BVerfG, 14.02.1973 - 2 BvR 667/72
Entzieht das Gericht einem Rechtsanwalt die Verteidigungsbefugnis, weil er im Verdacht der Teilnahme an der dem Beschuldigten zur Last gelegten Straftat steht, so liegt darin ein Eingriff in die Freiheit der anwaltlichen Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG), der zur Zeit weder durch Gesetz noch durch Gewohnheitsrecht gedeckt ist.
Beschluß
des Zweiten Senats vom 14. Februar 1973
- 2 BvR 667/72 -
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Rechtsanwalts Otto S..., - Bevollmächtigter: Professor Dr. Uwe Wesel, Berlin 33, Brümmerstraße 16 - gegen den Beschluß des Bundesgerichtshofs, 3 Strafsenat, vom 25 August 1972 - 1 BJs 6/72 / StB 18 u. 20/72 - sowie Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Entscheidungsformel:
1. Der Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 25. August 1972 (StB 18 u. 20/72 / 1 BJs 6/71) - verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
2. Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
A.
I.
Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und war Wahlverteidiger von Gudrun Enslin, gegen die der Generalbundesanwalt im Rahmen der Aufklärung von Straftaten der "Baader-Meinhof- Gruppe" ein Ermittlungsverfahren führt. Gegenstand dieses Verfahrens ist der Vorwurf, die Beschuldigte sei Mitglied einer kriminellen Vereinigung gewesen (§ 129 StGB). Am 7. Juni 1972 wurde Gudrun Ensslin in Hamburg verhaftet und der Justizvollzugsanstalt Essen überstellt. Am 12. Juni 1972 besuchte sie dort der Beschwerdeführer. Er ließ sich von ihr Strafprozeßvollmacht erteilen. Der mehrstündige Besuch fand ohne Aufsicht statt.
Am 15. Juni 1972 nahm die Polizei in Hannover-Langenhagen Ulrike Meinhof fest. Bei ihr fand sie ein Schriftstück, das später als "Ensslin-Kassiber" bekannt wurde. Es handelt sich um zwei mit Schreibmaschine beschriftete DIN A 4-Bögen; sie enthalten in verschlüsselter Form Aufträge und Hinweise für die noch in Freiheit lebenden Mitglieder der "Baader-Meinhof-Gruppe" sowie einen Bericht über die Verhaftung Gudrun Ensslins und ihren Transport nach Essen.
Am 17. Juni 1972 schloß der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs auf Antrag des Generalbundesanwalts den Beschwerdeführer von der Verteidigung Gudrun Ensslins aus. Dieser sei dringend verdächtig, sich an der Straftat, die Gudrun Ensslin zur Last gelegt werde, als Mittäter beteiligt zu haben. Da er als einziger Besucher Gelegenheit gehabt habe, unbeaufsichtigt mit Gudrun Ensslin zu sprechen, könne der Kassiber nur durch ihn aus der Anstalt herausgebracht worden sein.
Gegen diesen Beschluß legten sowohl der Beschwerdeführer als auch Gudrun Ensslin Beschwerde ein. Beide Beschwerden hatten keinen Erfolg. Der Bundesgerichtshof verwarf sie durch Beschluß vom 25. August 1972. Zur Begründung führte er aus: Was die Rechtsgrundlage des Verteidigerausschlusses angehe, so enthalte die Strafprozeßordnung zwar keine ausdrückliche Regelung. Die Möglichkeit und Notwendigkeit dieser Maßnahme folge aber aus Sinn und Zweck einer Reihe von Bestimmungen der Prozeßordnung sowie der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Sei der Verteidiger der Teilnahme verdächtig und mitbeschuldigt, so ergebe sich ein gesetzlicher Ausschließungsgrund aus der Unvereinbarkeit der Verteidigungsfunktion mit der Rolle des Beschuldigten. Der Anwalt sei Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) und wirke auch als Verteidiger bei der Aufrechterhaltung der staatlichen Rechtspflege mit. Als Mitbeschuldigter könne er nicht mehr im Sinne dieses Berufsbildes tätig werden. Sein Interesse als Mitbeschuldigter bringe ihn in Widerstreit mit den Pflichten des Verteidigers zur Wahrheit, Verschwiegenheit und Sachlichkeit, oftmals auch mit seiner Treuepflicht gegenüber dem Mandanten. Vor allem fehle ihm die Unabhängigkeit (§§ 1, 3 Abs. 1 BRAO), die allein die notwendige Unbefangenheit in der Sache verbürge. Daß solcher Widerstreit zum Ausschluß führen müsse, folge zudem aus § 146 Abs. 1 StPO, dem der allgemeine Rechtsgedanke zugrunde liege, daß eine der "Aufgabe der Verteidigung" widersprechende Situation die Übernahme der Verteidigerrolle verbiete. Darüber hinaus räume das Gesetz dem Verteidiger Befugnisse ein, deren Gewährung an Mitbeschuldigte sich nicht mit der Wahrheitsfindung vereinbaren lasse. Dazu gehörten das Recht der Akteneinsicht (§ 147 StPO), die Befugnis zum Verkehr mit dem in Haft befindlichen Beschuldigten (§ 148 StPO) sowie das unbeschränkbare Recht der Anwesenheit bei bestimmten Ermittlungshandlungen (§§ 192 Abs. 2, 169 Abs. 1 StPO). Daß der Anwalt als Teilnehmer der Tat von der Verteidigung ausgeschlossen bleiben müsse, sei überdies seit langem die nahezu einhellige Auffassung im Schrifttum. Damit stimme diejenige der Rechtsprechung überein. Diese gemeinsame Ansicht habe sich jedenfalls zu - vorkonstitutionellem - Gewohnheitsrecht verfestigt. Die Frage könne danach nur sein, welcher Verdachtsgrad zu fordern sei. Bloße Vermutungen genügten nicht. Andererseits bedürfe es keiner Gewißheit. Notwendig, aber auch ausreichend sei dringender Verdacht. Dieser Verdacht bestehe hier, da die Ermittlungen - wie im einzelnen ausgeführt wird - keinerlei Anhalt dafür erbracht hätten, daß eine andere Person den Kassiber übermittelt haben könnte.
II.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die am 22. September 1972 eingegangene Verfassungsbeschwerde, die mit dem Antrag verbunden ist, im Wege der einstweiligen Anordnung den Beschwerdeführer vorläufig wieder als Verteidiger Gudrun Ensslins zuzulassen.
Der Beschwerdeführer, der die ihm zur Last gelegte Tat leugnet, rügt Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG. In seinem Grundrecht auf freie Berufsausübung sieht er sich beeinträchtigt, weil die angegriffene Entscheidung der gesetzlichen Grundlage entbehre und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße. Er trägt vor:
Der Ausschluß von der Verteidigung Gudrun Ensslins greife in seine anwaltliche Berufsausübung ein und sei daher nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig. Daran fehle es. Von den vier "herkömmlichen" Tatbeständen des Verteidigerausschlusses - Teilnahme, Begünstigung, Zeugeneigenschaft und gleichzeitige Verteidigung mehrerer Beschuldigter trotz Interessenkonflikts - sei nur der letzte gesetzlich geregelt (§ 146 Abs. 1 StPO). In den anderen Fällen berufe sich der Bundesgerichtshof zwar auf Sinn und Zweck einer Reihe allgemeiner Bestimmungen über die Stellung des Verteidigers im Strafverfahren. Diese Bestimmungen enthielten jedoch keinen Eingriffstatbestand. Der Hinweis auf den Rechtsgedanken des § 146 Abs. 1 StPO führe nicht weiter. Die Teilnahme an der Straftat des Beschuldigten lasse sich mit der gemeinschaftlichen Verteidigung mehrerer Beschuldigter durch ein und denselben Anwalt nicht vergleichen. Auch gebe es keinen vorkonstitutionellen Gewohnheitsrechtssatz, der es gestatte, einem Rechtsanwalt wegen dringenden Teilnahmeverdachts die Verteidigungsbefugnis zu entziehen. Aus der Zeit vor 1949 liege nur eine einschlägige Entscheidung des Reichsgerichts vor (DRiZ 1928, S. 471). Durch einen weiteren Beschluß habe das Reichsgericht zwar einen Anwalt wegen Begünstigungsverdachts von der Verteidigung ausgeschlossen (JW 1926, S. 2756). Dabei handele es sich aber um einen gänzlich anderen Tatbestand. Beide Entscheidungen seien zudem vereinzelt geblieben. Sie hätten im Schrifttum zwar überwiegende Billigung gefunden, indessen noch kein Gewohnheitsrecht erzeugt. Dazu bedürfe es einer längeren, gleichmäßigen Übung, die von der allgemeinen Rechtsüberzeugung getragen sei. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Von Gewohnheitsrecht könne überdies nur die Rede sein, wenn der gesamte Eingriffstatbestand feststehe. Das sei nicht der Fall. Welcher Verdachtsgrad zum Ausschluß genüge, sei nie geklärt worden. Die herrschende Meinung habe verlangt, daß gegen den Anwalt das Hauptverfahren eröffnet sein müsse. Offen geblieben sei auch, ob die Ausschließungsbefugnis dem Prozeßrichter oder dem Ehrengericht der Anwälte zustehen solle.
Die angegriffene Entscheidung verletze ferner das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Für die Entziehung der Verteidigungsbefugnis dürfe dringender Tatverdacht nicht genügen, da dieser Verdacht nur vorläufig, der Ausschluß aber endgültig sei. Zumindest müsse ein für die Eröffnung des Hauptverfahrens hinreichender Verdacht (§ 203 StPO) vorliegen. Schließlich stehe auch die Beweiswürdigung nicht in Einklang mit der Verfassung. Denn der Bundesgerichtshof stelle allein darauf ab, daß ein anderer als Übermittler des Kassibers angeblich nicht in Betracht komme. Die für den Anwalt "berufsbedingte Gefahr", durch Ausübung seines Besuchsrechts in den Verdacht der Kassiberbeförderung zu geraten, lasse er außer acht, anstatt sie zugunsten der Berufsfreiheit zu berücksichtigen.
III.
1.
Der Bundesminister der Justiz hat wie folgt Stellung genommen:
Die Rechtsgrundlage für den Ausschluß eines Verteidigers wegen Teilnahmeverdachts ergebe sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz. Jedoch bestehe ein vorkonstitutioneller Gewohnheitsrechtssatz des Inhalts, daß nach erschöpfender Sachaufklärung ein schwerwiegender Beteiligungsverdacht die Entziehung der Verteidigungsbefugnis rechtfertige. Dieser Gewohnheitsrechtssatz sei mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Seine Anwendung im vorliegenden Fall begegne indessen unter dem Gesichtspunkt der Berufsfreiheit Bedenken, da nach den getroffenen Feststellungen allenfalls ein einfacher, nicht aber ein schwerwiegender Verdacht gegen den Beschwerdeführer bestehe.
2.
Die Bundesrechtsanwaltskammer hat die Ansicht vertreten, die Entziehung der Verteidigungsbefugnis finde im Gesetz keine Stütze. Auch einen vorkonstitutionellen Gewohnheitsrechtssatz, der den Eingriff decke, gebe es nicht. Dazu bedürfe es der Anerkennung bestimmter Ausschlußtatbestände, der Klarstellung des erforderlichen Verdachtsgrads, der Existenz einer zuständigen Stelle sowie einer Verfahrensordnung, die aus der Rechtsüberzeugung aller Beteiligten befolgt werde. Keine dieser Voraussetzungen liege vor. Die Zahl der einschlägigen Entscheidungen sei zu klein. Über einen etwaigen Verteidigerausschluß dürfe nicht der Prozeßrichter, sondern nur das Ehrengericht der Anwälte entscheiden.
3.
Der Deutsche Anwaltverein hat sich in gleichem Sinne geäußert und zusätzlich ausgeführt, daß in "schweren Fällen" das Ehrengericht der Anwälte in einem Schnellverfahren ein Berufs- oder Vertretungsverbot gegen den teilnahmeverdächtigen Verteidiger verhängen könne (§§ 150 ff. BRAO).
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.
Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG. Der Ausschluß von der Verteidigung enthält einen Eingriff in die Freiheit seiner Berufsausübung, der weder durch Gesetz noch durch Gewohnheitsrecht gedeckt ist.
I.
Der angefochtene Beschluß greift in die berufliche Tätigkeit des Beschwerdeführers als Anwalt ein. Die Verteidigung in Strafsachen gehört zu den wesentlichen Berufsaufgaben des Anwalts. Schon nach § 26 der Rechtsanwaltsordnung vom 1. Juli 1878 (RGBl. S. 177) besaß der bei einem deutschen Gericht zugelassene Anwalt die Befugnis, vor jedem Gericht innerhalb des Reichs Verteidigungen zu führen. Dieses Recht ist heute durch § 3 BRAO und § 138 Abs. 1 StPO gewährleistet. Es sichert die anwaltliche Berufsausübung. Daher hat es teil am Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG.
II.
Da die Befugnis des Beschwerdeführers, als Strafverteidiger aufzutreten, durch die von ihm beanstandete Maßnahme eingeschränkt wird, muß hierfür nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG eine Regelung durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes getroffen sein (BVerfGE 15, 226 [231]; 22, 114 [120]). Das ist bisher nicht geschehen.
1.
Die vom Bundesgerichtshof herangezogenen Bestimmungen der Bundesrechtsanwaltsordnung und der Strafprozeßordnung enthalten eine solche Regelung nicht.
Nach § 1 BRAO ist der Rechtsanwalt ein unabhängiges Organ der Rechtspflege und nach § 3 Abs. 1 BRAO der berufene unabhängige Berater in allen Rechtsangelegenheiten. Diese Bestimmungen enthalten aber - wie das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt hat (BVerfGE 22, 114 [120]) - keinen Eingriffstatbestand für den Fall, daß ein Anwalt ihrem Leitbild nicht entspricht. Das ergibt sich schon aus § 3 Abs. 2 BRAO, wonach das allgemeine Vertretungsrecht des Anwalts nur durch ein besonderes Bundesgesetz beschränkt werden kann. Nach § 146 Abs. 1 StPO darf für mehrere Beschuldigte nur dann ein gemeinschaftlicher Verteidiger auftreten, wenn dies der Aufgabe der Verteidigung nicht widerstreitet. Das Reichsgericht hat aus dem Sinn dieser Vorschrift gefolgert, es sei Pflicht des Vorsitzenden, eventuell des Gerichts, von Amts wegen einzuschreiten, wo der Widerstreit der Interessen offenbar werde; es habe - jedenfalls bei dem von ihm bestellten Pflichtverteidiger - für eine anderweite, dem Gesetz entsprechende Verteidigung Sorge zu tragen (RGSt 35, 189 [191]). § 146 Abs. 1 StPO selbst besagt aber - was das Bundesverfassungsgericht ebenfalls schon zum Ausdruck gebracht hat (BVerfGE 22, 114 [121]) - über die Befugnisse des mit der Sache befaßten Strafrichters nichts. Vor allem ist der dort geregelte Tatbestand einer Interessenkollision zwischen mehreren Beschuldigten, für die ein gemeinsamer Verteidiger auftritt, von dem hier zu beurteilenden Fall sachlich so verschieden, daß dieses Gesetz nicht als Grundlage für den Ausschluß des teilnahmeverdächtigen Verteidigers dienen kann.
2.
Der Bundesgerichtshof hat den Rechtssatz, der diese Maßnahme rechtfertigen soll, nicht unmittelbar einer gesetzlichen Vorschrift entnommen. Er hat ihn vielmehr aus Sinn und Zweck einer Reihe von Bestimmungen abgeleitet, deren Gesamtschau ein Leitbild des Verteidigers ergebe, wonach die Rolle des Verteidigers mit der des teilnahmeverdächtigen Mitbeschuldigten unvereinbar sei. Dem liegt ein richtiger Gedanke zugrunde. Der selbst tatbeteiligte Rechtsanwalt ist grundsätzlich nicht in der Lage, seine Verteidigeraufgabe so wahrzunehmen, wie es seine Stellung als Organ der Rechtspflege und Beistand des Beschuldigten verlangt. Denn er wird vielfach versucht sein, entweder der Wahrheitsfindung überhaupt in den Weg zu treten oder aber die Belange seines Mandanten hintanzustellen, um sich vor eigener Bestrafung so weit wie möglich zu schützen. Dies entspricht nicht dem Leitbild des Verteidigers, wie es in einer Anzahl gesetzlicher Vorschriften zum Ausdruck gekommen ist, sondern widerstreitet der Rolle, die der Gesetzgeber dem Verteidiger erkennbar zugedacht hat. Damit kann es jedoch hier nicht sein Bewenden haben. Zweifelhaft ist bereits, ob grundrechtsbeschränkende Rechtsnormen, die der Richter lediglich unter Berufung auf Sinn, Zweck und Grundgedanken einzelner Gesetzesbestimmungen gewinnt, aus dem Leitbild des Verteidigers entwickelt und aus seiner Rolle im Strafverfahren ableitet, dem Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG genügen. Dies braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden. Selbst wenn der Rechtssatz, daß der tatbeteiligte Anwalt nicht Verteidiger sein kann, eine ausreichende gesetzliche Grundlage hat, bleibt jedenfalls offen, welcher Grad an Gewißheit zum Ausschluß erforderlich ist und welche Instanz darüber entscheiden soll. Hierfür fehlt jeder gesetzliche Anhaltspunkt. Aus der Gesamtschau der gesetzlichen Vorschriften, dem daraus ersichtlichen Leitbild des Verteidigers und der ihm zugewiesenen Verfahrensrolle ergibt sich in dieser Beziehung nichts. Ob die Teilnahmehandlung des Anwalts zur Überzeugung des Gerichts feststehen muß, ob einfacher, dringender oder ein zur Eröffnung des Hauptverfahrens hinreichender Tatverdacht zum Ausschluß des Verteidigers genügt, ist ungeklärt. Dasselbe gilt für die Frage, ob die Kompetenz zur Entziehung der Verteidigungsbefugnis dem mit der Sache befaßten Strafrichter (Ermittlungsrichter, eröffnendes, erkennendes Gericht) oder dem Ehrengericht der Anwälte zustehen soll. Weder in der einen noch in der anderen Hinsicht gibt das Gesetz eine klare und eindeutige Antwort. Sie läßt sich durch Auslegung nicht ermitteln. Der Bundesgerichtshof hat hier die verfassungsrechtlichen Grenzen verkannt, die Art. 12 Abs. 1 GG unter dem Gesichtspunkt des Rechtsstaatsprinzips der richterlichen Rechtsfortbildung jedenfalls dort zieht, wo ein Rechtssatz aufgestellt wird, der den Anwalt in seiner beruflichen Tätigkeit als Verteidiger nicht unerheblich beschränkt. Der Ausschluß von der Verteidigung ist die schärfste Maßnahme, die im Strafverfahren gegenüber dem Anwalt des Beschuldigten überhaupt in Betracht kommt. Ein so schwerer und für das Verfahren endgültiger Eingriff in die Verteidigerstellung bedarf von Verfassungs wegen einer Begründung, die ihre Rechtfertigung unzweideutig, verläßlich und sicher in dem erklärten, objektivierten Willen des Gesetzgebers findet. Dazu genügt es nicht, daß der Ausschlußtatbestand "in Umrissen", also nur unvollkommen und lückenhaft, aus Sinn und Zweck einer Reihe gesetzlicher Vorschriften gewonnen werden kann. Vielmehr muß er sich insgesamt, in seinem vollen Umfang, als Ausdruck einer gesetzlichen Regelungsabsicht nachweisen lassen, wozu auch gehört, daß deutlich erkennbar ist, bei welchem Verdachtsgrad der tatbeteiligte Verteidiger aus dem Verfahren ausscheiden soll und wer im Streitfall darüber zu befinden hat. Diese strengen Anforderungen an die Klarheit, Bestimmtheit und Vollständigkeit der gesetzlichen Grundlage sind ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit. Sie ergeben sich daraus, daß der Verteidigerausschluß Grundsätze von hohem Range berührt. Die Entziehung der Verteidigungsbefugnis nimmt dem Beschuldigten den Anwalt seiner Wahl. Zugleich unterwirft sie den Verteidiger einer Maßnahme, die seine Unabhängigkeit als Anwalt in Frage stellt. Damit geht es nicht nur um die Interessen Einzelner, sondern um die Belange der Rechtspflege selbst. Für einen rechtsstaatlich geordneten Strafprozeß ist es von großem Gewicht, daß der Beschuldigte die Möglichkeit hat, von einem Anwalt seines Vertrauens verteidigt zu werden. Von nicht geringerer Bedeutung ist es, daß dieser Anwalt einen freien Beruf ausübt, der staatliche Kontrolle und Bevormundung prinzipiell ausschließt. Das Recht der freien Verteidigerwahl und der seit einem Jahrhundert anerkannte Grundsatz der "freien Advokatur" (BVerfGE 15, 226 [234]) sind wesentliche Voraussetzungen eines Strafverfahrens, in dem der Beschuldigte nicht zum Objekt staatlichen Handelns wird, sondern seine Stellung als Prozeßsubjekt behauptet und die damit verbundenen Rechte auch wirksam zu nutzen vermag. Daher bedürfen Beschränkungen der Rechte des Anwalts und Eingriffe in seine Stellung als Verteidiger einer gesetzlichen Legitimation, die sich klar erkennen und zweifelsfrei feststellen läßt. Vor diesem verfassungsrechtlichen Maßstab hat der vom Bundesgerichtshof angenommene und seiner Entscheidung zugrunde gelegte Rechtssatz über den Ausschluß des teilnahmeverdächtigen Verteidigers keinen Bestand.
III.
Der angegriffene Beschluß findet seine Rechtsgrundlage auch nicht in einem vorkonstitutionellen Gewohnheitsrecht.
1.
Zwar hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt anerkannt, daß auch eine solche Rechtsnorm geeignet ist, die anwaltliche Berufsausübung wirksam zu regeln (BVerfGE 15, 226 [233]; 16, 214 [218]; 22, 114 [121]; 28, 21 [28]). Dies beruht darauf, daß das in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltene Gebot formeller Gesetzgebung das vorkonstitutionelle Recht nicht berührt. Insoweit bewendet es bei dem Grundsatz des Art. 123 Abs. 1 GG. Danach gilt Recht aus der Zeit vor dem erstmaligen Zusammentreten des Bundestages fort, soweit es dem Grundgesetz nicht widerspricht, wobei es nicht darauf ankommt, welchen Rang dieses Recht hat (vgl. BVerfGE 9, 63 [70]; 9, 73 [76]; 9, 213 [222]) und aus welcher Quelle es fließt (BVerfGE 6, 389 [418]).
2.
Indessen gibt es keinen vorkonstitutionellen Gewohnheitsrechtssatz, wonach der Strafrichter die Befugnis besitzt, einen Rechtsanwalt, der nicht Mitangeklagter ist, allein wegen dringenden Verdachts der Teilnahme an der Tat des Beschuldigten von dessen Verteidigung auszuschließen. Das Bundesverfassungsgericht brauchte hierzu bisher nicht Stellung zu nehmen, da das Ergebnis in früheren Ausschlußfällen davon nicht abhängig war. Zuletzt hat es deshalb die Frage ausdrücklich dahingestellt bleiben lassen (BVerfGE 22, 114 [122]). Sie ist nun zu entscheiden.
Gewohnheitsrecht entsteht durch längere tatsächliche Übung, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine ist und von den Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird (BVerfGE 22, 114 [121]; 28, 21 [28 f.]). Angesichts der besonderen Beschaffenheit des hier zu ermittelnden Rechtssatzes, der eine prozessuale Befugnis des Richters zum Gegenstand hat, muß es sich um einen Gerichtsgebrauch handeln, der die Billigung der betroffenen Kreise - vor allem also der Anwaltschaft - gefunden hat, zumindest aber geduldet worden ist, ohne auf ernstlichen Widerspruch zu stoßen. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Dabei kann offengelassen werden, ob sich Rechtsprechung und Schrifttum nicht wenigstens in der Überzeugung zusammengefunden haben, daß der tatbeteiligte Anwalt nicht Verteidiger sein darf. Denn jedenfalls hat sich ein vollständiger Ausschlußtatbestand, der die Entscheidungskompetenz des mit der Sache befaßten Strafrichters ebenso festlegt wie den Grad des erforderlichen Teilnahmeverdachts, nicht gewohnheitsrechtlich verfestigt.
Schon eine über längere Zeit hinwegreichende, ständige und allgemeine Rechtsprechung, nach der das Gericht dem dringend teilnahmeverdächtigen Anwalt die Verteidigungsbefugnis entziehen kann, läßt sich nicht feststellen. Aus der Zeit vor 1925 ist keine einzige Entscheidung dieser Art bekannt, während das strafprozeßrechtliche Schrifttum ausnahmslos schweigt. Dann folgen - zusammengedrängt auf den Zeitraum dreier Jahre - insgesamt vier Beschlüsse des Staatsgerichtshofs zum Schutze der Republik (Beschluß vom 2. März 1925 - StRTgb. 266/25, StRSt. 4/25 -) und des Reichsgerichts (Beschlüsse vom 8. Oktober 1926 - 13 J 714/24 -, 22. Mai 1928 - 14a 13 J 356/26, XI 4/28 - und 5. Juni 1928 - 14a J 174/27, XI 8/28 = DRiZ Rspr. 1929 Nr. 74 (Leitsatz). Die Zahl dieser Entscheidungen ist zu klein, die Zeitspanne, über die sich diese Judikatur erstreckt, zu kurz, als daß von einer längeren tatsächlichen Übung die Rede sein könnte. Sie hat sich auch nicht allgemein durchgesetzt. Davon, daß andere Gerichte ihr in vorkonstitutioneller Zeit gefolgt wären, ist nichts bekannt.
Vor allem fehlt es an der billigenden Aufnahme dieser Rechtsprechung durch die beteiligten Kreise. Die organisierte Anwaltschaft ist ihr vielmehr unmißverständlich entgegengetreten. Der Deutsche Anwaltverein begründete in Eingaben an den Reichsjustizminister vom 2. April 1925 und 22. November 1926 (AnwBl. 1927, S. 58 ff.) seinen Widerspruch damit, daß die Strafprozeßordnung dem Gericht eine Entscheidung über die Zulassung eines zum Verteidiger gewählten Anwalts nicht einräume. Der Vorstand der Berliner Anwaltskammer brachte in seiner Eingabe an den Reichsjustizminister vom 22. Januar 1929 (JW 1929, S. 568 f. = BerlAnwBl. 1929, S. 45 ff.) gleichfalls zum Ausdruck, daß dem Gericht keine Befugnis zustehe, einen der Teilnahme nur verdächtigen Verteidiger zurückzuweisen. Die Kammerversammlung der Anwaltskammer Berlin faßte am 21. November 1932 den Beschluß (JW 1932, S. 3744), in Gemeinschaft mit anderen Verbänden der Anwaltschaft für eine Änderung der Strafprozeßordnung einzutreten; danach sollte der Verteidigerausschluß wegen Teilnahme- oder Begünstigungsverdachts erst zulässig sein, wenn das Hauptverfahren gegen den betroffenen Anwalt eröffnet ist.
Schließlich hat die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs und des Reichsgerichts auch im vorkonstitutionellen Schrifttum keine ungeteilte Zustimmung gefunden. Sie wurde zwar vielfach befürwortet (Ebermayer, DJZ 1927, Sp. 134 ff.; Bewer, DRiZ 1928, S. 470 ff.; Schwarz, StPO, 2. Aufl. 1932, Übersicht 1 B vor § 137; Niethammer in: Löwe-Rosenberg, StPO, 19. Aufl. 1934, § 138 Anm. 5 c; Dalcke, Strafrecht und Strafverfahren, 32. Aufl. 1941, § 138 StPO Anm. 64; Backes, Kann ein Teilnehmer oder Begünstiger Verteidiger in Strafsachen sein? Diss. Köln 1934, S. 28 ff.). Sie stieß aber auch weithin auf Ablehnung und Kritik. Nicht wenige Autoren sprachen dem Strafrichter mangels gesetzlicher Grundlage jedes Ausschlußrecht ab (Brandt in: "BZ am Mittag" vom 9. März 1925; derselbe, Der Tscheka-Prozeß, 1925, S. 51; Heine in: "Vossische Zeitung" vom 25. November 1926 und 20. Januar 1927; Bendix, LZ 1927, Sp. 511 ff.; Beling, LZ 2927, Sp. 518 [520]; derselbe, Deutsches Reichsstrafprozeßrecht, 1928, S. 149 Fußn. 3; Oborniker, Die Justiz, Bd. IV (1928), S. 299 [302 ff.]; Eckstein, Verhandlungen des 35. DJT (1928), 2. Bd., S. 667 ff.; Nickol, Wesen und Grenzen der Verteidigung, Diss. Jena 1931, S. 45 f.). Andere vertraten die Ansicht, daß für die Entziehung der Verteidigungsbefugnis ein bloßer Verdacht der Beteiligung noch nicht genüge. Soweit sie nicht die positive Feststellung der Teilnahmehandlung im Wege des Freibeweises forderten (Alsberg, JW 1926, S. 2756 f.; ähnlich: Haug, Die grundsätzliche Stellung des Verteidigers, Diss. Tübingen 1939, S. 53 ff.), verlangten sie die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Anwalt (Alexander ZStrW 51 (1931), S. 54 [63 ff.]; Hagemann, DRiZ 1932, S. 260 [262]; v. Scanzoni, JW 1932, S. 3583 [3587 f.]) oder mindestens einen hierfür hinreichenden Verdacht im Sinne des § 203 StPO (Eyck in: "Vossische Zeitung" vom 18. Juli 1928; Gallas, ZStrW 53 (1934), S. 256 [263]; Mühlhaus, Kann ein selbst Verdächtiger Strafverteidiger sein? Diss. Köln 1937, S. 43).
Angesichts dieser Gegenstimmen kann von einer Billigung oder widerspruchslosen Hinnahme der von Staatsgerichtshof und Reichsgericht zeitweise befolgten Spruchpraxis nicht die Rede sein. Vielmehr erweist sich, daß es kein Gewohnheitsrecht gibt, wonach der Strafrichter ermächtigt wäre, den der Teilnahme dringend verdächtigen Anwalt von der Verteidigung auszuschließen.
IV.
Das Bundesverfassungsgericht verkennt nicht, daß mit diesem Ergebnis ein höchst unbefriedigender Rechtszustand aufgedeckt worden ist, dessen Aufrechterhaltung sich mit dem Interesse an einer geordneten Strafrechtspflege in keiner Weise vereinbaren läßt. Der Gesetzgeber wird daher die Voraussetzungen des Verteidigerausschlusses in naher Zukunft zu regeln haben. Dabei ist davon auszugehen, daß es sich hier nicht nur um eine Frage anwaltlichen Berufsrechts, sondern in erster Linie um eine Materie des Strafverfahrensrechts handelt. Die zu treffende Regelung hat einerseits die grundsätzliche Bedeutung der freien Verteidigerwahl und den hohen Wert der "freien Advokatur" zu berücksichtigen, darf aber andererseits die Effizienz des Strafprozesses nicht mehr als unvermeidbar beeinträchtigen. Dies bedeutet zugleich, daß sie bei Wahrung rechtsstaatlicher Verfahrensgarantien innerhalb angemessener Frist eine endgültige Entscheidung über den Verteidigerausschluß ermöglichen muß.
V.
Der angegriffene Beschluß war aufzuheben und die Sache an den Bundesgerichtshof zurückzuverweisen. Damit wird der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos. Dem Beschwerdeführer sind gemäß § 34 Abs. 4 BVerfGG die notwendigen Auslagen zu erstatten. Die Erstattungspflicht trifft die Bundesrepublik Deutschland, der die erfolgreich gerügte Grundrechtsverletzung zuzurechnen ist.