veräußerungen
Fundstellen: 
RGZ 10, 305
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
19.10.1883
Aktenzeichen: 
II 220/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Kleve
  • OLG Köln

Wie gestattet sich unter der Herrschaft der deutschen Civilprozeßordnung das Übergebotsverfahren nach freiwilligen Veräußerungen im Gebiete des rheinischen Rechtes?

Tatbestand

Die Klage des Hypothekargläubigers auf Gültigkeitserklärung eines Übergebotes wurde von dem Berufungsgerichte auf Grund des §. 162 C.P.O. abgewiesen, weil dieselbe nicht der Partei, sondern dem Anwalte, welcher die in Art. 2183 Code civil vorgeschriebene Aufforderung bewirkt hatte, zugestellt worden war. Diese Entscheidung wurde aufgehoben.

Aus den Gründen

"In der rechtlichen Beurteilung des Antrages auf Versteigerung im Wege des Übergebotsverfahrens war dem Berufungsgerichte insoweit beizutreten, als es diesen Antrag als eine Klage im Sinne der Civilprozeßordnung auffaßt und die Vorschriften dieses Gesetzes über die Klagerhebung auf den bezeichneten Antrag für anwendbar erklärt. Nach Artt. 70 flg. des rheinpreuß. Gesetzes vom 18. April 1855 muß nämlich dieser Antrag eine Vorladung vor das Landgericht enthalten; in dem darauffolgenden kontradiktorischen Verfahren müssen alle Einreden gegen die Zulässigkeit des Antrages (also auch etwaige Beanstandungen des Pfandrechtes des überbietenden Gläubigers) bei Verlust derselben vorgebracht werden, und das Landgericht hat ein Urteil zu erlassen, welches durch Berufung angegriffen werden kann. Dieses Verfahren trägt also alle wesentlichen Merkmale eines bürgerlichen Rechtsstreites an sich, und nach den §§. 3. 14 des Einführungsges. zur C.P.O. müssen dabei die Vorschriften der Civilprozeßordnung zur Anwendung kommen.

Ebenso ist mit dem Berufungsrichter davon auszugehen, daß die vorliegende Klage des überbietenden Hypothekargläubigers mit Rücksicht auf den Streitwert zur Zuständigkeit des Landgerichtes gehört (§. 23 Ziff. 1, §. 70 Abs. 1 G.V.G.). Allerdings soll nach §. 2187 Code civil die Versteigerung im Übergebotsverfahren nach den für Zwangsverkäufe vorgeschriebenen Formen stattfinden und bestimmt §. 755 C.P.O., daß für die Zwangsvollstreckung in ein Grundstück wegen Geldforderungen dasjenige Amtsgericht als Vollstreckungsgericht zuständig sei, in dessen Bezirk das Grundstück belegen ist. Bei Einführung der Civilprozeßordnung war aber der angeführte Artikel des Code civil längst aufgehoben; für den Zwangsverkauf von Immobilien waren die Vorschriften des französischen Prozeßrechtes durch die Subhastationsordnung vom 1. August 1822 abgeändert, und für die Versteigerung infolge des Übergebotes eines Hypothekargläubigers nach freiwilliger Veräußerung schuf das angeführte Gesetz vom 18. April 1855 nach dem Vorgange des französischen Gesetzes vom 2. Juni 1841 ein selbständiges, von der Subhastationsordnung wesentlich abweichendes Verfahren. Der im Klagwege zu stellende Antrag auf Anordnung der Versteigerung auf Grund des Übergebotes kann nun nicht als ein Antrag auf Zwangsvollstreckung im Sinne von §. 755 C.P.O. aufgefaßt werden; vielmehr bildet erst das daraufhin zu erlassende Urteil den (vollstreckbaren) Titel für die vorzunehmende Versteigerung, bei welcher sodann §. 36 des preuß. Gesetzes vom 4. März 1879 in Betracht kommt, wodurch die §§. 755-757 a. a. O. auch auf solche Zwangsversteigerungen ausgedehnt sind, welche nicht im Wege der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen beantragt werden.

Wenn hiernach der Berufungsrichter auch mit Recht die Gültigkeit der Klagerhebung nach den Vorschriften der Civilprozeßordnung, insbesondere des §. 230, geprüft hat, so erscheint doch die Abweisung der Klage wegen Ungültigkeit der Vorladung aus einem doppelten Grunde ungerechtfertigt.

Nach Vorschrift des Art. 832 Code de procédure civile hat der Erwerber eines Grundstückes, welcher dasselbe von Hypotheken reinigen will, den eingetragenen Gläubigern die in Art. 2183 Code civil vorgeschriebenen Zustellungen durch Vermittelung eines Gerichtsvollziehers zu machen und damit die Bestellung eines Anwaltes bei demjenigen Gerichte zu verbinden, vor welches das Übergebot und die Kollokation gehört. In Anschluß an diese Bestimmung verfügt Art. 70 des preuß. Gesetzes von 1855, daß der Antrag des Hypothekargläubigers auf Versteigerung dem Erwerber in dem Domizile des von ihm bestellten Anwaltes zuzustellen sei. Das Gesetz legt also der Anwaltsbestellung die Wirkung der Erwählung eines Wohnsitzes im Sinne des Art. 111 Code civil (vgl. Art. 59 Nr. 3 Code de prodéure) für dasjenige Verfahren bei, welches der Erwerber durch seine Zustellung herbeigeführt hat. Diese gesetzlichen Bestimmungen des französischen Rechtes, also auch des dieselben teilweise abändernden und ergänzenden preußischen Gesetzes, sind aber nach §.15 Nr. 5 des Einführungsges. zur C.P.O. insoweit aufrecht erhalten, als es sich um Zustellungen handelt. Es konnte daher, der Bestimmungen der Civilprozeßordnung ungeachtet, die Zustellung des klagweisen Antrages auf Versteigerung im Domizile des bestellten Anwaltes mit rechtlicher Wirksamkeit erfolgen. Allerdings hat nun der Gerichtsvollzieher nach dem Thatbestande des landgerichtlichen Urteiles den Antrag nicht "dem Erwerber im Domizile seines Anwaltes", sondern "dem bestellten Anwalte in dessen Wohnung als dem Vertreter des Erwerbers" zugestellt. Wenn diese in der rheinischen Gerichtspraxis vielfach übliche Ausdrucksweise auch nicht als völlig korrekt erscheint, so läßt sie doch nur die Auslegung zu, daß dem Erwerber selbst in der Person seines Stellvertreters die Zustellung gemacht werden sollte, und bietet daher keinen Anlaß zur Beanstandung der Rechtsgültigkeit der Zustellung. Wollte man aber auch mit dem Berufungsrichter annehmen, daß die Vorladung notwendig der Partei selbst hätte zugestellt werden müssen, so war doch die Abweisung der Klage nicht gerechtfertigt, weil die behauptete Verletzung einer die Form einer Prozeßhandlung betreffenden Vorschrift gemäß §. 267 C.P.O. geheilt war. Die Beklagten haben, in der auf Grund der angefochtenen Vorladung stattgehabten mündlichen Verhandlung den Mangel, wegen dessen Verletzung das Berufungsgericht die Vorladung als ungültig erklärt hat, nicht gerügt, obwohl sie denselben kennen mußten; auch konnten dieselben auf die Befolgung der angeblich verletzten Formvorschrift wirksam verzichten. Wenn ihnen daher in zweiter Instanz das Recht auf diese Rüge nicht mehr zustand, so war noch weniger der Berufungsrichter berechtigt, wegen Verletzung der Prozeß- Vorschrift von Amts wegen die Vorladung für ungültig zu erklären."