RG, 19.02.1907 - V 859/06

Daten
Fall: 
Biermarken
Fundstellen: 
RGSt 40, 10
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
19.02.1907
Aktenzeichen: 
V 859/06
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Frankfurt a.O.
Stichwörter: 
  • Diebstahl. Biermarkenentwendung.

1. Was ist im Sinne des § 242 StGB unter Absicht rechtswidriger Zueignung zu verstehen, namentlich im Gegensatze zur Absicht, eine fremde Sache lediglich vorübergehend zu gebrauchen?
2. Ist die Absicht dauernder Entziehung oder dauernden Besitzes erforderlich?
3. Kommen auch rechtliche Beziehungen für die Bestimmung des Wertes einer Sache in Betracht?
4. Genügt es, wen der Sache ein solcher ihren Stoffwert übersteigender Sach(Substanz)wert nur unter gewissen Umständen und nur in einem engeren Personenkreise zukommt?

Gründe

Nach dem Urteilsinhalte sind zunächst die äußeren (objektiven) Merkmale eines Diebstahls nachgewiesen. Denn der Angeklagte hat danach fremde bewegliche Sachen, eben die dem F. gehörenden Biermarken, diesem weggenommen und in seinen eigenen Gewahrsam überführt. Es konnte sich nur fragen, ob auch der innere (subjektive) Tatbestand rechtlich einwandfrei dargetan erscheint, d.h. ob ohne Rechtsirrtum nachgewiesen ist, daß die Wegnahme in der Absicht rechtswidriger Zueignung erfolgte. Auch dies trifft zu.

Als Gegenstand der Zueignungsabsicht kommt unter allen Umständen, dem äußeren Tatbestand entsprechend, lediglich die körperliche Sache selbst in Betracht. Zu Unterscheidungen nach einzelnen ihrer tatsächlichen oder rechtlichen Eigenschaften, rücksichtlich derer die Zueignung stattfinde, bleibt dabei kein Raum.

Wie das Reichsgericht ferner schon mehrfach ausgesprochen hat, ist unter der Zueignungsabsicht keinesfalls die Absicht zu verstehen, an dem Gegenstande des Diebstahls Eigentum zu erwerben. Einem solchen Erfolge würde regelmäßig die Rechtswidrigkeit der Erwerbshandlung entgegenstehen. Nicht an rechtliche, sondern an wirtschaftliche Gesichtspunkte ist in der Hauptsache zu denken. Es braucht nicht auf einen Rechtserwerb abgesehen zu sein, vielmehr genügt die Erstrebung eines wirtschaftlichen Erfolges. Der Ausdruck “zueignen" und der in ihm enthaltene Hinweis auf das Eigentum und dessen Inhalt haben daher nur Bedeutung als Bezeichnung des Maßstabs für Art und Richtung der einer der einer Zueignung im Rechtssinne vergleichbaren Verfügung des Täters. Das Eigentum umfaßt zwar grundsätzlich auch das Besitz-, Gebrauchs-, und Benutzungsrecht. Sein kennzeichnendes Merkmal, durch das es sich von allen anderen Rechten zur Verfügung über eine körperliche Sache unterscheidet, mögen diese Verfügungsrechte auf einem Rechtsverhältnisse der vorgezeichneten Art oder auf einem sonstigen Rechtsgrunde beruhen, besteht aber darin, daß die körperliche Sache, um deren Eigentum es sich handelt, jedenfalls ihrem Sach(Substanz)wert nach zu Vermögen des Eigentümers gehört, gleichviel ob Besitz-, Gebrauchs- oder Nutzungsrechte ihm oder einem anderen zustehen. Auch weist schon nach dem Sprachgebrauch der Ausdruck “zueignen" auf einen Gegensatz zum vorübergehenden Besitzen, Gebrauchen oder Nutzen hin. Unter der Absicht rechtswidriger Zueignung muß danach die Absicht verstanden werden, eine bewegliche Sache wirtschaftlich in ein dem Inhalte dieser rechtlichen Beziehungen entsprechendes Verhältnis zu bringen, d.h. ihrem Sach(Substanz)werte nach dem eigenen Vermögen tatsächlich zuzuführen.

Hieraus ergibt sich weiter, daß es nicht darauf ankommt, ob der Täter beabsichtigt, die Sache dem Eigentümer dauernd zu entziehen oder sie dauernd für sich zu behalten. Wer beispielsweise einem anderen unbefugt Geld wegnimmt, um damit alsbald einen Gegenstand käuflich zu erwerben, eignet sich das Geld unter allen Umständen rechtswidrig an. Es begründet dabei keinen Unterschied, ob er den Gegenstand bei einem beliebigen Dritten oder bei dem Eigentümer des Geldes selbst erwerben, das Geld dem Eigentümer also wieder zukommen lassen will. Die Zueignung bleibt auch in diesem letzteren Falle vollendet, obwohl das Geld in seiner Körperlichkeit und in seinem Werte völlig unverändert alsbald wieder in den Besitz des Eigentümers übergehen soll. Das für den Begriff der Zueignung Wesentliche ist hiernach darin zu finden, daß der Täter ihrem Sach(Substanz)werte nach für sich ausnutzen will. Die Absicht, die Sache dem Eigentümer alsbald wieder zu übergeben, deckt sich daher keineswegs mit der Absicht, die Sache nur zu gebrauchen.

Danach genügt es jedenfalls zur Erfüllung des Begriffs der rechtswidrigen Zueignung, wenn der Täter beabsichtigt, die fremde bewegliche Sache ihrem Sach(Substanz)werte nach für sich auszunutzen, sie in diesem Sinne für eigene Rechnung zu verwerten.

Hierbei ist unter Sach(Substanz)wert nicht lediglich der Stoffwert zu verstehen. Der Wert der Sache bestimmt sich nach der Gesamtheit ihrer tatsächlichen und rechtlichen Beziehungen und nach der Schätzung, die sie danach im Wirtschaftsleben findet. Solche Beziehungen können einer Sache ohne Rücksicht auf den bloßen Besitz-, Gebrauchs- oder Nutzungswert einen den Stoffwert erheblich überschreitenden Sachwert verleihen. Eine derartige wertbestimmende Wirkung kann insbesondere auch rechtlichen Beziehungen zukommen, die mit der Sache verknüpft sind. Ob und in welchem Maße dies im Einzelfalle zutrifft, hängt wesentlich von der Anschauung des Wirtschaftslebens ab, und dieses legt vielfach auf die Art dieser rechtlichen Beziehungen und ihrer Verknüpfung mit der Sache nicht das entscheidende Gewicht. Insoweit handelt es sich um eine Tat-, nicht um eine Rechtsfrage. Ist bei der Wegnahme der Sache die Absicht auf die gänzliche oder teilweise Ausnutzung eine solchen der Sache, sei es auch nur um gewisser rechtlicher Eigenschaften willen, im Wirtschaftsleben tatsächlich beigelegten Wertes gerichtet, so ist die Absicht rechtswidriger Zueignung gegeben. So wenig einzelne Eigenschaften einer Sache als Gegenstand der Zueignung in Frage kommen können, sosehr sind sie hiernach von möglicher Erheblichkeit für die Frage, ob die Absicht rechtswidriger Zueignung vorliegt.

Unter diesen Gesichtspunkten ist die Annahme der Strafkammer, daß der Angeklagte beabsichtigte, sich die Biermarken rechtswidrig zuzueignen, frei vom erkennbaren Rechtsirrtume.

Nach der geschilderten Einrichtung in dem Geschäftsbetriebe des F. waren die Marken zwar nicht an sich, wohl aber in der Hand des Kellners bestimmt und geeignet zu beweisen, daß der Kellner dafür den Bierpreis gezahlt und insoweit ein Guthaben gegenüber F. erworben hatte. Es bestand nach dem Urteilsinhalte ferner offensichtlich die volle tatsächliche Gewißheit, daß der Kellner für die Marken am Schanktische Bier erhielt und für dieses nichts weiter zu bezahlen brauchte. Es erscheint nach dem Gesagten daher nicht rechtsirrtümlich, wenn die Strafkammer auf dieser Grundlage annahm, daß die Marken unter den Verhältnissen des gegebenen Falles, obwohl nichts für sie gezahlt war, jedoch vermöge ihrer tatsächlichen Verwertbarkeit einen über den Stoffwert hinausgehenden besonderen Sachwert hatten. Es ist auch nicht rechtsirrig, wenn dieser offenbar dem Bierpreis selbst gleichgesetzt wurde. Nach den ferneren Urteilsfeststellungen, ging die Absicht des Angeklagten dahin, mit den weggenommenen Marken das von ihm zu entnehmende Bier zu bezahlen, den den Marken zukommenden besonderen Sach(Substanz)wert also für sich auszunutzen, d.h. die Marken insoweit für eigene Rechnung zu verwerten. Von einem beabsichtigten bloßen Gebrauche der Marken ist danach im vorliegenden Falle nicht die Rede. Vielmehr erscheint damit die Absicht rechtswidriger Zueignung nachgewiesen.

Daß die Marken den besonderen Sachwert erst mit der Wegnahme erlangten, stellt das Vorhandensein dieser Absicht bei der Wegnahme nicht in Frage. Das Verhältnis ist insoweit nicht wesentlich anders, als bei der diebischen Wegnahme eines Wechselakzepts aus dem Gewahrsam des Akzeptanten.

Wollte man für Fälle der vorliegenden Art die Zueignungsabsicht leugnen und annehmen, es könne lediglich Betrug in Frage kommen, so würde sich daraus eine weitgehende Schutzlosigkeit des Eigentums ergeben. Versuchte oder vollendete Wegnahme solcher Marken, auch wenn diese unter den in § 243 StGB vorausgesetzten Umständen erfolgte, müßte, soweit nicht etwa Hausfriedensbruch oder Sachbeschädigung vorläge, straflos bleiben. Denn im Verhältnisse zum Tatbestande des Betrugs wären dies alles nur Vorbereitungshandlungen. Bestrafung könnte erst eintreten, wenn mindestens mit der Verausgabung einer Marke begonnen worden wäre, dann aber auch nur insoweit, nicht hinsichtlich der vielleicht großen Menge gleichzeitig zum selben Zwecke weggenommener Marken. Es bedarf keiner Ausführung, daß dies mit dem allgemeinen Rechtsbewußtsein und den öffentlichen Interessen unvereinbar wäre.

Die Sache liegt danach ähnlich, wie bei der Wegnahme fremder Sparkassenbücher, hinsichtlich deren das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung den Tatbestand des Diebstahls für gegeben erachtet, wenn die Wegnahme in der Absicht erfolgt, den eingezahlten Betrag ganz oder teilweise für eigene Rechnung zu erheben.

Vgl. Entsch. des RG's in Starfs. Bd. 10 S. 369, Bd. 22 S. 2, Bd. 26, S. 151 sowie das zum Abdruck bestimmte Urteil des erkennenden Senats vom 2. Oktober 1906 gegen A., V 349/06; vgl. auch Entsch. a.a.O. Bd. 29 S. 415, Rechtspr. des RG's in Strafs. Bd. 8 S. 751.

Der Umstand, daß die wirtschaftliche Verwertbarkeit der Sparkassenbücher im allgemeinen an deren Zahlbarkeit an den Inhaber beruhen wird, während dies hier nicht der Fall ist, begründet keinen rechtlichen Unterschied. Es kommt nur darauf an, daß die Sache tatsächlich – um ihrer rechtlichen Eigenschaften willen – einen über den Stoffwert hinausgehenden und als solchen ausnutzbaren Sachwert hat, möge ihr dieser auch nur unter gewissen Umständen und nur innerhalb eines engen Kreises von Personen zukommen.

Die hier vertretene Auffassung steht auch nicht im Widerspruch mit der dem Urteile in Entsch. des RG's Bd. 24 S. 22 zugrunde liegende Rechtsansicht. Denn in diesem Urteil ist als tatsächliche Annahme des ersten Gerichts angesehen worden, daß gegenüber der damaligen Sachlage die Absicht der Kellnerin lediglich auf einen vorübergehenden Gebrauch der damals ein bloßes Zählmittel bei der Abrechnung bildenden Marken gerichtet war.

Auch der Begriff des umschlossenen Raumes ist von der Strafkammer nicht verkannt ...

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