BGH, 20.03.1992 - V ZR 7/91
Wird ein Anwalt beauftragt, aus einem Nießbrauch auf Entschädigung für vorenthaltene Nutzungen zu klagen, so ermächtigt ihn die Prozeßvollmacht nicht dazu, im Wege eines Vergleichs gegen Zahlung der Entschädigung in die Löschung des Nießbrauchs einzuwilligen.
Tatbestand
Durch notariellen Vertrag vom 15. August 1984 kauften die Kläger von den Enkeln der Beklagten für 310.000 DM ein Grundstück, das u.a. mit einem als "Alte Mühle" bezeichneten Gebäude bebaut ist. Das Grundstück ist mit einem Nießbrauch zugunsten der Beklagten belastet. Über den Umfang der Ausübungsbefugnis des Nießbrauchs kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Parteien. Am 23. April 1987 erwirkte die Beklagte gegen die Kläger ein Urteil auf Zahlung einer Entschädigung für vorenthaltene Nutzungen in Höhe von 20.000 DM für den Zeitraum 1984 bis Juli 1986 (13 O 713/86 LG D. -). Unter dem 20. Mai 1987 unterzeichneten die Kläger und der damalige Prozeßbevollmächtigte der Beklagten, Rechtsanwalt Dr. K.eine Vereinbarung, in der die Beklagte sich verpflichtete, gegen Zahlung des Urteilsbetrags von 20.000 DM, einer weiteren Nutzungsentschädigung von monatlich 1.000 DM bis 31. Dezember 1986 sowie gegen Zahlung einer durch Reallast zu sichernden monatlichen Rente von 600 DM ab 1. Mai 1987 das Nießbrauchsrecht löschen zu lassen. Die Parteien streiten darüber, ob Rechtsanwalt Dr. K.zum Abschluß der Vereinbarung bevollmächtigt gewesen ist.
Die Kläger haben u.a. beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die sogenannte "Alte Mühle" und die davor befindliche Hoffläche zu räumen und herauszugeben sowie Prozeßzinsen zu zahlen.
Das Landgericht hat diesen Anträgen durch Teilurteil entsprochen. Das Oberlandesgericht hat die Verurteilung zur Zahlung auf 8.400 DM nebst Zinsen ermäßigt und die Berufung der Beklagten im übrigen zurückgewiesen.
Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter; die Kläger beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht führt aus: Die Vereinbarung vom 20. Mai 1987 sei rechtswirksam zustande gekommen. Die Beklagte habe Rechtsanwalt Dr. K.parallel zu der ihm erteilten Prozeßvollmacht gesondert bevollmächtigt, Vergleichsgespräche zu führen. Die Vollmacht sei nicht beschränkt gewesen. Dies ergebe sich aus der vom Landgericht zu Recht als glaubhaft angesehenen Aussage des in erster Instanz vernommenen Zeugen Dr. K.Denn der Zeuge habe nicht nur bekundet, was als wahrscheinlich angesehen werden müsse; für die Richtigkeit seiner Aussage spreche auch der vorprozessuale Schriftverkehr.
II.
1. Unberechtigt ist allerdings die Rüge, das Berufungsgericht habe die Anträge auf Vernehmung des Sohnes der Beklagten als Zeugen übergangen. Von einer Begründung wird abgesehen (§ 565 a ZPO).
2. Zu Recht wendet sich die Revision jedoch gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Sie ist zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann jedoch nachprüfen, ob dieser sich mit dem Prozeßstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denk- oder Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urt. v. 11. Februar 1987, IVb ZR 23/86, BGHR ZPO § 286 Abs. 1 - Revisionsrüge 1).
a) Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts ist schon deswegen fehlerhaft, weil sie aufgrund der erstinstanzlichen Aussage des Zeugen Dr. K. und des vorprozessualen Schriftwechsels der Parteien zwar die Erteilung einer Vollmacht zur Führung von Vergleichsverhandlungen feststellt, aber nicht erkennen läßt, woraus sich ergeben soll, daß diese Verhandlungsvollmacht auch die Vollmacht zum Abschluß des Vergleichs umfaßte. Auch die jetzigen Kläger sind nicht von einer Abschlußvollmacht des Rechtsanwalts Dr. K. ausgegangen; im Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 21. Mai 1987 bittet dieser Rechtsanwalt Dr. K. der damaligen Klägerin "die von Ihnen unterzeichnete Empfangsbestätigung sowie die Ablichtung der Vereinbarung zwischen Frau B. (Beklagte) und den Eheleuten Li. versehen mit ihrer Unterschrift" auszuhändigen. Daß damit die Unterschrift der Beklagten herbeigeführt werden sollte, ergibt sich aus dem ersten Teil des Satzes, wonach Rechtsanwalt Dr. K. (lediglich) die Empfangsbestätigung unterzeichnen sollte.
b) Der Revision ist weiterhin darin zu folgen, daß für die Erteilung einer Abschlußvollmacht auch nicht die von dem Berufungsgericht herangezogenen anderen Schreiben sprechen. Da diese durchweg nach Unterzeichnung der Vereinbarung durch Rechtsanwalt Dr. K. verfaßt wurden, bleibt schon offen, ob das Berufungsgericht sie überhaupt als Indizien für eine Abschlußvollmacht oder nur als Indizien für die nachträgliche Genehmigung des Vergleichs gewertet wissen will.
Beides geben die Schreiben nicht her. Sowohl das Schreiben des Dr. K. vom 25. Mai 1987, wonach die Beklagte "Wert darauf (legt), festzustellen, daß sie mit der Seite L. in dieser Sache nichts zu tun haben möchte", als auch das Schreiben vom 22. Juni 1987, wonach "Frau B. (Beklagte) wünscht, daß die Eheleute Li. diesen Betrag (Renten-Einmalbetrag von 60.509 DM) erbringen", und "noch immer Bedenken (hat), daß wegen der eingetragenen Vorlast ihre Rechte nicht gesichert sind", zwingen entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht zu dem Schluß, daß die Beklagte die getroffene Vereinbarung damit billigen wollte. Beide Schreiben können auch dahin verstanden werden, daß die Beklagte eine rechtsverbindliche Abmachung noch nicht für gegeben hielt. Wenn aber der Tatrichter die Ambivalenz von Indiztatsachen nicht erkennt, liegt ein revisionsrechtlich beachtlicher Verstoß gegen die Denkgesetze vor (BGH, Urt. v. 22. Januar 1991, VI ZR 97/90, NJW 1991, 1894).
Mit der gegebenen Begründung kann das Berufungsurteil danach nicht aufrechterhalten bleiben.
3. Es erweist sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig. Die Revisionserwiderung sieht eine Vollmacht für Rechtsanwalt Dr. K. zum Abschluß des Vergleichs vom 20. Mai 1987 schon in der Erteilung der Prozeßvollmacht für das Verfahren 13 O 713/86 vor dem Landgericht D.. Das Berufungsgericht habe zum Nachteil der Kläger unrichtig entschieden, daß jener Rechtsstreit, zu dessen Führung die Prozeßvollmacht ermächtigt habe, mit dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts D. vom 23. April 1987 vor Vergleichsschluß beendet gewesen sei. Dies sei schon deshalb fehlerhaft, weil das Urteil erst am 23. April 1987 verkündet worden sei, damit am 20. Mai noch nicht rechtskräftig und der Rechtsstreit nicht abgeschlossen gewesen sei.
Ob die in der Prozeßvollmacht regelmäßig liegende Ermächtigung, den Streit durch Vergleich zu erledigen (§ 81 ZPO), nicht mehr, wovon das Berufungsgericht wohl ausgeht, eine Vergleichsvereinbarung nach Abschluß der Instanz durch Erlaß eines Urteil erfassen würde, kann offen bleiben (zur Zulässigkeit von Erklärungen auch außerhalb des Prozesses vgl. BAG, NJW 1963, 1469; BB 1978, 207; vgl. auch BGHZ 31, 206, 209). Die Rechtsanwalt Dr. K. erteilte Vollmacht, von den Beklagten - den jetzigen Klägern - eine Nutzungsentschädigung in dem Verfahren 13 O 713/86 Landgericht D. einzufordern, reichte hier jedenfalls nicht so weit, über den Nießbrauch selbst zu verfügen:
Der Umfang der einem Anwalt erteilten Prozeßvollmacht ergibt sich nicht allein aus § 81 ZPO; vielmehr muß sich die Befugnis des Anwalts, auch materiellrechtliche Erklärungen abzugeben, aus den Besonderheiten des Einzelfalles und dem inneren Zusammenhang der abgegebenen Erklärung mit dem Gegenstand des Rechtsstreits erschließen (MK-ZPO/von Mettenheim, § 81 Rdn. 9; vgl. auch BGHZ 31, 206, 209; BGH Urt. v. 5. Oktober 1971 VI ZR 107/70, NJW 1972, 52; RGZ 48, 218, 221; 53, 148; Stein/Jonas/Leipold ZPO 20. Aufl. § 81 Rdn. 4; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., § 81 B III a 1). Der Anwalt des Klägers darf und muß insbesondere alle außerprozessualen Handlungen vornehmen, die notwendig sind, um den Prozeß siegreich zu beenden (Wieczorek a.a.O. B III b). Die Vollmacht reicht danach so weit, wie sich der Rechtsanwalt bei vernünftiger, wirtschaftlicher Betrachtungsweise nach dem vorprozessualen Streitstoff angesichts des Zwecks, der mit seiner Beauftragung verfolgt wird, zu einer Rechtshandlung im Interesse seines Auftrag- und Vollmachtgebers als ermächtigt ansehen darf. Der Anwalt kann sich zur Gestaltung eines Rechtsverhältnisses durch Verfügung nur dann als bevollmächtigt ansehen, wenn das Prozeßziel ersichtlich so verfolgt werden soll (Wieczorek a.a.O. B III b 2.). Ein Anwalt, der etwa beauftragt ist, Mietzins einzuklagen, kann sich je nach Sachlage zwar zur Kündigung des Mietverhältnisses, nicht aber zur Übereignung des Hauses an den Mieter als befugt ansehen (MK-ZPO/von Mettenheim a.a.O.); ebensowenig ist der Prozeßbevollmächtigte in der Regel ermächtigt, über nicht im Streit befindliche Vermögensgegenstände z.B. durch Abschluß eines Vergleichs zu verfügen (Stein/Jonas/Leipold a.a.O. Rdn. 11).
Der Nießbrauch der damaligen Klägerin an dem streitgegenständlichen Anwesen war unbestritten. Differenzen der Parteien gab es nur in der Frage, ob die damaligen Beklagten als Käufer sich auf die schuldrechtliche Verpflichtung der damaligen Klägerin ihren Enkeln - den Verkäufern - gegenüber, den Nießbrauch nur an der "Alten Mühle" auszuüben, berufen und das übrige Gelände nebst Aufbauten unentgeltlich nutzen durften. Der Auftrag der dortigen Klägerin an Rechtsanwalt Dr. K. ging (nur) dahin, im Verfahren 13 O 713/86 Landgericht D. eine Nutzungsentschädigung für die Inanspruchnahme dieser, dem Nießbrauch der Beklagten mitunterliegenden, Teile der Immobilie zu fordern. Rechtsanwalt Dr. K. konnte sich danach nicht für befugt halten, diesen Rechtsstreit im Vergleichswege durch Verfügung über das Nießbrauchsrecht der Klägerin zu beenden. Die Revisionserwiderung verweist im übrigen insoweit auch nicht auf Vortrag zumal auf solchen ihrer Partei in den Tatsacheninstanzen, daß diese selbst oder Rechtsanwalt Dr. K. den Schluß auf einen so weit gehenden Umfang der Prozeßvollmacht in dem Verfahren 13 O 713/86 Landgericht D. gezogen hätten. Dabei hatte das Berufungsgericht in dem von der Revisionserwiderung zu ihren Gunsten in Bezug genommenen Prozeßkostenhilfebeschluß vom 15. Januar 1990 selbst schon zutreffend und von den damaligen Beklagten unbeanstandet, darauf abgehoben, der Vergleich habe Fragen betroffen, "die nur mittelbar mit dem Rechtsstreit vor dem Landgericht zu tun gehabt hätten".
4. Da der bisherige Sach- und Streitstand die Verurteilung der - jetzigen - Beklagten nicht rechtfertigt, sind die Urteile der Vorinstanzen auf die Rechtsmittel der Beklagten insoweit aufzuheben.
Die Sache ist, da weiterer aufklärungsbedürftiger Prozeßstoff nicht ersichtlich ist, zur Endentscheidung reif. Die Klage ist, soweit über sie durch Teilurteil entschieden worden ist, abzuweisen.