RG, 06.02.1884 - V 283/83
Welchen Einfluß hat die Änderung der in den Statuten der Knappschaftsvereine enthaltenen Bestimmungen über Invalidenunterstützungen auf die Rechte derjenigen Mitglieder, welche schon vor der Änderung die Mitgliedschaft erlangt hatten?
Sachverhalt
Die vorstehende Frage ist in den vorbezeichneten Erkenntnissen in verschiedener Beziehung erörtert worden.
Zu a.1 aus den Gründen:
Gründe
Der Kläger war als Mitglied des beklagten Vereins Invalide geworden und hatte bereits eine Zeit lang die Unterstützungen bezogen, welche das beim Eintritt seiner Invalidität bestehende Vereinsstatut den Invaliden und deren Kindern bestimmte, als in Änderung des Statutes beschlossen wurde, diese Unterstützungen zu ermäßigen. Die Ermäßigung sollte die Kinder der Invaliden durchgehends, die letzteren persönlich in dem Falle treffen, wenn sie von Dritten einen nach Art und Betrag in dem Beschluß näher angegebenen Verdienst erlangen möchten. Der Kläger, welcher sich in dem zuletzt bezeichneten Falle befindet, will sich die ihm nach Maßgabe des Beschlusses seit Erlaß desselben an den laufenden Unterstützungen gemachten Kürzungen nicht gefallen lassen, weil er der Ansicht ist, es dürfe die neuere Bestimmung gegen diejenigen, welche vor derselben bereits die Rechte der Invaliden erlangt hätten, nicht zur Anwendung kommen. Seine Klage auf Nachzahlung der gekürzten und Fortzahlung der früher gewährten Unterstützungsbeträge ist vom Berufungsrichter, in Abänderung der verurteilenden erstinstanzlichen Entscheidung, abgewiesen worden. Auf die dagegen eingelegte Revision mußte, wie geschehen, erkannt werden.
Der Berufungsrichter, ausgehend von dem im Vorstehenden gegebenen Tatbestande, stellt thatsächlich fest, die betreffende Änderung des Statutes, welche sich unter Beobachtung der darin für Abänderungen im allgemeinen vorgeschriebenen Formen vollzogen habe, sei bereits in dem älteren Statute vorgesehen worden. Zwar spreche dasselbe die Zulässigkeit seiner Abänderung nur überhaupt aus, ohne ausdrücklich zu erwähnen, daß sie auch die darin ausgeworfenen Unterstützungsbeträge befassen dürfe. Diese Beziehung sei aber eine selbstverständliche, weil die Regelung der Unterstützungen den eigentlichen Vorwurf des Statutes bilde, und weil es für Vereine von der Art und Organisation des Beklagten eine wirtschaftliche Existenzbedingung sei, den Betrag der zu gewährenden Unterstützungen anzupassen dem Wechsel der dafür vorhandenen Mittel. Diese Auslegung des älteren Statutes läßt die Herrschaft eines Rechtsirrtumes nicht erkennen, als tatsächliche Feststellung entzieht sie sich der Nachprüfung durch den Revisionsrichter. Danach steht also für diesen Rechtsstreit fest, daß ein Anspruch auf Unterstützung auch im älteren Statut nur als ein veränderlicher gegeben war.
Aber das Recht des beklagten Vereines, die Unterstützungsbeträge im Laufe der Zeit verschieden zu normieren, ist kein unbeschränktes. Das, was er nach den zeitigen Normierungen zu leisten hat, kann durch Klage erzwungen werden, er steht dabei als Schuldner dem einzelnen Mitgliede gegenüber. Die rechtliche, Natur des Anspruches auf Unterstützung wird durch die Veränderlichkeit desselben an sich nicht berührt. Denn nach der Feststellung des Berufungsrichters ist die Veränderung nicht der Willkür des Verpflichteten anheim gegeben, sondern sie hat sich nach einer objektiven Regel zu richten. Auch darin liegt nichts Anomales, daß die Anwendung der Regel, das Festhalten des Gleichgewichtes zwischen Einnahme und Ausgabe, der Korporation als solcher überlassen ist. Denn dabei deckt sich das Interesse der Korporation mit dem der sämtlichen Mitglieder.
Bleibt danach der Anspruch auf Unterstützung, trotz der in Rede stehenden Beschränkung, ein Rechtsanspruch, so steht er auch unter dem Schutze des §. 68 A.L.R. II. 6, welcher bestimmt:
"Gesellschaftliche Rechte, welche nicht sämtlichen Mitgliedern, sondern nur Einem oder dem Anderen unter ihnen, als Mitgliede, zukommen, können denselben, wider ihren Willen durch die bloße Stimmenmehrheit nicht genommen oder eingeschränkt werden."
Unter den hier gemeinten Sonderrechten sind nicht diejenigen zu verstehen, welche auf Spezialtiteln beruhen, die das betreffende Mitglied der Korporation gegenüber in die Stellung eines Fremden bringen und bei denen die Rechte aus der Mitgliedschaft überhaupt nicht in Frage kommen können. Solche Rechte stehen bereits unter dem Schutze, der durch die allgemeinen Bestimmungen jedem Rechte gegen die Willkür des Verpflichteten gewährt wird. Der §. 68 a. a. O. redet auch ausdrücklich von "gesellschaftlichen" Rechten, welche dem Einzelnen "als Mitgliede"zukommen. Der Gegensatz der hier gemeinten Rechte ergiebt sich aus §. 88 a. a. O.:
"Auch diejenigen Angelegenheiten, welche zwar nicht die Korporation als eine moralische Person betrachtet, aber doch die sämtlichen Mitglieder derselben, als solche, betreffen, werden durch Schlüsse der Korporation bestimmt."
Ausgeschlossen von der Vorschrift des §. 68 a. a. O. sind danach die Rechte, für welche die Korporation allein das berechtigte Subjekt bildet und an deren Ausübung die Mitglieder nur als lebendige Organe der juristischen Persönlichkeit teilnehmen. Ausgeschlossen sind ferner die Rechte, welche zwar den Charakter von Individualrechten der Mitglieder an sich tragen, aber unterschiedslos jedem Mitgliede zustehen, sodaß von einem besonderen Interesse eines einzelnen Mitgliedes gegenüber dem Interesse der anderen Mitglieder nicht wohl die Rebe sein kann.
Aus dieser Betrachtung ergiebt sich für die im §. 68 a. a. O. gemeinten Rechte ein dreifaches Kriterium:
- sie müssen aus der Mitgliedschaft entsprungen sein,
- sie müssen ein Individualrecht des Mitgliedes bilden, welches ihr gegen die Korporation als solche zusteht,
- sie müssen sich von den Rechten der übrigen Mitglieder unterscheiden.
Diese Auffassung von der Bedeutung des §. 68 a. a. O. entspricht im Resultate der Praxis des früheren Reichsoberhandelsgerichtes,
vgl. beispielsweise Entsch. Bd. 8 S. 189 flg., Bd. 17 S. 147,
und ist in der Doktrin kaum bestritten,
vgl. Laband, Der Begriff der Sonderrechte in Hirth's Annalen de 1874 S. 1502 flg.; Stobbe, Deutsches Privatr. T. 1 S. 351.
Sie führt in ihrer Anwendung aus die vorliegende Frage zu der Folgerung, daß das Recht des beklagten Vereines, durch Änderung der Statuten die bisher gezahlten Unterstützungsbeträge herabzusetzen, nur mit der Maßgabe ausgeübt werden darf, daß von der Kürzung alle Mitglieder in gleichem Verhältnisse betroffen werden. Unzulässig ist demnach eine solche Kürzung, welche nur einzelne Mitglieder oder eine bestimmte Klasse derselben benachteiligt, bei anderen Mitgliedern aber die früher gezahlten Beträge bestehen läßt. Daß dem beklagten Vereine nach seinem Statute ein weitergehendes Recht habe eingeräumt werden sollen, hat der Berufungsrichter nicht festgestellt, es bietet sich auch aus seinen Feststellungen kein Anhalt für dessen Konstruktion. Das Recht, wie es von ihm bezeichnet wird, ist ein das Recht der Mitglieder einschränkendes Recht, es darf schon deshalb nicht einer Ausdehnung unterzogen werden.
Prüft man nun von dem vorstehend gegebenen Gesichtspunkte die Ansprüche des Klägers, so ergiebt sich sofort, daß dieselben nicht auf gleicher Linie stehen. Was die für seine Kinder verlangte Unterstützung angeht, so unterliegt dieselbe einer Schmälerung, welche alle Vereinsmitglieder - als solche werden nach dem alten und nach dem neuen Statute auch die Invaliden bezeichnet - gleichmäßig erlitten haben. Wollte man auch einen Unterschied zugeben zwischen dem Rechte der Invaliden auf Unterstützung als einem unbedingt gewordenen und dem noch bedingten Rechte der anderen Mitglieder, so würde dem Anspruch des Klägers doch immer der Umstand entgegenstehen, daß das ältere Statut nach der Auslegung des Berufungsrichters eine Herabsetzung auch der Beträge solcher Unterstützungen als zulässig vorgesehen hat, die bereits durch Eintritt der Invalidität unbedingt geworden waren. Auf dieses ältere Statut aber stützt der Kläger sein Recht und muß es deshalb auch im ganzen Umfange wider sich gelten lassen.
Anders steht es dagegen mit dem Ansprüche des Klägers bezüglich der ihm für seine Person zu zahlenden Pension. Die Bestimmung des neuen Statutes, welche ihm der Beklagte entgegen hält, hat den Inhalt, es solle fortan den Invaliden nur die Hälfte ihrer bisherigen Pension gezahlt werden, welche mehr als das doppelte derselben auf einer anderen Zeche, als derjenigen verdienten, welche sie bei Eintritt der Invalidität beschäftigt habe. Diese Bestimmung trifft zwar alle Mitglieder, welche sich mit dem Kläger in gleicher Lage befinden, sie schafft aber zugleich eine neue Klase von Mitgliedern und schädigt nur diese zum Vorteil der übrigen, welche im Genusse ihrer bisherigen Pension verbleiben, für welche also das verwendet werden würde, was dem Kläger und seinen Genossen entgehen soll. So zweckmäßig und billig es auch sein mag, im Interesse der bedürftigen Mitglieder den nicht bedürftigen einen geringeren Pensionsbetrag zu zahlen, so fehlt es doch dein beklagten Vereine an der Befugnis, einzelnen Mitgliedern zum Besten anderer neue Beiträge aufzuerlegen, worauf doch dem praktischen Resultate nach die betreffende Maßregel hinauslaufen würde. Dagegen wendet sich ausdrücklich die Vorschrift des §. 69 a. a. O. und die Auslegung, welche der Berufungsrichter dem älteren Statut giebt, bedingt eine solche Befugnis keineswegs. Die Generalisierung der auflösenden Bedingung, von welcher das Recht auf die Invalidenpension durch das neuere Statut abhängig gemacht werden soll, verdeckt nur scheinbar den Eingriff in ein wohlerworbenes Individualrecht; auf demselben Wege könnte willkürlich jedem Mitgliede sein ganzes Recht entzogen werden.
Sonach war die Zurückweisung der Revision nur in betreff der sogenannten Kindergelder auszusprechen, im übrigen aber die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteiles geboten."
- 1. Redaktioneller Hinweis: Auf die Gründe zu b. geht RG, 06.02.1884 - V 436/83 ein.
Anhang | Größe |
---|---|
RG, 06.02.1884 - V 28383 - RGZ 11, 269.pdf | 312.69 KB |