RG, 19.10.1893 - IV 182/93
Liegt eine Rechtsstreitigkeit im Sinne des § 503 Ziff. 2 C.P.O. vor, wenn ein Gerichtsvollzieher, welchem ein Wechsel zur Präsentation und Protesterhebung übergeben worden ist, nach der Pensionierung auf Herausgabe des Wechsels belangt wird?
Aus den Gründen
"Der Beklagte, Gerichtsvollzieher a.D. N., ist seit dem 1. Februar 1892 pensioniert. Der Kläger behauptet, er sei der alleinige Erbe des Landwirtes H. Dieser habe dem Beklagten im Jahre 1891 einen von H. auf die Eheleute A. gezogenen, von diesen angenommenen Wechsel über 55 M zur Präsentation und Protesterhebung übergeben; der Beklagte habe aber in Verletzung seiner Amtspflicht trotz der Aufforderung den Wechsel nicht zurückgegeben. Der Kläger hat deshalb beantragt, den Beklagten zur Herausgabe dieses Wechsels zu verurteilen.
Die Klage ist im Juli 1892, als der Beklagte bereits pensioniert war, bei dem Landgerichte zu Erfurt erhoben. Der Beklagte hat eingewendet, das Landgericht sei unzuständig, weil er zur Zeit der Klagerhebung nicht mehr Beamter gewesen sei, und weil der ihm gemachte Vorwurf, den Wechsel trotz der Aufforderung nicht zurückgegeben zu haben, eine Überschreitung seiner amtlichen Befugnisse oder eine pflichtwidrige Unterlassung von Amtshandlungen nicht enthalte, mithin der Gerichtsstand des Landgerichtes aus § 39 Ziff. 3 des preußischen Ausführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetze nicht gegeben sei.
Das Landgericht hat die Klage wegen Unzuständigkeit abgewiesen. Die Berufung ist zurückgewiesen. Die gegen das Berufungsurteil eingelegte Revision war nicht für begründet zu erachten.
Das Berufungsgericht ist zwar der Ansicht des Landgerichtes, daß der pensionierte Beamte hinsichtlich eines jeden gegen ihn aus seiner früheren Amtsführung geltend gemachten vermögensrechtlichen Anspruches den ordentlichen Gerichten unterworfen sei, nicht beigetreten. Allein es hat angenommen, daß die Ausnahmebestimmung des § 70 Abs. 2 Ziff. 2 G.V.G. mit Rücksicht auf das aktive Dienstverhältnis eingeführt worden sei. Bei Prozessen über Pflichtwidrigkeiten aktiver Beamten komme es in der Regel auf konkurrierende Fragen staatsrechtlicher Natur an, und der Staat habe Anlaß, auch für solche Fragen, welche seine Interessen nur indirekt berühren, den Rechtsweg bis zur höchsten Instanz freizumachen. In dem vorliegenden Falle aber sei die von dem Reichsgerichte (in dem Beschlusse der vereinigten Civilsenate vom 10. Juni 1886 und in den Urteilen vom 10. Januar 1877, 9. Mai 1887 und 19. Dezember 1877, Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 16 S. 396, Bd. 17 S. 332, Bd. 18 S. 389 und Bd. 20 S. 338) aufgestellte Sonderling des Auftragsverhältnisses und der Dienstpflicht von entscheidender Bedeutung; der Staat habe kein Interesse mehr an der früheren Unterlassung des pensionierten Beamten; der letztere bleibe vielmehr lediglich privatrechtlich dem Auftraggeber für die Nichtausführung des Auftrages nach den Regeln des Mandates verantwortlich. Denn es fehle jede tatsächliche Grundlage und jeder Beweisantritt dafür, daß die behauptete Unterlassung zugleich ein noch jetzt zu ahndendes Dienstvergehen enthalte.
Diese Entscheidung würde der Revision nur dann unterliegen, wenn der Kläger einen Thatbestand behauptet hätte, welcher einen der in dem § 39 Ziff. 3 des preußischen Ausführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetze vorgeschriebenen beiden Fälle der ausschließlichen Zuständigkeit des Landgerichtes begründet. Eine solche Behauptung ist nicht aufgestellt. Es ist nicht angegeben, wie mit der Behauptung, daß der Beklagte den Wechsel der Aufforderung ungeachtet nicht herausgegeben, der Vorwurf begründet werden soll, daß der Beklagte seine amtlichen Befugnisse überschritten, oder daß er pflichtwidrig Amtshandlungen unterlassen habe. Der Anspruch auf Herausgabe des Wechsels ist vielmehr, wie die Vorderrichter richtig angenommen haben, auf das Auftragsverhältnis gegründet. Es fehlt daher ein gesetzlicher Grund der Zuständigkeit des Landgerichtes für den erhobenen Anspruch auf Herausgabe des Wechsels."