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EuGH, 30.03.1995 - C-65/93

Daten
Fall: 
Allgemeines Prä­ferenzsystem II
Fundstellen: 
EuGH Slg. 1995, I-643
Gericht: 
Europäischer Gerichtshof
Datum: 
30.03.1995
Aktenzeichen: 
C-65/93
Entscheidungstyp: 
Urteil
Stichwörter: 
  • Artikel 43 EWG-Vertrag - Verpflichtung zur Anhörung des Parlaments.

Leitsätze

Die ordnungsgemässe Anhörung des Parlaments stellt in den vom Vertrag vorgesehenen Fällen ein wesentliches Formerfordernis dar, dessen Missachtung die Nichtigkeit der betroffenen Handlung zur Folge hat. Die wirksame Beteiligung des Parlaments am Gesetzgebungsverfahren der Gemeinschaft gemäß den im Vertrag vorgesehenen Verfahren ist nämlich für das vom Vertrag gewollte institutionelle Gleichgewicht wesentlich. Sie ist Ausdruck eines grundlegenden demokratischen Prinzips, nach dem die Völker durch eine Versammlung ihrer Vertreter an der Ausübung der hoheitlichen Gewalt beteiligt sind.

Dem Erfordernis der Anhörung ist nur dann Genüge getan, wenn das Parlament seiner Auffassung tatsächlich Ausdruck verleiht, nicht bereits dann, wenn der Rat es um Stellungnahme ersucht. Bei Dringlichkeit hat der Rat alle nach dem Vertrag und der Geschäftsordnung des Parlaments bestehenden Möglichkeiten auszuschöpfen, um dessen vorherige Stellungnahme zu erlangen.

Jedoch gelten im Rahmen des Dialogs der Organe, auf dem insbesondere das Verfahren der Anhörung des Parlaments beruht, die gleichen gegenseitigen Pflichten zu redlicher Zusammenarbeit, wie sie die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen prägen.

In einer Situation, in der das Parlament zunächst auf Antrag des Rates, der angesichts der besonderen Beziehungen zwischen der Gemeinschaft und den Entwicklungsländern und der Schwierigkeiten sowohl politischer als auch technischer Art, die sich aus einer abrupten Unterbrechung der Anwendung des für bestimmte Waren mit Ursprung in Entwicklungsländern eingeführten Systems allgemeiner Zollpräferenzen ergäben, berechtigt war, beschlossen hatte, den Vorschlag für eine Verordnung zur Verlängerung dieser Präferenzen für das folgende Jahr im Dringlichkeitsverfahren zu behandeln, dann aber beschloß, die letzte Plenarsitzung, in der eine rechtzeitige Aussprache über den Vorschlag möglich gewesen wäre, ohne Aussprache darüber zu schließen, hat das Parlament seine Verpflichtung zu redlicher Zusammenarbeit mit dem Rat verletzt. Aufgrund dieses pflichtwidrigen Verhaltens kann das Parlament es dem Rat nicht zum Vorwurf machen, daß er die streitige Verordnung erlassen hat, ohne seine Stellungnahme abzuwarten.

Entscheidungsgründe

1 Das Europäische Parlament hat mit Klageschrift, die am 12. März 1993 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 EWG-Vertrag beantragt, die Verordnung (EWG) Nr. 3917/92 des Rates vom 21. Dezember 1992 zur Verlängerung für 1993 der Verordnungen (EWG) Nr. 3831/90, (EWG) Nr. 3832/90, (EWG) Nr. 3833/90, (EWG) Nr. 3834/90, (EWG) Nr. 3835/90 sowie (EWG) Nr. 3900/91 zur Anwendung allgemeiner Zollpräferenzen für bestimmte Erzeugnisse mit Ursprung in Entwicklungsländern im Jahr 1991 und zur Ergänzung der Liste der Begünstigten (ABl. L 396, S. 1; nachstehend: Verordnung), für nichtig zu erklären, weil der Rat die Rechte des Parlaments verletzt habe.

2 Die Verordnung geht auf einen Verordnungsvorschlag zurück, den die Kommission dem Rat am 15. Oktober 1992 vorgelegt hatte. Dieser Vorschlag, der auf die Artikel 43 und 113 EWG-Vertrag gestützt war, ging zunächst dahin, das damals geltende allgemeine Präferenzsystem für das Jahr 1993 zu verlängern. Ferner bezog er in die Liste der Begünstigten neue Länder ein, um zum einen dem Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion Rechnung zu tragen (Einbeziehung von Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgistan, Moldawien, Rußland, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan und Weißrußland) und zum anderen die Gemeinschaftsliste der am wenigsten fortgeschrittenen Länder an die entsprechende Liste der Vereinten Nationen anzupassen (Ergänzung um Kamputschea, Liberia, Madagaskar, Salomonen, Sambia, Vanuatu und Zaire). Schließlich empfahl die Kommission in Anbetracht der Vollendung des Binnenmarktes zum 1. Januar 1993, die auf die Mitgliedstaaten aufgeteilten Zollkontingente für die ganze Gemeinschaft durch feste zollfreie Beträge zu ersetzen.

3 Mit Schreiben vom 22. Oktober 1992 unterrichtete das Generalsekretariat des Rates den Präsidenten des Parlaments darüber, daß der Rat am selben Tag beschlossen habe, das Parlament zu dem fraglichen Vorschlag anzuhören. Um vor dem 1. Januar 1993, dem für das Inkrafttreten der Verordnung vorgesehenen Zeitpunkt, entscheiden zu können, beantragte der Rat ausserdem die Anwendung des Dringlichkeitsverfahrens des Artikels 75 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments. Dieser bestimmt:

1. Die Dringlichkeit einer Aussprache über einen Vorschlag, zu dem die Stellungnahme des Parlaments ... gefordert ist, kann dem Parlament ... von der Kommission oder vom Rat vorgeschlagen werden. Der Antrag ist schriftlich einzureichen und zu begründen.

2. Sobald der Präsident mit einem Antrag auf Beratung im Dringlichkeitsverfahren befasst wurde, unterrichtet er das Parlament darüber; die Abstimmung über diesen Antrag findet zu Beginn der Sitzung statt, die auf die Sitzung folgt, während der die Unterrichtung über den Antrag erfolgte ...

4 In der Sitzung des Parlaments vom 30. Oktober 1992 wurden der Entwicklungsausschuß federführend und vier weitere Ausschüsse mitberatend mit dem Vorschlag befasst (ABl. 1992, C 305, S. 565).

5 Am 17. November 1992 beschloß das Parlament in Plenarsitzung, diesen Vorschlag im Dringlichkeitsverfahren zu behandeln und darüber am 20. November 1992 zu beraten (ABl. 1992, C 337, S. 25).

6 In der Plenarsitzung vom 20. November beantragte der Vorsitzende des Entwicklungsausschusses unter Berufung auf Artikel 103 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments die Rücküberweisung des Vorschlags an den Ausschuß (ABl. 1992, C 337, S. 261) aus folgenden Gründen:

Ich glaube, daß es hier um eine blosse Verlängerung geht, die allerdings schwerwiegende Auswirkungen hat, da sie Länder des Ostens, die nicht gerade Entwicklungsländer sind, und andere Erzeugnisse betrifft. Folglich beantrage ich die Rücküberweisung an den Ausschuß, und wir können die Sachlage nach Prüfung durch den Ausschuß für Entwicklung und Zusammenarbeit in der Tagung im Dezember erneut prüfen.

7 Die Prüfung des Berichts des Entwicklungsausschusses wurde auf die Tagesordnung für Freitag, 18. Dezember, den letzten Tag der letzten Sitzungsperiode des Europäischen Parlaments im Jahr 1992, gesetzt. Als an diesem Tag kurz vor 13 Uhr die Aussprache über diesen Punkt im Plenum beginnen sollte, wurde dem Präsidenten der Sitzung gemäß Artikel 106 der Geschäftsordnung des Parlaments von 14 Abgeordneten ein Antrag auf Unterbrechung der Sitzung unterbreitet. Artikel 106 bestimmt:

Während einer Aussprache oder einer Abstimmung kann die Sitzung unterbrochen oder geschlossen werden, wenn es das Parlament ... auf Antrag ... von mindestens dreizehn Mitgliedern beschließt.

8 Dieser Antrag wurde ungeachtet des Vorschlags des Sitzungspräsidenten, vorab den Bericht des Ausschusses für Entwicklung und Zusammenarbeit zu behandeln, angenommen und die Sitzung geschlossen, ohne daß die restlichen Tagesordnungspunkte und insbesondere die in diesem Bericht vorgeschlagene Entschließung erörtert werden konnten. Diese Erörterung wurde auf den 18. Januar 1993 vertagt.

9 Unmittelbar darauf nahmen der Direktor des Kabinetts des Generalsekretärs des Rates und der Leiter des Kabinetts des Präsidenten des Parlaments telefonisch miteinander Kontakt auf. Dabei wurde festgestellt, daß die Abhaltung einer ausserordentlichen Sitzungsperiode des Parlaments vor Ende des Jahres 1992 praktisch nicht mehr möglich sei.

10 Der Rat erließ die streitige Verordnung am 21. Dezember 1992, ohne die Stellungnahme des Parlaments erhalten zu haben. Das Parlament wurde davon jedoch mit Schreiben vom selben Tag unterrichtet. Die fehlende Anhörung des Parlaments wird in der Begründung der Verordnung wie folgt gerechtfertigt:

Ein Rechtsvakuum, das sowohl den Beziehungen der Gemeinschaft zu den Entwicklungsländern als auch den Interessen der Wirtschaftsteilnehmer ernstlich schaden könnte, muß unbedingt vermieden werden; aus diesem Grunde ist die Verordnung über die Anwendung des allgemeinen Präferenzsystems der Gemeinschaft für 1993 so rechtzeitig zu verabschieden, daß sie am 1. Januar 1993 in Kraft treten kann.

Nach Anhörung des Präsidenten des Europäischen Parlaments ergibt sich, daß es unmöglich wäre, eine ausserordentliche Tagung abzuhalten, damit das Europäische Parlament seine Stellungnahme rechtzeitig im Hinblick auf die Verabschiedung und Veröffentlichung der Verordnung vor Ende 1992 abgeben könnte.

Unter diesen aussergewöhnlichen Umständen sollte die Verordnung auch ohne Vorliegen der Stellungnahme des Europäischen Parlaments angenommen werden.

11 Die Verordnung wurde im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 31. Dezember 1992 veröffentlicht. Dieses Amtsblatt wurde vom Amt für amtliche Veröffentlichungen am 28. Januar 1993 ausgeliefert.

12 In der Zwischenzeit, am 18. Januar 1993, beriet das Parlament über den ihm vorgelegten Vorschlag (ABl. 1993, C 42, S. 11). Es nahm am folgenden Tag 17 Änderungen an (ABl. 1993, C 42, S. 25) und billigte den übrigen Text in seiner Gesamtheit. Es forderte den Rat jedoch auf, es zu unterrichten, falls er beabsichtige, von dem Text abzuweichen, und es bei entscheidenden Änderungen erneut zu konsultieren (ABl. 1993, C 42, S. 28).

13 Das Europäische Parlament macht in seiner Klage geltend, daß die angefochtene Handlung wegen Verletzung einer wesentlichen Formvorschrift für nichtig zu erklären sei, da bei ihrem Erlaß durch den Rat das Anhörungsverfahren nach Artikel 43 EWG-Vertrag nicht eingehalten worden sei, der in Verbindung mit Artikel 113 EWG-Vertrag ihre Rechtsgrundlage bilde.

14 Der Rat weist erstens darauf hin, daß mit der Einführung eines gemeinschaftlichen allgemeinen Präferenzsystems einem im Rahmen der Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen abgeschlossenen Abkommen nachgekommen worden sei. Auch wenn die erlassenen Maßnahmen rechtlich gesehen jederzeit zurückgenommen werden könnten, könnte die Gemeinschaft aus politischer Sicht ihre Praxis nicht einseitig in Frage stellen.

15 Zweitens habe ein unbestreitbares öffentliches Interesse den Erlaß der Verordnung vor Ende des Jahres 1992 erforderlich gemacht. Diese habe nämlich am 1. Januar 1993 in Kraft treten müssen, um das berechtigte Vertrauen sowohl der von dem System begünstigten Entwicklungsländer als auch der Wirtschaftsteilnehmer zu schützen.

16 Drittens habe er alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um die Stellungnahme des Parlaments rechtzeitig zu erlangen, indem er die Anwendung des Dringlichkeitsverfahrens beantragt und dem Präsidenten des Parlaments vorgeschlagen habe, nach Artikel 139 EWG-Vertrag eine ausserordentliche Sitzungsperiode abzuhalten. Unter solchen aussergewöhnlichen Umständen sei er befugt gewesen, die angefochtene Handlung ohne die Stellungnahme des Parlaments zu erlassen.

17 In seiner Gegenerwiderung trägt der Rat schließlich vor, eine Pflicht zur Anhörung des Parlaments zu dem streitigen Verordnungsvorschlag sei nur deshalb entstanden, weil in diesen Artikel 43 EWG-Vertrag als Rechtsgrundlage aufgenommen worden sei. Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 26. März 1987 in der Rechtssache 45/86 (Kommission/Rat, Slg. 1987, 1493) entschieden habe, falle der Bereich der allgemeinen Zollpräferenzen jedoch grundsätzlich nur unter die gemeinsame Handelspolitik und damit unter Artikel 113. Daher sei die Bezugnahme auf Artikel 43 entbehrlich gewesen, und da Artikel 113 von Rechts wegen die einzige erforderliche Rechtsgrundlage gewesen sei, hätte von einer Anhörung des Parlaments abgesehen werden können.

18 Das Vereinigte Königreich macht ausserdem geltend, daß der Rat, obzwar die Anhörung des Parlaments ein wesentliches Formerfordernis sei, bei Vorliegen aussergewöhnlicher Umstände eine Verordnung erlassen könne, ohne dessen Stellungnahme erhalten zu haben. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn eine Maßnahme wie hier dringlich sei und es dem Rat nicht möglich gewesen sei, die Stellungnahme des Parlaments rechtzeitig zu erhalten, obwohl er sich darum nach Kräften bemüht habe.

19 Weiter führt das Vereinigte Königreich aus, der Rat brauche nicht das Vorliegen eines Rechtsvakuums nachzuweisen, um die Dringlichkeit des Erlasses einer Maßnahme zu rechtfertigen. Artikel 43 EWG-Vertrag gebe dem Rat die Befugnis, über die Zweckmässigkeit einer Regelung zu entscheiden. Dies schließe die Befugnis ein, zu bewerten, ob die zu treffende Maßnahme dringlich sei. Wenn der Rat in einem solchen Fall niemals eine Entscheidung treffen dürfte oder wenn er auf Artikel 175 EWG-Vertrag zurückgreifen müsste, so hätte die Verpflichtung zur Anhörung des Parlaments die Wirkung, daß dieses mit einer faktischen Befugnis ausgestattet werde, gegen dringende Gesetzgebungsvorhaben ein Veto einzulegen; dadurch würde das durch den Vertrag geschaffene institutionelle Gleichgewicht beeinträchtigt.

20 Schließlich trägt das Vereinigte Königreich vor, im Rahmen des Verfahrens der Zusammenarbeit gemäß Artikel 149 Absätze 2 und 3 EWG-Vertrag (aufgrund der Änderungen durch den Vertrag über die Europäische Union nunmehr Artikel 189c) könne der Rat die betreffende Handlung endgültig erlassen, wenn sich das Parlament nicht innerhalb der Dreimonatsfrist nach Übermittlung des gemeinsamen Standpunkts des Rates geäussert habe. Da dieses Verfahren dazu diene, die Beteiligung des Parlaments am Gesetzgebungsverfahren der Gemeinschaft zu verstärken, wäre es widersinnig, wenn das Parlament im Rahmen der einfachen Anhörung aufgrund der Unmöglichkeit, ihm eine Frist zur Äusserung zu setzen, eine grössere Mitsprachebefugnis hätte, die es ihm gegebenenfalls ermöglichen würde, eine Maßnahme zu blockieren.

21 Zunächst ist daran zu erinnern, daß die ordnungsgemässe Anhörung des Parlaments in den vom Vertrag vorgesehenen Fällen ein wesentliches Formerfordernis darstellt, dessen Missachtung die Nichtigkeit der betroffenen Handlung zur Folge hat. Die wirksame Beteiligung des Parlaments am Gesetzgebungsverfahren der Gemeinschaft gemäß den im Vertrag vorgesehenen Verfahren ist nämlich für das vom Vertrag gewollte institutionelle Gleichgewicht wesentlich. Sie ist Ausdruck eines grundlegenden demokratischen Prinzips, nach dem die Völker durch eine Versammlung ihrer Vertreter an der Ausübung der hoheitlichen Gewalt beteiligt sind (sogenannte Isoglucose -Urteile vom 29. Oktober 1980 in den Rechtssachen 138/79, Roquette Frères/Rat, Slg. 1980, 3333, Randnr. 33, und 139/79, Maizena/Rat, Slg. 1980, 3393, Randnr. 34).

22 Sodann ist darauf hinzuweisen, daß dem Erfordernis der Anhörung nur dann Genüge getan ist, wenn das Parlament seiner Auffassung tatsächlich Ausdruck verleiht, nicht bereits dann, wenn der Rat es um Stellungnahme ersucht (siehe die angeführten Urteile, Randnr. 34 und Randnr. 35). Bei Dringlichkeit hat der Rat alle nach dem Vertrag und der Geschäftsordnung des Parlaments bestehenden Möglichkeiten auszuschöpfen, um dessen vorherige Stellungnahme zu erlangen (siehe die angeführten Urteile, Randnr. 36 und Randnr. 37).

23 Wie der Gerichtshof jedoch entschieden hat, gelten im Rahmen des Dialogs der Organe, auf dem insbesondere das Anhörungsverfahren beruht, die gleichen gegenseitigen Pflichten zu redlicher Zusammenarbeit, wie sie die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen prägen (Urteil des Gerichtshofes vom 27. September 1988 in der Rechtssache 204/86, Griechenland/Rat, Slg. 1988, 5323, Randnr. 16).

24 In der vorliegenden Rechtssache ist unstreitig, daß der Rat mit seinem Schreiben vom 22. Oktober 1992 den Präsidenten des Parlaments darüber unterrichtete, daß die streitige Verordnung vor Ende des Jahres 1992 erlassen werden müsse, damit sie am 1. Januar 1993 in Kraft treten könne. Ebenfalls unstreitig ist, daß dieses Verlangen angesichts der besonderen Beziehungen zwischen der Gemeinschaft und den Entwicklungsländern und der Schwierigkeiten sowohl politischer als auch technischer Art, die sich aus einer abrupten Unterbrechung der Anwendung der allgemeinen Zollpräferenzen ergäben, berechtigt war.

25 Diese Erwägungen wurden vom Parlament umfassend berücksichtigt, da es nach Befassung des Entwicklungsausschusses mit dem Verordnungsvorschlag beschloß, diesen Vorschlag im Dringlichkeitsverfahren zu behandeln. Indem das Parlament die Prüfung des Berichts des Entwicklungsausschusses für die Sitzung am Freitag, den 18. Dezember, also innerhalb seiner letzten Sitzungsperiode im Jahr 1992, auf die Tagesordnung setzte, beabsichtigte es offensichtlich, seinen Standpunkt so rechtzeitig kundzutun, daß der Rat die Verordnung vor dem 1. Januar 1993 würde erlassen können.

26 Aus den Akten ergibt sich jedoch, daß das Parlament trotz der dem Rat so gegebenen Zusicherungen auf Antrag von 14 Abgeordneten gemäß Artikel 106 seiner Geschäftsordnung beschloß, die Plenarsitzung vom 18. Dezember 1992 ohne Aussprache über den Verordnungsvorschlag zu schließen. Ausserdem ist offenkundig, daß diese Entscheidung aus Gründen erging, die mit der angegriffenen Verordnung nichts zu tun hatten, und daß dabei die Dringlichkeit des Verfahrens und die Notwendigkeit des Erlasses der Verordnung vor dem 1. Januar 1993 nicht berücksichtigt wurden.

27 Durch dieses Verhalten hat das Parlament seine Verpflichtung zu redlicher Zusammenarbeit mit dem Rat verletzt. Dies gilt um so mehr, als der Rat von der Möglichkeit des Artikels 139 EWG-Vertrag keinen Gebrauch machen konnte, da sich die Abhaltung einer ausserordentlichen Sitzungsperiode des Parlaments vor dem Ende des Jahres 1992 den Auskünften zufolge, die der Rat vom Kabinett des Präsidenten des Parlaments erhalten hatte, als praktisch unmöglich erwiesen hatte.

28 Unter diesen Umständen kann das Parlament es dem Rat nicht zum Vorwurf machen, daß er die streitige Verordnung am 21. Dezember 1992 erlassen hat, ohne seine Stellungnahme abzuwarten. Die Nichtbeachtung des wesentlichen Formerfordernisses der Anhörung des Parlaments hat nämlich ihre Ursache darin, daß das Parlament seine Verpflichtung zu redlicher Zusammenarbeit mit dem Rat verletzt hat.

29 Der Umstand, daß das Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 31. Dezember 1992, in dem die Verordnung veröffentlicht wurde, erst am 28. Januar 1993 ausgeliefert wurde, kann die Beurteilung der Rechtmässigkeit der Verordnung am Tag ihres Erlasses nicht in Frage stellen.

30 Nach alledem ist die Klage abzuweisen.

Kostenentscheidung

Kosten
31 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Parlament mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen. Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland als Streithelfer trägt gemäß Artikel 69 § 4 der Verfahrensordnung seine eigenen Kosten.

Tenor

Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Das Parlament trägt die Kosten. Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland trägt seine eigenen Kosten.