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Art. 56 GG - Amtseid (Kommentar)

¹Der Bundespräsident leistet bei seinem Amtsantritt vor den versammelten Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates folgenden Eid:

"Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe."

²Der Eid kann auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden.

1. Einführung

Artikel 56 GG beschreibt die Eidesformel des Bundespräsidenten und legt fest, dass er diesen Eid bei Amtsantritt vor den Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates leistet. Der Eid bindet den Bundespräsidenten feierlich an sein Amt und an die Verfassung. Diese Zeremonie und das darin enthaltene Gelöbnis stehen in der deutschen Verfassungstradition und betonen den Wert der Verfassungstreue und der Neutralität des höchsten Staatsamtes.

Der Eid in Artikel 56 GG ist nicht nur eine persönliche Verpflichtung des Amtsträgers, sondern auch ein symbolisches Bekenntnis zu den obersten Prinzipien des Grundgesetzes: dem Schutz und der Förderung des Wohls des deutschen Volkes, der Verpflichtung zur Gerechtigkeit, und der Wahrung der verfassungsmäßigen Ordnung.

2. Historischer Kontext

2.1. Eidesleistung als Verfassungsritual

Der Amtseid des Bundespräsidenten ist tief in der deutschen Verfassungsgeschichte verankert. Die Tradition eines Eides bei der Amtsübernahme reicht bis in die Verfassungen des 19. Jahrhunderts zurück und war auch in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 vorgesehen. Der Eidesakt symbolisiert eine Verankerung des höchsten Repräsentanten des Staates in der verfassungsmäßigen Ordnung und seine persönliche Verpflichtung gegenüber den Staatsbürgern.

Die Formulierung des Eides in Artikel 56 GG spiegelt eine starke Kontinuität dieser verfassungsrechtlichen Tradition wider und legt besonderen Wert auf das Prinzip der Rechtstreue und der Verpflichtung gegenüber dem Wohl des Volkes.

2.2. Vergleich zur Weimarer Verfassung und zum Grundgesetz

In der Weimarer Republik legte der Reichspräsident ebenfalls einen Eid ab, allerdings besaß dieser ein anderes politisches Gewicht. Da der Reichspräsident gemäß Artikel 48 der Weimarer Verfassung deutlich weitreichendere Befugnisse hatte, war sein Amtseid in eine andere rechtliche und politische Konstellation eingebettet. Die Weimarer Republik sah den Reichspräsidenten in einer mächtigen Rolle, die auch legislative Notverordnungen zuließ, was durch die Eidesformel jedoch nicht explizit eingeschränkt wurde.

Artikel 42 WRV
(1) Der Reichspräsident leistet bei der Übernahme seines Amtes vor dem Reichstag folgenden Eid:

Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, die Verfassung und die Gesetze des Reichs wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.

(2) Die Beifügung einer religiösen Beteuerung ist zulässig.

Das Grundgesetz, das auf den Erfahrungen der Weimarer Republik aufbaute, konzipierte das Amt des Bundespräsidenten neu: Statt weitreichender exekutiver Macht ist das Amt heute auf repräsentative und integrative Aufgaben beschränkt. Entsprechend legt der Amtseid im Grundgesetz weniger den Schwerpunkt auf machtausübende Befugnisse, sondern auf die Treue zum Grundgesetz und die Einhaltung der gesetzlichen Ordnung.

Außerdem ist im Vergleich Weimarer Reichsverfassung zu Grundgesetz die Einschließung einer religiösen Beteuerung entgegengesetzt: in der WRV exklusiv, aber optional beifügbar; im GG inklusiv, aber optional ausschließbar. Dies ist vor allem den Erfahrungen der WRV in der NS-Zeit geschuldet und soll – ähnlich wie die Präambel des GG – verdeutlichen, dass es über menschengemachte Regelwerke auch eine übergeordnete Gerechtigkeit mit allgemeingültigen Werten gibt.

3. Inhaltliche Analyse des Amtseides nach Art. 56 GG

3.1. „Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen…“

Diese Formulierung bringt die Verpflichtung des Bundespräsidenten zum Ausdruck, das Wohl des deutschen Volkes in den Mittelpunkt seiner Amtsführung zu stellen. Sie stellt eine uneigennützige Hingabe an die Interessen der Bevölkerung in den Vordergrund und fordert von ihm ein hohes Maß an Integrität und Selbstlosigkeit. Das Wohl des Volkes umfasst alle Bereiche der Staatlichkeit und der Politik, die direkt oder indirekt das Gemeinwesen betreffen.

Auch wenn der Bundespräsident eine repräsentative Rolle einnimmt, bringt diese Formulierung dennoch zum Ausdruck, dass alle Handlungen des Staatsoberhaupts von einer Verpflichtung gegenüber dem Allgemeinwohl durchdrungen sein sollen.

3.2. „…seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden…“

In diesem Satzteil ist der Bundespräsident aufgefordert, aktiv zum Wohlstand und zur Sicherheit des Volkes beizutragen. „Nutzen mehren“ impliziert eine positive Entwicklung und Unterstützung für die deutschen Bürger in wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hinsicht. „Schaden von ihm wenden“ bedeutet die Abwehr von Bedrohungen oder negativen Einflüssen, sei es von außen (wie im Fall internationaler Krisen) oder innenpolitisch (wie beispielsweise in Zeiten gesellschaftlicher Spannungen).

Dies spiegelt das Staatsziel des sozialen Rechtsstaats wider, das im Grundgesetz verankert ist und alle Organe des Staates verpflichtet, Gefahren und Bedrohungen vom Volk abzuwenden.

3.3. „das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen“

Dieser Passus stellt eine unverkennbare Verpflichtung zur Verfassungstreue dar. Die Formulierung „wahren und verteidigen“ verdeutlicht, dass der Bundespräsident nicht nur die Einhaltung der Gesetze zu garantieren hat, sondern auch aktiv eine Schutzfunktion übernimmt. Die Verteidigung des Grundgesetzes und der Verfassungsordnung gegen Angriffe oder Missbrauch ist somit eine Kernaufgabe des Bundespräsidenten.

Der Eid unterstreicht somit, dass der Bundespräsident im Rahmen seiner Repräsentationsfunktion als oberster Wächter des Grundgesetzes zu agieren hat. Die Formulierung erinnert an das Widerstandsrecht des Art. 20 Abs. 4 GG, in dem ebenfalls die Verteidigung der Verfassung verankert ist.

3.4. „meine Pflichten gewissenhaft erfüllen“

Der Begriff der Gewissenhaftigkeit im Amt setzt ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein und Ernsthaftigkeit voraus. Der Bundespräsident ist demnach verpflichtet, alle seine Aufgaben und Handlungen mit größter Sorgfalt und Integrität auszuführen, was sowohl im Interesse der Neutralität des Amtes als auch im Interesse der Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland von hoher Bedeutung ist.

Hier wird eine moralische Verantwortung des Bundespräsidenten formuliert, die auch in den verfassungsrechtlichen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechtstreue verankert ist.

3.5. „Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde“

Diese Passage hebt die Verpflichtung des Bundespräsidenten hervor, unparteiisch und gerecht zu handeln. Dies betrifft nicht nur seine Amtsführung, sondern auch seine Außenwirkung als moralische Instanz der Bundesrepublik. Unabhängig von politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Interessen hat der Bundespräsident dem Ideal der Gerechtigkeit zu folgen, was im Sinne einer integrativen und unvoreingenommenen Amtsführung zu verstehen ist.

Dieser Passus stellt eine normative Verpflichtung dar, die eine überparteiliche Amtsführung impliziert und die Erwartung der Bevölkerung an eine faire und gerechte Behandlung durch das Staatsoberhaupt spiegelt.

3.6. Religiöse Beteuerung und Verzicht

Der Schlussteil des Eides, „So wahr mir Gott helfe“, ist optional und ermöglicht eine religiöse Beteuerung. Dieses Element respektiert die Glaubensfreiheit gemäß Artikel 4 GG und spiegelt den Respekt des Grundgesetzes für religiöse Überzeugungen wider. Die Möglichkeit, den Eid ohne religiöse Beteuerung abzulegen, erkennt gleichzeitig die religiöse und weltanschauliche Neutralität des Staates an und erlaubt dem Bundespräsidenten, seine persönlichen Überzeugungen in die Eidformel einfließen zu lassen, ohne den säkularen Charakter des Amtes zu verletzen.

4. Rechtsfolgen bei Verstößen gegen den Amtseid

Der Amtseid hat in erster Linie symbolischen und moralischen Charakter und stellt keine unmittelbar einklagbare rechtliche Verpflichtung dar. Ein Verstoß gegen den Amtseid ist jedoch nicht ohne Folgen: Ein grobes Missachten der Eidverpflichtungen könnte zu einer politischen Krise und einer Vertrauenskrise im Amt des Bundespräsidenten führen. In extremen Fällen könnte ein solcher Verstoß ein Amtsenthebungsverfahren nach Artikel 61 GG begründen, wobei jedoch hohe rechtliche Hürden bestehen.