OLG Stuttgart, 26.06.1974 - 1 Ss 352/74

Daten
Fall: 
Nichtrauchertaxi
Fundstellen: 
NJW 1974, 2014
Gericht: 
Oberlandesgericht Stuttgart
Datum: 
26.06.1974
Aktenzeichen: 
1 Ss 352/74
Entscheidungstyp: 
Beschluss

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 22. Januar 1974 wird zugelassen.

Sie wird jedoch als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels, einschließlich der dem Betroffenen erwachsenen notwendigen Auslagen, fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat die Voraussetzungen für eine Ahndung nach § 9 Abs.1 und § 29 BOKraft je i.V. mit § 61 Abs.1 Nr.5 PBefG verneint und den Betroffenen durch Urteil vom 22.5.1974 freigesprochen.

Dabei hat es in tatsächlicher Richtung festgestellt:

Der Betroffene ist Taxifahrer. Er ist überzeugter Nichtraucher. Das Taxi führt er ausschließlich selbst. Auf dem Handschuhfach des Fahrzeugs hat er deutlich sichtbar das Schild angebracht: "Bitte, nicht rauchen". Am 2.3.1973 gegen 19 Uhr wollte die Zeugin ... vom Bismarckplatz in Stuttgart aus in die Zeppelinstrasse fahren. Sie stieg in das Taxi des Betroffenen ein. Das Schild auf dem Handschuhfach beachtete sie nicht. Unterwegs wollte sie eine Zigarette anzünden. Der Betroffene bemerkte das. Er erklärte ihr barsch, in seinem Wagen dürfe sie nicht rauchen, wenn sie rauchen wolle, müsse sie aussteigen. Darauf bat ihn die Zeugin, anzuhalten und stieg aus.

Gegen die Freisprechung richtet sich der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Zulassung der Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen (§ 80 Abs.1 OWiG).

Sie erweist sich als unbegründet. Das Amtsgericht hat irrtumsfrei das Vorliegen einer zu ahndenden Ordnungswidrigkeit auf Seiten des Betroffenen verneint.

1) Es kann dahingestellt bleiben, ob der Betroffene – u. das kommt hier insoweit allein in Betracht- gegen das in § 9 Abs.1 BOKraft enthaltene Höflichkeitsgebot verstoßen hat. Denn ein derartiger Verstoß ist nicht bußgeldbewehrt.

Genauso wie die Bestrafung einer Straftat kann auch die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit nur erfolgen, wenn sie gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde (Art. 103 Abs.2 GG). Das bedeutet, es muß sowohl eine Norm vorliegen, durch die eine Handlung verboten oder geboten wird, als auch die Androhung eines Übels für den Fall der Zuwiderhandlung. Norm und Folgeandrohung müssen, um als Grundlage für die Verhängung einer Strafe oder Buße dienen zu können, im Gesetz "bestimmt", also ausreichend bezeichnet sein.

Voraussetzung für die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit ist damit die Erfüllung eines genügend abgegrenzten Tatbestandes. Die in § 9 Abs.1 BOKraft auferlegten Verpflichtungen "rücksichtsvoll", "besonnen" und "höflich" entsprechen nicht dieser unabdingbaren Forderung. Sie entstammen dem Bereich der Sitte und betreffen Formen des gesellschaftlichen Umgangs sowie Eigenschaften des Charakters. Sie sind nach objektiven Merkmalen nicht hinreichend bestimmbar und abgrenzbar. Insbesondere kann – und hier genügt es, auf das im vorliegenden Fall in Frage stehende Tatbestandsmerkmal abzustellen – kein allgemein gültiger Maßstab dafür gefunden werden, wann ein Verhalten noch als höflich oder schon als unhöflich anzusehen ist. Das gilt umso mehr, als ein Urteil darüber, ob es jemand an Höflichkeit hat fehlen lassen, weitgehend von persönlichen Auffassungen abhängt. Daß es in einzelnen Fällen ohne weiteres möglich wäre, ein Verhalten als unhöflich (rücksichtslos, unbesonnen) zu kennzeichnen, steht dem nicht entgegen. Entscheidend ist allein, daß der in Betracht kommen de Begriff allgemein das erforderliche Verhalten nicht genügend bestimmt umschreibt.

All das zeigt: Selbst wenn der Betroffene durch einen barschen Ton gegen das Höflichkeitsgebot verstoßen hätte, so würden es doch die vorstehenden Erwägungen verbieten, einen solchen Verstoß gegen § 9 Abs.1 BOKraft als Ordnungswidrigkeit zu ahnden: vgl. auch BayObLGSt 52 S.91 = VRS 4 S.553; BayObLGSt 62 S.214 = NJW 62 S.2215 = VRS 24 S.478; Müller, Straßenverkehrsrecht Bd.II, 22.Aufl. 1969, Anm.2 zu § 9 BOKraft; Lütkes-Meier-Wagner, Straßenverkehr, Anm.1 zu § 9 BOKraft.

2) Das Verhalten des Betroffenen kann aber auch nicht als Ordnungswidrigkeit i.S. §§ 29 BOKraft, 61 Abs.1 Nr.5 PBefG geahndet werden.

Nach dieser Vorschrift ist der Unternehmer und der von ihm angestellte Fahrer zur Beförderung verpflichtet, wenn den geltenden Beförderungsbedingungen und den behördlichen oder behördlich genehmigten Anordnungen entsprochen wird.

Beförderungsbedingung in diesem Sinne ist auch § 13 Abs.1 BOKraft. Danach hat sich ein Fahrgast bei der Benutzung eines Fahrzeuges so zu verhalten, wie es die "Rücksicht auf andere" gebietet. Diese Vorschrift findet, und das ergibt sich aus ihrer Stellung innerhalb der BOKraft, auch dann Anwendung, wenn als "andere" nur eine einzige Person, nämlich der Fahrer des Fahrzeugs, in Betracht kommt.

Zwar folgt aus den Ausführungen unter II 1), daß der Begriff "Rücksicht auf andere" nicht genügend allgemein abgrenzbar und deshalb nicht bußgeldbewehrt ist. Das schließt jedoch nicht aus, daß er im Einzelfall genügend gekennzeichnet und damit als Beurteilungsfaktor herangezogen werden kann und muß. Das trifft hier zu. Die Zeugin verstieß gegen das ihr als Fahrgast obliegende Rücksichtsgebot.

Die gesundheitliche Schädlichkeit des Rauchens auch für jemanden, der selbst nicht raucht, sondern in einem engen Raum durch das Rauchen anderer in Mitleidenschaft gezogen wird, ist heute allgemein bekannt. Es versteht sich von selbst, daß ein Raucher, der in einem Taxi rauchen will, Rücksicht auf im Fahrzeug sitzende Nichtraucher zu nehmen hat. Diese Rücksichtnahme erfordert in aller Regel mindestens, daß der Raucher den Nichtraucher gegen dessen ausdrücklich geäußerten Willen nicht in die von ihm erzeugte Raucherluft miteinbezieht. Besondere Gründe, welche im vorliegenden Fall hiervon eine Ausnahme rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich und nach Auffassung des Senats bei einer neuen tatrichterlichen Verhandlung auch nicht zu erwarten. Selbst wenn die Zeugin eine leidenschaftliche Raucherin sein sollte, so mußte ihr bei der beabsichtigten kurzfristigen Fahrt zugemutet werden, wenigstens das Rauchen von dem Zeitpunkt ab zu unterlassen, wo sie den entsprechenden Wunsch bzw. die Aufforderung des Betroffenen zur Kenntnis nahm. Dessen Belange waren schutzwürdiger. Ihn trifft als Fahrer einer Taxe im Großstadtverkehr eine besonders hohe Sorgfaltspflicht. Er ist während der Zeit seines täglichen Berufseinsatzes zu einem großen Teil auf den Aufenthalt in seinem Fahrzeug angewiesen. Die von ihm zu beachtende Verkehrssorgfalt vermag er nur dann bestmöglich zu erfüllen, wenn sein Wohlbefinden nicht auch noch durch vermeidbare Einflüsse beeinträchtigt wird. Ist er Nichtraucher und gegen Rauchen besonders empfindlich – und das ist der Betroffene; das folgt zur Genüge aus seinem Schild auf dem Handschuhfach seines Fahrzeuges – so kann ihm grundsätzlich nicht zugemutet werden, insoweit durch seine Fahrgäste in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Das gilt besonders, wenn die Belästigung von einem Fahrgast ausgeht, der, wie hier die Zeugin, das Taxi nur kurze Zeit beansprucht. Ihr war der Verzicht auf das Rauchen einer Zigarette ohne weiteres zumutbar.

Ist dem aber so, so war der Betroffene berechtigt, die Zeugin vor die Alternative zu stellen, entweder solle sie mit Rauchen aufhören oder aussteigen. Das gilt umso mehr, als der Betroffene dabei die Entscheidung der Zeugin überließ. Zog sie das Weiterrauchen und damit das Aussteigen vor, so gab sie damit unmißverständlich und eindeutig zu erkennen, daß sie nicht gewillt war, die gebotene Rücksichtnahme gegenüber dem Betroffenen als Taxifahrer aufzubringen, also lieber von einer weiteren Erfüllung des Beförderungsvertrages Abstand zu nehmen, als eine zumutbare Beförderungsbedingung auf sich zu nehmen. Damit wurde aber der Beförderungsvertrag nach beiderseitigem Willen aufgehoben.

Bei alldem kann jedenfalls von einer Verletzung der Beförderungspflicht durch den Betroffenen nicht gesprochen werden.

Sonach erging der Freispruch des Amtsgerichts zurecht.

Der Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft kann daher kein Erfolg beschieden sein.