BGH, 11.03.1960 - 4 StR 588/59

Daten
Fall: 
Betrug durch Vortäuschen einer Straftat
Fundstellen: 
BGHSt 14, 170; NJW 1960, 1068; MDR 1960, 597
Gericht: 
Bundesgerichtshof
Datum: 
11.03.1960
Aktenzeichen: 
4 StR 588/59
Entscheidungstyp: 
Urteil
Richter: 
Rotberg, Sauer, Martin, Flitner, Börtzler

Leitsatz

Des Betrugs kann sich schuldig machen, wer den Beamten der Kriminalpolizei und dem Ermittlungsrichter unwahre Tatsachen als vermeintliche Straftat in der Absicht vortäuscht, deshalb in Untersuchungshaft genommen zu werden

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts in Bochum vom 10. September 1959 mit den Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte wegen schweren Diebstahls und wegen Vortäuschung einer Straftat verurteilt worden ist,
b) im gesamten Strafausspruch.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Landgericht zurückverwiesen.

Im übrigen wird die Revision verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung von anderen Anklagepunkten wegen schweren Diebstahls im Rückfall, versuchter unbefugter Ingebrauchnahme eines Kraftfahrzeugs und Vortäuschung einer Straftat zu einer Gesamtstrafe von einem Jahr und vier Monaten Gefängnis verurteilt.

Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung des Verfahrensrechts und des sachlichen Rechts.

I. Die Prozeßrügen.

1. Mit der Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) wendet sich die Revision gegen die Verurteilung wegen schweren Diebstahls im Rückfall.

Das Landgericht hat festgestellt, daß der Angeklagte am 2. Februar 1959 mit Hilfe von Schlüsseln, die er besaß, die Tür eines auf einer Straße in H versperrt abgestellten Personenkraftwagens geöffnet und aus dem Wagen eine Stablampe entwendet habe. Der Angeklagte hat dies vor dem Landgericht bestritten und behauptet, er habe sich der Polizei in Bo deswegen gestellt und des Diebstahls einer Aktentasche aus einem Kraftwagen in H deswegen – unwahrer Weise – bezichtigt, um in Haft genommen zu werden und so Obdach zu erhalten; die Wegnahme einer Stablampe habe er erst zugegeben, nachdem der ihn vernehmende Polizeibeamte Ba durch eine fernmündliche Rücksprache mit der Polizei in H erfahren habe, daß zwar tatsächlich aus einem Kraftwagen ein Gegenstand, aber nicht eine Aktentasche, sondern eine Stablampe entwendet worden sei. Das Landgericht hat die Verurteilung des Angeklagten entscheidend auf die Zeugenaussage des Polizeibeamten Ba gegründet. Dieser hat bekundet, bei der Vernehmung sei nach seiner Erinnerung von Anfang an von einer Taschenlampe die Rede gewesen; es sei allerdings nicht auszuschließen, daß er zur Bestätigung anschließend bei der Polizei in H angerufen habe.

Die Revision beanstandet, daß das Landgericht nicht von Amts wegen auch den Kriminalbeamten L in H als Zeugen vernommen hat. Dieser hätte bestätigen können, daß Ba auf Grund der Angaben des Angeklagten sich fernmündlich erkundigt habe, ob tatsächlich eine Aktentasche aus einem Kraftwagen entwendet worden sei, und erst durch das Ferngespräch erfahren habe, daß in Wirklichkeit eine Stablampe entwendet worden sei.

Die Revisionsrüge dringt durch. Das Landgericht hätte berücksichtigen müssen, daß Ba sich seiner Sache offenbar nicht ganz sicher war, daß er vielmehr angab, "nach seiner Erinnerung" sei von Anfang an von dem Diebstahl einer Stablampe die Rede gewesen, und daß er auch ein Ferngespräch mit dem Polizeibeamten L in H nicht in Abrede stellte. Die Darstellung, die der Angeklagte in der Hauptverhandlung gab, konnte das Landgericht umso weniger als von vornherein unglaubhaft beiseite lassen, als es den Angeklagten im selben Urteil auch deswegen verurteilt hat, weil dieser bei anderer Gelegenheit durch eine unwahre Selbstbezichtigung vor der Polizei und dem Ermittlungsrichter seine Inhaftnahme herbeiführen wollte.

Darauf, daß das Landgericht den Polizeibeamten L nicht als Zeugen vernommen hat, kann somit das Urteilberuhen. Dieses muß daher insoweit aufgehoben werden, als der Angeklagte wegen schweren Diebstahls verurteilt worden ist.

2. Mit der Rüge, das Landgericht habe durch die Vereidigung des Zeugen B gegen § 60Abs. 3, 238 Abs. 2 StPO verstoßen, greift die Revision das Urteil insoweit an, als der Angeklagte wegen versuchter unbefugter Ingebrauchnahme eines Kraftfahrzeugs verurteilt wurde.

Nach den Feststellungen versuchte der Angeklagte in den ersten Morgenstunden des 2. Februar 1959, die Tür eines auf einer Straße in Bo verschlossen stehenden Kraftwagens in der Absicht zu öffnen, mit dem Wagen wegzufahren. Der Zeuge B war bei diesen Handlungen des Angeklagten anwesend.

§ 238 Abs. 2 StPO ist nicht verletzt worden. In der Sitzungsniederschrift ist nicht vermerkt und auch die Revision bringt nicht vor, daß die Anordnung des Vorsitzenden, den Zeugen B zu vereidigen, von einem bei der Verhandlung Beteiligten als unzulässig beanstandet worden wäre.

Daß ein Zeuge unter Verletzung des § 60 Nr. 3 StPO vereidigt worden sei, kann aber mit der Revision auch dann gerügt werden, wenn der Vorsitzende des Tatgerichts die Vereidigung angeordnet hat und seine Anordnung nicht nach § 238 Abs. 2 StPO beanstandet worden ist (BGH – bei Dallinger – MDR 1958, 14; vgl. auch BGHSt 3, 368).

Darüber, ob ein Zeuge der Beteiligung an der den Gegenstand der Untersuchung bildenden Tat verdächtig ist, hat der Tatrichter zu entscheiden. Die tatsächlichen Erwägungen, aus denen er den Teilnahmeverdacht abgelehnt hat, kann das Revisionsgericht nur daraufhin nachprüfen, ob bei der Ablehnung ein Rechtsfehler unterlaufen ist (BGHSt 4, 255). Bei dieser Prüfung kann es nur die Tatsachen berücksichtigen, die bei Anbringung der Revisionsanträge bezeichnet worden sind (§ 352 Abs. 1 StPO).

Neben dem Umstand, daß der Zeuge B vereidigt worden ist, ist zur Rechtfertigung der Revision nur vorgetragen worden, aus den Feststellungen des Landgerichts ergebe sich, daß der Zeuge B der Beteiligung an der dem Angeklagten zur Last liegenden versuchten unbefugten Ingebrauchnahme eines Kraftfahrzeugs verdächtig sei.

Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte dem Zeugen B in der Tatnacht in einer Wirtschaft, in der sich beide zufällig getroffen hatten, beim Biertrinken erzählt, er wolle sich nachher ein Auto für eine Spritztour beschaffen. Nachdem beide getrennt von einander die Wirtschaft gegen 1 Uhr verlassen hatten, trafen sie sich auf der Straße wieder und gingen dann miteinander weiter. Als der Angeklagte schließlich einen Kraftwagen zu öffnen versuchte, redete ihm der Zeuge B zu, von diesem Treiben abzulassen. Hierüber gerieten sie in einen Wortwechsel, bis eine Polizeistreife herankam.

Nach diesen Feststellungen kann es nicht als rechtsfehlerhaft beanstandet werden, daß das Landgericht den Verdacht der Teilnahme des Zeugen B verneint hat.

II. Die Sachrüge.

1. Die Revision beanstandet, daß das Landgericht bei der Strafzumessung nicht geprüft habe, ob eine Strafmilderung nach § 51 Abs. 2 StGB Platz zu greifen habe, weil der medizinische Sachverständige den Angeklagten als haltlosen Psychopathen geschildert habe. Aus den Feststellungen ergibt sich aber, daß das Landgericht auf Grund des Gutachtens des Sachverständigen die Überzeugung gewonnen hat, daß der Angeklagte zwar charakterlich abartig entwickelt, aber "voll zurechnungsfähig" ist. Das Landgericht hat damit rechtsfehlerfrei dargelegt, daß nach seiner Überzeugung die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten nicht allgemein nach § 51 Abs. 2 StGB erheblich vermindert ist.

Jedoch hat das Landgericht im Fall 1) der Urteilsgründe, in dem es den Angeklagten wegen versuchter unbefugter Ingebrauchnahme eines Kraftfahrzeugs verurteilt hat, auf Grund der für glaubhaft erachteten Aussage des Zeugen B angenommen, daß bei dem Angeklagten "eine gewisse Angetrunkenheit" vorlag, ohne sich über deren Auswirkung auf die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten, namentlich auf sein Hemmungsvermögen, zu äußern. Da das Landgericht sich nicht darüber ausgesprochen hat, wie sich der Alkoholgenuß bei dem "charakterlich abartig entwickelten" Angeklagten, der überdies Kopfverletzungen erlitten hat, auswirken konnte, kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, daß das Landgericht im Fall l) der Urteilsgründe insbesondere die Möglichkeit einer erheblichen Verminderung der Fähigkeit des Angeklagten, nach seiner Einsicht in das Unerlaubte der Tat zu handeln (§ 51 Abs. 2 StGB) rechtsirrig außer Betracht gelassen hat.

Auf die Sachrüge muß daher das Urteil, soweit der Angeklagte wegen versuchter unbefugter Ingebrauchnahme eines Kraftfahrzeugs verurteilt worden ist, im Strafausspruch aufgehoben werden.

2. Weiter meint die Revision, das Landgericht habe gegen den Grundsatz, daß im Zweifel zugunsten des Angeklagten entschieden werden müsse, verstoßen, weil es einerseits die Einlassung des Angeklagten als unglaubwürdig angesehen, in den Punkten der Freisprechung aber seinen Angaben Glauben geschenkt habe. Der Tatrichter ist aber rechtlich nicht gehindert, das Vorbringen eines Angeklagten teilweise als wahr, teilweise als unrichtig anzusehen. Einander widersprechende Feststellungen liegen nicht vor.

3. Dagegen muß ein anderer, von der Revision nicht geltend gemachter Gesichtspunkt zur Aufhebung des Urteils führen, soweit der Angeklagte wegen Vortäuschung einer Straftat verurteilt worden ist.

a) Das Landgericht hat festgestellt, der Angeklagte habe der Kriminalpolizei und dem Ermittlungsrichter unwahrerweise vorgetäuscht, mehrfach fremde, auf Straßen versperrt abgestellte Fahrzeuge unbefugt geöffnet zu haben, um darin zu übernachten. Darüber, welchen strafrechtlich erheblichen Tatbestand das unbefugte Öffnen eines Kraftwagens in der Absicht, darin zu übernachten, erfüllen soll, hat das Landgericht keine Ausführungen gemacht. Der Tatbestand der Sachbeschädigung (§ 303 StGB) scheidet offensichtlich aus; im Urteil ist ausdrücklich angeführt, der Angeklagte habe behauptet, die Kraftfahrzeuge mittels Nachschlüssels, also nicht unter Beschädigung irgendeines Teiles der Fahrzeuge, geöffnet zu haben. Das Landgericht behandelt seine Einlassung insoweit als glaubhaft. Auch Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) kommt nicht in Betracht; ein auf einer Straße abgestellter privateigener Personenkraftwagen – an Fahrzeuge wie Wohnanhänger, Geschäftskraftwagen oder Kraftwagen des öffentlichen Verkehrs kann bei dem Mangel jeglicher Anhaltspunkte nicht gedacht werden – gehört nicht zu den Räumen, deren Frieden durch § 123 StGB geschützt wird. Daß auch der Tatbestand des unbefugten Ingebrauchnehmens eines Kraftfahrzeugs (§ 248 b StGB) durch das unbefugte Nächtigen in einem parkenden Kraftwagen nicht erfüllt wird, hat der Senat bereits im Urteil vom 17. Oktober 1957 (BGHSt 11, 47, 49) entschieden (vgl. auch das Urteil des 2. Strafsenats des BGH vom 27. November 1957, BGHSt 11, 44, 45). Von dieser Auffassung abzuweichen besteht kein Anlaß. Auch sonst ist ein auf Bundesrecht oder dem insoweit maßgebenden Recht des Landes Nordrhein-Westfalen oder der Stadt Dortmund beruhender Straftatbestand, der durch das Öffnen eines auf einer Straße parkenden Kraftwagens in Übernachtungsabsicht und durch das Übernachten darin verwirklicht sein könnte, nicht gegeben. Das angefochtene Urteil kann daher insoweit keinen Bestand haben.

b) Zur sofortigen Freisprechung des Angeklagten ist der Senat nicht in der Lage, weil sich der Angeklagte durch das Vortäuschen der von ihm angeblich begangenen Handlungen des versuchten Betruges schuldig gemacht haben kann. Das Landgericht hat als erwiesen erachtet, daß der Angeklagte das Öffnen von Kraftwagen in Übernachtungsabsicht den Beamten der Kriminalpolizei und dem Ermittlungsrichter unwahrerweise vorgetäuscht habe, diesen Personen also falsche Tatsachen vorgespiegelt und in ihnen dadurch einen Irrtum entweder erregt oder zu erregen versucht habe. Nach den Ausführungen des angefochtenen Urteil muß der Senat davon ausgehen, daß der Angeklagte dies deshalb getan hat, um in Haft genommen zu werden und sich auf diese Weise Obdach zu verschaffen. Sollte der Angeklagte dabei nicht in der Lage gewesen sein, die durch die erstrebte Unterkunft und wohl auch Verpflegung der Landeskasse entstehenden Kosten alsbald und in voller Höhe zu erstatten, so wäre bei Gelingen seines Vorhabens das Vermögen des Landes Nordrhein-Westfalen geschädigt worden. Sofern der Angeklagte sich unentgeltlich Unterkunft und gegebenenfalls auch Verpflegung verschaffen wollte, hatte er dabei auch die Absicht, sich einen Vermögensvorteil zu verschaffen, auf den er keinen Anspruch hatte. Das Bindeglied zwischen dem von dem Angeklagten erregten Irrtum und der Vermögensbeschädigung war nach dem Willen und der Vorstellung des Angeklagten die Festnahme durch die von ihm getäuschten Beamten und die Haftanordnung durch den ebenfalls irregeführten Richter. Der Vermögensbeschädigung des Landes Nordrhein-Westfalen entsprach auf der Gegenseite unmittelbar der von dem Angeklagten erstrebte rechtswidrige Vermögensvorteil.

Die Festnahme und vor allem der Haftbefehl können als Vermögensverfügung angesehen werden, die als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zum Tatbestand des § 263 StGB gehört. Von dem Begriff der Vermögensverfügung im Sinn des § 263 StGB werden nicht nur die Verfügungen des bürgerlichen Rechts erfaßt. Als – schädigende – Vermögensverfügung ist beim Tatbestand des Betrugs vielmehr jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen des Getäuschten zu verstehen, das unmittelbar eine Vermögensminderung im wirtschaftlichen Sinne bei dem Getäuschten selbst oder einer dritten Person herbeiführt. Das wird in der Rechtsprechung und im Schrifttum allgemein anerkannt (RGSt 59, 104; RG JW 1926, 586; LK 8. Aufl. § 263 Bem. 4; Schönke/Schröder 9. Aufl. § 263 Bem. VI l; Schwarz StGB 22. Aufl. § 263 Bem. 4 A; Dreher/Maaßen 3. Aufl. § 263 Bem. 5 b; Maurach BT 2. Aufl. § 38 Bem. II B 3 a; Mezger Strafrecht BT 5. Aufl. § 57 Bem. IV). Derjenige, der die Vermögensverfügung vornimmt, braucht sich dabei nicht bewußt zu sein, daß er auf sein Vermögen oder dasjenige eines Dritten einwirkt (vgl. RGSt 70, 225, 227). Auch hoheitliche Akte können als Vermögensverfügung in diesem Sinn in Betracht kommen. Darauf beruht z. B. der in der Rechtsprechung allgemein verwendete Begriff des Prozeßbetrugs, bei dem der getäuschte Richter die Vermögensverfügung in der Gestalt seines Urteils oder seiner sonstigen Entscheidung trifft. Die Entscheidungen des Reichsgerichts RGSt 47, 151, bei der es sich um den Fall der Erteilung einer gewerblichen Genehmigung handelte, und RGSt 58, 215, die sich mit dem Fall einer Höchstpreisfestsetzung zu befassen hatte, gehen ebenfalls von diesem Gedanken aus; in diesen beiden Entscheidungen hat das Reichsgericht den Tatbestand des Betrugs nur deswegen nicht angenommen, weil die Erteilung der gewerblichen Genehmigung und die Höchstpreisfestsetzung nicht unmittelbar das Vermögen anderer beschädigten. Wird aber jemand in Untersuchungshaft genommen, so sind seine Unterbringung und Verköstigung, die jedenfalls zunächst auf Kosten der Landeskasse erfolgen, die zwangsläufigen und unmittelbaren Folgen der Haftanordnung.

Das Landgericht wird den Sachverhalt unter diesen rechtlichen Gesichtspunkten erneut zu prüfen haben.

4. Weitere Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten läßt das angefochtene Urteil nicht erkennen.