LG Trier, 16.10.2003 - 5 Qs 133/03

Daten
Fall: 
Beschlagnahmte Computerdaten
Fundstellen: 
NJW 2004, 869; NStZ 2004, 223; CR 2004, 93
Gericht: 
Landgericht Trier
Datum: 
16.10.2003
Aktenzeichen: 
5 Qs 133/03
Entscheidungstyp: 
Urteil

Beschlagnahme der zur Lesbarkeit der zuvor beschlagnahmten Computerdaten erforderlichen Unterlagen.

Aus den Gründen

Die Beschuldigten Dres. H. und T. betrieben bis Juni 2000 eine Gemeinschaftspraxis. Sie sind nach dem Ergebnis der Ermittlungen eines Abrechnungsbetruges verdächtig, indem sie vom 1. bis 4. Quartal 1997 sowie im 1. und 2. Quartal 1998 die Abrechnungsziffer 439 EBM mehrfach an einem Tag oder die Abrechnungsziffer 273 EBM neben der Ziff. 439 EBM abgerechnet haben. Darüber hinaus besteht gegen den Beschuldigten Dr. H. der Verdacht, zum einen die Abrechnungsziffer 2960 EBM im 1. Quartal 2001 abgerechnet zu haben, obwohl die entsprechenden ärztlichen Leistungen nicht von ihm erbracht worden sein sollen. Zum anderen besteht der Verdacht, ärztliche Leistungen eines nicht genehmigten Praxisassistenten abgerechnet zu haben.

Auf Grund Durchsuchungsbeschlusses des AG Trier v. 23.5.2002 wurden im Rahmen der am 21.8.2002 erfolgten Durchsuchung der Praxisräume die auf dem Computerserver des Beschuldigten Dr. H. gespeicherten Daten von den Durchsuchungsbeamten gesichert. Diese Daten konnten jedoch von den beteiligten EDV-Spezialisten nicht ausgewertet werden, weil die vom Beschuldigten verwendete M.-Software nur serverunterstützt funktioniert. Ein Umprogrammieren auf eine Einzelplatzversion konnte ebenfalls nicht vorgenommen werden, da keinerlei Programmunterlagen und Dokumentationen vorlagen. Darauf nahmen die Polizeidienststellen Kontakt zur Beschwerdeführerin auf, um eine Einzelplatzversion des M.-Programms zu erwerben. Dies lehnte die Beschwerdeführerin, die auch ansonsten jegliche Zusammenarbeit verweigerte, ab.

Durch Beschl. v. 25.7.2003 (AG Trier, Beschl. v. 25.7.2003 – 34 Gs 2174/03) hat das AG Trier auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Durchsuchung der Geschäftsräume der Beschwerdeführerin und die Beschlagnahme dort vorgefundener Beweismittel, nämlich einer Einzelplatzversion des Programms M., angeordnet. Am 4.9.2003 wurde die Firma der Beschwerdeführerin durchsucht. Nachdem die Beschwerdeführerin eine Zusammenarbeit wiederum verweigerte, wurden eine Programmversion M., eine Freischaltdiskette sowie ein Stehordner mit dem Benutzerhandbuch beschlagnahmt. (...)

Der Durchsuchungsbeschluss v. 25.7.2003 entspricht den Erfordernissen der §§ 105 Abs. 1, 98 Abs. 1, 33 Abs. 4 StPO. Das zu beschlagnahmende Beweismittel ist auch hinreichend konkret beschrieben; sämtliche beschlagnahmte Gegenstände werden von der Formulierung „Einzelplatzversion des Programms M.” umfasst. Hierzu gehören nach dem Dafürhalten der Kammer auch das Benutzerhandbuch und die Freischaltdiskette, da sie einen unmittelbaren Bezug zur Programmversion aufweisen und diese nur in Verbindung hiermit angewendet werden kann. Eine gewisse Ungenauigkeit der Benennung der Beweismittel ist insofern nicht zu vermeiden (Meyer/Goßner, StPO, 46. Aufl. 2003, § 98 Rz. 9).

Bei der beschlagnahmten Einzelplatzversion des Programms M. handelt es sich auch um ein Beweismittel i.S.d. § 94 StPO. Der Zusammenhang mit den den Beschuldigten vorgeworfenen Straftaten besteht darin, dass ausschließlich mit der Programmversion der Beschwerdeführerin die von den Beschuldigten genutzte Software und die hier gespeicherten Daten lesbar gemacht werden können. Sind Unterlagen auf Bild- oder andere Datenträger gespeichert, so sind Gegenstände i.S.v. § 94 Abs. 1 StPO die Datenträger selbst, die technischen Hilfsmittel, mit deren Hilfe sie lesbar gemacht werden, sowie die Unterlagen über die Verfahrensdokumentation, mit deren Hilfe z. B. Buchführungen überhaupt prüfbar sind (Löwe/Rosenberg, StPO, 24. Aufl. 1988, § 94 Rz. 18 m.w.N.).

Selbst wenn man jedoch – wie es zum Teil vertreten wird (so beispielsweise Bär, „Der Zugriff auf Computerdaten im Strafverfahren”, München 1992, S. 210 ff. und 255) – bei der Beurteilung der Beschlagnahmefähigkeit differenziertere Maßstäbe anlegt und zwischen bloßen technischen Hilfsmitteln und mittelbaren Beweismitteln unterscheidet, führt dies vorliegend zu keinem abweichenden Ergebnis. Während ein Gegenstand mittelbarer Beweisbedeutung letztlich dazu beiträgt, dass weitere Beweismittel gefunden werden, hat das technische Hilfsmittel nur die Funktion, die Ermittlungsbehörden bei der Sichtung oder Auswertung von unmittelbar beweisrelevanten Beschlagnahmeobjekten zu unterstützen. Auch einem nach dieser Definition bloßen Hilfsmittel kann jedoch dann mittelbare Beweisbedeutung zuerkannt werden, wenn ein engerer innerer Zusammenhang zwischen dem Programm und den Daten dergestalt besteht, dass ohne das Programm eine Aufbereitung und Verwertung der Daten praktisch ausgeschlossen ist. Dies ist insbesondere bei sog. Schlüsselprogrammen zu bejahen, die der Codierung von Daten dienen. Um ein solches Schlüsselprogramm handelt es sich zwar vorliegend nicht, doch hat die Beschwerdeführerin durch ihre Verweigerung, das Programm an die Strafverfolgungsbehörden zu verkaufen, eine Lage geschaffen, welche der oben beschriebenen gleichkommt. Es handelt sich nunmehr um einen quasi individuellen Zugangsschlüssel zu den Daten. Da der Bezug des Programms ausschließlich über die Beschwerdeführerin möglich ist, kann auch nicht davon ausgegangen werden, es handele es sich um ein allgemein am Markt vertriebenes Standardprogramm, welches auf Grund dessen einer Beschlagnahme vorliegend nicht zugänglich wäre.

Entgegen der von der Beschwerdeführerin vertretenen Auffassung ist auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt. Der Beschwerdeführerin ist zuzugeben, dass zunächst alle Mittel vorrangig in Erwägung gezogen werden müssen, die in ihrer Beeinträchtigung milder sind und gleichwohl dieselbe Wirkung erzielen. Die Beschwerdeführerin verweist hier auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens und die Beschlagnahme der kompletten Computeranlage der Beschuldigten. Der Hinweis auf die Bemühung eines Sachverständigen geht insoweit fehl, als die EDV-Sachverständigen der Polizei bereits mit der Problematik beschäftigt waren, diese jedoch nicht ohne das Programm der Beschwerdeführerin und die entsprechenden Unterlagen zu lösen vermochten. Auch ein anderer Sachverständiger wäre auf das Material der Beschwerdeführerin angewiesen. Dies gilt insbesondere, weil die Programme entsprechend den Bedürfnissen der einzelnen Praxis erstellt bzw. angepasst werden. Da die Beschwerdeführerin jedoch jegliche Zusammenarbeit verweigert, wäre nicht sichergestellt, dass der Sachverständige Zugang zu diesen Materialien erhält. Zu einer unterstützenden Zusammenarbeit war und ist die Beschwerdeführerin jedoch verpflichtet. Insofern hat sie nämlich die gleichen Pflichten, die einem Zeugen oder einem Sachverständigen im Strafprozess obliegen (Lemcke, „Die Sicherstellung gem. § 94 StPO und deren Förderung durch die Inpflichtnahme Dritter als Mittel des Zugriffs auf elektronisch gespeicherte Daten”, Diss. Universität Bochum 1999, S. 171 ff.) Da die Beschwerdeführerin die Erfüllung dieser staatsbürgerlichen Pflichten verweigert, war die Beschlagnahme geboten.

Die Zulässigkeit entfällt auch nicht vor dem Hintergrund, dass die theoretische Möglichkeit bestand, die komplette Computeranlage der Praxisgemeinschaft der Beschuldigten zu beschlagnahmen. Dies hätte zwar die Beschwerdeführerin entlastet, wäre aber einer Praxisstilllegung gleichgekommen, da ohne die Patientendateien nicht gearbeitet werden kann. Dieser Eingriff in die Rechte der Beschuldigten wäre derart gravierend, dass bei vernünftiger Abwägung der tangierten Rechtsgüter dem Eingriff in die Rechtssphäre der Beschwerdeführerin der Vorzug zu geben ist. Darüber hinaus hätten hierdurch erhebliche Gefahren für die Patienten der Beschuldigten entstehen können.