VGH Baden-Württemberg, 18.01.1993 - 14 S 2178/92

Daten
Fall: 
Widerruf einer Geeignetheitsbescheinigung nach § 33c Abs. 3 GewO
Fundstellen: 
NVwZ-RR 1993, 410; DÖV 1993, 624
Gericht: 
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Datum: 
18.01.1993
Aktenzeichen: 
14 S 2178/92
Entscheidungstyp: 
Urteil

1. Ob eine Gaststätte eine Speiseeiswirtschaft iS von § 1 Abs 2 Nr 2 SpielV ist, beurteilt sich nach dem durch objektive Merkmale geprägten Charakter des Betriebs. Auf Art und Inhalt der erteilten gaststättenrechtlichen Erlaubnis kommt es hingegen nicht an.
2. Das öffentliche Interesse an einem wirksamen Jugendschutz ist regelmäßig iSv § 49 Abs 2 Satz 1 Nr 3 LVwVfG (VwVfG BW) gefährdet, wenn Geldspielgeräte in anderen als den in § 1 Abs 1 SpielV genannten Einrichtungen aufgestellt werden.

Tatbestand

Die Klägerin, die einen Betrieb zur Aufstellung von Spielautomaten unterhält, beantragte am 06. September 1991 bei der Beklagten die Erteilung einer Bescheinigung, daß das Eiscafe "..." in den Vorschriften der Spielverordnung (SpielV) entspreche und damit zur Aufstellung von Gewinnspielgeräten geeignet sei. Das Amt erteilte der Inhaberin des Eiscafes mit Verfügung vom 08. Oktober 1991 eine Gaststättenerlaubnis, in der der Betrieb als Schank- und Speisewirtschaft ohne besondere Betriebseigentümlichkeiten zugelassen wurde.

Nachdem das amt der Beklagten mitgeteilt hatte, daß es sich bei dem betreffenden Eiscafe um eine Schank- und Speisegaststätte handele, weil auch kleine, in einem Mikrowellenherd zubereitete Speisen angeboten würden, erteilte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 10. Oktober 1991 die beantragte Geeignetheitsbescheinigung nach § 33 c Abs. 3 GewO. In einer Nebenbestimmung behielt sich die Beklagte den Widerruf der Bescheinigung für den Fall vor, daß die Gaststätte vorwiegend von Kindern und Jugendlichen besucht werde.

Mit Verfügung vom 21. Oktober 1991 änderte das Amt die zulässige Betriebsart des Eiscafes in "Schank- und Speisewirtschaft sowie Speiseeiswirtschaft". Zur Begründung wurde ausgeführt, die Gaststätte sei eine typische Speiseeiswirtschaft, in der schwerpunktmäßig Speiseeis angeboten werde. Der Wirtschaftskontrolldienst habe festgestellt, daß nach der Speisekarte keine warmen Speisen angeboten würden.

Nachdem die Beklagte von dieser Verfügung Kenntnis erlangt hatte, widerrief sie mit Bescheid vom 29. Oktober 1991 die der Klägerin erteilte Geeignetheitsbescheinigung. Zur Begründung wurde ausgeführt, bei dem Eiscafe "..." handele es sich um eine typische Speiseeiswirtschaft, in der keine Geldspielgeräte aufgestellt werden dürften.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 22. November 1991 Widerspruch, den das Amt durch Widerspruchsbescheid vom 10. März 1992 zurückwies. Zur Begründung wurde ausgeführt, die der Inhaberin des Eiscafes erteilte Gaststättenerlaubnis sei um die Betriebsart "Speiseeiswirtschaft" erweitert worden, nachdem festgestellt worden sei, daß vorwiegend Speiseeis angeboten werde. Im Interesse des Jugendschutzes sei das Aufstellen von Geldspielgeräten in Speiseeiswirtschaften verboten. Dieses Interesse sei höher zu bewerten als das Interesse der Klägerin am Erhalt der eingeräumten Rechtsposition, zumal die Geeignetheitsbescheinigung im Zeitpunkt des Widerrufs nicht bestandskräftig gewesen sei.

Am 25. März hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage mit dem Antrag erhoben, den Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Amts vom 10. März 1992 aufzuheben.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 28. Juli 1992 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es: Es könne offenbleiben, ob die Geeignetheitsbescheinigung nach § 48 Abs. 1 LVwVfG hätte zurückgenommen werden können, denn die Beklagte sei jedenfalls befugt gewesen, die Bestätigung nach § 49 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG zu widerrufen. Nach dem Inhalt der der Beklagten bekanntgewordenen Verfügung des Amts vom 21. Oktober 1991 stehe fest, daß es sich bei dem Eiscafe um eine Speiseeiswirtschaft i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 SpielV handele. Maßgebend sei der durch objektive Merkmale geprägte Charakter des Betriebs. Auf den Inhalt der dem Betreiber erteilten gaststättenrechtlichen Erlaubnis komme es nicht an. Im Widerspruchsbescheid sei das eröffnete Ermessen sachgerecht ausgeübt worden, indem die Interessen des Jugendschutzes höher bewertet worden seien als das Interesse der Klägerin am Fortbestand der noch nicht einmal bestandskräftig gewordenen Geeignetheitsbestätigung.

Gegen dieses ihr am 11. August 1992 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 08. September 1992 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie vorträgt: Eine einmal erteilte Gaststättenerlaubnis dürfe nicht dadurch ausgehöhlt werden, daß der Umfang der Erlaubnis nachträglich ohne förmliches Verfahren eingeschränkt werde. Die Voraussetzungen für die Rücknahme der Geeignetheitsbestätigung lägen nicht vor, weil die Behörde auch heute noch verpflichtet wäre, die Genehmigung zu erteilen. Denn es bestehe jederzeit die Möglichkeit, kleinere, in einem Mikrowellenherd zubereitete Speisen anzubieten, wie dies zum Zeitpunkt der Erlaubniserteilung geschehen sei und in Zukunft auch geschehen werde. Die Feststellung, es würden keine warmen Speisen ausgegeben, könne nicht auf eine einmalige Überprüfung durch den Wirtschaftskontrolldienst gestützt werden. Außerdem seien ihre Interessen nicht hinreichend berücksichtigt worden. Sie habe im Vertrauen auf die erteilte Genehmigung erhebliche Mittel für den Kauf der Spielgeräte aufgewandt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 28. Juli 1992 -- 1 K 421/92 -- zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Amts vom 10. März 1992 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor: Bei dem Eiscafe handele es sich um eine ganz typische Speiseeisgaststätte mit überwiegend jugendlichem Publikum. Maßgebend sei allein die objektive Nutzung als Eiscafe. Die Belange der Klägerin seien hinreichend berücksichtigt worden.

Diese habe die Automaten schon vor Erteilung der Bescheinigung aufgestellt. Das Eiscafe sei vom Wirtschaftskontrolldienst mehrfach überprüft worden. Auf die Zahl der Überprüfungen komme es jedoch deshalb nicht an, weil auf der Speisekarte keine warmen Speisen angeboten worden seien.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen. Dem Senat liegen die einschlägigen Behördenakten sowie die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts vor.

Gründe

Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 101 Abs. 2, 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids und des Amts vom 10. März 1992 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Rechtsgrundlage des Widerrufsbescheids ist § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 LVwVfG. Es kommt, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, nicht darauf an, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Geeignetheitsbescheinigung nach § 33 c Abs. 3 GewO von Anfang an nicht vorlagen und deshalb eine Rücknahme nach § 48 Abs. 1 S. 1 LVwVfG in Betracht gekommen wäre. Denn von der Befugnis zum Widerruf nach § 49 Abs. 2 LVwVfG hätte die Beklagte auch dann Gebrauch machen können, wenn die Geeignetheitsbescheinigung von vornherein rechtswidrig gewesen wäre (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 21.11.1986, NVwZ 1987, 498; VGH Baden-Württemberg, Beschluß vom 10.06.1985, NVwZ 1986, 394, 395; OVG Münster, Urteil vom 10.12.1990, GewArch 1991, 224 m.w.N.; Kopp, VwVfG, 5. Aufl., RdNr. 19 zu § 48 m.w.N.).

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, sind im Streitfall die Voraussetzungen eines Widerrufs nach § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 LVwVfG erfüllt. Ein Widerrufsgrund i.S.d. Vorschrift ist gegeben, wenn nach Erlaß des Verwaltungsakts Tatsachen eintreten, die, wenn sie vorher eingetreten wären, der Behörde die Möglichkeit gegeben hätten, den begünstigenden Verwaltungsakt nicht zu erlassen (VGH Baden-Württemberg, Beschluß vom 10.06.1985, aaO). Eine solche nachträgliche Änderung entscheidungserheblicher Tatsachen liegt hier vor. Denn erst nach der Erteilung der Geeignetheitsbescheinigung ist der Beklagten durch die Verfügung des Amts vom 21. Oktober 1991 bekanntgeworden, daß es sich bei dem Eiscafe um eine typische Speiseeiswirtschaft handelt, in der vorwiegend Speiseeis angeboten wird, aber keine warmen Speisen verabreicht werden. Demgegenüber mußte die Beklagte bei Erteilung der Bescheinigung nach § 33 c Abs. 3 GewO davon ausgehen, bei dem Eiscafe handele es sich um eine Schank- und Speisewirtschaft im herkömmlichen Sinne. Denn mit der ursprünglichen Gaststättenerlaubnis war eine Schank- und Speisewirtschaft ohne besondere Betriebseigentümlichkeiten zugelassen worden. Darüber hinaus hatte die Beklagte die Mitteilung erhalten, daß auch kleinere, in einem Mikrowellenherd erhitzte Speisen verabreicht würden.

Die der Beklagten nach Erlaß der Geeignetheitsbestätigung bekanntgewordenen Tatsachen rechtfertigen die Annahme, daß es sich bei dem in Rede stehenden Eiscafe um eine Speiseeiswirtschaft handelt, in der gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2, § 2 Nr. 1 SpielV keine Gewinnspielgeräte aufgestellt werden dürfen. Unter einer Speiseeiswirtschaft ist ein Betrieb zu verstehen, in dem gewerbsmäßig vorwiegend Speiseeis verabreicht wird (BVerwG, Beschluß vom 29.06.1987, GewArch 1987, 393; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.12.1972, GewArch 1974, 92). Maßgebend ist der durch objektive Merkmale geprägte Charakter des Betriebs. Auf Art und Inhalt der dem Betreiber erteilten gaststättenrechtlichen Erlaubnis kommt es hingegen nicht an. Denn auch der Inhaber einer Vollkonzession kann eine Speiseeiswirtschaft betreiben, indem er die Erlaubnis nicht voll ausnutzt. Für die Annahme einer Speiseeiswirtschaft ist es folglich unerheblich, daß der Inhaberin des Eiscafes zunächst eine Gaststättenerlaubnis für eine Schank- und Speisewirtschaft ohne Einschränkungen erteilt worden war und auch nach dem Änderungsbescheid vom 21. Oktober 1991 neben der Speiseeiswirtschaft als zugelassene Betriebsart eine Schank- und Speisewirtschaft aufgeführt ist.

Wie die Feststellungen des Amts und des Wirtschaftskontrolldienstes ergeben haben, weist das Eiscafe nach seinen objektiven Betriebsmerkmalen den Charakter einer Speiseeiswirtschaft auf. Denn es wird, wie die Klägerin nicht bestreitet, vorwiegend Speiseeis ausgegeben. Die Eigenschaft des Betriebs als Speiseeiswirtschaft i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 2 SpielV wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß daneben auch Getränke angeboten werden (BVerwG, Beschluß vom 29.06.1987, aaO; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.12.1972, aaO). Eine Ausgabe warmer Mahlzeiten, bei der der Charakter der Gaststätte als Speiseeiswirtschaft in Frage gestellt sein könnte, findet nicht statt. Denn die ausliegende Speisekarte weist kein derartiges Speisenangebot auf. Unter diesen Umständen bedurfte es entgegen der Auffassung der Klägerin keiner kontinuierlicher Kontrollen durch die zuständigen Behörden. Die Klägerin macht selbst nicht geltend, die Betriebsart der Gaststätte sei so geändert worden, daß sie den Charakter einer Speiseeiswirtschaft verloren hätte und daß damit die Voraussetzungen für den Widerruf entfallen wären.

Zu Recht ist die Beklagte davon ausgegangen, daß ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Denn diese Maßnahme war zur Abwehr einer Gefährdung des besonders wichtigen öffentlichen Interesses an einem wirksamen Jugendschutz notwendig. Die in Spielverordnung getroffenen Bestimmungen diesen, wie sich aus der Ermächtigung in § 33 f Abs. 1 GewO ergibt, neben der Eindämmung der Betätigung des Spieltriebs sowie dem Schutz der Allgemeinheit und der Spieler in erster Linie dem Interesse des Jugendschutzes. Um dieses Regelungsziel zu erreichen, hat der Verordnungsgeber die Aufstellung von Geldspielgeräten auf solche Orte beschränkt, zu denen Kinder und Jugendliche keinen oder nur einen eingeschränkten Zugang haben (BVerwG, Beschluß vom 18.03.1991, GewArch 1991, 225 m.w.N.). Folglich ist das öffentliche Interesse an einem wirksamen Jugendschutz gefährdet, wenn Geldspielgeräte in anderen als den in § 1 Abs. 1 SpielV genannten Einrichtungen aufgestellt werden.

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, machte das Amt von der ihm eingeräumten Widerrufsbefugnis ermessensfehlerfreien Gebrauch. Es konnte nach Lage der Dinge dem Interesse an einem wirksamen Jugendschutz größeres Gewicht beimessen als den wirtschaftlichen Interessen der Klägerin. Diese hatte die Spielgeräte bereits vor Erlaß der Geeignetheitsbestätigung aufgestellt, wie die Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat. Sie hat damit die hierfür erforderlichen Aufwendungen nicht im Vertrauen auf den Bestand der im Zeitpunkt des Widerrufs nicht bestandskräftig gewordenen Bestätigung vorgenommen.